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Nicht invasive Hirnstimulation zur Suchtbehandlung
Die nicht invasive, repetitive, transkranielle Magnetstimulation (rTMS) ist eine etablierte Technik zur Behandlung resistenter Depressionen. Studien haben nun gezeigt, dass rTMS auch bei der Behandlung von Sucht wirksam ist. Psychoaktive Substanzen hemmen kortikale Bereiche, die an der Steuerung von Impulsen beteiligt sind. Das macht es sehr schwierig, dem Drang zu widerstehen, Stimulanzien zu konsumieren. Die rTMS trägt zur gezielten Reaktivierung von Hirnarealen bei, die durch die wiederholte Einnahme von Psychostimulanzien «abgeschaltet» wurden. Die rTMS wirkt auf die Belohnungsschaltkreise, die bei allen Arten
von Sucht verändert sind. Sie verbessert die Stimmung und die Schlafqualität während der Entzugsphase, was sich günstig auf das Risiko für einen Rückfall auswirkt (1, 2). Eine Therapie mit rTMS erstreckt sich über mehrere Wochen. In der ersten Woche werden zwei 15-minütige Sitzungen pro Tag durchgeführt, danach einmal wöchentlich. Während der Behandlung hören die Patienten ein «klickendes» Geräusch und spüren ein leichtes Klopfen am Kopf. Abgesehen von gelegentlichen transienten leichten Kopfschmerzen oder Schwindelgefühl treten praktisch keine Nebenwirkungen auf. Die rTMS hat nun die
medizinische CE-Zertifizierung für die Behand-
lung der Abhängigkeit von Psychostimulan-
zien (Kokain, Amphetamine, Methamphe-
tamine) erhalten.
red l
Referenzen: 1. Lin J et al.: Chronic repetitive transcranial magnetic
stimulation (rTMS) on sleeping quality and mood status in drug dependent male inpatients during abstinence. Sleep Med. 2019;58:7-12. 2. Gómez Pérez LJ et al.: Sleep quality improves during treatment with repetitive transcranial magnetic stimulation (rTMS) in patients with cocaine use disorder: a retrospective observational study. BMC Psychiatry. 2020;20(1):153.
Immunzellen im Gehirn teilen sich die Arbeit auf
Um toxische Proteine schneller abzubauen, können sich Immunzellen im Gehirn bei Bedarf zu Verbünden zusammenschliessen, wie eine Studie zeigt. Bei bestimmten Mutationen, die zur Parkinson-Erkrankung führen können, ist diese Zusammenarbeit hingegen beeinträchtigt. Die aSyn-Proteinmoleküle (Alpha-Synuclein) können bei bestimmten Erkrankungen miteinander verklumpen und unlösliche Aggregate bilden. Diese schädigen die Neuronen; man findet sie zum Beispiel typischerweise im Gehirn von Parkinson-Erkrankten oder von Betroffenen mit Lewy-Body-Demenz.
Die Forschung aus Deutschland und Frankreich zeigte nun, dass Mikrogliazellen sich spontan zusammenschliessen können, um der Gefahr besser Herr zu werden. Sie bilden dazu schlauchähnliche Fortsätze, die an benachbarte Mikrogliazellen andocken. Durch diese Verbindungen werden die aSyn-Aggregate dann unter den Partnern des Netzwerks verteilt, dort abgebaut und entsorgt. Ohne diese Arbeitsteilung müssten einzelne Immunzellen einen Hauptteil der Abbauarbeit schultern und würden überlastet. Zudem können Mikrogliazellen ihre Nachbarn aufpäppeln, wenn diese zu stark in Bedrängnis
oder gar in Lebensgefahr geraten. Sie verschi-
cken dann Mitochondrien an die Nachbarzel-
len, die gerade mit dem Abbau der Aggregate
beschäftigt sind.
Die Forschenden haben ausserdem aus Blut-
proben von Patienten mit Lewy-Body-Demenz
Makrophagen isoliert und in Mikroglia-ähnli-
che Zellen umgewandelt. Diese konnten sich
im Labor zwar noch vernetzen, der Transport
von aSyn durch die Verbindungsschläuche war
jedoch stark beeinträchtigt.
red l
Quelle: Microglia jointly degrade fibrillar alpha-synuclein cargo by distribution through tunneling nanotubes. Cell. 2021:S0092-8674(21)01054-0. doi: 10.1016/j.cell.2021.09.007
Grippeimpfung zur Demenzprävention?
Eine an 120 000 US-Veteranen durchgeführte retrospektive Studie zeigte, dass regelmässige Grippeimpfungen (> 6 in 80 Monaten) das Demenzrisiko signifikant um 12 Prozent reduzierten. Dazu gibt es einen plausiblen pathophysiologischen Erklärungsversuch. Die durchschnittlich 75,5-jährigen Studienteilnehmer (nur 3,8% weiblich) wurden in Gruppen klassifiziert, je nachdem, ob und wie viele Grippeimpfungen sie zwischen dem 1. September 2009 und dem 31. August 2019 erhalten hatten. Im Anschluss daran wurde analysiert, bei wie vielen Personen eine Demenz neu auftrat (definiert nach Vorhandensein entsprechender ICD-9/ICD-10-Codes in den Krankenakten im Verlauf ). Insgesamt betrug die mediane Beobachtungsdauer 80 Monate bei den geimpften Personen und 81 Monate bei den ungeimpften. 15 933 Stu-
dienteilnehmende erkrankten während dieser Phase neu an einer Demenz. Die Analyse ergab, dass die Inanspruchnahme von Grippeimpfungen mit einem geringeren Demenzrisiko einherging. Allerdings kam der Effekt nur dann zum Tragen, wenn insgesamt mehr als sechs Grippeimpfungen innerhalb des Beobachtungszeitraums verabreicht wurden. Damit wurde in dieser Erhebung das Demenzrisiko durch die Impfungen signifikant um 12 Prozent gesenkt (Hazard Ratio: 0,88). Weil es sich hier um eine retrospektive Auswertung handelt, ist das Resultat ohne Beweischarakter, es kann nur eine Assoziation aufzeigen. Jedoch liegen schon mehrere solcher Assoziationsstudien vor, nicht nur zu Grippeimpfungen, sondern auch zu Impfungen gegen Diphtherie oder Tetanus. Die Impfungen führten zu einem Anstieg der Aktivität von Mikro-
glia, quasi den «Immunzellen des Gehirns», so
die Hypothese der Autoren. Sie erkennen
krankheitsauslösende Stoffe und Abfallpro-
dukte und bauen sie ab. Tierexperimentell
konnte gezeigt werden, dass die erhöhte Mi-
krogliaaktivität nach Impfung dazu führt, dass
Beta-Amyloid, wie es bei Alzheimer-Erkrankung
häufiger vorkommt, vermehrt abgebaut wird.
Wenn prospektive Studien nun zeigen, dass
wiederholte Grippeimpfungen genau diesen
Effekt haben und Beta-Amyloid abbauen,
wäre das ein Durchbruch für die Demenz-
therapie.
red l
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 10. September 2021
Referenz: 1. Wiemken TL et al.: Dementia risk following influenza
vaccination in a large veteran cohort running head: Influenza vaccination and dementia. Vaccine 2021, Aug 20.
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Tiefe Hirnstimulation auch noch nach 15 Jahren Parkinson effektiv
Während die medikamentöse Parkinsontherapie mit den Jahren an Wirkung verliert, scheint das für die tiefe Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation, DBS) trotz fortschreitender Krankheitsprogression nicht gleichermassen zuzutreffen, wie eine Langzeitstudie nun zeigen konnte. An der Untersuchung nahmen 51 Patienten teil, die im Alter von durchschnittlich 40 Jahren die Diagnose Morbus Parkinson erhielten. Bei ihnen wurde mit durchschnittlich 51 Jahren
eine DBS-Operation durchgeführt. Den Schrittmacher dazu tragen sie seither durchschnittlich 17 Jahre. Die Studienautoren untersuchten die Patienten hinsichtlich von Bewegungsstörungen, Lebensqualität, Medikamentenverbrauch, Schwere und Progression der Parkinson-Erkrankung. Im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Implantation war nach 15 Jahren die Zeitdauer mit Dyskinäsien noch immer um 75 Prozent geringer, die Off-Zeit um 59 Prozent kürzer und der Ver-
brauch an Dopaminergika um 51 Prozent tiefer.
Zudem war bei den Device-Trägern die Lebens-
qualität immer noch besser als zuvor. Es traten
im Verlauf der Zeit nur wenige Device-assozi-
ierte Nebenwirkungen auf, die meist zu mana-
gen waren.
vh l
Quelle: Bove F et al.: Long-term outcomes (15 Years) after subthalamic nucleus deep brain stimulation in patients with parkinson disease [published online ahead of print, 2021 Jun 2]. Neurology.
Keine höhere Selbstmordrate in der 1. Welle
Dass die Coronapandemie sich auf die psychische Gesundheit auswirken würde, war erwartet worden. Doch der befürchtete Anstieg der Suizidrate ist in der 1. Welle nicht eingetreten, wie eine Studie mit Daten aus 21 Ländern mit hohem bis mittlerem Einkommen zeigte. In 12 Ländern ist die Zahl der Suizide im Vergleich
zu Vor-Pandemiezeiten sogar gesunken. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass es mit Andauern der Pandemie noch zu einer Zunahme der Selbstmordrate kommen könnte, schränken die Autoren ein. Man müsse wachsam bleiben. Dass die Daten nur von hochentwickelten Länden stammen, habe den Grund, dass von Län-
dern mit tieferem Einkommen die Qualität der
Daten keine saubere Analyse zuliessen, es gebe
aber vereinzelt Signale hinsichtlich vermehrter
Suizide aufgrund der Pandemie.
vh l
Quelle: Pirkis J et al.: Suicide trends in the early months of the COVID-19 pandemic: an interrupted time-series analysis of preliminary data from 21 countries. Lancet Psychiatry. 2021;8(7):579-588. doi:10.1016/S2215-0366(21)00091-2
Fussball nur noch mit Kopfschutz?
Eine Studie aus Schottland zeigt (1), dass Profifussballspieler gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein 3,5-mal höheres Risiko haben, im späteren Leben eine neurodegenerative Erkrankung zu entwickeln. Spieler in Verteidigungsposition hatten sogar ein fünffach erhöhtes Risiko. Als Ursache werden wiederholte Kopfprellungen vermutet, die kumulativ zu einer chronisch-traumatischen Enzephalopathie führen können. Als Konsequenzen, die sich aus den Daten ergeben, könnte künftig über spezielle Schutzmassnahmen diskutiert werden – beispielsweise im Training, da hier die Exposition besonders hoch war (2). Die Autoren der Studie sehen hier klare Implikationen für eine Prävention beziehungsweise
das Erarbeiten von Kopfschutzstrategien. «Die chronische traumatische Enzephalopathie (CTE) durch wiederholte leichtgradige Kopfverletzungen bei Sportarten wie Boxen, Fussball, American Football, Rugby oder Eishockey ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen», erklärt Prof. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). «So können Schutzmassnahmen durchaus sinnvoll sein und haben sich in vielen Risikosportarten bereits etabliert. Angesichts der Daten sollte nun auch beim Fussball ein Kopfschutz erwogen werden. Das können dämpfende Helme sein oder andere neuartige Entwicklungen, wie beispielsweise ein dieses Jahr von der FDA
zugelassenes spezielles Stossschutz-Device
(Q-Collar) (3).
red l
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), 18.10.2021
1. Russell ER et al.: Association of field position and career length with risk of neurodegenerative disease in male former professional soccer players. JAMA Neurol 2021;78(9):1057-1063. doi: 10.1001/ jamaneurol.2021.2403.
2. McCrea MA et al.: Opportunities for prevention of concussion and repetitive head impact exposure in college football players: a concussion assessment, research, and education (CARE) consortium study. JAMA Neurol 2021;78(3):346-350. doi: 10.1001/ jamaneurol.2020.5193.
3. FDA News Release: FDA authorizes marketing of novel device to help protect athletes’ brains during head impacts. February 26, 2021. https://www.fda.gov/newsevents/press-announcements/fda-authorizesmarketing-nov...
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