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FORTBILDUNG
Insomnie
Update Hypnotikatherapie
Foto: zVg
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Insomnische Störungen zählen zu den häufigsten Gesundheitsbeschwerden weltweit (1). Nicht erholsamer Nachtschlaf kann mit Einbussen in der Lebensqualität einhergehen und stellt einen Risikofaktor für diverse somatische (2) sowie psychische Erkrankungen dar. In diesem Artikel werden die Indikationen und Wirkstoffgruppen sowie die Möglichkeiten und Grenzen einer medikamentösen Therapie vorgestellt.
Marian Spath Christoph Nissen
von Marian Spath1 und Christoph Nissen1
I n der ICD-11 werden Schlafstörungen (sleep-wake disorders) in einem neuen, eigenständigen Kapitel behandelt (Kapitel 07). Zuvor wurden Schlafstörungen in der ICD-10 in anderen Kapiteln einsortiert, unter anderem im Unterkapitel F5 bei psychischen Erkrankungen (Psychische und Verhaltensstörungen). Die Neubewertung stellt eine Aufwertung der Schlafstörungen dar, die sich kongruent zur Entwicklung vom Symptom zur eigenständigen Krankheit beziehungsweise Komorbidität zeigt. Diese neue Konzeptualisierung reflektiert den Bedarf einer zielführenden Diagnostik und adäquaten Therapie von Schlafstörungen.
Wie wird Schlaf reguliert? Man unterscheidet zwei Prozesse der Schlafregulation. Zentral für den zirkadianen Prozess ist der Nucleus suprachiasmaticus. Neuroanatomisch positioniert sich dieser unter dem III. Hirnventrikel und über dem Chiasma opticum. Er stellt einen zentralen Zeitgeber dar (3). Schrittmacherzellen generieren eine endogene zirkadiane Rhythmik von etwa 24 Stunden. Die Phasenlage kann durch Zeitgeber wie vor allem Licht, aber auch soziale Kontakte an die Umweltbedingungen angepasst werden. Melatonin wird in der Epiphyse gebildet, bei Licht vermindert und bei Dunkelheit vermehrt ausgeschüttet. Hierdurch kann Melatonin den umweltbedingten Tag-Nacht-Rhythmus an verschiedene Organe des Körpers weiterleiten und zu deren Synchronisierung beitragen. Der zweite Prozess ist der aktivitätsabhängige Schlafdruck. Dieser steigt mit zunehmender Wachphase und reduziert sich durch Schlaf (homöostatischer Prozess). Ein Zusammenspiel von beiden Prozessen ist für einen erholsamen Schlaf wichtig. Die Wachphase muss genügend lang sein, um einen ausreichenden Schlafdruck
1 Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitäre Psychiatrische Dienste (UPD) Bern
zu generieren, der auf eine passende zirkadiane Phase trifft. Diese beiden schlafregulatorischen Prozesse sind dem aufsteigenden retikulären aktivierenden System (ARAS) und der ventrolateralen präoptischen Area (VLPO) übergeordnet. Die VLPO ist ein Kerngebiet, das über den hemmenden Neurotransmitter GABA (Gamma-Aminobuttersäure) diverse aktivierende monoaminerge und cholinerge Wecksysteme blockieren kann (4). Im Schlaf werden REM-(Rapid-Eye-Movement-) von Non-REM-Phasen unterschieden. Primär werden nach dem Einschlafen die Non-REM-Schlafphasen 1 bis 3 durchlaufen. In Non-REM-Phasen zeigt sich eine Hemmung des kompletten ARAS. Diese Hemmung schliesst insbesondere die monoaminerge und cholinerge Neurotransmission ein. Hiervon unterscheidet sich der REMSchlaf durch eine partielle Aktivierung von cholinerger Neurotransmission bei weiterhin gehemmter monoaminerger Neurotransmission. Die kortikale Aktivität ist erhöht und damit ebenfalls die Traumaktivität. Träume werden in dieser Phase oft als lebendiger erlebt.
Wann sollte man medikamentös behandeln? Ein gestörter oder nicht erholsamer Nachtschlaf von einzelnen Nächten ohne Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit stellt keine Indikation für eine medikamentöse Therapie dar. Sollte die Störung ein höheres Niveau annehmen (3 Nächte pro Woche über 3 Monate oder länger), kann eine Pharmakotherapie bei mangelnder Wirksamkeit einer kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnien (KVT-I) indiziert sein. Die KVT-I ist die Behandlungsmethode der ersten Wahl für Insomnie (5). Weiterhin notwendig ist eine angemessene somatische, psychiatrische und gegebenenfalls schlafmedizinische Abklärung vor einer medikamentösen Therapie. Wichtig ist, dass ein sinkender Leidensdruck unter medikamentöser Therapie nicht zu einer fehlenden oder zeitlich aufgeschobenen Abklärung von etwaigen zugrunde
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Tabelle 1:
Benzodiazepine und Benzodiazepinrezeptoragonisten bei Insomnie
Wirkstoff
Halbwertszeit (h) Dosierungsempfehlung (mg)
Benzodiazepine
Triazolam
1,5–5
0,125–0,25
Lormetazepam 8–15
0,5–1
Temazepam 8–20
10–20
Flunitrazepam 15–35
0,5–1
Nitrazepam 25–35 5–10
Clonazepam
30–40
0,5–2
Diazepam 30–90 5–10
Benzodiazepinrezeptoragonisten
Zaleplon
1
5–10
Zolpidem 2–5 5–10
Zopiclon 5–7 3,75–7,5
Anwendungsempfehlungen
speziell für Einschlafstörungen
keine Empfehlung für isolierte Schlafstörung, off-label bei schweren Parasomnien Akkumulationseffekte beachten, keine Empfehlung für isolierte Schlafstörung
speziell für Einschlafstörungen
liegenden Erkrankungen (z. B. obstruktives Schlafapnoesyndrom, Restless-Legs-Syndrom) führen darf.
Medikamentöse Möglichkeiten zur Behandlung der Insomnie Benzodiazepine und Benzodiazepinrezeptoragonisten Benzodiazepine und Benzodiazepinrezeptoragonisten (BZDRA) stellen eine der wichtigsten Medikamentengruppe der Hypnotika dar. Benzodiazepine wirken als allosterische Modulatoren am GABAa-Rezeptor. Die Modulation steigert die Affinität der GABA an ihrer Bindungsstelle des Rezeptors. Das führt zu einer Verstärkung der inhibitorischen Wirkung des Neurotransmitters GABA mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für die Öffnung des Chloridkanals. Ein erhöhter Einstrom von Chloridionen in die Nervenzelle reduziert die Erregbarkeit der Neuronenmembran. Hierdurch wird die Aktivität des Kortex verringert und der Schlaf gefördert. Ohne GABA zeigt eine medikamentöse Therapie mit Benzodiazepinen keine Wirkung. Die maximale zentrale Wirkung von Benzodiazepinen kann durch eine Dosissteigerung nicht erhöht werden. Neben einer hypnotischen Wirkung ist eine muskelrelaxierende, anxiolytische, antikonvulsive und amnestische Wirkung bei Benzodiazepinen bekannt. Das wird bei klassischen Benzodiazepinen mit einer Bindung an die Untereinheiten des GABAa-Rezeptors α1, α2, α3 und α5 erklärt. Für BZDRA wird eine bevorzugte Wirkung an der Untereinheit α1 mit einer bevorzugt hypnotischen Wirkung beschrieben. Benzodiazepine und BZDRA sind insgesamt in der Kurzzeittherapie gut verträglich und wirksam. Sie reduzieren die Einschlafzeit und erhöhen die nächtliche Gesamtschlafzeit meist direkt mit Einnahmebeginn. Wichtig sind bei der medikamentösen Therapie mit Benzodiazepinen und BZDRA eine Abwesenheit einer positiven Suchtmittelanamnese und ein therapeutisches Gesamtkonzept.
Bewiesen ist der positive Effekt in der Kurzzeittherapie. Eine Langzeittherapie mit Benzodiazepinen und BZDRA gilt es aufgrund von Toleranzentwicklung und Suchtpotenzial zu vermeiden (6). Die schlafanstossende Wirkung lässt wenige Wochen nach Therapiebeginn nach. Das gilt nicht nur für Benzodiazepine, sondern auch für BZDRA. Diese Toleranz beinhaltet mehrere Gefahren: l Unter Beibehaltung der Initialdosis verliert die Medi-
kation ihren hypnotischen Effekt, und es kommt zu einer Low-Dose-Abhängigkeit. Die Schlafstörung führt erneut zu Beeinträchtigung der Lebensqualität und kann sich durch nachgeschaltete Rezeptorsensitivierung gegebenenfalls verstärken. l Eine Dosissteigerung kann zu initialer Verbesserung, jedoch nachfolgend zu erneutem Wirkverlust und zunehmend zu schwer zu kontrollierenden Nebenwirkungen führen (z. B. Stürze bei älteren Patienten). l Bei Absetzen des Medikaments verschlechtert sich die Schlafstörung initial. Der Patient sieht sich häufig passiv seiner Schlafstörung ausgeliefert, mit kognitiver und emotionaler Fokussierung auf die Medikation. Insgesamt sind Benzodiazepine und BZDRA in der Kurzzeittherapie von akuten Schlafstörungen geeignete Hypnotika (Tabelle 1). Bei chronischen Schlafstörungen (> 3 Monate) sollte eine KVT-I angeboten werden. Eine Langzeitbehandlung mit Benzodiazepinen und BZDRA ist aufgrund der Toleranzeffekte nicht empfehlenswert und nicht zugelassen.
Antidepressiva Da die Gefahr für eine Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung bei einer Langzeitbehandlung mit Benzodiazepinen und BZDRA zunehmend Beachtung im klinischen Alltag findet, werden vermehrt sedierende Antidepressiva als Hypnotika verwendet. Der Effekt sedierender Antidepressiva wird vorwiegend der antagonistischen Wirkung am Histamin-H1-Rezep-
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Tabelle 2:
Antidepressiva bei Insomnie
Wirkstoff
Halbwertszeit (h) Dosierungsempfehlung (mg)
Trazodon 5–8 25–150
Amitriptylin 10–28 25–150
Trimipramin 15–40 10–150
Mirtazapin 20–40 7,5–30
Doxepin
8–24
10–150
Anwendungsempfehlungen
bei komorbiden neuropathischen Schmerzen erwägen
in der Schweiz und in Österreich nicht mehr im Handel, in Deutschland einziges Antidepressivum mit Empfehlung bei isolierter Schlafstörung
Tabelle 3:
Antipsychotika bei Insomnie
Wirkstoff
Halbwertszeit (h) Dosierungsempfehlung (mg)
Pipamperon
17–22
40–120
Melperon
4–8
25–100
Quetiapin
7–12
150–450
Olanzapin 30–50 5–20
Clozapin 6–26 12,5–300
Chlorprothixen
8–12
15–90
Anwendungsempfehlungen in Deutschland Zulassung für isolierte Schlafstörung, häufig bei geriatrischen Patienten verwendet in der Schweiz nicht im Handel erhältlich, in Deutschland Zulassung für isolierte Schlafstörung depressive und manische Episoden bei bipolar affektiver Störung, Phasenprophylaxe
Psychosen bei Morbus Parkinson Adjuvans bei Erregungszuständen mit Depression sowie bei chronischen Schmerzen
tor zugeordnet. Wichtig ist, dass die jeweilige Substanz zur Entfaltung eines hypnotischen Effekts die Blut-HirnSchranke passiert. Ein weiterer schlafinduzierender Effekt wird der anticholinergen Wirkung einiger Antidepressiva zugeschrieben. Es bestehen sowohl Einzelstudien als auch Übersichtsarbeiten zu Trazodon (7), Mirtazapin (8), Trimipramin und Doxepin. Eine Verlängerung des Tiefschlafs ist für Trazodon beschrieben. Amitryptilin und Doxepin zeigen eine Suppression des REM-Schlafs, die von Trazodon, Mirtazapin und Trimipramin nicht berichtet wurde. Der Plasmaspiegelanstieg der Substanzen ist langsam und die Halbwertszeit meist lang. Daher sollten die Substanzen in ausreichendem Abstand (mind. 1 bis 2 Stunden) vor der Schlafzeit eingenommen werden. Problematisch kann ein Sedierungsgefühl am Folgetag sein. Die substanzspezifischen Nebenwirkungen umfassen die bekannten Nebenwirkungen der Antidepressiva
aus dem anticholinergen Spektrum wie Mundtrockenheit und Obstipation. Auf Gewichtszunahme ist zu achten, und regelmässige Labor- sowie EKG-Kontrollen (QTc-Verlängerung) sind zu empfehlen. Meist sind die Dosierungen von Antidepressiva im hypnotischen Einsatz tiefer als in der antidepressiven Behandlung, deshalb liegt die Verträglichkeit tendenziell im akzeptablen Bereich. Daten zur Langzeitbehandlung mit antidepressiver Medikation zur Insomnietherapie stehen aus. Ohne eine komorbide depressive Störung ist somit keine klare Empfehlung auszusprechen. Ein Off-label-Gebrauch bei isolierten Schlafstörungen ist verbreitet (Tabelle 2).
Antipsychotika Insbesondere niederpotente Antipsychotika werden für einen schlafanstossenden Effekt benutzt (Tabelle 3). Beispiele aus der ersten Generation sind Pipamperon und Melperon, Olanzapin und Quetiapin aus der zweiten Generation besitzen eine sedierende Wirkung.
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Die Wirkungs wird über diverse aminerge, cholinerge, 5HT2a-, 5HT2c- und Histamin-H1-Rezeptoren im aufsteigenden retikulären Arousalsystem induziert. Randomisierte, plazebokontrollierte Studien zum Einsatz von Antipsychotika bei Insomnie liegen nicht vor. Bei gerontopsychiatrischen Patienten kann eine Medikation mit niederpotenten Antipsychotika erwogen werden (geringere anticholinerge Wirkung). Studien beschreiben eine verkürzte Einschlaflatenz sowie eine verbesserte Kontinuität des Schlafs (8). Diverse Nebenwirkungen antipsychotischer Medikation, wie extrapyramidal-motorische Störungen durch Antipsychotika der ersten Generation oder Gewichtszunahme durch Antipsychotika der zweiten Generation sowie mögliche kardiale Nebenwirkungen bei beiden Generationen, führen dazu, dass Antipsychotika als Pharmakotherapie für eine Insomnie ohne schwere Komorbidität nicht empfohlen werden.
Phytotherapeutika Es besteht ein umsatzstarker und werbeintensiver Markt für frei verkäufliche pflanzliche Präparate zur Behandlung von Schlafstörungen. Meist sind dies Präparate auf der Basis von Baldrian oder Hopfen. Für Baldrian liegt eine Metaanalyse vor, die eine hohe Inhomogenität der Studien und zum Teil fehlende wissenschaftliche Qualität bemängelt (10). Insgesamt liegt derzeit kein ausreichender Wirksamkeitsnachweis der Phytotherapeutika vor. Die Verträglichkeit der Präparate ist gut, die Nebenwirkungen sind gering. Es sollte bei der Verschreibung der Präparate in Erwägung gezogen werden, dass eine passive Patientenposition in der Behandlung der Insomnie verstärkt werden kann. Eine wenn auch nebenwirkungsarme Medikation kann dazu führen, dass verhaltensorientierte Interventionen entweder mit Zeitverzögerung oder gar nicht eingesetzt werden. Im Rahmen besserer Optionen ist eine wirkungsfreie Therapie mit einer fehlenden Therapie gleichzusetzen und kein zielführender langfristiger Ansatz in der gemeinsamen Planung zur Behandlung einer Erkrankung. Häufig wird in der Argumentation für die Phytopharmaka der Vergleich zur nebenwirkungsreicheren Therapie mit Benzodiazepinen bemüht, ohne den verhaltenstherapeutischen Ansatz als Therapie der Wahl zu erwähnen.
Melatonin Melatonin fungiert als Zeitgeber und nicht als stark schlafinduzierende Substanz. Aufgrund der Modulation der zirkadianen Rhythmik eignet sich Melatonin zur Behandlung von Rhythmusstörungen wie Schichtarbeit oder der reisebedingten zirkadianen Dysrhythmie. Ein höheres Lebensalter kann mit einer verringerten zirkadianen Rhythmik und einer geringeren Melatoninausschüttung einhergehen. Eine Stimulierung der Melatoninrezeptoren kann in diesen Fällen zu einer verbesserten Rhythmik führen und schlafinduzierend wirken. Das retardierte Melatoninpräparat Circadin® besitzt eine Indikation bei primärer Insomnie ab 55 Jahren. Um eine Rhythmisierung zu erreichen, ist auf eine Einnahme 1 bis 2 Stunden vor der gewünschten Schlafzeit zu achten und die Pharmakotherapie mindestens für 2 Wochen durchzuführen. Von Vorteil ist das Fehlen relevanter Nebenwirkungen bei melatoninrezeptorinduzierter Wirkung der Medikation. Nachteilig zeigte sich
sowohl in klinischer Beobachtung als auch studienbelegt eine unzureichende Wirksamkeit bei schweren Formen der Insomnie.
Antihistaminika Der antihistaminerge Effekt am Histamin-H1-Rezeptor wird als hypnotisch eingeschätzt. Die Studienlage ist derzeit unzureichend, und es wird allenfalls ein mässiger Effekt bei schneller Toleranzentwicklung beschrieben (11). Wichtig für den Effekt bei Antihistaminika ist die ZNS-(Zentralnervensystem-)Gängigkeit der verwendeten Substanz. Diese ist bei der neueren Generation von Antihistaminika geringer ausgeprägt. Zur Langzeittherapie existieren keine Empfehlungen.
Barbiturate Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Barbiturate noch der Hauptvertreter der Hypnotika. Im Gegensatz zu Benzodiazepinen wirken Barbiturate direkt an der β-Untereinheit des GABAa-Rezeptors und als Agonist. Die therapeutische Breite ist gering und die Wirkung dosisabhängig. Aufgrund dieser geringen therapeutischen Breite kann die Pharmakotherapie von sedierend bis narkotisch und atemdepressiv wirken. Seit 1992 sind Barbiturate in der Schweiz nicht mehr als Hypnotika zugelassen.
Aktuelle Situation Eine Prävalenz der insomnischen Beschwerden von 25 Prozent in der Schweizer Bevölkerung unterstreicht die Tragweite des Problems und die Notwendigkeit einer adäquaten Behandlung (12). In der schweizerischen Gesundheitsbefragung gaben 8 Prozent der Befragten an, in der Woche vor der Befragung ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingenommen zu haben (12). Insbesondere ältere und weibliche Patientinnen berichteten über eine häufige Einnahme. In einer retrospektiven Studie mit knapp 70 000 über 65-jährigen Teilnehmern aus der Schweiz zeigte sich, dass knapp 20 Prozent der Patienten mindestens eine Verschreibung eines Benzodiazepins im Studienjahr erhalten hatten (13). Klinisch häufig finden sich auch Selbstmedikationen mit Alkohol als schlafinduzierende Substanz. Zwar kann Alkohol die Einschlaflatenz vermindern und den Tiefschlaf in der ersten Nachthälfte erhöhen, jedoch zeigt sich in der zweiten Nachthälfte ein deutlich gestörter Nachtschlaf. Alkohol ist als Schlafmittel aufgrund zahlreicher bekannter Nebenwirkungen ungeeignet. Zu beachten ist weiterhin, dass die Umgebungsbedingungen in vielen Kliniken den Schlaf stören können. Lärm, geringe Lichtexposition am Tag, Inaktivität, frühe Essens- und Bettzeiten sowie fehlende Möglichkeiten zum Aufenthalt ausserhalb des eigenen Betts stellen häufig Beeinträchtigungen für einen angemessenen Aufbau eines Schlafdrucks dar. Hier wären verhaltenstherapeutische Massnahmen und gegebenenfalls strukturelle Veränderungen des Klinikalltags wirksamer als die Verabreichung von Hypnotika.
Anwendungsempfehlungen Sämtliche Verschreibungen von Hypnotika sollten unter Beachtung der notwendigen Diagnostik sowie der KVT-I als Therapie der ersten Wahl erfolgen.
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Ein ideales Hypnotikum ist derzeit nicht verfügbar, und
die Pharmakotherapie sollte individuell ausgewählt wer-
den. Bei leichten Schlafstörungen sollte nach Möglich-
keit auf eine medikamentöse Therapie verzichtet
werden. Im Fall eines schweren transienten Belastungs-
faktors, wie beispielsweise einer Operation, sind Benzo-
diazepine und BZDRA gut verträglich und wirksam. Es
empfiehlt sich, mit dem Patienten direkt eine Behand-
lungsdauer und ein Absetzschema festzulegen. Ein Aus-
schlusskriterium für eine Behandlung ist ein bekannter
Substanzkonsum in der Anamnese.
Bei unzureichender Wirksamkeit der KVT-I kann ein The-
rapieversuch mit sedierenden Antidepressiva durchge-
führt werden. Hierbei kann mit einer geringen Dosis von
beispielsweise Trazodon oder Trimipramin begonnen
und langsam aufdosiert werden. Bei älteren Patienten
kann eine Therapie mit geringeren anticholinergen Ne-
benwirkungen hilfreich sein. Hierzu kann beispielsweise
Dipiperon eingesetzt werden. Die Indikation zur phar-
makologischen Therapie sollte in enger Kommunikation
mit dem Patienten über Wirkung und Nebenwirkungen
unter Beachtung der individuellen Begleiterkrankungen
und Behandlungsmöglichkeiten erfolgen.
l
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Christoph Nissen
Chefarzt stv. Direktor Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitäre Psychiatrische Dienste (UPD) Bolligenstrasse 111 3000 Bern
E-Mail: christoph.nissen@upd.ch
Merkpunkte:
● Die kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie (KVT-I) ist die Therapie der ersten Wahl bei chronischen Schlafstörungen.
● Eine diagnostische Abklärung der Insomnie vor der Verschreibung von sedierender Medikation wird empfohlen.
● Benzodiazepine und BZDRA können bei kurzzeitiger, transienter schwerer Schlafstörung wirksam sein. Sie sollten immer unter der Abwägung einer möglichen Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung diskutiert werden.
● Sedierende Antidepressiva stellen eine Behandlungsalternative dar. Hier sind bekannte Nebenwirkungen und Kontrolluntersuchungen zu beachten.
● Eine Behandlung der Insomnie kann präventiv auf somatische (z. B. Hypertonie) und psychische (z. B. Depression) Erkrankungen wirken.
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