Transkript
&K U R Z B Ü N D I G
Wie wirksam sind COVID-19-Impfungen bei MS-Patienten?
Eine COVID-19-Impfung ist auch für Patienten mit Multipler Sklerose (MS) empfohlen. Je nach Impfstoff kann eine krankheitsmodifizierende MS-Therapie (disease modifying therapy, DMT) die Impfwirkung beeinflussen. Bei mRNA-, DNA-, Protein- und inaktivierten Impfstoffen ist das mehrheitlich nicht der Fall. Bei Vektorvakzinen wurden vereinzelt Demyelinisierungen gemeldet, Lebendimpfstoffe sollten ganz gemieden werden. Weil direkte Studien zur Impfantwort von COVID-19-Vakzinen bei MS-Patienten unter DMT fehlen, wurde die wahrscheinliche Impfantwort unter den verschiedenen MS-DMT anhand ihres Wirkmechanismus und Verhaltens bei anderen Impfungen in einem Review zusammengestellt. Nicht Lymphozyten-depletierende DMT wie Interferon beta, Glatirameracetat, Fumarsäure und Natalizumab scheinen die Impfwirkung
nicht zu beeinflussen. Teriflunomid reduziert die Proliferation von autoreaktiven Lymphozyten, aber nicht von Lymphozyten, die auf das SARS-CoV-2-Spikeprotein reagieren. Deshalb können Patienten unter Teriflunomid eine genügende Immunantwort aufbauen. Unter Sphingosin-1-Phosphat-Modulatoren wie Fingolimod, Siponimod und Ozanimod ist dagegen mit einer reduzierten Impfantwort zu rechnen, da diese Wirkstoffe die zirkulierenden Lymphozyten dezimieren. Bei Patienten, die zelldepletierende Wirkstoffe wie Ocrelizumab, Rituximab, Ofatumumab, Alemtuzumab und Cladribin verwenden, dürfte sich die Impfantwort ebenfalls verringern, insbesondere wenn während der Phase der maximalen Zelldepletion geimpft wird. Ein gutes Timing bei diesen Therapien kann die Impfantwort verbessern. Ein Unterbruch der DMT zur Verbesserung der Impfantwort muss dagegen gut überlegt sein,
weil die MS-Erkrankung reaktiviert werden
könnte. Eine Antikörpertitermessung kann die
Notwendigkeit für eine Boosterimpfung anzei-
gen.
Die Autoren empfehlen, aus den vorhandenen
COVID-19-Impfungen eine sichere und wirk-
same Vakzine für MS-Patienten zu wählen. Sie
kommen zum Schluss, dass es keine klare Evi-
denz für eine MS-Reaktivierung durch die Imp-
fung gibt. Bezüglich der bislang in der Schweiz
verabreichten mRNA-Impfstoffe zeigten sich in
den klinischen Studien keine schweren MS-re-
levanten Folgen, abgesehen von selten aufge-
tretenen Fazialisparesen. Inzwischen hätten
auch schon sehr viele MS-Patienten mRNA-
Impfstoffe erhalten, ohne dass sich «red flags»
ergeben hätten.
vh l
Quelle: Kelly H et al.: Safety and efficacy of COVID-19 vaccines in multiple sclerosis patients. J Neuroimmunol 2021;356:577599.
Schlechte Blutzuckerkontrolle fördert Demenz
Patienten mittleren Alters mit Typ-1-Diabetes, die wegen zu tiefen und/oder zu hohen Blutdrucks einmal hospitalisiert werden mussten, haben ein bis zu 6-fach grösseres Risiko für eine spätere Demenzentwicklung. Das zeigte eine Studie mit 2821 durchschnittlich 56-jährigen Typ-1-Diabetikern. Von diesen hatten 398 (14%) in der Vergangenheit schon einmal eine schwere Hypoglykämie erlitten, 335 (12%) eine schwere Hyperglykämie und 87 (3%) beides. Nach 7 Jahren Follow-up wurde untersucht, wer in der Zwischenzeit eine Demenz entwickelt hatte. Bei Studienende waren 153 (5%) Teilnehmer an einer Demenz erkrankt. Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und Ethnie zeigte sich,
dass Patienten mit einer schweren Hypoglykämie in der Vorgeschichte ein um 75 Prozent grösseres Risiko für eine Demenz hatten, verglichen mit Typ-1-Diabetikern ohne solches Ereignis. Eine schwere Hyperglykämie führte zu einem mehr als doppelten Demenzrisiko. Bei Patienten, die schon beides hinter sich hatten, war das Demenzrisiko mehr als das 6-Fache grösser als bei jenen ohne eines der beiden Ereignisse. Die Demenzinzidenzrate betrug bei den Patienten mit schwerer Hypoglykämie 26,5/1000 Personenjahre (PJ), in der Gruppe ohne dieses Ereignis lag sie bei 13,2/1000 PJ. Eine schwere Hyperglykämie erhöhte die Inzidenzrate auf 79,6/1000 PJ, verglichen mit 13,4/1000 PJ ohne
dies. Nach beiden Ereignissen zusammen klet-
terte die Inzidenzrate auf 98,5/1000 PJ, vergli-
chen mit 12,8/1000 PJ ohne solche Ereignisse.
Die Autoren folgern aus diesen Resultaten,
dass schwere Blutzuckerentgleisungen Lang-
zeitfolgen im Gehirn induzieren können. Pa-
tienten mit Typ-1-Diabetes leben heute länger
als früher. Das setzt sie dem Risiko für eine De-
menzentwicklung aus. Sie sollten dahinge-
hend ermutigt werden, ihren Blutzucker strikt
zu kontrollieren, um derartige Ereignisse mög-
lichst zu vermeiden.
vh l
Quelle: Whitmer RA et al.: Association of type 1 diabetes and hypoglycemic and hyperglycemic events and risk of dementia. Neurology. 2021;97(3):e275-e283.
Unterbruch der CGRP-Antikörper-Therapie wirft Migräniker zurück
Die Einführung von CGRP-Antikörpern in der Migräneprophylaxe hat die Praxis verändert. Wegen der hohen Kosten dieser Präparate unterliegt die Rückerstattung jedoch einer Limitatio, wonach die Behandlung nach 12 Monaten wieder abgesetzt werden muss. Sollte in der Folge die Anzahl monatlicher Migränetage innerhalb der folgenden 3 beziehungsweise 6 Monate auf mindestens 8 ansteigen, kann eine Behandlung für weitere 12 Monate beantragt werden (1). Wie sich ein Unterbruch für die Migränepatien-
ten auswirkt, untersuchten Gantenbein und Kollegen in einer Studie mit 52 Migränepatienten während 3 Monaten nach Absetzen einer 12-monatigen CGRP-Therapie. Vor Beginn der CGRP-Therapie lag die durchschnittliche Anzahl der monatlichen Migränetage bei 16 ± 7. Mit Aufnahme der Therapie sank die Anzahl nach 3 Monaten auf 6 ± 6 und auf 5 ± 4 Tage nach 12 Monaten. Nach Absetzen der Therapie stiegen die Migränetage im ersten Monat erneut auf 6 ± 4, im zweiten Monat auf 9 ± 4 und im dritten Monat auf 11 ± 5. Die meisten Patien-
ten (88,9%) nahmen die Therapie wieder auf.
Die Resultate zeigen, dass der Effekt einer
CGRP-Antikörper-Therapie nicht nachhaltig ist.
Wird sie abgesetzt, nimmt die Migränefre-
quenz wieder zu.
vh l
Quelle: Gantenbein AR, Agosti R, Gobbi C, et al. Impact on monthly migraine days of discontinuing anti-CGRP antibodies after one year of treatment – a real-life cohort study. Cephalalgia. 2021;3331024211014616.
Referenz: 1. www.compendium.ch, Limitatio von Galcanezumab,
Erenumab und Fremanezumab (letzter Abruf: 17.8.21).
4/2021
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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