Transkript
PORTRAIT
Wir stellen vor:
Dr. Ansgar Felbecker
Leitender Arzt, Klinik für Neurologie, Kantonsspital St. Gallen, und Präsident der Swiss Memory Clinics
Das Steckenpferd von Dr. Felbecker ist die Demenz. Seine Hoffnung sind die Biomarker, die hoffentlich bald schon im Blut eine frühe Demenz anzeigen können. Daran arbeitet er zurzeit hart.
Sie sind Präsident der Swiss Memory Clinics. Welche Anliegen haben Sie in Ihrer Amtsperiode? Dr. Ansgar Felbecker: Mir ist es ein Anliegen, dass der Transfer von aktuellen Erkenntnissen im Demenzbereich in die flächendeckende Anwendung in der Schweiz gut gelingt. Die Diagnostik anhand von Biomarkern ist ein sehr spannendes Feld und setzt sich immer mehr durch. Es ist daher ein Anliegen von Swiss Memory Clinics, diese Entwicklung zu begleiten und die Abklärungsstandards, die wir als sinnvoll erachten, schweizweit in allen Memory Clinics zu verankern. In den Bereich der Therapie ist mit der Zulassung des Präparats Aducanumab in den USA ebenfalls wieder Bewegung gekommen. Auch dort begleiten wir die Entwicklung und möchten den Einsatz von neuen Substanzen bei geeigneten Patienten koordinieren. Vor allem aber ist es mir ein Anliegen, dass nicht durch die Einführung neuer teurer Medikamente finanzielle Mittel an anderen Orten in der Demenzbehandlung abgezogen werden, wo sie ebenfalls dringend benötigt werden. Dafür kämpfen wir als Verein Swiss Memory Clinics.
Sie sind an verschiedenen Studien beteiligt. Was wird in den Studien untersucht? Im Bereich Biomarker testen wir in St. Gallen eine neue Methode, um Proteine, die bei der Demenzentstehung eine Rolle spielen, im Blut darstellen zu können. Wenn das gelingt, könnten eine Demenz und generell auch neurodegenerative Erkrankungen in Zukunft im Blut frühzeitig diagnostiziert werden. Hierfür arbeiten wir mit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) zusammen. Ebenso in Kooperation mit der EMPA leite ich ein Projekt, das verschiedene einfache klinische Marker wie die Schrittlänge, die Herzfrequenz und die Greifübungen zu einem Vorhersagemodell für das Vorliegen einer Demenz im Frühstadium (mild cognitive impairment) untersucht. Des Weiteren bin ich an internationalen Medikamentenstudien beteiligt. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir uns nicht nur auf die Behandlung einer möglichen Demenzursache konzentrieren. Eine reine Anti-Amyloid-Therapie wie das Medikament Aducanumab wird vermutlich langfristig nicht reichen. Die Pathologie der Demenzerkrankungen ist komplex, und so werden wir an verschiedenen Punkten ansetzen müssen, damit Therapien wirklich erfolgreich sein können. Insofern könnten Präparate wie das Antidiabetikum Semaglutide einen spannenden Beitrag leisten, der nun in einer grossen Phase-III-Studie (EVOKE) auch bei uns in St. Gallen untersucht wird.
Sie sind in Deutschland aufgewachsen und haben dort studiert. Was brachte Sie in die Schweiz? Das war eine fachliche Entscheidung. Ich war damals in der Region Süddeutschland und Bodensee und wollte gern in dieser Gegend bleiben. Deshalb habe ich als Assistenzarzt in diesem Raum eine Stelle ge-
sucht, bei der ich Gelegenheit hatte, das komplette Spektrum der Neurologie zu erlernen. Das Angebot und vor allem das Team der neurologischen Klinik im Kantonsspital St. Gallen haben mich überzeugt, so fiel meine Wahl auf St. Gallen.
Sie haben sich als Neurologe auf Demenz spezialisiert. Wie kam es dazu? Die Neurologie hat mich schon immer fasziniert. Ich habe mich schon während des Studiums und bei meiner Dissertation mit neurodegenerativen Erkrankungen beschäftigt. Erst mit der amyotrophen Lateralsklerose (ALS), dann mit der frontotemporalen Demenz, die sehr eng mit der ALS verwandt ist. So bin ich in den Demenzbereich gekommen. Die Arbeit mit Menschen mit Demenz macht mir Freude, auch wenn ich natürlich mit vielen tragischen Geschichten konfrontiert werde. Besonders ist im Demenzbereich vor allem die Interdisziplinarität: Es ist selbstverständlich, dass hier Expertinnen und Experten aus den Bereichen Neurologie, Alterspsychiatrie, Geriatrie, Neuropsychologie, Sozialdienst, Pflege und weitere Disziplinen Hand in Hand zusammenarbeiten.
Womit können Sie am besten entspannen? Was tun Sie für Ihren Ausgleich, haben Sie Hobbys? Das ist eine gute Frage! Es ist eine permanente Gratwanderung, denn die berufliche Belastung ist sehr hoch. Der Ausgleich gelingt mir aber eigentlich ganz gut. Ich bin begeisterter Mountainbikefahrer und trainiere jeden Dienstagabend mit dem Veloclub St. Gallen. Am Wochenende bin ich ebenfalls auf dem Mountainbike, beispielsweise bei Jugendtrainings des Veloclubs. Ich treibe generell viel Sport, gern auch mit meiner Familie. Wandern, Klettern und im Winter Snowboard machen mir Freude. Mit meiner Frau und den Kindern Zeit zu verbringen, gibt mir ebenfalls viel Energie. Mit meinen drei Söhnen, 4, 7 und 10 Jahre alt, zu spielen, ist wunderbar.
Was waren Ihre grössten persönlichen Highlights?
Vielleicht ist es die Tatsache, dass es uns gelingt, Familie, Sport und
unsere anspruchsvollen Berufe unter einen Hut zu bringen. Da gehört
viel Organisation dazu und viel Verständnis von der Familie wie auch
von den Kolleginnen und Kollegen. Es macht mich stolz, dass auch
meine Frau ihre Karriere als Ärztin erfolgreich fortsetzt, wenngleich sie
ohne Zweifel die Chefin bei der Organisation unserer Familie ist. Ich
kann mich glücklich schätzen, dass ich in guten Teams aufgehoben bin,
sowohl beruflich als auch in der Familie. Das ist mein persönliches
Highlight.
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Das Interview führte Valérie Herzog.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
4/2021