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FORTBILDUNG
Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit im Kontext der SARS-CoV-2-Pandemie
Die SARS-CoV-2-Pandemie führt zu vermehrtem Stressempfinden und zu einer Zunahme von depressiven Symptomen, Schlafstörungen und Ängsten. Zugleich wird durch die Eindämmungsmassnahmen die Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen, eingeschränkt. Es findet sich ein Zusammenhang zwischen Reduktion der körperlichen Aktivitäten und vermehrten psychiatrischen Symptomen während Lockdownperioden. Diese Thematik sollte spezifisch in der Pandemiebekämpfung aufgenommen werden. Insbesondere Menschen mit psychischen Erkrankungen sollten vermehrt darin unterstützt werden, einen körperlich aktiven Lebensstil auch während der Pandemie aufrechtzuerhalten.
Foto: zVg
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Christian Imboden Ulrich Hemmeter Erich Seifritz
von Christian Imboden1, Ulrich Hemmeter2, Erich Seifritz3
Einleitung
I m Frühjahr 2020 breitete sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2 innert weniger Monate weltweit zur Pandemie aus. Schwere Verlaufsformen der dadurch ausgelösten Erkrankung – Coronavirus-Disease-2019 (COVID-19) – führen häufig zu intensivmedizinischer Behandlung (1), sodass verschiedene Gesundheitssysteme an ihre Grenzen kamen. Um das zu verhindern, wurden in verschiedenen Ländern – auch in der Schweiz – einschneidende Massnahmen zur Eindämmung der Erkrankung getroffen. In der Schweiz führte das zu mittlerweile 2 sogenannten Lockdowns. Der erste dauerte vom 16. März 2020 bis zum 11. Mai 2020. Im Verlauf des Spätsommers stiegen die Ansteckungszahlen mit SARS-CoV-2 wieder langsam an, bis im Oktober 2020 dann eine zweite Welle ausbrach. Verschiedene Kantone ergriffen frühzeitig erneut Massnahmen. Erst im Dezember und Januar wurden schweizweite Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Sinne eines zweiten Lockdowns beschlossen. Die Massnahmen zielen alle darauf ab, die Mobilität der Menschen zu verringern. Treffen von mehr als 5 Personen wurden untersagt, und der Grossteil der Sportinfrastruktur wurde geschlossen. Bis Mitte April 2021 waren Fitnesszentren, Schwimmbäder, Tennishallen und so weiter für nicht professionelle Athleten nicht zugänglich. Dadurch wurde und wird es den meisten Menschen deutlich erschwert, re-
1 Privatklinik Wyss, Münchenbuchsee 2 Psychiatrie St. Gallen Nord 3 Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK), Universität Zürich (UZH)
gelmässig körperlich aktiv zu sein. Um die Aktivität aufrechtzuerhalten, müssen Routinen angepasst werden. Es ist daher davon auszugehen, dass während der Pandemie manche Menschen körperlich weniger aktiv sind als vorher. In einem US-amerikanischen Sample konnte bereits im Frühjahr gezeigt werden, dass sportliche Menschen während des Lockdowns weniger körperlich aktiv sind (2). Da regelmässige körperliche Aktivität im Sinne von sportlicher Betätigung in der Freizeit nicht nur mit besserem psychischen Wohlbefinden assoziiert ist (3), sondern auch präventive Effekte auf somatische, aber auch psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen (4) hat, ist zu befürchten, dass das auch Auswirkungen auf die während der Pandemie ohnehin schon geforderte psychische Gesundheit haben wird.
Psychische Effekte von körperlicher Aktivität Körperliche Aktivität und Bewegung haben nicht nur positive Effekte auf körperliche Variablen wie Fitness, Muskelmasse und Körpergewicht, sondern fördern auch die psychische Gesundheit. So konnte in Metaanalysen gezeigt werden, dass regelmässige Bewegung das prospektive Risiko, eine depressive Erkrankung zu entwickeln, nicht nur signifikant reduziert (4), sondern als Sportintervention über mehrere Wochen auch in der Behandlung depressiver Erkrankungen mit Erfolg eingesetzt werden kann (5). Wirksam zeigten sich sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining (6). Ausreichende körperliche Aktivität hat auch bezüglich des Risikos, an einer generalisierten Angststörung zu erkranken, eine präventive (7) und therapeutische (8) Wirkung. Des Weiteren gibt es Befunde, die zeigen, dass Sport zu einer Reduktion des Konsums von Alkohol (9) sowie anderer Substanzen (10) führen kann. Auch bei der Schizophre-
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nie konnten für Sport, inklusive Yoga, positive Effekte auf die Positiv- und die Negativsymptomatik (11) sowie die globale Kognition (12) gefunden werden. Somit hat das Fördern eines körperlich aktiven Lebensstils für die psychische Gesundheit eine wichtige Bedeutung.
COVID-19 und psychische Gesundheit In der Schweiz konnte die Swiss Corona Stress Study (13) in einem Sample von 11 612 Menschen (25,5% Männer) aufzeigen, dass die psychische Belastung vom Frühjahr 2020 bis in den Herbst deutlich zugenommen hat. Der Anteil an Menschen mit moderater bis schwerer depressiver Symptomatik hat sich in der untersuchten Population von 3 Prozent vor dem ersten Lockdown auf 18 Prozent im November 2020 erhöht. Dabei sind jüngere Menschen deutlich stärker betroffen als ältere. In einer italienischen Untersuchung während der letzten 2 Wochen des Lockdowns im Frühjahr 2020 fand sich in einem Sample von 1515 Teilnehmern eine Prävalenz von 24,7 Prozent für depressive, 23,2 Prozent für Angstsymptome sowie 42,2 Prozent für Schlafstörungen (14). In einer spanischen Studie fanden sich Hinweise darauf, dass Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung während der SARS-CoV-2-Pandemie und des Lockdowns vermehrt depressive und Angstsymptome, Schlafveränderungen und Gewichtszunahme aufwiesen als gesunde Kontrollen (15). Diese wiederum wendeten eher adaptive Strategien an und bewegten sich mehr als die Gruppe mit einer psychiatrischen Erkrankung. Die Befunde zeigen, wie wichtig es ist, gerade Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung in der Bewältigung der verschiedenen Folgen der Pandemie besonders gut zu unterstützen. Neben den psychiatrischen Folgen der Pandemiemassnahmen scheint auch eine durchgemachte COVID-19-Erkrankung zu einem erhöhten Risiko für Angststörungen, Depressionen und Demenz zu führen (16), was zusätzlich dazu beiträgt, dass die Pandemie über längere Zeit hinweg zu einer erhöhten Belastung für die psychische Gesundheit führen könnte.
COVID-19 und körperliche Aktivität Verschiedene Studien haben Veränderungen des Bewegungsverhaltens der Bevölkerung und dessen Assoziation mit der psychischen Gesundheit untersucht. In einem US-amerikanischen Sample (n = 3052) fand sich bei vorher körperlich aktiven Menschen eine signifikante Reduktion der körperlichen Aktivität während der Pandemie, nicht aber bei bereits vor der Pandemie körperlich inaktiven. Über beide Gruppen nahmen das sitzende Verhalten und die Zeit vor dem Bildschirm zu, was wiederum mit erhöhten Stresswerten und vermehrten depressiven Symptomen assoziiert war (2). Eine australische Untersuchung (n = 1491) fand im April 2020 eine signifikante Reduktion der körperlichen Aktivität wäh-
rend des Lockdowns bei der Hälfte der Teilnehmer. Diese war ebenfalls mit erhöhtem Stress und vermehrten Angst- und depressiven Symptomen assoziiert (17). Eine weitere Studie mit einem kleineren Sample (n = 377) aus Frankreich und der Schweiz fand ebenfalls eine Reduktion der körperlichen Aktivität und eine Zunahme von sitzendem Verhalten (18). Auch hier war sitzendes Verhalten mit schlechterer psychischer Gesundheit sowie subjektiver Vitalität verbunden. Auf der anderen Seite fand eine englische Studie mit älteren Menschen (76 ± 4 Jahre, n = 117) keine Veränderung körperlicher Aktivität während der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020, allerdings zeigte sich auch in diesem Sample eine Assoziation zwischen der Zunahme von sitzendem Verhalten und depressiver Symptome (19).
Schlussfolgerungen
Aufgrund der beschriebenen positiven Effekte körperli-
cher Aktivität bezüglich verschiedener psychiatrischer
Erkrankungen scheint es von hoher Wichtigkeit, die Be-
völkerung dahingehend zu sensibilisieren, dass gerade
während einer solchen Krise Sport und Bewegung
einen wichtigen Beitrag zu deren Bewältigung und dem
Erhalt der psychischen Gesundheit leisten können. Die
aktuellen Befunde deuten auch darauf hin, dass durch
die Pandemie und deren Folgen auf unser gesellschaft-
liches und soziales Leben bereits negative Effekte auf
das Bewegungsverhalten der Bevölkerung auftreten
und diese wiederum zu einer Verschlechterung der psy-
chischen Gesundheit führen. Durch die anhaltende
Schliessung der Sportinfrastruktur ist es für einen gros-
sen Teil der Bevölkerung schwierig, sich genügend zu
bewegen, ohne die alltäglichen Gewohnheiten grund-
sätzlich anzupassen. Daher sollte der Fokus der Pande-
miebekämpfung um das Element der körperlichen
Aktivität erweitert und Wege gesucht werden, wie ge-
sundheitsrelevantes Bewegungsverhalten gefördert
werden kann. Gerade Menschen mit einer vorbestehen-
den psychischen Erkrankung sollten in diesem Zusam-
menhang besonders berücksichtigt werden, da diese
unter der Pandemie teilweise mehr zu leiden scheinen
und grössere Schwierigkeiten haben, sich den veränder-
ten Gegebenheiten anzupassen und gesunde Coping-
strategien anzuwenden.
l
Korrespondenzadresse: Dr. med. Christian Imboden
Privatklinik Wyss AG Fellenbergstrasse 34 3053 Münchenbuchsee E-Mail: Christian.imboden@pkwyss.ch
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coronavirus in Wuhan, China. Lancet. 2020;395(10223):497-506. 2. Meyer J et al.: Changes in physical activity and sedentary behavior in
response to COVID-19 and their associations with mental health in 3052 US adults. Int J Environ Res Public Health. 2020;17(18):6469. 3. Chekroud SR et al.: Association between physical exercise and mental health in 1,2 million individuals in the USA between 2011 and 2015: a cross-sectional study. Lancet Psychiatry. 2018;5:739-746. 4. Schuch FB et al.: Physical activity and incident depression: a metaanalysis of prospective cohort studies. Am J Psychiatry. 2018;175(7):631-648. 5. Kvam S et al.: Exercise as a treatment for depression: A meta-analysis. J Affect Dis. 2016;202:67-86. 6. Nebiker L et al.: Moderating effects of exercise duration and intensity in neuromuscular vs. endurance exercise interventions for the treatment of depression: a meta-analytical review. Front Psychiatry. 2018;9:305. 7. McDowell CP et al.: Physical activity and generalized anxiety disorder: results from The Irish Longitudinal Study on Ageing (TILDA). Int J Epidemiol. 2018;47(5):1443-1453. 8. Stubbs B et al.: An examination of the anxiolytic effects of exercise for people with anxiety and stress-related disorders: a meta-analysis. Psychiatry Res. 2017;249:102-108. 9. Roessler KK et al.: Exercise as adjunctive treatment for alcohol use disorder: a randomized controlled trial. PLoS One. 2017;12(10):e0186076. 10. Wang D et al.: Impact of physical exercise on substance use disorders: a meta-analysis. PLoS One. 2014;9(10):e110728. 11. Dauwan M et al.: Exercise improves clinical symptoms, quality of life, global functioning, and depression in schizophrenia: a systematic review and meta-analysis. Schizophr Bull. 2016;42(3):588-599. 12. Firth J et al.: Aerobic exercise improves cognitive functioning in people with schizophrenia: a systematic review and meta-analysis. Schizophr Bull. 2017;43(3):546-556. 13. de Quervain D et al.: The Swiss corona stress study. 2020. Preprint auf https://osf.io/jqw6a/. Letzter Abruf: 28.4.21 14. Gualano MR et al.: Effects of covid-19 lockdown on mental health and sleep disturbances in Italy. Int J Environ Res Public Health. 2020;17(13):4779. 15. Sole B et al.: Effects of the COVID-19 pandemic and lockdown in Spain: comparison between community controls and patients with a psychiatric disorder. Preliminary results from the BRIS-MHC STUDY. J Affect Disord. 2021;281:13-23. 16. Taquet M et al.: 6-month neurological and psychiatric outcomes in 236 379 survivors of COVID-19: a retrospective cohort study using electronic health records. Lancet Psychiatry. 2021;S22150366(21)00084-5. 17. Stanton R et al.: Depression, anxiety and stress during COVID-19: associations with changes in physical activity, sleep, tobacco and alcohol use in australian adults. Int J Environ Res Public Health. 2020;17(11)4065. 18. Cheval B et al.: Relationships between changes in self-reported physical activity, sedentary behaviour and health during the coronavirus (COVID-19) pandemic in France and Switzerland. J Sports Sci. 2020:39(6):699-704. 19. Richardson DL et al.: The influence of COVID-19 measures in the United Kingdom on physical activity levels, perceived physical function and mood in older adults: A survey-based observational study. J Sports Sci. 2020:39(8):887-899.
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