Transkript
FORTBILDUNG
Verminderung von Suizidversuchen und Suiziden von Jugendlichen nach Spital- oder Psychiatrieaufenthalt
Nach einem Suizidversuch werden Jugendliche in der Regel in einer Notfallstation sowie bei Bedarf im Spital versorgt und danach oft in einer psychiatrischen Klinik weiterbehandelt. In jugendpsychiatrischen Stationen ist Suizidgefährdung ein häufiger Einweisungsgrund. Nach der Entlassung aus der Hospitalisation besteht ein stark erhöhtes Suizidrisiko. Im Rahmen des Schwerpunktprogramms Suizidprävention Kanton Zürich wurden Empfehlungen zur Verbesserung der Suizidprävention während und nach einer somatischen oder psychiatrischen Hospitalisation erarbeitet, um die Anzahl Suizide und Suizidversuche von Jugendlichen zu reduzieren.
Foto: zVg
Foto: zVg
Alphons Schnyder Martina Blaser
von Alphons Schnyder1 und Martina Blaser2
Ausgangslage
I n der Schweiz sterben jährlich fast 100 Kinder und Jugendliche unter 25 Jahren durch Suizid (1). Suizidversuche bei Jugendlichen sind deutlich häufiger. Gemäss der schweizerischen Gesundheitsbefragung haben rund 4 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren bereits einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch unternommen (2). Nach einem Suizidversuch werden Patienten in der Regel in einer Notfallstation sowie bei Bedarf somatisch versorgt. Anschliessend werden suizidgefährdete Patienten in einer psychiatrischen Klinik weiterbehandelt. Suizidversuche und Suizidalität sind häufige Einweisungsgründe in jugendpsychiatrischen Stationen. Während eines stationären Aufenthalts in der Psychiatrie ist das Suizidrisiko der Patienten viel höher als jenes der Normalbevölkerung (3). Auch unmittelbar nach einem stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und in den ersten Wochen danach ist das Suizidrisiko im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt stark erhöht (4). Das ist vermutlich auch bei Jugendlichen der Fall (5). Zudem sind Suizidversuche bei Jugendlichen ein Risikofaktor für zukünftige suizidale Handlungen (6, 7). Suizidale Jugendliche, insbesondere während und nach Klinikaufenthalten, sind deshalb eine wichtige Zielgruppe für die Suizidprävention. Verschiedene suizidpräventive Nachsorgemassnahmen haben sich in Studien als wirksam erwiesen.
1 Geschäftsführer Meta-Cultura, Projektleiter Somatik/ Psychiatrie, Suizidprävention Kanton Zürich 2 Koordinatorin Suizidprävention Kanton Zürich
Nachsorge bei suizidalen Jugendlichen: Ist-Situation im Kanton Zürich Im Rahmen des Schwerpunktprogramms Suizidprävention Kanton Zürich wird unter anderem das Projekt «Nachsorge nach Psychiatrieaufenthalt» umgesetzt. Ziel des Projekts ist die Verminderung der Anzahl Suizide und Suizidversuche aller Altersgruppen nach einem Spital- und/oder Psychiatrieaufenthalt. Dazu wurden in einem partizipativen Prozess mit einer interdisziplinären Arbeitsgruppe Empfehlungen, Massnahmen und Standards für alle Altersgruppen erarbeitet, die von den Spitälern, psychiatrischen Kliniken und niedergelassenen Nachbehandelnden im Kanton Zürich umgesetzt werden (siehe Seite 17). Zur Optimierung der Suizidprävention von Jugendlichen nach Spital- oder Psychiatrieaufenthalt erfolgten im Rahmen eines zusätzlichen Teilprojekts die Durchführung einer Bestandesaufnahme zur Ist-Situation, die Einschätzung des Abklärungs-, Optimierungs-, Unterstützungs- und Schulungsbedarfs und die Ausarbeitung von Empfehlungen. Im Fokus standen Betreuungs- und Nachsorgemassnahmen an der Schnittstelle von Spitälern, psychiatrischen Kliniken, Anlauf-, Dienst- und Fachstellen sowie niedergelassenen Behandlern. Als Methodik wurden eine Literaturrecherche zum Untersuchungsbereich durchgeführt und Statistiken ausgewertet sowie in erster Linie qualitative Sondierungsgespräche geführt. Die Ausgangslage und die Herausforderungen werden wie folgt eingeschätzt: l Das Anlauf-, Notfall-, Versorger- und Nachsorgersys-
tem für suizidale Jugendliche ist engmaschig und niederschwellig aufgestellt. Die Schnittstellen und Abläufe seitens der Spitäler, psychiatrischen Kliniken, Anlauf-, Dienst- und Fachstellen sowie der Nieder-
16
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
2/2021
FORTBILDUNG
gelassenen sind sehr vielfältig und komplex. Das birgt die Gefahr, dass Jugendliche bei Übergängen zwischen den Akteuren «verloren» gehen. Zudem gibt es ressourcen- und kontextbedingte Schwachstellen sowie personen- und institutionsbezogene Unterschiede im System. l Die Schnittstelle zwischen den auf Kinder und Jugendliche spezialisierten Zürcher Spitälern und den psychiatrischen Kliniken bezüglich Suizidprävention funktioniert im Regelfall gut. Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Im somatischen und psychiatrischen Versorgersystem für Jugendliche sind Standards zur Suizidprävention und zur Verminderung von Suiziden und Suizidversuchen vorhanden, aber sie werden nicht konsequent umgesetzt. Die Einschätzung der Suizidalität von Kindern und Jugendlichen durch Notfallpsychiater und Spitalnotfallaufnahmen erfolgt teilweise suboptimal und ohne systematischen Einbezug von spezifischem kinder- und jugendpsychiatrischem Fachwissen. l Es gibt Lücken und Schwachstellen im stationär-ambulanten Übergang (Spitäler und Psychiatrie). Die suizidpräventive Nachsorge nach Austritt aus Notfallstationen oder aus psychiatrischen Kliniken ist nur teilweise gewährleistet. Ein Follow-up bei suizidgefährdeten Jugendlichen nach Austritt in ein ambulantes Setting erfolgt seitens der Kliniken nicht systematisch. l Eine grosse Herausforderung sind die begrenzten Kapazitäten für die ambulante suizidpräventive Nachsorge durch niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater und Ambulatorien der psychiatrischen Kliniken. Es gibt zu wenig freie Therapieplätze. l Die Anbindung der Nachsorge ist einfacher für Patienten, die bereits vor dem stationären Eintritt in ambulanter Therapie waren. In der Regel erfolgt dann die Rücküberweisung. Viel schwieriger ist infolge der fehlenden ambulanten Therapieplätze die Anbindung für die anderen Patienten.
Handlungsempfehlungen für die Nachsorge bei suizidalen Jugendlichen Zur Verminderung von Suizidversuchen und Suiziden bei Jugendlichen werden zuhanden der Akteure im Gesundheitssystem folgende Optimierungen empfohlen: l Systematische Suizidprävention bei suizidalen Ju-
gendlichen entlang der gesamten Versorgungskette (Anlauf-, Notfall-, Versorger- und Nachsorgersystem). l Behebung von Schwachstellen im Notfallsystem, in der aufsuchenden jugendpsychiatrischen Notfallversorgung, im stationär-ambulanten Übergang, bei der suizidpräventiven Nachsorge nach stationärem Spital- oder Psychiatrieaufenthalt sowie insbesondere die Behebung des Engpasses in der ambulanten suizidpräventiven Nachsorge. l Systematische, frühzeitige Nachsorgeplanung und -organisation; verbindliche Organisation von Nachsorgeterminen (siehe nächstes Kapitel). l Follow-up bei suizidgefährdeten Jugendlichen nach Entlassung in das ambulante Setting: aktives Erfragen der Befindlichkeit bei allen suizidgefährdeten Patienten, die nach Spitalaufenthalt in ein ambulantes Setting austreten können. l Bessere Rückkoppelung mit schulischen Fachstellen
bei aus der Notfallversorgung beziehungsweise Hospitalisation austretenden Jugendlichen mit Suizidrisiko. l Kontinuierliche Fort- und Weiterbildung und Sensibilisierung der relevanten Mitarbeitenden im Anlauf-, Notfall-, Versorger- und Nachsorgersystem.
Suizidpräventionsmassnahmen und -standards für alle Altersgruppen Zur Verbesserung der Suizidprävention während und nach einem Psychiatrieaufenthalt für Patienten aus allen Altersgruppen sind im Kanton Zürich folgende Massnahmen und Standards – die im Jahr 2018 durch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe erarbeitet und veröffentlicht wurden – empfehlenswert (8, 9):
Patientenbezogene Massnahmen und Standards: Zielgruppe Kliniken A. Alle Patienten während der stationären Behandlung 1. Systematische Beurteilung der Suizidgefährdung bei
allen stationären Patienten: mindestens bei Eintritt, regelmässig während des Aufenthalts, 2 Tage vor Austritt (im Fall geplanter Austritte), bei Austritt
B. Alle suizidgefährdeten Patienten während der stationären Behandlung 1. Einholung des Einverständnisses der Patienten zum
Einbezug von Nachbehandelnden und Vertrauensbzw. Angehörigen-Kontaktpersonen: frühzeitig nach Eintritt 2. Sicherstellung der spezifischen Nachsorgeplanung: frühzeitig vor Austritt l Identifizierung von persönlichen Risiken, Erstel-
lung einer personalisierten Netzwerkkarte l Abgabe eines Krisenpasses und von Information
über Notfallangebote und -adressen an Patienten sowie Vertrauens- bzw. Angehörigen-Kontaktpersonen l verbindliche Organisation der Nachbehandlung innerhalb einer Woche nach Austritt 3. Wenn möglich keine Austritte am Freitag und vor Feiertagen 4. Erfassung und Überprüfung der aktuellen Telefonnummern der Patienten: spätestens 1 Tag vor Austritt 5. Information an Vertrauens- bzw. Angehörigen-Kontaktperson über Austritt: spätestens 1 Tag vor Austritt 6. Information über Austritt an Nachbehandelnde mit Telefonat und Kurzaustrittsbericht sowie mit Bitte um Rückmeldung, falls Patient nicht wie geplant zur Nachbehandlung kommt: spätestens am Austrittstag
C. Suizidgefährdete Hochrisikopatienten, Patienten nach Suizidversuch 1. Einführung bzw. «Überbrückungskonferenz» mit
dem Patienten, den Mitarbeitenden der Klinik, den Nachbehandelnden, der Vertrauens- bzw. Angehörigen-Kontaktperson zur Gewährleistung eines nahtlosen Übergangs in die Nachbehandlung bzw. in den Alltag: mindestens 1 Woche vor Austritt 2. Einführung «Überbrückungshilfe» durch Klinikmitarbeitende/ausgebildete Peers zur Gewährleistung, dass sich der Patient nach Klinikaustritt im Alltag zurechtfindet:
2/2021
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
17
FORTBILDUNG
Zur Arbeitsgruppe gehören Vertreter folgender Verbände
● Kadermitarbeiter der Psychiatrischen Kliniken im Kanton Zürich ● Zürcher Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ZGKJPP) ● Zürcher Pflegedienstleitungskonferenz der Psychiatrischen Kliniken (ZPPK) ● AGZ Aerztegesellschaft des Kantons Zürich ● Haus- und Kinderärzte Zürich (mfe) ● Zürcher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ZGPP) ● Zürcher Psychologinnen und Psychologen (ZüPP) ● Zürcher Verein Psychiatrischer Chefärzte (ZVPC)
Empfehlungen zur Suizidprävention nach Nachsorge Psychiatrieaufenthalt: https://www. gesundheitsfoerderung-zh.ch/ empfehlungen
l gemeinsamer Besuch zu Hause: gegen Ende des stationären Aufenthalts
l telefonischer Kontakt, Hausbesuche bei Bedarf: während 1 bis 4 Wochen nach Austritt
D. Suizidgefährdete Patienten, die die Behandlung abbrechen oder gegen ärztlichen Rat austreten; Patienten ohne vereinbarte Nachbehandlung 1. Telefonische Kontaktaufnahme mit dem Patienten
und der Vertrauens- bzw. Angehörigen-Kontaktperson: spätestens 3 Tage nach Austritt 2. Gegebenenfalls Gefährdungsmeldung an Ämter: spätestens 3 Tage nach Austritt 3. Vermittlung und Abgabe von Adressen von Anlaufstellen, Notfallangeboten usw. an den Patienten und die Vertrauens- bzw. Angehörigen-Kontaktperson
E. Patienten nach Suizidversuch 1. Einführung Spezialsprechstunde für Patienten nach
Suizidversuch (z. B. ASSIP, Attempted Suicide Short Intervention Program, AdoASSIP, Kurzinterventionsprogramm für Jugendliche nach Suizidversuchen)
Patientenbezogene Massnahmen und Standards: Zielgruppe Nachbehandelnde 1. Mitwirkung bei «Überbrückungskonferenzen» für
suizidgefährdete Patienten, die nach Austritt von Nachbehandelnden weiterbetreut werden 2. Falls der Patient nach Austritt die Nachbehandlung nicht aufnimmt: Rückmeldung und Feedback durch Nachbehandelnden an genannte Bezugsperson aus der Klinik/Station (gemäss Austrittsbericht) 3. Bereitstellung und Vermittlung von Nachbehandlungsplätzen (zeitnah nach Austritt) für suizidgefährdete Patienten 4. Sicherstellung der Erreichbarkeit der Nachsorger 5. Wenn der Nachbehandelnde merkt, dass der Zustand des Patienten kritischer wird: Kontaktaufnahme zum vorgängigen Behandlungsteam der Klinik
Bildung und Erfahrungsaustausch zur Suizidprävention: Zielgruppe Kliniken und Nachbehandelnde 1. Plattform/Gefäss für regelmässigen regionalen Wis-
sensaustausch zur Suizidprävention zwischen Klinikärzten, Pflege und niedergelassenen Behandelnden sowie Notfallärzten. 2. Gemischte Qualitätszirkel und Suizidrapporte zur Suizidprävention durch Klinikärzte, Pflege und niedergelassene Behandelnde.
3. Bei grossen Haus- und Fachärzteveranstaltungen, Kongressen und Fortbildungen: Vorträge zur Suizidprävention anbieten.
4. Fortbildungen zur Suizidprävention für niedergelassene Behandelnde (Psychiater, Psychologen, Hausärzte, Spitex) turnusgemäss durch Fachgesellschaften.
5. Klinikinterne interprofessionelle Weiterbildung und Workshops zu Suizidalitätsthemen.
Bisherige Erfahrungen Aus den oben genannten Empfehlungen sind unter anderem folgende zwei Massnahmen für alle Altersgruppen entstanden, die besonders zu erwähnen sind.
Einführung von Überbrückungskonferenzen und Überbrückungshilfen Zur Reduktion des Suizidrisikos wurden im Jahr 2019 im Rahmen eines Pilotprojekts mit der Gesundheitsdirektion Zürich Überbrückungskonferenzen und -hilfen eingeführt. Überbrückungskonferenzen werden vor dem Klinikaustritt durchgeführt, um einen nahtlosen Übergang der Patienten in die Nachbehandlung beziehungsweise in den Alltag zu gewährleisten. An einer Überbrückungskonferenz treffen sich auf Einladung der Klinik im Rahmen eines Gesprächs folgende Personen: l Patient l Behandlungsteam der Klinik l nachbehandelnde Fachpersonen (niedergelassener
Arzt, Psychologe, Psychiatrie Spitex), die den Patienten nach Klinikaustritt behandeln und betreuen l allenfalls zusätzlich Vertrauenspersonen. Die Überbrückungskonferenzen werden seitens der Kliniken initiiert. Inhaltlich geht es um eine koordinierte Austrittsplanung sowie um die Organisation der Betreuung nach Austritt. Eine gute Versorgung in diesen krisenanfälligen Wochen kann das Wohlbefinden der Patienten wesentlich stärken und erneuten Suizidversuchen vorbeugen. Niedergelassene Ärzte und weitere externe Fachpersonen können ihren ungedeckten Aufwand für diese Überbrückungskonferenz während der Pilotphase grösstenteils in Rechnung stellen. Die entsprechende Finanzierung erfolgt während dieser Phase durch die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich. Die Überbrückungskonferenzen haben sich bislang bewährt. Zudem wurden Überbrückungshilfen eingeführt, die während der Hospitalisation und nach Klinikaustritt von Klinikmitarbeitenden (Arzt, Psychologe, Pflegefachperson, Sozialarbeiter, ausgebildete Peers) erbracht werden. Eine Überbrückungshilfe beinhaltet folgende Leistungen (subsidiär, jeweils gemäss klinischer Indikation): l eine aufsuchende Intervention während des stationären Aufenthalts (z. B. Identifikation von Problemen bei der Alltagsbewältigung, Entsorgung von Medikamenten oder Waffen) und/oder l eine aufsuchende Intervention nach Klinikaustritt (z. B. Identifikation von Problemen bei der Alltagsbewältigung, Entsorgung von Medikamenten oder Waffen) und/oder l telefonischen Kontakt kurz nach Klinikaustritt. Bislang gibt es in der Schweiz keine ähnlichen Massnahmen, weshalb die Umsetzung von Überbrückungskon-
18
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
2/2021
FORTBILDUNG
ferenzen und -hilfen im Kanton Zürich Modellcharakter für die ganze Schweiz haben könnte.
Einführung von ASSIP Für Patienten nach einem Suizidversuch wurde zudem das evidenzbasierte Kurztherapieangebot ASSIP (Attempted Suicide Short Intervention Program) in verschiedenen Zürcher erwachsenenpsychiatrischen Kliniken eingeführt. ASSIP ist ein spezifisches klinisches Angebot zur Klärung der Hintergründe des Suizidversuchs und zur Erarbeitung von Massnahmen, die weiteren suizidalen Krisen vorbeugen. ASSIP ist als ergänzendes Angebot zu einer ambulanten, teilstationären oder stationären Therapie gedacht und ersetzt keine Psychotherapie. In einer Längsschnittstudie der Universität Bern konnte die Wirksamkeit von ASSIP belegt werden (10). Zur Implementierung im Kanton Zürich werden jährlich Fachpersonen innerhalb der Kliniken weitergebildet, die ASSIP anbieten. Die Zuweisung von Patienten nach einem Suizidversuch zu ASSIP erfolgt durch Kliniken, Spitäler sowie teilweise auch durch Niedergelassene. Die Erweiterungen von ASSIP auf Jugendliche (AdoASSIP) werden dieses Jahr vorbereitet und eingeführt, unterstützt durch die Projektförderung Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV) von Gesundheitsförderung Schweiz. Ab 2022 wird AdoASSIP in 12 weiteren (Halb-)Kantonen in der deutschen und französischen Schweiz eingeführt (siehe Artikel von Berger et al. Seite 6 ff.).
Ausblick
Durch die systematische und nachhaltige Umsetzung
der empfohlenen Verbesserungen, Massnahmen und
Standards wird ein wirkungsvoller Beitrag zur Verminde-
rung von Suizidversuchen und Suiziden nach Spital-
oder Psychiatrieaufenthalt geleistet. Dieser Ansatz wird
nun auf Jugendliche ausgeweitet.
Voraussetzung für das Gelingen ist die Wahrnehmung
der Suizidprävention als stufengerechte Führungsauf-
gabe in allen Spitälern und psychiatrischen Kliniken und
die Umsetzung durch alle relevanten Mitarbeitenden.
Seitens der Nachsorgenden gilt es, die Suizidprävention
mit Unterstützung der Fachverbände selbstverantwort-
lich umzusetzen.
Neben Standards sind eine regelmässige praxisbezo-
gene Schulung und Weiterbildung zum Erkennen von
Suizidalität beziehungsweise zum Umgang damit emp-
fohlen, ebenso zu Massnahmen der Suizidprävention
für Mitarbeitende im Gesundheitswesen. Eine regelmäs-
sige Sensibilisierung der Behandlungsteams zum Erken-
nen beziehungsweise zum Umgang mit Suizidalität ist
wichtig.
Zu guter Letzt müssen für eine erfolgreiche Umsetzung
von suizidverhindernden Leistungen, Therapien und
Massnahmen im Gesundheitswesen genügend Mittel
bereitgestellt werden.
l
Korrespondenzadresse: Meta-Cultura
Dr. Alphons Beat Schnyder Quellenstrasse 27 8005 Zürich
E-Mail: schnyder@meta-cultura.ch
Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich: Kampagne und Angebote für junge Menschen und ihre Bezugspersonen
Bildquelle: Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich
Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich führt seit 2018 begleitend zum Schwerpunktprogramm Suizidprävention eine Sensibilisierungskampagne (Plakate und online) für junge Menschen durch. Diese ermuntert junge Menschen, ihre Freundinnen und Freunde auf vermutete Suizidgedanken anzusprechen und Hilfe zu holen. Als Hilfsangebot wird www.147.ch von Pro Juventute beworben. Die Kampagne ist erfolgreich: Eine Evaluation zeigt, dass 73 Prozent der Zielgruppe (16- bis 30-Jährige im Kanton Zürich) die Kampagne kennt. Während der Kampagnenlaufzeit gehen bei 147 bis zu 50% mehr Anfragen zum Thema Suizidalität ein als sonst. Zusätzlich hält Prävention und Gesundheitsförderung eine Reihe von Angeboten bereit: ● Karte mit Notfalladressen für Jugendliche und Broschüre für Schulen zum
Umgang mit Suizidalität Download/Bestellen: gesundheitsfoerderung-zh.ch/Suizid-Info ● Fortbildungen für den Gesundheitsbereich, Schulen, Sozialarbeitende und
weitere Bezugspersonen von Jugendlichen Info: gesundheitsfoerderung-zh.ch/FB-Suizid ● App zum Beobachten der Gefühle und zur Pflege der psychischen Gesundheit: Info: wie-gehts-dir.ch/downloads-broschueren/wie-gehts-dir-app
Merkpunkte:
● Systematische Suizidprävention bei suizidalen Jugendlichen entlang der gesamten Versorgungskette (Anlauf-, Notfall-, Versorger- und Nachsorgersystem).
● Behebung von Schwachstellen im Notfallsystem, in der aufsuchenden jugendpsychiatrischen Notfallversorgung, im stationär-ambulanten Übergang, bei der suizidpräventiven Nachsorge nach stationärem Spital- oder Psychiatrieaufenthalt.
● Behebung des Engpasses in der ambulanten suizidpräventiven Nachsorge. ● Systematische, regelmässige Beurteilung der Suizidgefährdung bei allen statio-
nären Patienten. ● Systematische, frühzeitige Nachsorgeplanung und -organisation; verbindliche
Organisation von Nachsorgeterminen. ● Follow-up bei suizidgefährdeten Patienten nach Entlassung in das ambulante
Setting. ● Kontinuierliche Fort- und Weiterbildung und Sensibilisierung der relevanten
Mitarbeitenden im Anlauf-, Notfall-, Versorger- und Nachsorgersystem.
2/2021
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
19
Referenzen: 1. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Hrsg): Gesundheit in
der Schweiz – Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene: Nationaler Gesundheitsbericht 2020, August 2020. 2. Bundesamt für Statistik, Schweizerische Gesundheitsbefragung 2017. 3. Ajdacic-Gross V et al.: In-patient suicide – a 13-year assessment. Acta Psychiatr Scandinavica. 2009;120(1):71-75. 4. Ajdacic-Gross V: Suizidprävention. In: W. Rössler & W. Kawohl (Hrsg). Soziale Psychiatrie. Das Handbuch für die psychosoziale Praxis. Band 2: Anwendung. Kohlhammer 2013. 5. Goldston DB et al.: Suicide attempts among formerly hospitalized adolescents: a prospective naturalistic study of risk during the first 5 years after discharge. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 1999;38(6):660-671. 6. Finkelstein Y et al.: Long-term outcomes following self-poisoning in adolescents: a population-based cohort study. Lancet Psychiatry. 2015;2(6):532-539. 7. Hawton K et al.: Self-harm and suicide in adolescents. Lancet. 2012;379(9834):2373-2382. 8. Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich: Empfehlungen zur Suizidprävention nach Psychiatrieaufenthalt: www. gesundheitsfoerderung-zh.ch/empfehlungen. Letzter Abruf: 11.3.21. 9. Bundesamt für Gesundheit: Suizidprävention bei Klinikaustritten. Empfehlungen für Gesundheitsfachpersonen. 2019. www.bag.admin. ch/bag/de/home/strategie-und-politik/politische-auftraege-undaktionsplaene/aktionsplan-suizidpraevention/suizidpraeventionpsychiatrische-versorgung.html. Letzter Abruf: 11.3.21. 10. Gysin-Maillart A et al.: A novel brief therapy for patients who attempt suicide: a 24-months follow-up randomized controlled study of the attempted suicide short intervention program (ASSIP). PLoS Med. 2016;13(3):e1001968.
FORTBILDUNG
20
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
2/2021