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KONGRESS AKTUELL
ESO WSO 2020
Vorgehen nach Schlaganfall
Auf der virtuellen ESO-WSO 2020 Conference, die gemeinsam von der Europäischen Schlaganfallorganisation (ESO) und der Weltschlaganfallorganisation (WSO) ausgerichtet wurde, wurden aktuelle Daten aus der Schlaganfallforschung vorgestellt. Hier eine Auswahl der im Rahmen der Eröffnungsplenarsitzung vorgestellten Studien von der Akutintervention bis zur Sekundärprävention.
EFFECTS- und AFFINITY-Studie Kann die Gabe von 20 mg Fluoxetin nach Schlaganfall die Erholung verbessern?
N ach entsprechenden Hinweisen aus kleineren Studien sowie einer Cochrane-Analyse beschäftigten sich 3 weitere randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studien mit dieser Fragestellung. 2 davon wurden im Rahmen des Kongresses präsentiert. Zum einen die in Schweden durchgeführte EFFECTS*-Studie (1): Diese schloss 1500 Patienten aus 35 Zentren mit ischämischem Schlaganfall (n = 1312, durchschnittlicher Schweregrad von 3 auf der NIHSS-Skala [NIH Stroke-Score; 0–42], durchschnittliches Alter 71 Jahre) oder Hirnblutungen innerhalb von 2 bis 15 Tagen nach dem Ereignis ein, bei denen eine medikamentöse Therapie indiziert war. Ausgeschlossen waren Patienten mit Epilepsie, Depression, einem vorherigen Suizidversuch oder Kontraindikationen gegen Fluoxetin. Die Verumgruppe erhielt über 6 Monate 20 mg Fluoxetin 1 ×/Tag, die andere Plazebo. Die funktionalen Ergebnisse hätten im Vergleich zu Plazebo unter dem Verum nicht verbessert werden können (beurteilt anhand der Modified Rankin Scale; [mRS-Wert; 0–6]), wie Studienleiter Prof. Erik Lundström, Uppsala University, Schweden, berichtete. Unter Fluoxetin kam es signifikant seltener zu neu auftretenden Depressionen (7 vs. 11 % unter Plazebo; p = 0,05), während gleichzeitig die Häufigkeit von Frakturen gegenüber der Plazebogruppe zunahm (4 vs. 2%; p = 0,0058). Das Fazit von Lundström: Die Einnahme von Fluoxetin kann in diesem Zusammenhang nicht empfohlen werden. Ähnliche Resultate erbrachte die AFFINITY**Studie (2), die sich in Australien, Neuseeland und Vietnam bei 1280 Schlaganfallpatienten
unterschiedlicher Ethnizität der gleichen Fra-
gestellung widmete. Die Teilnehmer wurden
ebenfalls innerhalb von 2 bis 15 Tagen nach
dem Ereignis randomisiert einer Behandlung
mit 20 mg Fluoxetin 1 ×/Tag über 6 Monate
oder Plazebo zugewiesen. Nach einem halben
beziehungsweise einem Jahr war der Behinde-
rungsgrad in beiden Gruppen ähnlich (p = 0,53
nach 6 Monaten, p = 0,46 nach 12 Monaten).
Nach 6 Monaten wurde unter Fluoxetin ein
erhöhtes Risiko für Stürze, Frakturen sowie epi-
leptische Anfälle beobachtet, beim Re-Assess-
ment nach 12 Monaten fand sich zwischen
Verum- und Plazebogruppe kein Unterschied
mehr.
Fazit: Es gab in beiden Studien keine Hinweise
auf eine positive Wirkung auf die Erholung
nach Schlaganfall durch die Einnahme von
Fluoxetin. Diese Untersuchung beantworte
jedoch nur die Frage nach dem Nutzen im
Zusammenhang mit der Erholung nach einem
Schlaganfall, unterstrich Prof. Graeme Hankey,
University of Western Australia, hinsichtlich der
Behandlung einer Depression bleibe Fluoxetin
eine wirksame Option.
Mü l
Quellen: 1. «Efficacy of fluoxetine – a randomized controlled trial in stroke (EFFECTS).» 2. «Final results of the affinity trial of fluoxetine on functional outcome at 12 months after acute stroke.» Präsentationen im Rahmen der Plenary Session Large Clinical Trials, ESO WSO virtual, 7.11.2020, sowie Pressekonferenz.
REDUCE-Studie Optimales Vorgehen bei kryptogenem Schlaganfall und PFO Bei bis zu 40 Prozent der ischämischen Schlaganfälle handelt es sich um kryptogene Schlaganfälle, als potenzielle Ursache kommt ein Patent Foramen ovale (PFO) infrage. Gemäss den 5-Jahres-Daten der REDUCE-Studie, die am virtuellen ESO-WSO-Kongress 2020 präsentiert wurden, stellt der Transkatheter-PFO-Ver-
schluss zusammen mit einer medikamentösen
Thromboseprophylaxe die beste Option dar,
um einen neuerlichen Schlaganfall zu verhin-
dern.
Die kontrollierte Open-Label-Studie umfasste
664 Patienten aus 7 Ländern, die im Verhältnis
2:1 in zwei Gruppen randomisiert und über
5 Jahre hinweg beobachtet wurden. Das Durch-
schnittsalter lag bei 45 Jahren, 81 Prozent hatten
mittlere bis grosse Vorhofseptumdefekte. Zwei
Drittel der Patienten erhielten einen Septumok-
kluder und in der Folge Thrombozytenaggrega-
tionshemmer zur Thromboseprophylaxe, die
Kontrollgruppe (ein Drittel der Patienten) nur
die Thrombozytenaggregationshemmer. Das
kombinierte Vorgehen war der alleinigen
medikamentösen Prävention überlegen: Das
Schlaganfallrisiko dieser Gruppe war um
69 Prozent geringer als das der Kontrollgruppe
(Hazard Ratio [HR]: 0,31; p = 0,0007). Pro 100
Patientenjahre ergibt sich daraus rechnerisch
ein jährliches Schlaganfallrisiko von 0,39 im
Vergleich zu 1,26 für die Kontrollgruppe – im
Beobachtungszeitraum sei es zu 8 versus
12 Schlaganfällen gekommen, berichtete
Dr. Scott E. Kasner, University of Pennsylvania,
USA. Vorhofflimmern (VHF) und Vorhofflattern
waren in der Verschlussgruppe signifikant häu-
figer, ein persistierendes oder permanentes
VHF fand sich jedoch nur bei 2,7 Prozent der
Patienten. Das Fazit der Autoren: Bei jüngeren
Patienten mit kryptogenem Schlaganfall und
PFO halte der Nutzen eines Verschlusses min-
destens 5 Jahre lang an, und das bei geringem
Risiko für einen Schlaganfall, VHF oder andere
Komplikationen.
Mü l
Quelle: «Long-term outcomes with patent foramen ovale closure or antiplatelet therapy for cryptogenic stroke.» Präsentation im Rahmen der Plenary Session Large Clinical Trials, ESO WSO virtual, 7.11.2020.
RACEAT-Studie Schlaganfall mit grösserem Gefässverschluss: Lokale Stroke-Unit oder gleich das nächstgelegene endovaskuläre Zentrum ansteuern? Sollen Schlaganfallpatienten mit einem grösseren Gefässverschluss in die lokale StrokeUnit gebracht werden oder direkt in das nächstgelegene endovaskuläre Zentrum, auch wenn das 3 oder 4 Stunden entfernt sein mag? Dieser Frage widmete sich die RACEAT-Studie.
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In der populationsbasierten Studie aus Katalo-
nien wurden insgesamt rund 1400 Patienten
aufgenommen, bei denen im Rettungswagen
ein RACE-Score ≥ 5 ermittelt wurde. Von diesen
wurden 60 Prozent lokal behandelt, 40 Prozent
wurden direkt in das nächstgelegene endovas-
kuläre Zentrum gebracht.
86,3 Prozent der Patienten waren innerhalb
von 4 Stunden in der lokalen Stroke-Unit (Ein-
treffen im Durchschnitt nach 142 Minuten)
respektive 76,3 Prozent im endovaskulären
Zentrum (im Durchschnitt nach 216 Minuten).
302 Patienten wurden von der lokalen Stroke-
Unit ins Zentrum weiterverlegt. Hinsichtlich
der Sicherheit der Behandlung oder bleiben-
der Behinderungen zeigten sich keine signifi-
kanten Unterschiede. Patienten mit einem
ischämischen Schlaganfall erreichten in bei-
den Gruppen ein gleich gutes Ergebnis. Alle
involvierten Zentren hätten sehr gute Arbeit
geleistet, die «door to needle time» habe bei
etwa 30 Minuten gelegen, wie Prof. Marco
Ribo, Hospital Vall d’Hebrón anmerkte. Die
Abläufe habe man gut koordiniert, das habe
schon mit der initialen Abstimmung zwischen
Paramedics und dem diensthabenden vas-
kulären Neurologen begonnen, berichtete der
Experte im Rahmen der Pressekonferenz:
«Solange alle eng zusammenarbeiten, können
wir keines der beiden Vorgehen als besser
empfehlen. Aber wir werden noch weitere
Subanalysen durchführen, beispielsweise um
den Einfluss der Entfernung zum endovaskulä-
ren Zentrum genauer abschätzen zu können.
Ausserdem sollen Kostenanalysen aufzeigen,
wie die beiden Optionen im Vergleich
abschneiden. Da viele Patienten im Anschluss
an die Einweisung in die lokale Stroke-Unit
einen weiteren Transfer benötigen, empfehlen
wir, dass die Ambulanz wartet beziehungswei-
se dass die anschliessende Verlegung per
Helikopter erfolgt. Patienten mit schweren
Hämorrhagien müssen adäquat transportiert
werden, um tatsächlich einen Vorteil vom
direkten Transport in das endovaskuläre Zent-
rum zu haben.»
Mü l
Quelle: «Transfer to closest stroke center vs. direct transfer to endovascular stroke-center of acute stroke patients with suspected large vessel occlusion in catalonia (racecat): final results.» Präsentation im Rahmen der Plenary Session Large Clinical Trials, ESO WSO virtual, 7.11.2020, sowie Pressekonferenz.
THALES-Studie Duale Plättchenhemmung mit Ticagrelor senkt Risiko für einen erneuten Schlaganfall Patienten nach akutem ischämischem Schlaganfall oder einer TIA weisen insbesondere in den ersten 30 Tagen ein erhöhtes Risiko für ein
erneutes ischämisches Ereignis auf. Sie vor einem invalidisierenden weiteren Ereignis zu schützen, ist das Hauptziel der sekundärpräventiven Behandlung. Diese Patienten können von einer dualen Plättchenhemmung mit Ticagrelor profitieren, wie die THALES***-Studie zeigen konnte. In dieser Phase-III-Studie erhielten mehr als 11 000 Patienten aus 28 Ländern mit einem leichten oder moderaten akuten ischämischen Schlaganfall (NIHSSScore ≤ 5) oder einer Hochrisiko-TIA (ABCD2-Score ≥ 6) innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Symptome entweder Ticagrelor plus Acetylsalicylsäure (ASS) oder Plazebo plus ASS. Die Patienten wurden randomisiert zu entweder Ticagrelor (Ladedosis von 180 mg am Tag 1, danach zweimal täglich 90 mg von Tag 2 bis 30) oder Plazebo, und alle erhielten zusätzlich ASS (300–325 mg am Tag 1 und 75–100 mg an den Tagen 2 bis 30). Als primärer kombinierter Wirksamkeitsendpunkt war die Häufigkeit von Schlaganfall oder Tod innerhalb von 30 Tagen, als primärer Sicherheitsendpunkt die Häufigkeit schwerer Blutungen definiert. Unter der Kombinationstherapie konnte das Risiko signifikant gesenkt werden: 5,4 Prozent erlitten einen Schlaganfall oder verstarben innerhalb des 30-tägigen Beobachtungszeitraums, unter ASS allein war das bei 6,5 Prozent der Fall (HR: 0,81; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,71–0,96; p = 0,015). Das Risiko für einen weiteren invalidisierenden Schlaganfall konnte im Beobachtungszeitraum von 30 Tagen durch die Kombination um 17 Prozent reduziert werden (4 vs. 4,7% unter Plazebo; p = 0,04). Und die Rate an anhaltenden Behinderungen nach einem sekundären Schlaganfall konnte um 23 Prozent reduziert werden.
Schwere Blutungen traten unter der Kombina-
tion zwar häufiger auf (0,5 vs. 0,1% unter Plaze-
bo; HR: 3,99; 95%-KI: 1,74–9,14; p = 0,001), aber
alles in allem war die Gesamtrate schwerer Blu-
tungen sehr niedrig. Das Risiko für schwere
Blutungsereignisse überwog nicht den günsti-
gen präventiven Effekt, der in der Studie gese-
hen wurde (number needed to treat: 92;
number needed to harm: 263). Die Kombinati-
onstherapie könnte unter 1000 Patienten
11 Schlaganfälle oder Todesfälle verhindern
und 4 schwere Blutungen auslösen. Die ameri-
kanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA
hat die Indikation von Ticagrelor bereits dies-
bezüglich erweitert. Und das sei wichtig, da
diese Indikationserweiterung für Clopidogrel
noch nicht vorliege und Clopidogrel überdies
bei zirka 20 Prozent der Patienten nicht funkti-
oniere. Bei einem Notfall solle daher Ticagrelor
gegenüber Clopidogrel der Vorzug gegeben
werden, so das Fazit von Prof. Pierre Amarenco,
Paris University, Paris, im Rahmen der Presse-
konferenz.
Mü l
Quelle: «Ticagrelor and aspirin versus aspirin alone in acute ischemic stroke and tia: results of the thales trial.» Präsentation im Rahmen der Plenary Session Large Clinical Trials, ESO WSO virtual, 7.11.2020, sowie Pressekonferenz.
Amarenco P et al.: Ticagrelor Added to Aspirin in Acute Ischemic Stroke or Transient Ischemic Attack in Prevention of Disabling Stroke: A Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol. Published online November 07, 2020. doi:10.1001/ jamaneurol.2020.4396
* EFFECTS: Efficacy oF Fluoxetine – a randomisEd Controlled Trial in Stroke ** AFFINITY: The Assessment of FluoxetINe In sTroke recoverY *** THALES: Acute STroke or Transient IscHaemic Attack Treated with TicAgreLor and ASA for PrEvention of Stroke and DeathTHALES:
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