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Schwangerschaft und Epilepsie
FORTBILDUNG
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Frauen mit Epilepsie und Kinderwunsch müssen gut beraten werden. Die meisten Kinder unter Antikonvulsiva während der Schwangerschaft kommen gesund zur Welt. Das Risiko für Fehlbildungen unter Antikonvulsiva hängt vom Medikament und seiner Dosis ab. Sollte eine Medikamentenumstellung geplant sein, muss dies langfristig, nach Möglichkeit mindestens ein Jahr vor der geplanten Schwangerschaft erfolgen. Präkonzeptionelle Folsäureeinnahme zeigt positive Effekte bezüglich Kognition und Verhalten des Kindes, daher sollte dies nicht vergessen werden. Frauen sollten aufgefordert werden, bei dem prospektiven EURAP- Schwangerschaftsregister mitzumachen.
Dominique Flügel Barbara Tettenborn
von Dominique Flügel und Barbara Tettenborn
Beratungsbedarf
F rauen mit Epilepsie brauchen eine gute präkonzeptionelle Beratung. Das muss bei der Behandlung von Mädchen und jungen Frauen berücksichtigt werden, immerhin zeigen auch jüngere Daten aus den USA, dass 55 bis 65 Prozent der Geburten von Frauen mit Epilepsie ungeplant sind (1, 2). In einer Querschnittsbefragung von Frauen mit Epilepsie, die von niedergelassenen deutschen Neurologen behandelt wurden, fielen erhebliche Wissensdefizite auf, und fast jede 5. schwangere Frau hatte ihre Medikamente ohne Rücksprache mit dem Arzt reduziert oder abgesetzt (3). Auch die präkonzeptionelle Einnahme von Folsäure ist nicht selbstverständlich. Nach einer jüngsten Querschnittsstudie in Deutschland nahmen nur 41,4 Prozent der Frauen (hier jedoch ohne Epilepsie) Folsäure vor der Schwangerschaft ein (4), ähnliche Prozentzahlen (42–57%) wurden jedoch auch bei Frauen mit Epilepsie gesehen (5, 6). Fragen, die Frauen mit Kinderwunsch haben, sind vor allem: Schaden die Medikamente dem Kind? Ist es nicht sogar besser, die Medikamente zu reduzieren oder gar während der Schwangerschaft abzusetzen?
Risikoabwägung Anfälle vs. Antikonvulsiva Natürlich besteht auch während der Schwangerschaft eine Indikation für eine medikamentöse Behandlung der Epilepsie. Neben dem Verletzungsrisiko der Mutter und des Feten während eines Anfalls haben schwangere Frauen ein bis zu 10-fach höheres Mortalitätsrisiko mit erhöhtem Risiko für einen SUDEP (sudden unexpected death in epilepsy) von 1:1000 (7, 8). Auch für den Fetus sind Anfälle nicht ungefährlich, so können generalisierte oder nach bilateral ausgebreitete tonisch kloni-
sche (Grand-mal-)Anfälle zu einer Abnahme der fetalen Herzfrequenz und zu Asphyxie sowie periventrikulärer Hirnblutung führen (9, 10). Zudem kann es durch einen Sturz bei einem Anfall zu einer Uterusverletzung oder zu Plazentahämatomen mit Gefährdung des Feten kommen. Ein oder mehrere Anfälle während der Schwangerschaft zeigen auch ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt und ein niedrigeres Geburtsgewicht (11, 12). Fokale Anfälle ohne Ausbreitung zu tonisch klonischen Anfällen haben vermutlich keinen wesentlichen negativen Effekt, eine Erniedrigung der fetalen Herzrate ist jedoch in Einzelfällen beschrieben (13).
Teratogenes Risiko von Antikonvulsiva Prospektive Langzeitregister, die in den 1990er-Jahren begonnen wurden, wie das European Registry of Antiepileptic Drugs and Pregnancy (EURAP), das international ist und nicht nur europäische Länder einschliesst, das australische und nordamerikanische Schwangerschaftsregister sowie weitere nationale Schwangerschaftsregister, haben mittlerweile sehr valide Informationen über Risiken von Fehlbildungen unter der Einnahme diverser Antikonvulsiva erbracht und so auch die schon in den 1980er-Jahren berichteten teratogenen Eigenschaften von Valproat verifizieren können. Frauen können beruhigt werden, Epilepsie und die Einnahme von Antikonvulsiva stellen keine Kontraindikationen für eine Schwangerschaft dar. 94,8 Prozent der Frauen bringen unter einer Monotherapie gesunde Kinder zur Welt, bei einer Polytherapie sind es 92,7 Prozent (14). Nach den neuesten EURAP-Zahlen beträgt das Risiko für schwerwiegende Fehlbildungen für eine Frau mit Epilepsie ohne Antikonvulsiva 3,7 Prozent, unter einer Monotherapie liegt es bei 4,4 Prozent und unter einer Polytherapie bei 6,5 Prozent. Zu den schwerwiegenden Fehlbildungen zählen neurologische Fehlbil-
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dungen wie die Spina bifida aperta, kardiale Fehlbildungen wie Ventrikelseptumdefekte und kongenitale Herzerkrankungen, Fehlbildungen des Urogenitalsystems sowie Kiefer-, Lippen- und Gaumenspalten. Chromosomale Aberrationen treten mit einer Häufigkeit von 0,6 Prozent auf, mit und ohne Therapie (14). Das Risiko ist abhängig von dem Antikonvulsivum und von seiner Dosis. Es steigt mit der Dosis bei fast allen Antikonvulsiva (15). Tabelle 1 zeigt die Dosisabhängigkeit der Fehlbildungsrate bei den Medikamenten Lamotrigin, Carbamazepin, Phenobarbital und Valproat (15). Tabelle 2 listet die Prävalenz von grösseren Fehlbildungen von 8 verschiedenen Medikamenten nach dem EURAP- und dem nordamerikanischen Register auf (15,16). Ähnliche Zahlen zeigen auch andere Register. Mit Ausnahme von Topiramat liegen die Prävalenzraten der EURAP-Daten etwas höher, was vermutlich an unterschiedlichen Erhebungen der Register liegt. EURAP-Daten werden von Ärzten erfasst und schliessen auch noch Daten 1 Jahr nach der Geburt des Kindes ein, sodass hier auch später entdeckte Fehlbildungen erfasst werden. Lamotrigin und Levetiracetam zeigen die niedrigsten Fehlbildungsraten, während Valproat das höchste Risiko für grössere Fehlbildungen zeigt. Mikrozephalien und Lippenspalten werden unter Topiramat häufiger beschrieben, zusammen mit einer insgesamt kleineren Gestationsgrösse (17–19), sowie auch unter Valproat und Carbamazepin (20). Frauen, die ein Kind mit einer kongenitalen Fehlbildung haben, haben ein höheres Risiko von Fehlbildungen bei weiteren Kindern (21).
Merke: ● Frauen können beruhigt werden: Die überwie-
gende Mehrzahl (über 92–94%) der Kinder kommt gesund zur Welt. ● Das Risiko für Fehlbildungen hängt vom Antikonvulsivum und von der Dosis ab und ist bei Valproat am grössten.
Kognitive Störungen und Verhaltensauffälligkeiten Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass Valproat einen negativen Effekt auf die Entwicklung des Gehirns hat (22, 23). Prospektive Untersuchungen wie die NEAD-Studie (5) bei Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft entweder Valproat, Carbamazepin, Phenytoin oder Lamotrigin erhalten hatten, zeigen einen über die Jahre konstant negativen Effekt von Valproat: Im Alter von 6 Jahren weisen die Kinder einen um 7 bis 10 Punkte tieferen Intelligenzquotienten (IQ) auf, sowohl verbal als auch nonverbal, und schlechtere Exekutivfunktionen als Kinder, deren Mütter Carbamazepin, Phenytoin oder Lamotrigin erhalten hatten. Kinder, die Phenytoin, Carbamazepin oder Lamotrigin ausgesetzt waren, zeigten ähnliche IQ-Werte. Kinder von Frauen, die Folsäure präkonzeptionell eingenommen hatten, wiesen bei allen Antikonvulsiva höhere IQ-Werte auf als die Kinder von Frauen ohne präkonzeptionelle Folsäureeinnahme. Einen positiven protektiven Effekt von prä-
Tabelle 1:
Dosisabhängige Fehlbildungsraten von Lamotrigin, Carbamazepin, Phenobarbital und Valproat (15)
Substanz Dosis
Lamotrigin
≤ 325 mg
> 325 mg
Carbamazepin
≤ 700 mg
> 700 mg
Phenobarbital
≤ 80 mg
> 80 bis ≤ 130 mg
> 130 mg
Valproat
≤ 650 mg
> 650 bis ≤ 1450 mg
≥ 1450 mg
Abkürzung: KI: Konfidenzintervall
Fehlbildungsrate 2,5% (95%-KI: 1,8–3,3) 4,3% (95%-KI: 2,9–6,2) 4,5% (95%-KI: 3,5–5,8) 7,2% (95%-KI: 5,4–9,4) 2,7% (95%-KI: 0,3–9,5) 6,2% (95%-KI: 3,0–11,1) 11,7% (95%-KI: 4,8–22,6) 6,3% (95%-KI: 4,5–8,6) 11,3% (95%-KI: 9,0–13,9) 25,2% (95%-KI: 17,6–34,2)
konzeptioneller Folsäureeinnahme auf sprachliche Fähigkeiten, die vor allem unter Valproat, aber auch unter Carbamazepin eingeschränkt waren, zeigte auch eine norwegische Mutter-und-Kind-Kohortenstudie (24). Das Risiko für Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) ist unter Valproat erhöht. So zeigt eine dänische Populationsstudie, dass 8,4 Prozent der Kinder, deren Mütter (mit und ohne Epilepsie) Valproat eingenommen hatten, Aufmerksamkeitsdefizite aufwiesen, das im Vergleich zu 3,2 Prozent von Kindern ohne Exposition. Das Risiko für ADHS bei Kindern von Müttern mit Epilepsie und Valproat war um 39 Prozent höher als bei jenen ohne pränatale Valproatexposition. Ein mögliches (nicht signifikantes) Risiko wurde auch bei pränataler Einnahme von Carbamazepin und Clonazepam gesehen (25). Neuere noch nicht sicher reproduzierte Daten bringen neben Valproat auch Lamotrigin und Oxcarbazepin mit erhöhten Autismusraten in Zusammenhang (26). Des Weiteren berichtet eine dänische Studie über Verhaltensstörungen bei Kindern von Müttern, die Carbamazepin (14%), Lamotrigin (16%) oder Levetiracetam (14%) erhalten haben, im Vergleich zu Valproat mit 32 Prozent der Kinder mit Verhaltensstörungen (26). Die Zahlen sind jedoch klein, und die Verhaltensauffälligkeiten wurden von den Eltern berichtet. Eine norwegische Mutter-und-Kind-Kohortenstudie fand, dass Mütter, die während der Schwangerschaft Antikonvulsiva einnahmen, ein 5- bis 8-fach höheres Risiko für ein Kind mit autistischen Zügen hatten, wenn sie Folsäure nicht präkonzeptionell eingenommen hatten. Folsäure vor der Schwangerschaft, eingenommen bis zur 4. bis 8. Gestationswoche, reduzierte das Risiko, jedoch nicht, wenn die Folsäure später eingenommen wurde (27).
Praktisches Vorgehen Beratung vor der Schwangerschaft Vor einer geplanten Schwangerschaft sollte die Behandlung überprüft werden. Valproat ist für Frauen im gebärfähigen Alter nicht indiziert, bei einigen Patientinnen gibt es allerdings bislang keine gleich wirksame Alternative.
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Tabelle 2:
Daten aus EURAP und dem nordamerikanischen Schwangerschaftsregister: Prävalenz von grösseren Fehlbildungen für verschiedene Monotherapien (15, 16)
Medikament
EURAP-Register
(7555 Schwangerschaften
zwischen 1999 und 2016)
Prävalenz (%) 95%-KI
Lamotrigin (Lamictal®, div. Generika)
2,9
(2,3–3,7)
Levetiracetam (Keppra®, div. Generika
2,8
(1,7–4,5)
Oxcarbazepin (Apydan extend®, Trileptal®) 3,0
(1,4–5,4)
Carbamazepin (Carsol®, Tegretol®, Timonil®) 5,5
(4,5–6,6)
Phenytoin (Phenhydan®)
6,4 (2,8–12,2)
Topiramat (Topamax®, div. Generika)
3,9
(1,5–8,4)
Phenobarbital (Aphenylbarbit®)
6,5 (4,2–9,9)
Valproat (Depakine®, Orfiril®, div. Generika) 10,3
(8,8–12,0)
Abkürzung: KI: Konfidenzintervall
Nordamerikanisches Register (4899 Schwangerschaften zwischen 1997 und 2011) Prävalenz (%) 95%-KI 2,0 (1,4–2,8) 2,4 (1,2–4,3) 2,2 (0,6–5,5) 3,0 (2,1–4,2) 2,9 (1,5–5,0) 4,2 (2,4–6,8) 5,5 (2,8-9,7) 9,3 (6,4–13,0)
Informationen von Swissmedic zur Anwendung von Antikonvulsiva bei Schwangerschaft https://www.rosenfluh.ch/qr/ swissmedic-antikonvulsiva
EURAP-Schwangerschaftsregister https://www.rosenfluh.ch/qr/ eurap-info
Bei vorbestehender Behandlung sollte versucht werden, es durch ein anderes Antikonvulsivum zu ersetzen. Frauen, die im gebärfähigen Alter Valproat erhalten, müssen jährlich über das teratogene Risiko und die erhöhte Rate an Entwicklungsstörungen aufgeklärt werden, jeweils mit schriftlicher Bestätigung über das erhaltene Wissen. Eine Umstellung sollte nicht erfolgen, wenn Frauen bereits schwanger sind, sondern mindestens ein Jahr zuvor. Gerade für die Behandlung generalisierter (idiopathischer) Epilepsien wie solche mit myoklonischen Anfällen und tonisch klonischen Anfällen (Janz-Syndrom) ist Valproat aber oft das wirksamste Medikament, sodass hier mit einer Verschlechterung der Anfallssituation bei bis zu 70 Prozent der Fälle bei Umstellung gerechnet werden muss (28). Unkontrollierte Anfälle bergen ein Risiko für einen SUDEP, das bei schwangeren Frauen erhöht ist (7), sodass das Mortalitätsrisiko der Mutter und das teratogene Risiko für das Kind im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden müssen. Die Daten des australischen Schwangerschaftsregisters zeigten in einem Zeitraum von 1999 bis 2018 einen deutlichen Rückgang der Fehlbildungsraten mit verändertem Behandlungsregime ohne oder mit dosisreduziertem Valproat, aber gleichzeitig eine Zunahme von Anfällen in der Schwangerschaft (29). Auch das EURAP-Register zeigt über einen Zeitraum von 2000 bis 2013 einen erfreulichen Rückgang der Prävalenz von Fehlbildungen von 6,0 auf 4,4 Prozent, korrelierend mit einem veränderten Therapieregime mit geringerem Einsatz von Valproat und Carbamazepin, dafür einem vermehrten Einsatz von Lamotrigin und Levetiracetam. Hier wurde keine Zunahme von tonisch klonischen Anfällen beobachtet (30). Wenn eine Einstellung auf Valproat unumgänglich ist, sollte eine möglichst niedrige Dosis < 600 mg versucht werden. Genaueres zeigt auch ein kürzlich publizierter Artikel mit Vorschlägen zum Einsatz von Alternativen zu Valproat bei Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter (31). Ziel jeder Behandlung ist immer eine Monotherapie mit der niedrigsten zur Anfallsfreiheit benötigten Dosis. Polytherapien haben ein höheres Fehlbildungsrisiko, wobei das von den jeweils verwendeten Antikonvulsiva abhängt und bei der Kombination mit Valproat am höchsten ist (32). Antikonvulsiva, die eine kürzere Halbwertszeit haben, sollten über den Tag verteilt werden, um Spitzenkonzentrationen zu vermeiden. Eine Substitution mit täglich 5 mg Folsäure sollte mindestens einen Monat vor einer geplanten Schwangerschaft oder bei unsicherer Antikonzeption erfolgen. Es sollten vor einer Schwangerschaft zwei Talspiegelbestimmungen (nüchtern vor Einnahme der Medikamente) vorliegen. Bei Antikonvulsiva mit hoher Eiweissbindung sollten auch die freien Spiegel bestimmt werden. Merke: Folsäureeinnahme vor geplanter Schwangerschaft ist sehr wichtig. Kinder von Müttern, die zum Zeitpunkt der Konzeption Folsäure eingenommen haben, sind intelligenter und haben eine geringere Rate an Erkrankungen aus dem autistischen Formenkreis. Vorgehen bei eingetretener Schwangerschaft Eine Anfrage um Teilnahme am EURAP-Schwangerschaftsregister ist empfohlen (siehe QR-Code). Als prospektiv erfasst gilt ein Einschluss der Schwangerschaft vor der 16. Schwangerschaftswoche. Folsäure sollte mindestens bis zum Ende des 1. Trimenons gegeben werden. Spiegelkontrollen der Antikonvulsiva sollten regelmässig, je nach Antikonvulsivum einmal im Trimenon bis monatlich (Lamotrigin und Levetiracetam) erfolgen. Schwangerschaftsverlauf Anfallsrisiko in der Schwangerschaft Frauen können beruhigt werden. Die Mehrzahl der Frauen (67%) zeigt während der Schwangerschaft eine 12 PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE 5/2020 FORTBILDUNG unveränderte Anfallsfrequenz, bei 17% kommt es zu einer Zunahme, bei 16% zu einer Abnahme. Frauen mit ≥ 9 Monaten Anfallsfreiheit haben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit (84–92%), während der Schwangerschaft anfallsfrei zu bleiben (33, 34). Eine Anfallszunahme im 2. und 3. Trimenon ist besonders unter Lamotrigin zu sehen (34). Das ist auf einen Abfall des Lamotriginspiegels in der Schwangerschaft zurückzuführen. Dosierung der Antikonvulsiva während der Schwangerschaft Einige Antikonvulsiva, wie Lamotrigin und Levetiracetam, zeigen einen deutlichen Abfall der Spiegel, der bereits im 1. Trimenon beginnt. Bei Lamotrigin steigt die Lamotriginclearance bereits ab der 5. Gestationswoche (35), im 2. und 3.Trimenon nimmt sie um mehr als 65 Prozent zu (36). Deshalb wird bei einem Abfall des Lamotriginspiegels von 35 Prozent im Vergleich zum Ausgangswert eine Dosiserhöhung empfohlen (37). Nach der Niederkunft ist ein rascher Anstieg der Spiegel zu erwarten, der innerhalb von wenigen Tagen nach der Geburt beginnt und 2 bis 3 Wochen postpartum beendet ist (36). Entsprechend muss postpartal wieder eine rasche Dosisanpassung erfolgen. Oxcarbazepin zeigt einen Abfall seines aktiven Metaboliten Methylhyrdroxyderivat (MHD), sodass diese Spiegel auch kontrolliert werden sollten (37). Carbamazepin weist im Vergleich zu Lamotrigin und Levetiracetam relativ stabile Spiegel auf. Bei Phenobarbital, Valproat, Primidon und Ethosuximid liegen zu wenig Daten vor, wobei auch hier Spiegelkontrollen durchgeführt werden können. Merke: Frauen sollen aufgeklärt werden, dass Lamotriginund Levetiracetamspiegel in der Schwangerschaft frühzeitig stark abfallen können und daher 1. regelmässige Spiegelkontrollen während der Schwangerschaft erfolgen müssen und 2. die Medikamentendosis gegebenenfalls entsprechend anzupassen ist. Geburt und Komplikationen bei Frauen mit Epilepsie unter Antikonvulsiva Das Risiko für vorzeitige Wehen und Frühgeburten ist nicht wesentlich erhöht (1,5-mal), möglicherweise besteht jedoch bei rauchenden Frauen mit Epilepsie ein erhöhtes Risiko für vorzeitige Kontraktionen und eine Frühgeburt (33). Nach den Daten des nordamerikanischen Schwangerschaftsregisters sind ein niedrigeres Geburtsgewicht und eine Frühgeburt (< 37 Wochen) bei Frauen mit Polytherapie, Anfällen während der Schwangerschaft und unter den Medikamenten Topiramat, Phenobarbital und Zonisamid häufiger (18). Zu einer natürlichen Geburt sollte geraten werden, eine Sektio ist nicht per se erforderlich. Wochenbett Postpartal sollten Antikonvulsiva, die während der Schwangerschaft erhöht wurden, wieder reduziert wer- den. Das betrifft insbesondere Lamotrigin und Levetiracetam. Stillen Jüngste Daten zeigen, dass Antikonvulsivakonzentrationen im Blut von gestillten Kindern signifikant niedriger sind als die mütterlichen Serumkonzentrationen (38) und bei fast 50 Prozent der Kinder unterhalb des niedrigsten Bereichs gemessen wurden. Levetiracetamspiegel waren bei den Kindern sogar im nicht mehr messbaren Bereich. Bis jetzt gibt es keine Hinweise, die einen symptomatischen Effekt auf das Neugeborene zeigen, sodass Stillen befürwortet werden kann (37). Zudem erbrachten zwei Studien, dass gestillte Kinder von Frauen mit Epilepsie und unter antikonvulsiver Behandlung einen höheren IQ und eine bessere Entwicklung zeigten als ungestillte (39, 40). Ausserdem haben Mütter, die ihre Kinder stillen, auch einen weniger gestörten Schlaf und insgesamt mehr Schlaf als Mütter, die ihre Kinder nicht stillen (41). Somit überwiegen die Vorteile des Stillens in den meisten Fällen. Vorsicht ist lediglich bei sedierenden Medikamenten wie Phenobarbital, Primidon und Benzodiazepinen geboten. Gegebenenfalls muss bei Trinkschwäche abgestillt werden. Merke: Es besteht keine Kontraindikation gegen Stillen, auch nicht bei Kombinationstherapien. Die positiven Effekte des Stillens überwiegen. IQ-Werte sind bei gestillten Kindern höher als bei ungestillten. Vorsicht jedoch bei sedierenden Antikonvulsiva wie Phenobarbital, Primidon und Benzodiazepinen: Hier muss auf eine mögliche Sedierung des Kindes geachtet werden und bei Trinkschwäche abgestillt werden. Depression und Angst bei schwangeren Frauen Frauen mit Epilepsie leiden nach einer norwegischen Studie häufiger an einer peripartalen Depression oder unter Angst als Frauen ohne Epilepsie oder mit anderen chronischen Erkrankungen. Risikofaktoren sind Antikonvulsiva, vor allem Polytherapien, eine hohe Anfallsfrequenz, früherer physischer oder sexueller Missbrauch, ungeplante Schwangerschaften, schlechte sozioökonomische Faktoren und vorbestehende Depression/Angst. Depressive Frauen werden auch weniger häufig mit Antidepressiva behandelt (42). Daher ist es wichtig, bei der Betreuung von schwangeren Frauen mit Epilepsie immer auch nach der Stimmung und Ängsten zu fragen. Zusammenfassung Der grösste Teil der Geburten verläuft komplikationslos. Wichtig ist eine frühzeitige Aufklärung. Frauen muss die Angst vor den Medikamenten genommen werden. Eine präkonzeptionelle Folsäureverschreibung und -einnahme sollte auf keinen Fall vergessen werden. Falls eine Umstellung der Medikamente geplant ist, sollte sie in einem ausreichenden Zeitraum vor der Schwanger- 14 PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE 5/2020 FORTBILDUNG schaft durchgeführt werden. Frauen sollten für eine Teil- nahme am EURAP-Register angefragt werden (wenn möglich vor der 16. Schwangerschaftswoche). Zu empfehlen ist die Betreuung von einem Neurologen mit epileptologischem Schwerpunkt. Eine kanadische retrospektive Kohortenstudie zeigte, dass die frühge- burtliche Mortalität bei Frauen viel niedriger war, wenn sie von einem epileptologischen Spezialisten betreut wurden (43). l Korrespondenzadresse: Prof. Barbara Tettenborn Chefärztin Dr. Dominique Flügel Oberärztin Klinik für Neurologie Kantonsspital St. Gallen Rorschacherstrasse 95 9000 St.Gallen dominique.fluegel@kssg.ch Referenzen: 1. Johnson EL, Burke AE et al.: Unintended pregnancy, prenatal care, newborn outcomes, and breastfeeding in women with epilepsy. Neurology 2018; 91: e1031–e1039. 2. 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