Transkript
E D I T O R I A L Notfallpsychiatrie erfordert ein klares,
evidenzbasiertes Handeln
I n diesem Heft widmen wir uns der Akut- und Notfallpsychiatrie, die ein facettenreiches Gebiet ist. Einerseits kann Akutpsychiatrie häufig sehr schnelle Therapieerfolge erzielen, andererseits können Zwangsmassnahmen und geschlossene Abteilungen zum Stigma des Faches Psychiatrie beitragen. Notfallpsychiatrie erfordert zum einen ein klares, evidenzbasiertes Handeln und ist zum anderen dabei gesellschaftlichen, gesetzlichen sowie regionalen Unterschieden unterworfen.
Über die regionalen, kantonalen Unterschiede von Unterbringungsraten berichten Florian Hotzky und Matthias Jäger von der Psychiatrie Baselland. Sie zeigen, dass die Rate an fürsorgerischen Unterbringungen in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern hoch ist und es deutliche kantonale Unterschiede gibt (Seite 10 ff.). Die grossen Unterschiede bei den Unterbringungsraten resultieren aus verschiedenen gesetzlichen Kriterien sowie zeitlichen und prozeduralen Aspekten. Zwang wird aber auch gesteuert durch die Haltung von Professionellen und ist somit stärker durch die Klinikkultur geprägt als durch die Patienten.
In dem Artikel von Thomas Reisch vom Psychiatriezentrum Münsingen AG geht es um Suizidalität und Verzweiflung (Seite 20 ff.). Er zeigt auf, wie wichtig es ist, dass Suizide verhindert werden, weil gerettete Menschen selten an einem weiteren Suizid versterben. Eine suizidale Krise ist also vorübergehend; das Thema Suizid muss allerdings von Ärzten angesprochen werden.
Robert Maier aus dem Sanatorium Kilchberg, Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, beschreibt in seinem Artikel die unterschiedlichen psychiatrischen Notfälle, wie sie aussehen, wie sie diagnostiziert werden können und welche Interventionsmöglichkeiten existieren. Als wichtig für die Gestaltung der Notfallintervention im Sinne des Patienten wird vor allem das Hinzuziehen einer Patientenverfügung, einer Vertrauensperson, eines Beistandes und auch immer von Angehörigen
empfohlen (Seite 4 ff.). Robert Maier betont insbesondere die Wichtigkeit eines interdisziplinären Herangehens, den Einbezug des sozialen Umfelds und den wertschätzenden Kontakt.
Tiziana Ziltener und Christian Huber von den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel geben einen Überblick über aktuelle Konzepte und Massnahmen zur Reduktion von Zwang, welche Traumatisierung, psychische Folgestörungen und Stigmatisierung verhindern können. Diese beinhalten zum Beispiel Safewards, die vor allem die Interaktion von Personal und Patienten betreffen und auf verschiedene Aspekte des Stationsklimas fokussieren (Seite 13 ff.). Auch die Open-Door-Politik, die eine Verhinderung von Crowding, den Erhalt der Privatsphäre, das Mitspracherecht der Patienten und die Reduktion von Einschränkungen beinhaltet, spielt eine Rolle, ebenso wie die psychotherapeutische Begleitung der Patienten.
Aus der Perspektive der Pflege berichten Fabienne Roth und Franziska Rabenschlag über ihre Erfahrungen mit verschiedenen Implementierungen in den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel. Im Beitrag werden beispielsweise die RADAR-Methode von Leo Regeer vorgestellt, die Bedeutung frühzeitiger Interventionen, Meldesysteme und auch die Art und die Bedeutung der richtigen Kommunikation, die auch die Wahl der Sprache bedingt (Seite 17 ff.).
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. l
Prof. Undine Lang Klinikdirektorin der Klinik für Erwachsene
und Privatklinik Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel Professorin für Psychiatrie und Psychotherapie der
Universität Basel Wilhelm-Klein-Strasse 27
4002 Basel E-Mail: Undine.Lang@upk.ch
3/2020
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
1
Undine Lang