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Clusterkopfschmerzen
FORTBILDUNG
«Suicide headache» ist eine häufig gewählte Bezeichnung für Clusterkopfschmerzen. Sie lässt das Leid der Betroffenen erahnen und macht gleichzeitig sehr deutlich, was auf dem Spiel steht. Mit rascher Diagnosestellung und Beratung sowie wirkungsvollen Behandlungsmethoden lässt sich die Wucht der Erkrankung aber meist abfedern. Das Ziel dieses Artikels ist deshalb, das Bewusstsein für diese Krankheit weiter zu schärfen und auf die Probleme der Betroffenen aufmerksam zu machen.
Heiko Pohl
von Heiko Pohl
Einleitung
N ach Kopfschmerzen vom Spannungstyp und der Migräne sind Clusterkopfschmerzen die dritthäufigsten primären Kopfschmerzen (1). Trotzdem dauerte es jedoch bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ehe diese als eigenständige Krankheit identifiziert wurden (2). Und auch heute vergehen oft noch mehrere Jahre, bis die Erkrankung diagnostiziert wird (3). Dabei ist der klinische Phänotyp der Clusterkopfschmerzen inzwischen gut untersucht (4–6). Bedenkt man das grosse Leid der Betroffenen (7–10), wird deutlich, dass ein frühes Erkennen der Erkrankung und eine rasche Behandlung von grösster Bedeutung sind. Immerhin ist in den letzten Jahren eine Tendenz zur schnelleren Diagnosestellung zu verzeichnen (3). Auch wird die Erkrankung inzwischen beim weiblichen Geschlecht immer häufiger erkannt (11). Im Vergleich zu Frauen sind Männer ungefähr doppelt so häufig betroffen (12). Vor 1960 lag das Verhältnis von Männern zu Frauen sogar noch bei 6,2:1 (11). Diese Erfolge sind ohne Zweifel auf den wachsenden Bekanntheitsgrad der Krankheit zurückzuführen.
Der Anfall Clusterkopfschmerzen sind ausnahmslos streng einseitig und meist im Bereich des Auges, der Stirn oder der Schläfe lokalisiert (13). Ihre Intensität nimmt während einiger Minuten rasch zu (14), bis schliesslich sehr starke Schmerzen empfunden werden (15). Dabei ähneln sich die Schilderungen des Schmerzcharakters häufig. Die Mehrheit der Patienten berichtet von stechendem, reissendem oder bohrendem Schmerzcharakter sowie Schmerzen, die wie durch Messerstiche, Speerverletzungen, Nadeln oder Hammerschläge (14) erfolgen. Es ist denkbar, dass die schmerzhaften Sinneseindrücke
vom Gehirn als von aussen zugefügt interpretiert werden (16). Nach maximal drei Stunden enden die Anfälle schliesslich (13). Während der Kopfschmerzen wird das parasympathische Nervensystem im Bereich des Gesichts aktiviert. Meist tritt ein einseitiges Augentränen oder Naselaufen auf; gelegentlich berichten die Patienten auch über ein Völlegefühl im Ohr und einseitiges Schwitzen an der Stirn (13). Die Aktivität des Parasympathikus an der Stirn wird durch Schmerzreize über den trigemino-autonomen Reflex beeinflusst (17). Dessen afferenter Schenkel verläuft im Nervus trigeminus, der efferente im Nervus facialis (18). Auf den ersten Blick liegt die Vermutung nahe, dass Lakrimation und Rhinorrhoe dem «Abspülen» eines unsichtbaren Agens dienen sollen. Allerdings scheint die Aktivierung des trigemino-autonomen Reflexes jedoch nicht – oder zumindest nicht immer – eine Konsequenz der Schmerzen zu sein (5). Knapp die Hälfte der Clusterkopfschmerzpatienten gibt an, dass zuerst das Auge träne oder zuerst die Nase laufe und dann erst Schmerzen aufträten (5). Auch kommen bei vielen Patienten sogenannte «abortive attacks» vor, bei denen es nur zu autonomen Symptomen ohne Schmerzerleben kommt (19, 20). Das führt zu der Frage, ob die Aktivierung des autonomen Nervensystems möglicherweise der des N. trigeminus vorausgeht (18). Tatsächlich führt die Stimulation der beiden Nerven bei keinen Patienten reproduzierbar zu Anfällen (18). Auch die chirurgische Durchtrennung des N. trigeminus hatte keinerlei Einfluss auf die Schmerzen, was vermuten lässt, dass der N. trigeminus für die Entstehung der Krankheit nicht oder nicht in jedem Fall notwendig ist (21). Das deutet auf einen zentralen Ursprung der Schmerzen hin; wobei unser Verständnis der Pathophysiologie der Erkrankungen noch grosse Lücken aufweist. Typischerweise können Betroffene mit Clusterkopfschmerzanfällen nicht still liegen (13). Sie laufen oft vornübergebeugt umher, sitzen oder knien und drücken
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FORTBILDUNG
Kasten 1:
Diagnostische Kriterien der trigemino-autonomen Kopfschmerzen aus der 3. Auflage der Internationalen Kopfschmerzklassifikation; fett gedruckt sind die wichtigsten Unterschiede zwischen den einzelnen Kopfschmerztypen (13)
Kriterium A Kriterium B Kriterium C
Kriterium D Kriterium E
Clusterkopfschmerz
Paroxysmale Hemikranie Short-Lasting Unilateral
Neuralgiform Headache Attacks
Mindestens 5 Attacken, die Mindestens 20 Attacken, die Mindestens 20 Attacken, die
die Kriterien B bis D erfüllen die Kriterien B bis E erfüllen die Kriterien B bis D erfüllen
Starke oder sehr starke
Starke einseitig orbital,
Mässige oder starke ein-
einseitig orbital,
supraorbital und/oder
seitig orbital, supraorbital und/
supraorbital und/oder
temporal lokalisierte
oder temporal lokalisierte
temporal lokalisierte
Schmerzattacken, die 2
Schmerzattacken, die 1 bis
Schmerzattacken, die
bis 30 Minuten anhalten
600 Sekunden anhalten und als
unbehandelt 15 bis 180
Einzelstiche, Serien von Stichen
Minuten anhalten
oder sägezahnmusterartig
auftreten
Einer oder beide der
Einer oder beide der folgen- Mindestens eines der folgenden
folgenden Punkte sind
den Punkte sind erfüllt:
kranioautonomen Symptome
erfüllt:
1. Mindestens eines der
oder Zeichen ipsilateral
1. Mindestens eines der
folgenden Symptome
zum Kopfschmerz ist erfüllt:
folgenden Symptome
oder Zeichen, jeweils
– konjunktivale Injektion
oder Zeichen, jeweils
ipsilateral zum Kopf-
und/oder Lakrimation
ipsilateral zum Kopf-
schmerz:
– nasale Kongestion und/
schmerz:
– konjunktivale Injektion oder Rhinorrhoe
– konjunktivale Injektion
und/oder Lakrimation – Lidödem
und/oder Lakrimation
– nasale Kongestion und/ – Schwitzen im Bereich der
– nasale Kongestion und/
oder Rhinorrhoe
Stirn oder des Gesichtes
oder Rhinorrhoe
– Lidödem
– Miosis und/oder Ptosis
– Lidödem
– Schwitzen im Bereich
– Schwitzen im Bereich der
der Stirn oder
Stirn oder des Gesichtes
des Gesichtes
– Miosis und/oder Ptosis
– Miosis und/oder Ptosis
2. Körperliche Unruhe oder 2. Körperliche Unruhe
Agitiertheit
oder Agitiertheit
Die Attackenfrequenz liegt Die Attackenfrequenz
Attackenfrequenz liegt
zwischen 1 Attacke jeden liegt bei > 5 Attacken pro bei > 1 Attacke pro Tag
zweiten Tag und 8 pro Tag Tag und kann durch
therapeutische Dosen
von Indometacin komplett
vorgebeugt werden
Wird durch eine andere Kopfschmerzdiagnose nicht besser erklärt
Hemicrania continua
Einseitiger Kopfschmerz, der die Kriterien B bis D erfüllt Einseitiger Kopfschmerz, der die Kriterien B bis D erfüllt
Einer oder beide der folgenden Punkte sind erfüllt: 1. Mindestens eines der
folgenden Symptome oder Zeichen, jeweils ipsilateral zum Kopfschmerz: – konjunktivale Injektion
und/oder Lakrimation – nasale Kongestion und/
oder Rhinorrhoe – Lidödem – Schwitzen im Bereich der
Stirn oder des Gesichtes – Miosis und/oder Ptosis 2. Körperliche Unruhe oder Agitiertheit oder Schmerzzunahme durch Bewegung Spricht zuverlässig auf therapeutische Dosen von Indometacin an
oder schlagen auf die schmerzende Stelle. Zuweilen wird der Kopf auch gegen Wand, Boden oder Möbel gepresst; immer wieder wird der Oberkörper fast rhythmisch wippend vor- und zurückbewegt (rocking) (4). Während es mitunter zu Selbstverletzungen kommt, sind gegen andere gerichtete Aggressivität und Feindseligkeiten – falls sie überhaupt vorkommen – Ausnahmen (4, 22). Gemäss einer von Montagna et al. formulierten Überlegung könnte die motorische Unruhe dennoch eine Form der Aggressivität sein, die als Reaktion auf die als von aussen zugefügt erlebten Schmerzen auftritt (16). Demnach erhält das Gehirn Sinneseindrücke, die auf einen Angriff hindeuten, und leitet eine «Fight-Reaktion» ein, die dem Kampf um das eigene Leben dienen soll.
Als anatomischer Sitz dieser «Fight-Reaktion» wird der posteriore Anteil des Hypothalamus diskutiert (16), der während Clusterkopfschmerzattacken eine deutlich erhöhte Stoffwechselaktivität aufweist (23). Weitere Argumente für diese These sind, I dass die chirurgische Läsion dieses Areals gemäss ei-
nigen Fallberichten erfolgreich zur Behandlung unkontrollierbarer Aggressionen eingesetzt wurde (24) II und dass die akzidentelle Stimulation dieses Areals mit tiefer Hirnstimulation ebenfalls Aggressivität hervorrufen konnte (25). Noch weitgehend unverstanden ist hingegen die Bedeutung des Sympathikus, dessen Aktivität im Anfall verringert ist. Als typisch gilt ein ipsilaterales HornerSyndrom während der Attacken (13), das bei einigen Patienten auch zwischen den Attacken persistiert und in
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manchen Fällen schon vor Erstmanifestation der Erkrankung bestand (26). Eine besonders unangenehme Eigenschaft der Erkrankung ist, dass die Anfälle überwiegend spätabends und nachts auftreten (27). Die statistisch grösste Häufigkeit der Attacken wird um 1 Uhr morgens erreicht, die niedrigste gegen 12 Uhr mittags. Da sowohl epikritische als auch protopathische Schmerzempfindungen eine zirkadiane Rhythmik aufweisen (28, 29), kann hier ein Zusammenhang vermutet werden, der bislang aber nicht abschliessend untersucht wurde. Auch im Jahresverlauf treten die Anfälle nicht zufällig auf. Die Attacken kommen typischerweise in sogenannten «bouts» vor, also durchschnittlich acht Wochen dauernde Perioden mit vielen Anfällen. Zwischen den «bouts», die bei vielen Patienten vor allem im Frühjahr oder Herbst auftreten, besteht Anfallsfreiheit (30). Bei Patienten, deren Anfälle nicht nach einigen Wochen wieder sistieren, sondern ohne Pausen immer wieder auftreten, spricht man – sprachlich etwas unglücklich – von chronischen Clusterkopfschmerzen (13). Oft können die Symptome bei einer sorgfältig erhobenen Kopfschmerzanamnese problemlos der korrekten Diagnose zugeordnet werden (Kasten 1). Dennoch sind einige Differenzialdiagnosen zu erwägen.
Differenzialdiagnosen Es dauert häufig viele Jahre, ehe die Diagnose Clusterkopfschmerzen gestellt wird (3), was nahelegt, dass diese differenzialdiagnostisch nicht häufig genug erwogen werden. Herausfordernd ist zudem, dass rund 25 Prozent der Betroffenen neben Clusterkopfschmerzen auch andere Kopfschmerztypen haben (31) und dass eine Aktivierung des trigemino-autonomen Reflexes auch bei Migräneanfällen auftreten kann (32). Hier kann bei der Unterscheidung helfen, dass ein Migräneanfall deutlich länger andauert und meist mit einem Rückzugsbedürfnis einhergeht (13). Wegen der therapeutischen Konsequenzen ist auch die Abgrenzung von anderen trigemino-autonomen Kopfschmerzen wichtig. Dabei geben insbesondere Anfallsdauer und -häufigkeit sowie das Ansprechen auf Indometacin entscheidende Hinweise (Kasten 1) (13). Da sowohl eine Hemicrania continua als auch die paroxysmale Hemikranie dadurch gekennzeichnet sind, dass Indometacin zu Schmerzfreiheit führt (13), sollte bei Zweifeln an der Diagnose unbedingt ein Therapieversuch unternommen werden. Schliesslich ist auch zu bedenken, dass es symptomatische «Clusterheadache-like»-Kopfschmerzen gibt, die phänotypisch von primären Clusterkopfschmerzen nicht zu unterscheiden sind. Diese wurden u. a. im Zusammenhang mit einer arterio-venösen Fistel (33), einem Fremdkörper im Sinus maxillaris (34), einem Prolaktinom (35), einer Carotis-Dissektion (36), einer Meningiosis carcinomatosa (36) und einer Rhinosinusitis (37) berichtet. Eine MRI-Bildgebung von Gehirn und Gesichtsschädel sollte somit neben einer körperlichen Untersuchung zur Diagnosesicherung stets veranlasst werden. Ein Bericht über «Clusterheadache-like»-Kopfschmerzen nach Behandlung mit den zur HIV-Behandlung eingesetzten Medikamenten Tenofovir und Emtricitabin
unterstreicht, dass auch eine sorgfältige Medikamentenanamnese hilfreich sein kann (38).
Komorbiditäten und Konsequenzen der Erkrankung Schmerzen werden intuitiv meist mit drohender oder eingetretener Gewebeschädigung in Verbindung gebracht (39). Clusterkopfschmerzen jedoch hinterlassen keine sichtbaren Narben. Nichts, womit man Aussenstehenden das Erlebte verständlich machen könnte. Zudem verhindert das überwiegende Auftreten in der Nacht (27), dass andere das Leid der Patienten erahnen können. Viele Betroffene verschweigen zudem den Menschen in ihrem Umfeld ihre Schmerzerkrankung und erwarten auch nicht, dass diese das Durchgemachte nachvollziehen können (7). Dieses Vorgehen, das als «self-concealment» bezeichnet wird, ist nicht auf Clusterkopfschmerzen beschränkt (40). Das bewusste Nichtaussprechen schlimmer oder traumatischer Erlebnisse erhöht jedoch die Belastung, da die eigenen Worte stets mit Bedacht gewählt werden müssen (40). Bei Clusterkopfschmerzpatienten ist dieses Verhalten oft mit Zeichen einer Depression assoziiert (41). Neben Müdigkeit bleibt nach einem nächtlichen Anfall oft auch die Angst vor weiteren Anfällen. Viele Betroffene versuchen, Auslöser zu identifizieren und das Leben auf Anfallsvermeidung auszurichten (7). Alkohol ist ein solch bekannter Anfallstrigger (42), den viele Betroffene deshalb sinnvollerweise meiden. In der Regel ist der Versuch, auf diese Weise alle Attacken zu verhindern, aber nicht Erfolg versprechend, denn meist gibt es keine erkennbaren Auslöser. Die Angst vor Anfällen, die als «fear of pain» bezeichnet wird und auch von anderen Erkrankungen bekannt ist, geht häufig mit Zeichen einer Depression einher (43). Zusätzlich zur Angst vor Anfällen belastet auch die Vorstellung, von diesen geweckt zu werden. Clusterkopfschmerzpatienten kommen abends oft nicht zur Ruhe, ehe die Uhr eine verringerte Anfallsgefahr anzeigt (44, 45). Dieses Phänomen, das auch als Hypnophobie bezeichnet wird, kommt unserer Erfahrung nach sehr häufig vor; epidemiologische Daten zur Prävalenz liegen jedoch nicht vor. Bekannt ist, dass Clusterkopfschmerzpatienten häufig unter Depressionen oder Angst leiden (46, 47). Allerdings trifft die Annahme, dass es sich dabei immer um Konsequenzen der Erkrankung handelt, wahrscheinlich nicht zu. In einer Studie zeigte sich, dass Patienten mit episodischen Clusterkopfschmerzen meist in anfallsfreier Zeit an einer Depression erkrankten (48). Eine andere Untersuchung ergab, dass viele Patienten bereits Monate vor der Erstmanifestation ihrer Erkrankung unter Ängsten litten (47). In jedem Fall überrascht es nicht, dass der «burden of disease» der Clusterkopfschmerzen deutlich höher ist, wenn gleichzeitig eine Depression besteht (41). Deutlichstes Zeichen des mit der Erkrankung assoziierten Leids ist die grosse Häufigkeit der Suizidgedanken und -versuche; passive Suizidgedanken werden von knapp zwei Drittel der Patienten berichtet, Suizidversuche von 2,3 Prozent (10). Denkbar ist, dass die Unmöglichkeit, sich den Schmerzen auf andere Art zu entziehen, besonders belastend ist. Eine entsprechende Exploration sollte Teil jeder Konsultation sein.
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FORTBILDUNG
Kasten 2:
Langzeitprophylaxe der Clusterkopfschmerzen; die Warnhinweise erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit (58, 63)
Medikament Verapamil
Lithium Topiramat Melatonin Valproat Galcanezumab
Dosierung 240–720 mg
(nach Serumspiegel) 100–200 mg bis zu 10 mg 1000–2000 mg 300 mg
Warnhinweise Kontraindiziert bei AV-Block 2. oder 3. Grades, regelmässige EKG-Kontrollen sind notwendig Regelmässige Überwachung der Serumkonzentration notwendig Erhöhtes Risiko für Suizidgedanken oder -verhalten
Kontraindiziert bei Frauen im gebärfähigen Alter
Therapieprinzipien Grundsätzlich sind Akutbehandlung und Anfallsprophylaxe zu unterscheiden. Beide Ansätze sind wichtig, und beide sollten bereits bei Erstmanifestation der Erkrankung diskutiert werden. Jeder einzelne Anfall darf und sollte behandelt werden. Bewährt haben sich sowohl Sauerstoff als auch Triptane. Sauerstoff muss mit hoher Flussrate (ca. 10 bis 12 l/min) über eine Maske inhaliert werden, damit eine ausreichende Wirkung erzielt wird (49, 50). Triptane wirken bei subkutaner oder nasaler Anwendung in der Regel sehr schnell (51). Nicht jeder Therapieansatz hilft jedoch bei jedem Patienten; im Zweifelsfall sollten beide ausprobiert werden. Bei Patienten, die sich sicher sind, dass ihnen Sauerstoff in der Vergangenheit nicht geholfen hat, lohnt es sich nachzufragen, wie dieser appliziert wurde. Nur bei hoher Flussrate und Anwendung mit Maske bestehen Erfolgsaussichten; die Inhalation hat keine prophylaktische Wirkung. Als zweite Wahl kommt auch der Einsatz von LidocainNasenspray infrage. Von diesem Medikament profitiert jedoch nur ein geringerer Prozentsatz der Patienten (52). Auch wenn die Akutmedikation häufig gut wirkt und ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz glücklicherweise nur selten auftritt (53), ist es unser Ziel, das Auftreten der Attacken so weit wie möglich zu verhindern. Bei der Prophylaxe haben sich unterschiedliche Substanzen bewährt; einen Überblick gibt Kasten 2. Grundsätzlich sollten bei der Auswahl der Substanzen Komorbiditäten und Kontraindikationen im Blick behalten werden.
Merkpunkte:
● Clusterkopfschmerzen sind gekennzeichnet durch sehr starke Schmerzen, autonome Symptome, Ruhelosigkeit und nächtliches Auftreten.
● Die psychische Belastung durch die Erkrankung ist enorm. ● Da Suzidgedanken häufig sind, sollten diese regelmässig erfragt werden. ● Zur Akutbehandlung können Sauerstoff und Triptane (subkutane oder nasale
Applikation) eingesetzt werden. ● Kurzfristig können Kortisonpräparate und eine Infiltration des Nervus occipitalis
major die Anfallshäufigkeit verringern. ● Zur Langzeitprophylaxe wird in der Regel Verapamil eingesetzt; regelmässige
EKG-Kontrollen sind notwendig.
Rasch wirksam ist Prednison (54), das sich jedoch nicht zur Langzeittherapie eignet. Es wird deshalb häufig eingesetzt, um die Zeit bis zum Wirkeintritt anderer prophylaktisch wirksamer Medikamente zu überbrücken oder um eine vorübergehende Zunahme der Anfallshäufigkeit erträglicher zu machen. Mit oft vergleichbarem Effekt kann auch eine Infiltration des ipsilateralen Nervus occipitalis major mit Lidocain und einem Kortisonpräparat erfolgen (55). Als erste Wahl für die Dauertherapie wird in der Regel Verapamil eingesetzt, dessen Tagesdosis oft schrittweise auf bis zu 720 mg (in Einzelfällen bis 960 mg/Tag) gesteigert werden muss (56–58). Dabei ist unbedingt auf regelmässige EKG-Kontrollen zu achten; Herzrhythmusstörungen können auch noch nach Monaten auftreten (59, 60). Erst vor Kurzem zeigte sich, dass Galcanezumab in einer Dosis von 300 mg die Attackenhäufigkeit bei Patienten mit episodischem – nicht aber chronischem – Clusterkopfschmerz verringern kann (61, 62). In der Schweiz ist dieses Medikament für diese Indikation erhältlich und noch nicht zugelassen. Wie bei jeder Schmerztherapie gilt grundsätzlich, dass unterschiedliche Medikamente ausprobiert werden müssen, ehe ein gut wirksames und verträgliches Therapieregime gefunden wird, jedoch eine zu frühe Beurteilung der Wirksamkeit der Medikamente deren Potenzial unterschätzen könnte.
Zusammenfassung Clusterkopfschmerzen gehören zu den primären Kopfschmerzen, die durch extreme Schmerzen und eine erhebliche Belastung der Betroffenen gekennzeichnet sind. Pathophysiologisch steht eine Aktivierung des trigemino-autonomen Reflexes im Zentrum der Erkrankung. Bei Diagnosestellung sollten rasch eine Prophylaxe sowie eine wirksame Akuttherapie verordnet werden. Das erhöhte Risiko für Depressionen, Angst und Suizidgedanken ist bei der Behandlung zu beachten. G
Korrespondenzadresse: Dr. med. Heiko Pohl Klinik für Neurologie
Universitätsspital Zürich Frauenklinikstrasse 26 8091 Zürich
E-Mail: heiko.pohl@usz.ch
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3/2020
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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