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FORTBILDUNG
Adhärenzförderung bei Jugendlichen mit chronischen Krankheiten – ein adoleszentenspezifischer Ansatz
Die Wirksamkeit der meisten Therapieverfahren ist von der Adhärenz der Patienten abhängig. Non-Adhärenz verursacht jährliche Kosten in Milliardenhöhe in Europa und anderswo (4). Eine Verbesserung der Adhärenz ist die erfolgversprechendste Massnahme für eine bessere Wirksamkeit medizinischer Behandlungen. Die Lebensphase Adoleszenz stellt für eine gute Adhärenz eine besondere Herausforderung dar. Dieser Artikel hat zum Ziel, die Hintergründe von Non-Adhärenz bei Jugendlichen zu beleuchten und praktische Wege für eine bestmögliche Adhärenz in dieser Altersgruppe aufzuzeigen.
Christoph Rutishauser
von Christoph Rutishauser
Einleitung
A dhärenz ist definiert als das Ausmass, zu welchem das Verhalten einer Person in Bezug auf Medikation, Therapie und gesundheitsfördernder Lebensstiländerung mit den vereinbarten Empfehlungen der Gesundheitsfachperson übereinstimmt (1). Damit unterscheidet sich der Begriff Adhärenz deutlich von Compliance, bei welcher die Erwartung besteht, dass sich der Patient an die einseitig von der Fachperson verordnete Behandlung hält, während bei der Adhärenz davon ausgegangen wird, dass sich Patient und Fachperson gemeinsam auf eine Behandlung einigen (2). Dennoch werden die beiden Begriffe im klinischen Alltag häufig synonym verwendet. Letztendlich ist nicht die Semantik entscheidend, sondern die Einsicht der Fachpersonen, dass der (urteilsfähige) Patient als gleichwertiger Partner in die Vereinbarungen miteinbezogen wird. Non-Adhärenz (partielle Adhärenz eingeschlossen) ist ein Dauerthema: G Es wird geschätzt, dass nur gerade 50 Prozent aller
Patienten in Ländern mit höherem Einkommen ihre Medikamente gemäss ärztlicher Verordnung einnehmen (1, 3). Dies gilt für somatische wie auch psychiatrische Krankheiten. G Die jährlichen Kosten für Non-Adhärenz werden allein in Europa auf 125 Milliarden Euro geschätzt (4). G Jugendliche Patienten weisen gemäss verschiedenen Studien eine schlechtere Adhärenz auf als jüngere Kinder (5). Die Verbesserung der Adhärenz wird als wirkungsvollste Einzelmassnahme für einen besseren Gesundheitszustand der Patienten betrachtet. Sie erhöht zudem die Patientensicherheit und führt zu massiven Kostenein-
sparungen (1, 4). In diesem Artikel werden adoleszentenspezifische Aspekte der Adhärenzförderung beleuchtet. Dabei ist zu beachten, dass die Ausführungen und Empfehlungen in diesem Artikel grundsätzlich für Jugendliche mit somatischer und/oder psychiatrischer Krankheit gelten, nicht alle jedoch für Jugendliche mit deutlicher kognitiver Einschränkung.
Adoleszenz als Risikofaktor für Non-Adhärenz Die Adoleszenz ist eine Lebensphase grosser biopsychosozialer Veränderungen. Eine chronische Krankheit kann die biopsychosoziale Entwicklung beeinträchtigen, während umgekehrt die Adoleszenz auch einen negativen Einfluss auf den Verlauf und die Behandlung der chronischen Krankheit nehmen kann. Beispiele für solche Wechselwirkungen sind in der Abbildung aufgeführt. Die neuroanatomischen und neurohormonellen Veränderungen während der Adoleszenz fördern die Entwicklung von abstraktem Denkvermögen und ermöglichen der jugendlichen Person erstmals die Erfassung der zeitlichen Dimension einer vorbestehenden chronischen Krankheit und ihrer möglichen Auswirkungen im Langzeitverlauf, zum Beispiel lebenslange Abhängigkeit von der Behandlung. Dies kann bei zuvor guter Akzeptanz zur schleichenden oder abrupten Ablehnung der Therapie führen. Auch Ängste vor der Nichtakzeptanz durch Gleichaltrige treten besonders in der frühen bis mittleren Adoleszenz auf. Die neuroanatomischen Veränderungen in der Adoleszenz verlaufen zeitlich gestaffelt (6): Die Hirnregionen des limbischen Systems entwickeln sich deutlich vor dem Umbau des Kortex, welcher im okzipitalen Bereich seinen Anfang nimmt und erst mit Verzögerung als letzte Hirnregion den präfrontalen Kortex umfasst. Ver-
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Mögliche Folgen der Krankheit:
Mögliche Folgen der Adoleszenz:
Kasten 1:
Risikofaktoren für Non-Adhärenz
● Familienkonflikte, Paarkonflikt der Eltern, tiefer sozioökonomischer Status ● Kognitive Beeinträchtigung ● Ungenügende soziale Unterstützung ● Reduzierte Stresstoleranz ● Psychosoziale Probleme, psychiatrische Komorbidität (z.B. Depression) ● Missbrauch von psychoaktiven Substanzen ● Symptomarme Krankheit ● Ungenügendes Wissen, ungenügende Fertigkeiten und Informationen über
Krankheit beziehungsweise Behandlung ● Lange Therapiedauer, schlechte Prognose ● Fehlender Glaube an Wirksamkeit ● Schwierigkeiten mit Tablettenschlucken ● Komplexität der Behandlung ● Therapienebenwirkungen ● Schlechte Arzt-Patient-Beziehung ● Ungenügende Kontrolltermine ● Kosten der Behandlung
Kasten 2:
Ansprechen von Non-Adhärenz
● Etliche Patienten vergessen zwischendurch mal die Medikamenteneinnahme. Wie sieht das bei dir aus?
● Vergisst du die Therapie/Medikamente häufiger am Morgen oder am Abend? ● Vergisst du die Therapie/Medikamente häufiger während der Schulzeit oder am
Wochenende/in den Ferien? ● Während der Schulzeit ist es besonders schwierig, an die Medikamentenein-
nahme zu denken. Wie ist das bei dir? ● Wie kannst du dafür sorgen, dass du auch an die Therapie beim Übernachten
bei Freunden/im Schullager denkst?
einfacht dargestellt und auf das Neurohormon Dopamin fokussierend, ist zu berücksichtigen: Die Veränderungen des limbischen Systems mit Abnahme der Dopaminrezeptoren bei gleichzeitig erhöhter Sensitivität dieser Rezeptoren steigern die emotionalen Reaktionen und Impulse (7). Exploratives bis risikoreiches Verhalten («Adrenalin-Kick») führt über eine Dopaminausschüttung zur Aktivierung des limbischen Belohnungssystem, was zu erklären hilft, weshalb exploratives Verhalten im Jugendalter so stark zunimmt (7). Der prä-
frontale Kortex, welcher für die Selbstregulation (Emotionsregulation, Selbstdisziplin, Durchhaltevermögen) zuständig ist, reift mit deutlicher zeitlicher Verzögerung und vermag deshalb das Ausmass an explorativem Verhalten noch nicht genügend unter Kontrolle zu halten. Das erhöhte Risiko für Non-Adhärenz im Jugendalter dürfte zumindest teilweise auf diese Besonderheiten der neuroanatomischen und neurohormonellen Veränderungen zurückzuführen sein: Erhöhte Sensitivität für emotionale Impulse und ungenügende Impulskontrolle führen dazu, dass die Befolgung von sachlich begründeten Behandlungsvereinbarungen nicht unbedingt prioritär gewichtet wird. Hinzu kommt, dass die Nichteinhaltung von Behandlungsvereinbarungen ebenfalls Teil des explorativen Verhaltens sein kann, dies umso mehr, als Jugendliche oft von Gefühlen der Unverwüstbarkeit und Immortalität gelenkt werden und dies teilweise durch nicht adhärentes Therapieverhalten unter Beweis stellen wollen. In Bezug auf das Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit führt die Abhängigkeit von der Behandlung der chronischen Krankheit manchmal zu eigentlicher Rebellion gegen die Therapie, insbesondere da Jugendliche eine Tendenz zur Konformität zeigen und also so sein wollen wie ihre gesunden Peers auch (8). Auch bei weniger explorativen oder krankheitsablehnenden Jugendlichen ist der Alltag durch viele entwicklungspsychologische Veränderungen geprägt, welche nur allzu leicht von der Behandlung der Krankheit ablenken. Das Vergessen von Therapiemassnahmen ist nur einer der Gründe für ungenügende Adhärenz bei Jugendlichen. Weitere Gründe für Non-Adhärenz sind in Kasten 1 aufgelistet (2, 9).
Non-Adhärenz erkennen Ein empathischer und nicht konfrontierender Kommunikationsstil ist Voraussetzung, damit Jugendliche sich getrauen, offen über ungenügende Adhärenz zu sprechen (10). Die Frage «Nimmst Du die Medikamente zuverlässig?» ist meist nicht zielführend: Die Jugendlichen wissen, was der Arzt von einem vorbildlichen Patienten gerne hören möchte. Zielführender sind Fragen, welche zum vornherein von einem gewissen Grad an ungenügender Adhärenz ausgehen, zum Beispiel: «Viele Patienten vergessen zwischendurch, ihre Medikamente einzunehmen beziehungsweise ihre Therapie durchzuführen: Wie geht es Dir dabei?» Weitere Beispiele für zielführendes Ansprechen von Non-Adhärenz sind in Kasten 2 aufgelistet.
Förderung der Adhärenz Allgemeine Empfehlungen: Die allgemeinen Massnahmen zur Verbesserung der Adhärenz von Patienten jeden Alters sind in Kasten 3 zusammengefasst (2). Wenn die ärztliche Fachperson die allgemeinen Empfehlungen zur Adhärenzförderung nicht berücksichtigt, ist sie im Grunde genommen mitverantwortlich für eine ungenügende Adhärenz der Patienten. In Metaanalysen konnte für Interventionen zur Förderung der Adhärenz bei Kindern und Jugendlichen mit chronischer Krankheit eine statistisch signifikante Wirksamkeit nachgewiesen werden (11). Jugendspezifische Empfehlungen: Massnahmen für die jugendspezifische Adhärenzförderung sind in Kasten 4
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festgehalten (9). Bei Jugendlichen besonders wichtig sind die Berücksichtigung des kognitiven und emotionalen Entwicklungsstandes, die Einschätzung der Selbstmanagement-Fertigkeiten sowie der Grad an erworbener Autonomie für die schrittweise Übernahme von Eigenverantwortung. Den jugendlichen Patienten die Therapievereinbarungen am Schluss nochmals zusammenfassen zu lassen, zeigt nicht nur, ob der Patient die Vereinbarungen verstanden hat, sondern gibt bei handschriftlichem Aufschreiben durch den Patienten auch noch gleich einen Hinweis auf seine motorischen und sprachlichen Fähigkeiten. Im Weiteren gilt es, die Eltern gut zu führen darin loszulassen und Verantwortung an die jugendliche Tochter beziehungsweise den Sohn abzutreten. Voraussetzung dafür ist die vorausgegangene Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten direkt an die jugendliche Person, welche direkt angesprochen wird und somit Hauptansprechperson im ärztlichen Gespräch ist. Wie wichtig die Patientenedukation ist, konnte zum Beispiel bei Jugendlichen mit Epilepsie aufgezeigt werden, mit hoher Korrelation zwischen Krankheitswissen und Adhärenz (12). Jugendliche als Partner für Behandlungsvereinbarungen: In der Ausarbeitung der Behandlungsvereinbarung ist der häufigste Fehler wohl immer noch die einseitige Therapieverordnung durch den Arzt, ohne die psychosozialen Umstände der jugendlichen Person miteinzubeziehen (13). Wir gehen mit etwas Naivität davon aus, dass für die jugendliche Person die Gesundheit oberste Priorität hat, während ihre Aufmerksamkeit auch durch ganz andere Themen in Anspruch genommen wird, zum Beispiel der Knatsch mit der Freundin, die Akzeptanz in der Peer-Gruppe, die Probleme mit Schulleistungen, Ablösungskonflikte mit den Eltern, aufkommende Sinnfragen (8). Nur wenn der Arzt ein genügendes Verständnis für diese Lebensumstände hat, wird er mit dem Patienten realitätsnah besprechen können, wie es der Patient schaffen kann, der Behandlung die nötige Aufmerksamkeit beziehungsweise Zeit zu widmen (13). Dieses Verständnis der psychosozialen Umstände wird der Arzt jedoch nur gewinnen können, wenn er mit der jugendlichen Person einen Teil der Konsultationszeit allein spricht und zudem auf die ärztliche Schweigepflicht, auf Wunsch auch gegenüber den Eltern, aufmerksam macht (Urteilsfähigkeit vorausgesetzt). Der Zeitbedarf für diese psychosoziale Anamnese kann auch für den psychiatrisch nicht geschulten Arzt mit einer semistrukturierten Anamneseerhebung (z.B. HEADS-Anamnese) in Grenzen gehalten werden. Prävention durch Motivationsförderung: Motivationsfördernde Gespräche (Motivational Interviewing) mit dem Ziel der genügend hohen Motivation für die zuverlässige Behandlungsdurchführung durch die jugendliche Person sollen bereits in präventiver Absicht erfolgen (14). Hierbei genügt das sachliche Verständnis der jugendlichen Person für die Notwendigkeit der Behandlung nicht. Viele Jugendliche leben stark im Jetzt und sind wenig beeindruckt von den mittel- bis langfristigen Konsequenzen für die Gesundheit bei nicht angemessen durchgeführter Behandlung. Vielmehr muss der Jugendliche ganz konkret für seinen jetzigen Alltag die Vorteile der konsequenten Behandlungsdurchführung erkennen.
Kasten 3:
Allgemeine Massnahmen zur Adhärenzförderung
● Altersangemessene Vermittlung von Wissen über die Krankheit ● Einüben von Fertigkeiten der Behandlung bzw. des Selbstmanagements ● Anzahl der Medikamente und Therapiemassnahmen überschaubar halten ● Dosierungs- und Instruktionsanweisungen einfach formulieren ● Abgabe von schriftlichen Informationen ● Bevorzugung von 1–2 x täglich zu verabreichenden Medikamenten ● Den Patienten die Behandlungsvereinbarungen zusammenfassen lassen
(Verständnisprüfung) ● Den Patienten die Vereinbarungen handschriftlich aufschreiben lassen ● Information über Kontaktmöglichkeit der Ärztin für Rückfragen des Patienten
(Telefonnummer, E-Mail) ● Einsatz von elektronischen Hilfsmitteln (z.B. Smartphone-Apps, SMS-Reminder
vor Konsultation) ● Arztkontrolle nach 1 bis 2 Wochen und regelmässig danach («White Coat-Ad-
herence») ● Regelmässiges nicht wertendes Ansprechen auf Probleme im Einhalten der Ver-
einbarungen
Kasten 4:
Jugendspezifische Adhärenzförderung
● Einen Teil der Zeit mit dem jugendlichen Patienten allein sprechen ● Bei Urteilsfähigkeit: Ansprechen der ärztlichen Schweigepflicht und Wahrung
auf Wunsch auch gegenüber den Eltern (ausser bei ernsthafter Selbst-/Fremdgefährdung) ● Psychosoziale Anamnese erheben ● Eltern führen im Loslassen und Abtreten von Behandlungsverantwortung ● Dem Jugendlichen die Chance geben für die schrittweise eigenverantwortliche Behandlungsübernahme ● Der Jugendliche entscheidet mit, in welchen Bereichen er weiter die Unterstützung der Eltern wünscht ● Antizipieren und Reframing von Misserfolg in der Verantwortungsübernahme ● Engmaschige Verlaufskontrollen für gemeinsame Problemlösungssuche bei ungenügender Adhärenz
Motivational Interviewing ist eine hilfreiche Technik, zum Beispiel die «neutrale Beratung» unter Einbezug einer Kosten-Nutzen-Analyse für die 14-jährige Jugendliche mit Epilepsie: Sie hat sich soeben frisch verliebt und will nun auf keinen Fall Krampfanfälle in Gegenwart ihres Freundes riskieren. Daran hat sie jedoch nicht selber gedacht, sondern erst in der vom Arzt erhobenen psychosozialen Anamnese, der assistierten Durchführung einer Kosten-Nutzen-Analyse und den nicht wertenden Fragen des Arztes wurde ihr klar, wie wichtig ihr wegen des Freundes gerade jetzt eine gut eingestellte Epilepsie ist. Mut zum therapeutischen Kompromiss: In der Planung der Therapievereinbarungen braucht es zuweilen Mut zum Kompromiss über etablierte Behandlungsempfehlungen hinweg. So klagt die 16-jährige Patientin mit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) darüber, dass sie sich unter Stimulanzientherapie und auch medikamentösen Alternativen in einen unangenehm erlebten Ruhezustand versetzt fühle und sich nicht mehr als sich selbst erlebe. Dies sei besonders un-
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angenehm am Wochenende im Kontakt mit ihren Freundinnen. Die Patientin möchte trotz verbesserter Konzentrationsfähigkeit in der Schule mit besseren Schulleistungen die Stimulanzientherapie abbrechen. Im gemeinsamen Gespräch und unter Abwägung von Nutzen und erlebten Nebenwirkungen einigen sich der zuständige Jugendpsychiater und die Patientin in einem therapeutischen Kompromiss darauf, dass sie wieder aufs kurzwirksame Methylphenidat wechselt und dieses jedoch nur am Morgen von Schultagen einnimmt, an Wochenenden und in den Ferien hingegen ganz darauf verzichtet. Einsatz elektronischer Medien: Elektronische Medien können dank ihrer grossen Akzeptanz unter Jugendlichen gezielt für die Adhärenzförderung eingesetzt werden. Beispiele: automatisierte SMS-Reminder vor Konsultationen, Reminder-Apps für Medikamenteneinnahme und andere Therapien (14, 15). Für krankheitsspezifische Patientenschulungen eignen sich besonders interaktive Tools.
Vorgehen bei ungenügender Adhärenz Trotz guter Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten soll eine ungenügende Adhärenz antizipiert und gegenüber den Eltern angesprochen werden. Ist die Adhärenz dann tatsächlich ungenügend, so ist dies kein Grund,
Merkpunkte:
● Strategien zur Förderung der Adhärenz verbessern die Wirksamkeit der Therapie, erhöhen die Patientensicherheit und senken die Gesundheitskosten.
● Das Gespräch mit dem jugendlichen Patienten allein sowie die Zusicherung der ärztlichen Schweigepflicht auf Wunsch auch gegenüber den Eltern (Urteilsfähigkeit vorausgesetzt) sind Voraussetzung für ein zielgerichtetes Gespräch über Adhärenz.
● Die kognitive und psychosoziale Reife des Jugendlichen muss eingeschätzt werden für die Beurteilung, welches der richtige Zeitpunkt für die schrittweise Übernahme von Eigenverantwortung für die Behandlung durch den jugendlichen Patienten ist.
● Über Adhärenz soll in nicht wertender Art gesprochen werden und die Wortwahl zum Ausdruck bringen, dass ein gewisses Mass an Non-Adhärenz als normal betrachtet wird: Statt «Nimmst du deine Medikamente regelmässig?» besser fragen «Vergisst du deine Medikamente häufiger am Morgen oder am Abend einzunehmen?».
● Bei Non-Adhärenz möglichst den jugendlichen Patienten die Gründe dafür selber analysieren und Problemlösungen dafür suchen lassen (realistische Ziele setzen).
gleich wieder den Eltern die volle Verantwortung für die Therapie zu übergeben. Stattdessen sollen die aufgetretenen Schwierigkeiten der Therapiedurchführung mit der jugendlichen Person in Ruhe analysiert werden. Danach soll bevorzugt die jugendliche Person selber Lösungsvorschläge vorbringen und Mitverantwortung für die Entscheidung der vereinbarten Lösung übernehmen. Die nochmalig verstärkte Unterstützung durch die Eltern ist dann eine Möglichkeit, wenn der Patient dies aktiv wünscht oder wenn sämtliche Versuche zur Verbesserung der Eigenverantwortlichkeit des Patienten keine positive Wirkung zeigten.
Schlussfolgerungen
Adhärenzförderung ist die wirkungsvollste Einzelmass-
nahme zur Verbesserung der Gesundheit der Patienten,
besonders auch bei Jugendlichen. Die gezielte psycho-
soziale Anamnese im altersangemessenen Konsulta-
tionssetting sowie das Ernstnehmen auch des jugend-
lichen Patienten als Partner für Behandlungsverein-
barungen sind nebst allgemeinen Massnahmen zur
Adhärenzförderung wichtige Voraussetzungen für eine
bestmögliche Adhärenz im Jugendalter.
G
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Christoph Rutishauser
Leitender Arzt Adoleszentenmedizin
Universitäts-Kinderspital Zürich
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
E-Mail: christoph.rutishauser@kispi.uzh.ch
Es bestehen keine persönlichen und finanziellen Verbindungen im Zusammenhang mit dieser Arbeit.
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