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FORTBILDUNG
Diagnostik und Therapie der Internetsucht
Bert te Wildt
Mindestens 1 Prozent der Jugendlichen und Erwachsenen gilt als internetsüchtig – mit steigender Tendenz. Besonders gefährdet sind diejenigen, die ihre analoge Umwelt als kränkend und beängstigend erleben und deshalb unter Depressionen und Ängsten leiden. Welche psychotherapeutischen Verfahren sich langfristig bei der Behandlung von Internetabhängigkeit als hilfreich erweisen, ist noch unklar. Es bedarf dafür einer besseren Erforschung des Störungsbildes. Kognitiv-behaviorale Therapieansätze sind die mit Abstand am häufigsten empfohlenen Verfahren zur Behandlung von Internetabhängigkeit.
von Bert te Wildt
Einleitung
I nternetabhängigkeit stellt eine neuartige Form der Verhaltenssucht dar, deren Prävalenz im Zuge der digitalen Revolution vergleichsweise rasch anzusteigen scheint. Die exzessive Fernsehnutzung hat sich niemals als klinisch relevante Krankheitsentität erwiesen, sondern weist lediglich einen subklinischen Zusammenhang mit Depressivität auf. Hingegen kann das interaktive Grossmedium Internet, in dem wir mit einer quasi unendlichen Zahl von medialen Inhalten und Nutzern interagieren können, bei einer entsprechenden individuellen Disposition erstmals eine Medienabhängigkeit von klinischem Ausmass auslösen. Das neue Krankheitsbild tritt bislang in der Regel als eine Form aus verschiedenen Varianten spezifischer Internetabhängigkeit auf. Die drei häufigsten Varianten beziehen sich auf die vordringlich genutzten Inhalte beziehungsweise Formate. Zahlenmässig rangieren sie in klinischen Zusammenhängen in folgender Gewichtung: G Online-Computerspiele G Cybersex G soziale Netzwerke (1).
Allerdings können sich auch andere Verhaltenssüchte auf eine virtuelle Ebene verlagern oder direkt dort ihren Ausgang nehmen, was insbesondere für das pathologische Glücksspiel und für die Kaufsucht gilt (2).
Diagnostik Bei der Mediennutzungsanamnese kommt es sowohl auf qualitative als auch auf quantitative Aspekte des Internetkonsums an, wobei in diesem Zusammenhang auch auf die Nutzung anderer Bildschirmmedien zu achten ist. Die Betroffenen verbringen in der Regel mehr als 35 Stunden pro Woche im Internet, bisweilen mehr als 12 Stunden pro Tag. Bei der Anamnese ist vor allem die private Nutzungszeit zu berücksichtigen und zwischen Arbeitstagen (Wochentagen) und freien Tagen (Wochenenden) zu differenzieren. Allein aufgrund der im Internet verbrachten Stundenzahl kann allerdings keine Diagnose gestellt werden. Entscheidender sind
vielmehr Suchtkriterien, wie sie sich im Bereich substanzgebundener Abhängigkeitserkrankungen etabliert haben. Hierbei geht es zunächst um primäre Kriterien, die das eigentliche Suchtverhalten beschreiben, insbesondere einen Kontrollverlust und die gedankliche Einengung im Hinblick auf das Leben in der virtuellen Welt. Darüber hinaus sollte es zu negativen Auswirkungen in mindestens einem Lebensbereich gekommen sein, um eine Diagnose stellen zu können. Hierzu zählen vor allem die Vernachlässigung körperlicher Grundbedürfnisse, persönlicher sozialer Beziehungen und die Vernachlässigung von Schule, Ausbildung und Beruf. Die zurzeit am besten validierten diagnostischen Kriterien für eine Internetabhängigkeit leiten sich von den Kriterien für die Online Gaming Disorder ab, die im Sinne einer Forschungsdiagnose erstmals im Anhang des Diagnostischen Manuals für psychische Erkrankungen aufgenommen wurde (3). Diese Kriterien wurden ins Deutsche übertragen und für eine epidemiologische Studie umformuliert, dies im Hinblick auf Internetabhängigkeit im Allgemeinen (4). Wenn 5 der 9 Kriterien über mindestens 12 Monate die meiste Zeit erfüllt sind, ist davon auszugehen, dass eine manifeste Internetabhängigkeit vorliegt. Die DSM-5-Kriterien für Internetabhängigkeit wurden im Jahre 2011 für die Bundesrepublik Deutschland erstmals in einer repräsentativen Erhebung von Rumpf und Kollegen angewandt (5). Demnach gelten mehr als eine halbe Millionen Menschen im Alter zwischen 14 und 64 Jahren in Deutschland als internetabhängig. Das entspricht einer Prävalenzschätzung von etwa 1 Prozent, wobei ungefähr weitere 3 Prozent als suchtgefährdet beziehungsweise als missbräuchliche Nutzer gelten. In der Gruppe der 14- bis 16-Jährigen liegt die Rate für das Vollbild von Internetabhängigkeit bei etwa 4 Prozent. Allerdings ist zu befürchten, dass sich die Prävalenz noch erhöhen wird. Zudem hat eine Längsschnittstudie gezeigt, dass bei der Mehrzahl derjenigen Jugendlichen, die einmal die Kriterien einer Internetabhängigkeit erfüllen, ohne eine spezifische Behandlung keine Besserung zu erwarten ist (6). In der jüngst vorgestellten ICD-11 wird die Internetsucht von der WHO in ihrer häufigsten Variante als Computerspielabhängigkeit erstmals als eigenständige
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Diagnose aufgeführt und in primären Online- und Offline-Konsum unterteilt (Organization WH. ICD-11 for Mortality and Morbidity Statistics; July 2019).
Ätiologie Nicht nur die Mediennutzung selbst, sondern gemäss des Suchtdreiecks tragen auch soziale Umgebungsfaktoren und individuelle psychische Faktoren zu einer Prädisposition bei (Kasten 1). Zu den Umgebungsfaktoren werden unter anderem eine besonders permissive medienpädagogische Haltung hinsichtlich der Zugänge zum Internet sowie Ausgrenzungserfahrungen im Zusammenhang mit hohem Leistungs- und Konkurrenzdruck gezählt. Individuelle psychisch prädisponierende Faktoren lassen sich vor allem auf niedrige Ausprägungen bei den Merkmalen Selbstsicherheit und Selbstwert beziehen. Erwartung von Selbstwirksamkeit, die Erwartung, online mehr Selbstwirksamkeit entfalten zu können als offline, ist offensichtlich Ausdruck eines Denkstils, der für die Dynamik der Internetabhängigkeit von entscheidender Bedeutung ist. Ein aktuelles Modell von Kimberly Young und Matthias Brand veranschaulicht, wie sich bestimmte kognitive Stile im Sinne von dysfunktionalen Internetnutzungserwartungen als auslösende und aufrechterhaltende Faktoren erweisen (7). Es gibt Hinweise dafür, dass eine rein technische Internetnutzugskompetenz ebenfalls eher einen Risikofaktor darstellt, während eine inhaltliche Internetnutzungskompetenz auch im Sinne einer Fähigkeit zum kritischen Hinterfragen von Internetangeboten eher als ein Resilienzfaktor gewertet wird (8). Auf der neurobiologischen Ebene zeigen sich Hinweise auf prädisponierende Faktoren, wie sie auch von substanzgebundenen Suchterkrankungen bekannt sind. Wie bei Personen mit Substanzabhängigkeit zeigte sich bei Internet und Computerspielabhängigkeit eine reduzierte Verfügbarkeit von Dopamin-D2-Rezeptoren im Striatum, Nucleus caudatus und Putamen mittels Positronenemissionstomografie (9). Bei der Präsentation spezifischer Reize zeigen OnlineSpieler in der funktionellen Magnetresonanztomografie eine erhöhte Aktivierung in Hirnregionen, in denen auch bei Substanzabhängigen durch spezifische Stimuli Aktivitätsmuster induziert werden können (10). Eine stetig wachsende Zahl an neurobiologischen Studien rückt
Kasten 1:
Individuelle Risikofaktoren
● Selbstunsicherheit ● Ängstlichkeit ● Schüchternheit ● Selbstwertmangel ● Depressivität ● Prokrastinationsneigung ● Impulsivität ● Aufmerksamkeitsstörung ● niedrige Offline-Selbstwirksamkeit ● hohe Online-Selbstwirksamkeit ● unkritische Mediennutzung ● rein technische Internetnutzungskompetenz
insbesondere die Online- Computerspielabhängigkeit immer mehr in die Nähe der Glücksspielsucht, die ihrerseits viele Gemeinsamkeiten zu substanzgebundenen Suchterkrankungen aufweist.
Komorbidität Ähnlich wie bei anderen Abhängigkeitserkrankungen sind die Krankheitsphänomene, die unter dem Begriff Internetabhängigkeit subsumiert werden können, häufig mit anderen psychischen Erkrankungen assoziiert (11). Im quantitativen Sinn konnte in den meisten Studien gezeigt werden, dass ein Grossteil der untersuchten erwachsenen Internetabhängigen die Kriterien für mindestens eine weitere psychische Erkrankung erfüllt (12), wobei die Komorbiditätsrate bei Kindern und Jugendlichen vermutlich niedriger liegt. Im qualitativen Sinn ergibt sich aus den existierenden Studien ein eher heterogenes Komorbiditätsprofil. Am häufigsten werden bei Internetabhängigen depressive Syndrome diagnostiziert – dies bei bis zu 80 Prozent der Betroffenen (13). Am zweithäufigsten scheinen Angsterkrankungen als komorbide Störungen aufzutreten, wobei die Studienlage hinsichtlich soziophober Störungen uneinheitlich ist (14). Darüber hinaus zeigt sich insbesondere im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich, dass auch das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) häufig mit Computerspielabhängigkeit im Besonderen, aber auch mit Internetabhängigkeit im Allgemeinen assoziiert ist (15, 16). In einer ausführlichen Übersichtsarbeit erschien ADHS mehr noch als Angststörungen als charakteristische Begleiterkrankung (17). Für einen Zusammenhang zwischen Internetabhängigkeit und Asperger-Autismus gibt es bislang lediglich Hinweise in Form von Fallberichten und subklinischen Korrelationsstudien (18), wobei hier die Abhängigkeit als sekundäres Krankheitsphänomen zu verstehen ist. Persönlichkeitsstörungen (Achse II), die nicht selten zusätzlich zu einer Achse-I-Störung zu eruieren sind, sind ebenfalls überzufällig häufig im Hintergrund einer Internetabhängigkeit zu diagnostizieren (12), wobei es hier bislang noch an verlässlichen Daten mangelt. Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis scheinen bis anhin vergleichsweise selten mit Medienabhängigkeit assoziiert zu sein, psychotische Dekompensationen sind aber durchaus im Rahmen von Entzugssyndromen beschrieben (19). Die internationalen Studien, die sich mit der Frage beschäftigten, ob Internetabhängigkeit überproportional häufig mit anderen substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen einhergeht, kamen zunächst zu uneinheitlichen Ergebnissen (20). Aufgrund neuerer Untersuchungen und Übersichtsarbeiten verdichten sich jedoch die Hinweise darauf, dass Internetabhängigkeit gehäuft mit der missbräuchlichen und abhängigen Nutzung von Alkohol und Nikotin einhergeht (21, 22). Dies scheint gerade auch für Adoleszente zu gelten, die im Falle einer Abhängigkeit von Online-Computerspielen auch einen gehäuften Cannabis-Abusus haben (23). Im Rahmen der Therapie ist auf jeden Fall auf komorbide Sucht und mögliche Suchtverschiebungen zu achten, wenn eine Abstinenz hinsichtlich einer spezifischen Internetnutzung erzielt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn ein prä- oder komorbides ADHS-Syndrom und damit eine generelle Prädisposition für Suchterkrankungen besteht.
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Therapie Psychopharmakotherapie Neurobiologische Therapieansätze begründen sich vor allem in einer auch psychopharmakologischen Behandlung einer hintergründigen beziehungsweise komorbiden psychischen Störung. Da man es hier hauptsächlich mit Depressionen und Angstsyndromen zu tun hat, spielen hier – neben beruhigenden, schlafanstossenden und stimmungsstabilisierenden Präparaten in Akutphasen – hauptsächlich Antidepressiva eine Rolle. Erste positive Erfahrungswerte gibt es vor allem für Citalopram (24) und Bupropion (25). Tritt ADHS als Begleiterkrankung auf, kann Methylphenidat auch die Abhängigkeitssymptome lindern und eventuell einer Suchtverschiebung vorbeugen (26). Obwohl Opiatantagonisten wie Naltrexon bei Verhaltenssüchten erprobt wurden, beispielsweise auch bei der Abhängigkeit von Online-Sexangeboten (27), werden sie bis auf Weiteres vermutlich keinen Platz in der regulären Behandlung von Internetabhängigkeit finden. Bei Patienten, die komorbid auch unter einer Alkoholsucht leiden, könnte die Gabe von Naltrexon allerdings durchaus auch auf die Internetabhängigkeit einen günstigen Effekt haben.
Psychotherapie Wenngleich es kaum Zweifel gibt, dass Psychotherapie als Mittel der Wahl anzusehen ist, mangelt es bislang noch an validen Psychotherapiestudien, auf deren Grundlage eine evidenzbasierte Behandlung durchgeführt werden könnte. Übersichtsarbeiten haben gezeigt, dass bislang lediglich eine abgeschlossene verhaltenstherapeutische Therapiestudie die Kriterien eines randomisierten Kontrollgruppendesigns erfüllt und hinreichende Ergebnisse liefert (28).
Kasten 2:
Behandlungsprinzipien
● Am Anfang der Behandlung steht die Klärung der Motivation und des individuellen Abstinenzziels (Online-Spiele, soziale Netzwerke, Cybersex usw.).
● Die Gabe von Psychopharmaka ist insbesondere bei komorbiden Erkrankungen wie Depression, Angsterkrankung und ADHS frühzeitig zu erwägen.
● Eine unmittelbare Abstinenz von individuell problematischen Internetanwendungen kann zu Behandlungsbeginn nicht erwartet werden, ist aber als mittelfristiges Therapieziel unbedingt zu empfehlen.
● Auch eine kontrollierte Nutzung der abhängigkeitsrelevanten Medieninhalte kann in Erwägung gezogen werden.
● Ebenso wichtig wie die Reduzierung der Internetnutzungszeiten ist die Erschliessung neuer Handlungsspielräume mit körperlicher Aktivität und sozialem Bezug.
● Psychotherapie ist die Behandlungsmethode der Wahl, wobei sich bisher vor allem manualisierte, kognitiv-behaviorale, gruppentherapeutische Ansätze als wirksam gezeigt haben.
● Psychodynamische Methoden dürften hauptsächlich im Rahmen längerfristig angelegter Therapieansätze von Bedeutung sein, was auch für die Kinder- und Jugendpsychiatrie gilt.
● Im Rahmen der Angehörigenarbeit zeigt sich die systemische Familien- und Paarberatung als besonders hilfreich, um Betroffene indirekt zu erreichen und in ihrer Krankheits- und Behandlungseinsicht zu fördern.
Kognitive Verhaltenstherapie In jedem Fall sind kognitiv-behaviorale Therapieansätze, die sich an der Behandlung von stoffgebundenen Abhängigkeiten orientieren, in der Literatur die mit Abstand am häufigsten empfohlenen Verfahren zur Behandlung von Internetabhängigkeit (29). Der kognitive Therapieanteil setzt dabei vor allem auf die Analyse und Veränderung pathologischer Denkprozesse im Hinblick auf die Erkennung positiver Verstärker (virtuelle Belohnungen) und negativer Verstärker (reale Kränkungen). Der verhaltenstherapeutische Teil zielt mehr auf die konkrete Veränderung von Handlungsweisen ab, wobei es darum geht, das pathologische Internetnutzungsverhalten durch positive Erlebens- und Verhaltensweisen in der konkret realen Umwelt zu ersetzen. Für den deutschsprachigen Bereich hat die Arbeitsgruppe um Klaus Wölfling das erste störungsspezifische Therapiemanual entwickelt (30), welches in einer multizentrischen Studie weiter erprobt wurde (31). Dessen gruppentherapeutischer Kern in 15 ambulanten Sitzungen wird mit 8 Einzelsitzungen kombiniert, wobei auch die Angehörigen miteinbezogen werden können. Das zentrale Ziel ist es in der Regel, diejenigen spezifischen Internetanwendungen möglichst komplett zu meiden, die zur Abhängigkeit geführt haben.
Psychodynamische Ansätze Diese bemühen sich in erster Linie um ein Verständnis, was an der konkret realen Welt als kränkend und beängstigend erlebt wird und was in der virtuellen Welt als so positiv empfunden und gesucht wird. Die Bedeutung von psychodynamisch interaktiven Ansätzen, welche die Komorbidität integrieren, werden vor allem auch in der Behandlung von heranwachsenden Medienabhängigen angewandt (32). Psychodynamische Ansätze spielen aber auch im stationären Rahmen und in der langfristig angelegten Behandlung von erwachsenen Betroffenen eine Rolle (33). Mit der Aufdeckung der dahinter liegenden Psychodynamik, die den depressiven und soziophoben Rückzug aus der realen in die virtuelle Welt beschreibt, ergibt sich die Möglichkeit, sich von dieser zu distanzieren. Dabei ist auch die Beziehungserfahrung mit dem Psychotherapeuten wichtig, nicht zuletzt deshalb, weil diese im konkret realen Raum und in Echtzeit geschieht. Im Rahmen dieser unmittelbaren Beziehung können neue Erfahrungen und Affekte erschlossen und erlebbar gemacht werden, was sich bestenfalls auch auf das Lebensumfeld der Klienten übertragen lässt.
Systemische Interventionen Insbesondere dann, wenn die Betroffenen selbst keine oder wenig Veränderungsmotivation haben, kommen systemische Interventionen, besonders auch in Kombination mit Motivational Interviewing, gewinnbringend zum Einsatz (29). Dies gilt nicht nur im Sinne familientherapeutischer Interventionen beispielsweise bei Adoleszenten, die von Online-Computerspielen abhängig sind, sondern auch paartherapeutisch bei cybersexsüchtigen Männern in Beziehungen.
Ausblick Welche psychotherapeutischen Verfahren sich langfristig bei der Behandlung von Internetabhängigkeit als
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hilfreich erweisen werden, wird sich erst herausstellen, wenn das Störungsbild selbst in seinen Grundzügen besser erforscht ist. Vermutlich werden beide Hauptverfahren bei verschiedenen Patienten und in unterschiedlichen Krankheitsphasen einen Nutzen bringen. Daneben profitieren die Medienabhängigen in Phasen des Entzugs und der Neuorientierung von sozialmedizinischen Hilfestellungen, insbesondere wenn es um die Wiederaufnahme einer Ausbildung, die Überwindung von Arbeitslosigkeit und den Abbau von Schulden geht. Übergreifend geht es bei allen therapeutischen Bemühungen letztlich darum, alternative Handlungsspielräume aufzuzeigen und damit neue Erfahrungen zu ermöglichen, dies ganz besonders mit dem eigenen Körper und in unmittelbaren sozialen Kontakten. Hierin dürfte auch der Schlüssel zu einer gelingenden Prävention und Rückfallprophylaxe liegen.
Fazit
Auch wenn noch nicht von einer hinreichend evidenz-
basierten Behandlung die Rede sein kann, lassen sich
aus den bisherigen Erkenntnissen und Erfahrungen
schon einige übergreifende Grundprinzipien für die
Therapie formulieren, die bis auf Weiteres gültig sein
dürften (Kasten 2).
G
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Bert Theodor te Wildt
Psychosomatische Klinik Kloster Diessen
Klosterhof 20
D-86911 Diessen am Ammersee
E-Mail: bert.tewildt@artemed.de
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Merkpunkte:
● Eine zuverlässige Diagnose lässt sich nur auf-
grund spezifischer Suchtkriterien stellen, nicht
allein aufgrund der Internetnutzungszeiten.
● Die drei häufigsten Begleiterkrankungen sind
depressive Erkrankung, Angststörung und das
Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-
syndrom (ADHS).
● Es gibt Hinweise, dass Antidepressiva auch un-
abhängig vom Auftreten eines depressiven
Syndroms bei der Behandlung von Abhängig-
keitserkrankten positive Effekte erzielen kön-
nen.
● Im Hinblick auf die Abhängigkeit von Online-
spielen und Cybersexangeboten ist das Thera-
pieziel einer spezifischen Abstinenz sinnvoll.
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