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Aktuelle Studien – kurz gefasst
Untertitel
Multiple Sklerose – von Anfang an konsequent behandeln
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Moderne Immuntherapien können den Krankheitsverlauf der Multiplen Sklerose modifizieren und die Häufigkeit der Schübe reduzieren. Bei der Dauertherapie gibt es verschiedene Strategien, wobei eine aktu- elle Studie zeigt, dass eine «aggressivere» Behandlung möglicherweise zu besseren Langzeitergebnissen führt (1).
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KURZ & BÜNDIG
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42064
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&K U R Z B Ü N D I G
Aktuelle Studien – kurz gefasst

Multiple Sklerose – von Anfang an konsequent behandeln

Moderne Immuntherapien können den Krankheitsverlauf der Multiplen Sklerose modifizieren und die Häufigkeit der Schübe reduzieren. Bei der Dauertherapie gibt es verschiedene Strategien, wobei eine aktuelle Studie zeigt, dass eine «aggressivere» Behandlung möglicherweise zu besseren Langzeitergebnissen führt (1).
Ungefähr 2,5 Millionen Menschen (2) sind weltweit an einer Multiplen Sklerose (MS) erkrankt. Sie ist bei jüngeren Erwachsenen die häufigste chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) und tritt meist zwischen dem 20. und dem 40. Lebensjahr auf. Die MS zeigt meistens einen schubförmigen Verlauf. Die Symptome können unterschiedlich sein, oft finden sich Sensibilitätsstörungen, Sehstörungen (z. B. Doppelbilder), Störungen der Fein- und Grobmotorik mit Beinschwäche und Gangunsicherheit. Begleitende Depressionen, Fatigue und kognitive Einschränkungen können zu schweren sozialen Beeinträchtigungen führen. Ein akuter MS-Schub wird antientzündlich-immunsuppressiv mit Kortisonpräparaten behandelt, was zwar die akuten Symptome wieder beseitigen kann, aber auf den Langzeitverlauf der Erkrankung keinen bleibenden Einfluss hat. Für die Dauertherapie stehen heute krankheitsmodifizierende Therapien (Disease Modifying Therapies = DMT) zur Verfügung, die zielgerichtet in die Entstehungsmechanismen der MS eingreifen beziehungsweise durch immunmodulierende Effekte langfristig entzündungshemmend wirken. «Die Häufigkeit der Schübe kann damit meistens deutlich reduziert werden, eine Heilung gibt es derzeit leider nicht», erläutert Prof. Ralf Gold, Direktor des St. Josef Hospitals Bochum, Lehrstuhlinhaber für Neurologie an der Ruhr-Universität. «Für die Frühstadien einer Multiplen Sklerose ist jedoch nicht abschliessend geklärt, wie aggressiv die Dauertherapie optimalerweise erfolgen sollte.»

Die DMT-Medikamente werden in verschiedene Wirkstärken eingeteilt, wobei die eher mild wirkenden Präparate günstigere Nebenwirkungsprofile haben. Die hocheffektiven DMT dagegen haben komplexere Risikoprofile und müssen oft engmaschig überwacht werden. Sie sind daher in der Regel Patienten vorbehalten, die initiale Hinweise und Faktoren für einen zu erwartenden schweren Verlauf beziehungsweise eine schlechte Prognose mitbringen. Bei Patienten mit leichterer Krankheitsausprägung beziehungsweise in frühen Krankheitsstadien wird eher eine Strategie gewählt, die mit milden Präparaten beginnt und dann bei Bedarf eskaliert.
DMT im Langzeitverlauf Die Fragestellung einer aktuell vorliegenden Arbeit (1) lautete, ob der frühere Einsatz solcher DMT den Langzeitverlauf positiv beeinflussen kann. Retrospektiv wurden die Langzeiteffekte («Outcomes») in einer populationsbasierten Kohorte (1998 bis 2016) ausgewertet und mit der initialen Behandlungsstrategie in Beziehung gesetzt. Von insgesamt 720 MS-Patienten mit DMT konnten 592 (82%) in die Analyse einbezogen werden. Ausschlusskriterien waren initiale Therapien an anderen Orten oder private Behandlungen, Teilnahme an klinischen Studien und fehlende medizinische Angaben. Die Patienten wurden danach eingeteilt, ob eine frühe intensive beziehungsweise hocheffektive Therapie (Early Intensive Treatment = EIT) erfolgt war oder eine moderat effektive, eskalierende Therapie (ESC). Primäres Outcome war die Änderung des Behinderungsgrades nach fünf Jahren, gemessen mittels des EDSS-Scores (Expanded Disability Status Scale). Die Gruppen waren hinsichtlich Geschlecht, Alter, DMT-Beginn und Art der Eskalationstherapie adjustiert worden. Das mittlere Patientenalter bei Symptombeginn lag bei 27 Jahren, die mittlere EDSS-Änderung über fünf Jahre war in der EIT-Gruppe mit 0,3 signifikant geringer als in der ESC-Gruppe

mit 1,2. Die Zeit bis zum Erreichen eines bestimmten dauerhaften Behinderungsgrades (Sustained Accumulation of Disability = SAD) betrug in der EIT-Gruppe median 6,0 (3,17–9,16) Jahre und in der ESC-Gruppe 3,14 (2,77–4,00) Jahre. Bei Patienten der ESCGruppe, die als Zweitlinientherapie eine Eskalation bis hin zu hocheffektiven DMTs erhalten hatten, betrug die SAD-Zeit 3,3 (1,8–5,6) Jahre. 60 Prozent der ESC-Patienten, die im Verlauf dann eine hocheffektive DMT erhielten, entwikkelten den SAD-Grad, während sie noch eine moderat effektive DMT erhielten. «In einer relativ grossen Kohorte von MSPatienten zeigte sich, dass eine frühzeitige intensive krankheitsmodifizierende Therapie gegenüber einer moderaten DMT den Krankheitsverlauf über die ersten fünf Jahre günstig beeinflusst, gerade im Hinblick auf die Entwicklung bleibender Behinderungen», so Prof. Gold. «Ein vorsichtiger Therapieeinstieg ging hingegen mit einem schlechteren Outcome einher. Vor dem Hintergrund dieser Daten erscheint es notwendig, die derzeit geltenden Kriterien, anhand deren eine Einteilung der Patienten zur initialen Therapiestrategie erfolgt, nun in grossen randomisierten Studien zu überprüfen. Bis es so weit ist, müssen wir versuchen, schon frühzeitig MS-Patienten, die unter einem schubförmigen Verlauf leiden und die nicht stabil sind, mit stärkeren Therapeutika aus dem heute zugelassenen Therapierepertoire zu behandeln.»
Referenz:
1. Harding K, Williams O, Willis M et al. Clinical Outcomes of Escalation vs Early Intensive Disease-Modifying Therapy in Patients With Multiple Sclerosis. JAMA Neurol 2019 Feb 18. doi: 10.1001/jamaneurol.2018.4905. [Epub ahead of print]
2. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose-infos/wasist-ms/
Quelle: www.idw-online.de, gekürzte Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vom 24.6.2019

4/2019

PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE

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