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Elektrokonvulsionstherapie – Indikationen und Anwendung
FORTBILDUNG
Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist eine der wirksamsten Behandlungen in der Psychiatrie. Am häufigsten wird sie zur Behandlung von depressiven Störungen verwendet. Die EKT hat jedoch eine sehr breite syndromale Wirksamkeit: Sie wirkt auch antimanisch, antipsychotisch, antisuizidal, antikataton, stimmungsstabilisierend und antikonvulsiv. Im Beitrag werden Wirksamkeit, Indikationen, Kontraindikationen und Nebenwirkungen dargestellt. Zudem, welche Abklärungen vor, während und bei der Durchführung zu treffen sind.
Annette B. Brühl
von Annette B. Brühl
Einleitung
D ie Elektrokonvulsionstherapie (EKT), die früher auch Elektrokrampf- oder Elektroschocktherapie genannt wurde, ist eine der wirksamsten Behandlungen in der Psychiatrie (1). Am häufigsten wird die EKT zur Behandlung von depressiven Störungen verwendet, obwohl sie historisch zunächst zur Behandlung der Schizophrenie entwickelt wurde (2). Die EKT hat eine sehr breite syndromale Wirksamkeit: Sie wirkt antidepressiv, antimanisch, antipsychotisch, antisuizidal, antikataton, stimmungsstabilisierend und auch antikonvulsiv (3). Die breite und gute Wirksamkeit hat in den 1960er- und 1970er-Jahren zu einer teilweise unkritischen Anwendung geführt (2). Gleichzeitig wurden wirksame Psychopharmaka und auch Psychotherapiemethoden entwickelt, und die Antipsychiatriebewegung entstand, sodass die EKT stark stigmatisiert wurde (2). Diese Stigmatisierung ist zum Teil heute immer noch spürbar (4), obwohl sich die EKT seither hinsichtlich Indikationsstellung, Aufklärung und technischer Durchführung deutlich geändert hat (5): Die Indikation zur EKT wird heute präziser und enger gestellt, Patienten werden wie bei anderen medizinischen Eingriffen aufgeklärt, das Einverständnis wird eingeholt, Angehörige werden einbezogen, die Behandlung selbst wird heute als sogenannte modifizierte EKT unter Kurznarkose mit Muskelrelaxation und Präoxygenierung durchgeführt, und durch veränderte technische Parameter sind unter anderem kognitive Nebenwirkungen deutlich reduziert. Studien belegen zudem die hohe Wirksamkeit der Anwendung: Bei Depressionen respondieren je nach Studie 70 bis 90 Prozent der Patienten, und 50 bis 60 Prozent erreichen eine Remission (1, 3); bei schwerer
psychotischer Depression respondieren sogar bis zu 90 Prozent. Als Augmentationsbehandlung bei Schizophrenien hat die EKT bei mit Clozapin behandelten Patienten eine Response-Rate von zirka 60 Prozent (6, 7). Bei katatonen Syndromen sind Erfolgsraten bis 100 Prozent beschrieben (8).
Indikationen zur EKT Gemäss den Behandlungsempfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) und der Schweizerischen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (SGBP) in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) sollte die EKT für die somatische Behandlung von Depressionen bei Teil- oder fehlendem Ansprechen auf Antidepressiva zu jedem Zeitpunkt erwogen werden (9). Die Leitlinie der DGPPN (10) benennt vor allem therapieresistente Depression als Anwendungsbereich der EKT und sieht sie klar indiziert nach fehlender beziehungsweise unzureichender Besserung der Symptomatik nach zwei Behandlungsversuchen mit Antidepressiva sowie als Behandlung der Wahl bei schweren depressiven Episoden mit besonderer Dringlichkeit (z.B. vitaler Bedrohung, schwerer Suizidalität), bei Kontraindikationen oder erhöhten Risiken anderer Behandlung, auf Wunsch des Patienten und bei anderen positiven prognostischen Faktoren (guten Erfahrungen bei früheren Behandlungen, psychotischen Symptomen, psychomotorischer Verlangsamung). Die Indikation gilt gleichermassen für Depressionen bei bipolarer Erkrankung (11) (Indikationen zur EKT siehe Kasten 1). Auch bei Schizophrenien ist die EKT eine Behandlungsoption. Die aktuellsten Leitlinien der DGPPN (12) von 2019 sowie auch die Richtlinien der SGPP (13) empfehlen EKT bei Versagen anderer Therapiestrategien. Gleichermassen wird eine EKT in den Leitlinien der DGPPN
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Kasten 1:
Indikationen für eine Elektrokonvulsionstherapie
(nach [1, 21, 40, 41])
Notfallindikationen Perniziöse Katatonie Malignes neuroleptisches Syndrom Akute Suizidalität oder andere vital bedrohliche Zustände (z.B. Nahrungsverweigerung) bei schweren affektiven oder schizophrenen Erkrankungen Manisches Delir Schwere affektive oder schizophrene Syndrome in Schwangerschaft und Postpartalzeit
Therapie der ersten Wahl Schwere wahnhafte Depression Depressiver Stupor Schizoaffektive Psychosen mit schwerer Depression
Bekanntes gutes Ansprechen auf EKT Kontraindikationen für andere Behandlungen (höheres Risiko, Nebenwirkungen) Wunsch des Patienten
Therapie der zweiten Wahl Therapieresistente Depression Therapieresistente Katatonie Therapieresistente Psychosen, Schizophrenie, schizoaffektive Störung
Therapieresistente Manie
für die Behandlung von schweren und therapieresistenten manischen Episoden empfohlen (11). Bei ausgeprägten, insbesondere perniziösen katatonen Syndromen, die nicht rasch auf eine Behandlung mit Lorazepam ansprechen, wird die EKT klar als eine (überlebens-)wichtige Behandlung bezeichnet, insbesondere auch in Situationen, wenn die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu einem (moderaten bis schweren) malignen neuroleptischen Syndrom nicht klar ist (8, 12). Suizidale Gedanken und Impulse können mittels EKT rasch reduziert werden, sodass in einer Kohorte Suizidalität nach einer Woche bei 38 Prozent, nach zwei Wochen bei 61 Prozent und nach Abschluss der EKT bei 81 Prozent der Patienten komplett verschwunden war (14). Auch der Wunsch des Patienten sollte bei der Therapieplanung berücksichtigt werden: Wünscht ein Patient nach fachgerechter Aufklärung und bei bestehender Indikation eine EKT als Therapie der ersten Wahl, dann sollte ihm diese nicht verweigert werden, sondern auch von Zentren, die selbst keine EKT durchführen, im Sinne einer umfassenden Aufklärung über Therapiemöglichkeiten als Option genannt werden (15).
Kontraindikationen für eine EKT Es gibt nur wenige strikte Kontraindikationen für eine EKT (Kasten 2). Diese betreffen hauptsächlich die Narkosefähigkeit (Ziel: Anästhesieeinstufung ASA < 4) sowie spezifische Hirnerkrankungen, die mit einem erhöhten Komplikationsrisiko einhergehen: frischer Myokardinfarkt (Empfehlung: 3 Monate Abstand), frischer ischämischer oder hämorrhagischer Insult (Blutdruckanstieg während Anfall mit Risiko des Hirndruckanstieges; Empfehlung: 1 Monat Abstand), frisches Coiling eines zerebralen Aneurysmas (Empfehlung: mind. 14 Tage Abstand), aortales Aneurysma mit hohem Rupturrisiko (mehrere Fallberichte über sichere Durchführung unter sorgfältiger Blutdruckkontrolle [16], aber auch vereinzelte Fälle mit fatalem Ausgang nach Ruptur [17]). Bei zerebralen Aneurysmen gibt es bisher einen Fallbericht einer Ruptur nach EKT-Behandlung (18), jedoch auch viele Fallberichte (Übersicht: 18) über erfolgreiche EKTBehandlungen bei zerebralen Aneurysmen mit und ohne Behandlung. Wegen des Blutdruckanstieges unter der EKT-Behandlung stellen unzureichend behandelte
Kasten 2:
Kontraindikationen für eine Elektrokonvulsionstherapie
Absolute Kontraindikationen Akuter Myokardinfarkt (< 3 Monate)
Akuter zerebraler Insult (< 1 Monat)
Rupturgefährdetes Aortenaneurysma < 14 Tage nach Coiling/Clipping eines zerebralen Aneurysmas Schwere kardiopulmonale Funktionseinschränkung (keine Narkosefähigkeit) Schwerer arterieller Hypertonus (nicht einstellbar) Akuter Glaukomanfall*
Relative Kontraindikationen Koronare Herzerkrankung ohne schwere Funktionseinschränkung Zerebrales Aneurysma, zerebrale Gefässmissbildungen Erhöhter Hirndruck, Hirnödem* Intrazerebrale Raumforderung mit deutlichem Ödem*
* Diese Zustände/Erkrankungen sollten vor Durchführung einer EKT adäquat behandelt werden und stellen anschliessend keine Kontraindikation mehr für eine EKT dar.
arterielle Hypertonien und auch erhöhter Hirndruck relative Kontraindikationen dar, und diese sollten vor Beginn einer EKT-Serie ausreichend eingestellt sein. Folgende Erkrankungen und Gesundheitszustände stellen keine Kontraindikation für eine EKT dar: höheres Alter (üblicherweise sogar besseres Ansprechen auf EKT [19]), Schwangerschaft (bei schwer behandelbaren und auch bei vital bedrohlichen Psychosen und Depressionen in der Schwangerschaft ist EKT Methode der Wahl im Sinne einer Notfallindikation, da die Belastung von Mutter und Fetus geringer ist als durch intensive Medikation und da die Wirkung rascher eintritt [20, 21]), Herzschrittmacher. Auch eine demenzielle Entwicklung oder ein vorangegangener zerebraler Insult stellen keine Kontraindikationen dar.
Durchführung Vor der EKT müssen wie bei jeder medizinischen Behandlung eine korrekte diagnostische Abklärung, eine Indikationsstellung und eine Aufklärung des Patienten und gegebenenfalls auch der Angehörigen erfolgen, sodass eine informierte Einwilligung vorliegt. Optima-
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lerweise erfolgen Aufklärung und Einverständniserklärung schriftlich. Der zeitliche Abstand zwischen Aufklärung, schriftlichem Einverständnis und Beginn der Behandlung sollte, wie zum Beispiel auch bei chirurgischen Eingriffen, abhängig sein von der Dringlichkeit der Behandlung, in der Regel aber mindestens 24 Stunden betragen. In Fällen, in denen die Einwilligungsfähigkeit eingeschränkt oder sogar aufgehoben ist (z.B. bei schweren katatonen Zuständen), kommen die üblichen Abläufe bei Notfallbehandlungen zum Tragen (Aufklärung und Einverständniserklärung, wenn vorhanden, durch Beistand, sonst Angehörige). Zusätzlich zu Aufklärung und Einverständniserklärung erfolgen in der Regel noch komplettierende Abklärungen bezüglich der Narkosefähigkeit wie Routinelabor, Elektrokardiogramm, gegebenenfalls Sonografie des Abdomens beziehungsweise Röntgen-Thorax und Kontraindikationen der EKT (Magnetresonanztomografie des Kopfes). Weitere Abklärungen sind routinemässig nicht erforderlich. Es sollten ein psychopathologischer und körperlicher Untersuchungsbefund sowie auch quantitative Erhebungen der Zielsymptomatik (Depression: BDI, HAMD, MADRS, Schizophrenie: PANSS, Katatonie: Bush-Francis Catatonia Scale o.ä.) und des kognitiven Zustandes (MMSE, MOCA, evtl. auch technische Tools wie Thinc it® [22]) vor Beginn der Behandlung sowie nach Abschluss der Behandlungsserie und auch vor Beginn einer Erhaltungsbehandlung und vor Abschluss der Gesamtbehandlung vorgenommen werden. Prinzipiell kann eine EKT-Behandlung unter medizinischen Gesichtspunkten ambulant erfolgen, wenn der Patient zu den Behandlungen kommen kann (Distanz, Transportfähigkeit, Absprachefähigkeit), zu Hause eine gewisse Betreuung (Familie/Angehörige) hat, die bei eventuellen Problemen nach der Narkose unterstützt, und dieser somatisch ausreichend stabil ist. Bei Risikopatienten sollte sie stationär durchgeführt werden. Bei Patienten, bei denen Unsicherheiten bestehen, kann je nach lokalem Angebot die EKT-Behandlung zu Beginn im stationären Setting erwogen und dann ambulant fortgesetzt werden. Primäres Ziel der EKT ist ein generalisierter Anfall, der idealtypisch 25 bis 60 Sekunden (EEG/motorisch) dauert, eine hohe Amplitude sowie eine hohe Synchronizität zwischen den Hemisphären hat, der begleitet wird von einer sympathischen Aktivierung (Herzfrequenzanstieg) und dann möglichst rasch und komplett spontan endet (21). Um diesen Anfall hervorzurufen, gibt es bei der Durchführung der EKT technische Variationen. Diese betreffen die Positionierung der Elektroden, die Stimulationsparameter und die Häufigkeit der Durchführung. Eine einzelne EKT-Sitzung hat in der Regel keinen ausreichenden klinischen Effekt, sodass die EKT in der Regel zunächst im Rahmen einer Serie von Behandlungen durchgeführt wird, die bei Depressionen aus 10 bis 12 Behandlungen besteht, die 2- bis 3-mal pro Woche durchgeführt werden. Es gibt zwischen 2 und 3 Behandlungen pro Woche keine deutlichen Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit, allerdings dauert die gesamte Behandlung bei 2 Sitzungen pro Woche länger (23). Bei katatonen Zuständen können Verbesserungen bereits nach wenigen Sitzungen auftreten, bei Schizo-
phrenien sind häufig mehr Sitzungen erforderlich (Nichtansprechen erst nach 20 EKT-Sitzungen konstatierbar [3]). Bei Depressionen gibt es bezüglich der bestehenden Medikation wenig relevante Empfehlungen: Die meisten Medikamente, insbesondere Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Antipsychotika und andere, können und sollen unverändert beibehalten werden. Die Einnahme sollte wegen der Narkose (relative Nüchternheit) bis zu zwei Stunden vor der Behandlung mit wenig Wasser erfolgen. Einige Medikamente müssen in der Dosis reduziert oder abgesetzt werden: G Lithium (Spiegel sollte unter 0,4 mmol/l liegen) G Antiepileptika, Benzodiazepine, Barbiturate: abset-
zen/auf geringe Dosis reduzieren (erhöhen Krampfschwelle und können damit die Durchführung einer EKT verhindern) G tri- und tetrazyklische Antidepressiva, SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) (Venlafaxin, Duloxetin): Dosis reduzieren oder absetzen (Risiko kardialer Arrhythmien erhöht). Bei Schizophrenien und Katatonien können Clozapin und andere Antipsychotika hingegen synergistisch mit der EKT wirken und das Ansprechen auf EKT verbessern (24). Bei Depressionen wird nach einer erfolgreichen EKTSerie eine Erhaltungsbehandlung dringend empfohlen, da sonst das Risiko eines Rückfalls hoch ist (25). Daher wird bei Ansprechen auf die EKT-Serie in der Regel eine Erhaltungs-EKT angeschlossen («Ausschleichen», d.h. abnehmende Frequenz mit ca. 10 Behandlungen über ca. 6 Monate). Ausserdem sollte die Pharmakotherapie erneut evaluiert werden. Die Dauer der Erhaltungs-EKT kann auch – wenn klinisch erforderlich – länger sein.
Nebenwirkungen Wie jede medizinische Behandlung hat auch die EKT Nebenwirkungen beziehungsweise unerwünschte Wirkungen. Jedoch werden diese in der Regel eher überschätzt beziehungsweise in den Medien und von Gegnern überzeichnet dargestellt. Daher hier zunächst ein paar vermeintliche Nebenwirkungen, die mittlerweile durch Studien klar widerlegt wurden: 1. Die Mortalität einer EKT-Behandlung liegt in grossen
nationalen Kohorten unter 1:400 000 Behandlungen und liegt damit klar unter der Basismortalität von Depressionen (26). 2. Das Risiko, später eine Demenz zu entwickeln, ist durch eine EKT-Behandlung nicht erhöht (27, 28). 3. Das Risiko für Schlaganfälle ist durch eine EKT-Behandlung nicht erhöht, auch nicht nach vorangegangenem Schlaganfall (29). 4. Die EKT ruft keine nachweisbaren Hirnschädigungen hervor. Bisherige Studien zeigen im Gegenteil sogar Hirnvolumenzunahmen in bestimmten Regionen (z.B. 30–32, Metaanalysen: 33, 34). Es gibt weiterhin keinen klaren Hinweis auf ein erhöhtes Epilepsierisiko nach EKT-Behandlung (35). Die meisten Nebenwirkungen treten während der intensiven Behandlung im Rahmen der EKT-Serie auf. Sie sind jedoch vorübergehend und können symptomatisch behandelt oder durch Vorbehandlung verhindert werden: Kopf- und Muskelschmerzen (40–50%), Übel-
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keit (5–20%), Benommenheit und Verwirrtheit postiktal (40–60%), Hypertonie und Tachykardie iktal, Bradykardie postiktal. Selten treten postiktal Agitationszustände auf, die behandelt werden müssen. Selten können Zahn-/ Zungenverletzungen, prolongierte Anfälle, kardiale Arrhythmien, Asystolien und im Rahmen der Narkose Larynxspasmus und Aspiration auftreten. Die meiste Aufmerksamkeit erhalten in der Regel kognitive Einschränkungen im Rahmen der EKT, die folgendermassen unterteilt werden können: G vorübergehende Orientierungsprobleme in der
Phase direkt nach der EKT-Sitzung beziehungsweise am Tag der EKT-Sitzung (teilweise durch postiktale Verwirrtheit und Narkoseeffekte) G retrograde Amnesien (i.d.R. nur durch Erfassung von autobiografischem Gedächtnis feststellbar) G anterograde Amnesien (Störungen der Einspeicherung von neuen Informationen, relativ häufig während einer EKT-Serie, bei Reduktion der Häufigkeit wieder normalisiert).
Merkpunkte:
● Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist eine sehr wirksame Behandlung für schwere und schwierig zu behandelnde Depressionen sowie therapieresistente Schizophrenien und Manien und für schwere Katatonien.
● Vor der EKT müssen wie bei jeder medizinischen Behandlung eine korrekte diagnostische Abklärung, eine Indikationsstellung und eine Aufklärung des Patienten und gegebenenfalls auch der Angehörigen erfolgen, sodass eine informierte Einwilligung vorliegt.
● Wie jede medizinische Behandlung hat auch die EKT Nebenwirkungen beziehungsweise unerwünschte Wirkungen. Jedoch werden diese in der Regel eher überschätzt beziehungsweise in den Medien und von Gegnern überzeichnet dargestellt.
● In der heutigen üblichen Form sind keine langfristigen Risiken und Nebenwirkungen zu erwarten, insbesondere keine Hirnschäden.
Während und direkt nach einer EKT-Serie lassen sich häufig leichte und kurz andauernde Störungen des Gedächtnisses und auch anderer kognitiver Domänen nachweisen, sodass in der Regel während der EKT-Serie die Arbeitsfähigkeit zusätzlich zu den Einschränkungen durch die Grunderkrankung aufgehoben ist. Die kognitiven Störungen normalisieren sich innerhalb von wenigen Wochen nach der Beendigung der Serie. Dies konnte in vielen Studien nachgewiesen werden (36) – auch bei älteren Patienten (37). Patienten berichten vereinzelt über verbleibende kognitive Störungen, insbesondere retrograde Amnesien, die jedoch typischerweise hochgradig mit verbleibenden depressiven Symptomen und nicht mit objektiv messbaren Störungen korreliert sind (38, 39). Patienten sollten über die Störungen, die während der EKT-Serie bestehen, informiert werden, und es sollte ihnen von weitreichenden Entscheidungen in dieser Zeit ohne entsprechende Unterstützung abgeraten werden. Nach Ende der Serie sollte die zuvor bestehende kognitive Leistungsfähigkeit innerhalb von Wochen bis wenigen Monaten erreicht werden.
Zusammenfassung
Die EKT ist eine sehr wirksame Behandlung für schwere
und schwierig zu behandelnde Depressionen sowie
therapieresistente Schizophrenien und Manien und für
schwere Katatonien. Es gibt nur wenige Kontraindika-
tionen, die vor allem die Narkosefähigkeit betreffen. In
der heutigen üblichen Form sind keine langfristigen Ri-
siken und Nebenwirkungen zu erwarten, insbesondere
keine Hirnschäden.
G
Korrespondenzadresse:
PD Dr. med. Annette B. Brühl
Stv. Chefärztin
Leiterin Zentrum für Depressionen,
Angsterkrankungen und Psychotherapie
Leiterin Ambulatorium für Elektrokonvulsionstherapie
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Lenggstrasse 31
8032 Zürich
E-Mail: annette.bruehl@puk.zh.ch
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