Transkript
EDITORIAL
Essstörungen: Vielfältig in der Diagnostik – herausfordernd in der Behandlung
G emäss Angaben des Bundesamtes für Gesundheit sind 3,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung im Laufe ihres Lebens von einer Essstörung betroffen. Dazu zählen Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und andere problematische Verhaltensweisen. In der jüngeren Vergangenheit wird in den Medien gehäuft über Orthorexia nervosa berichtet. Übersetzt heisst Orthorexia nervosa «Fixierung auf reines, gesundes Essen». Derzeit gilt dieses Essverhalten noch nicht als anerkanntes Störungsbild, das Aufnahme in die Klassifikation nach DSM-5 und ICD-10 gefunden hat. Vielmehr ist es ein Phänomen, das die veränderten Essgewohnheiten in der Gesellschaft widerspiegelt: Auf der einen Seite steigt die Prävalenz für Übergewicht und Adipositas weltweit an. Die Menschen essen zu viel und zu wenig achtsam, bewegen sich zu wenig. Andererseits beschäftigen sich Menschen intensiv und/oder fast schon zwanghaft mit gesundem Essen und Bewegung. Suchwörter auf Google ergeben nach 0,30 Sekunden 196 000 Treffer, wird der Begriff Orthorexia nervosa eingegeben, beim Begriff vegane Ernährung sind es 19 200 000, «clean eating» hat 712 000 Treffer. Essen wird quasi zur Religion. Trotzdem dürfen diese Ergebnisse nicht darüber hinwegtäuschen, dass Essstörungen sehr schwer wiegende Erkrankungen sind. Anorexia nervosa weist die höchste Mortalitätsrate aller psychiatrischen Störungen auf. Rund ein Drittel aller Patientinnen erleidet einen Rückfall – ein immenser Leidensdruck für Betroffene und Angehörige. Tragfähige Konzepte zur Familienunterstützung wie auch zur Rückfallprävention sind erforderlich.
Dieser komplexen Situation versucht diese Ausgabe gerecht zu werden. Wir stellen die aktuellen S3-Leitlinien und Neuigkeiten in der Diagnostik und Therapie zu den Essstörungen vor. Die Orthorexia nervosa kann zwar bis anhin keiner Essstörung zugeordnet werden, es bedarf aber weiterer Forschung in diesem Bereich. Trotzdem ist es wichtig, dass Experten auch hier die derzeitigen Erkenntnisse betreffend ihrer Diagnostik und Therapie kennen. Das gilt auch für die muskeldysmorphe Störung und die Bewegungssucht. Das Störungsbild kann im Freizeitsport und/oder (Hoch-)Leistungssport verortet werden und wird den Zwangsstörungen zugeordnet. Bezogen auf spezifische Subgruppen zeigen Erhebungen, dass rund 10 bis 20 Prozent der männlichen Fitnessstudiobesucher einen deutlich pathologischen Leidensdruck hinsichtlich ihres Körperbildes und Lebensstils aufweisen. Ich bin sicher, dass wir Ihnen eine interessante und thematisch hochaktuelle Ausgabe zusammengestellt haben.
Ich danke den Autoren dieser Ausgabe herzlich für
die geleistete Arbeit und wünsche Ihnen eine anre-
gende Lektüre!
G
Dr. med. Bettina Isenschmid, M.M.E. Chefärztin KEA – Kompetenzzentrum Adipositas,
Essverhalten und Psyche spitalzofingen ag 4800 Zofingen
E-Mail: bettina.isenschmid@spitalzofingen.ch
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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