Transkript
SYMPOSIUM
Frühjahrssymposium Basel:
Prävention und Frühintervention bei Abhängigkeitserkrankungen
Bei Abhängigkeitserkrankungen handelt es sich oft um chronische Erkrankungen mit langwierigen, teilweise lebenslangen Verläufen. In den Fokus gelangen deshalb die Prävention und Frühintervention. Am Basler Frühjahrssymposium stellten Experte neue Konzepte vor.
sie sich auch noch um die eigenen Eltern kümmern müssen und eine Parentifizierung eintritt. Das ungünstige Verhalten der Eltern kann dann zu weiteren schwierigen Situationen für die Kinder führen. Beispielsweise dann, wenn sich das Verhalten der Eltern infolge des Substanzkonsums plötzlich ändert oder der Kommunikationsstil aggressiv oder dem Kind unangepasst wird. Kinder wissen dadurch oftmals nicht, welches Elternverhalten sie erwarten können, und sie leben fortwährend in Unsicherheit oder sogar Angst. Moesgen hielt abschliessend fest, dass rund ein Drittel der Kinder aus suchtbelasteten Familien massive beziehungsweise chronifizierte Probleme entwickelt, ein Drittel vorübergehend Probleme hat und ein Drittel unauffällig bleibt.
I m Fokus der therapeutischen Interventionen stehen in der Regel Erwachsene, die im Schnitt erst mehrere Jahre nach Erkrankungsbeginn in eine Behandlung eintreten – wenn überhaupt. Angesichts der Erstmanifestation, die häufig in der Adoleszenz oder im jungen Erwachsenenalter auftritt, und der teilweise bereits im Kindesalter vorliegenden oder antizipierbaren Risikofaktoren erstaunt es laut Prof. Marc Walter, Chefarzt Erwachsenenpsychiatrie an den UPK Basel, dass Abhängigkeitserkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen vergleichsweise wenig beachtet werden: «Wir erreichen Betroffene an einem zu späten Punkt im Leben, sodass es einer Frühprävention bedarf.» Unklar ist laut dem Psychiater jedoch, wie Prävention und Intervention genau aussehen sollen, um Abhängigkeitserkrankungen vorzubeugen und frühzeitig behandeln zu können.
Das Lebens- und Risikokompetenzprogramm REBOUND Antworten darauf lieferte Dr. sc. hum. Henrik Jungaberle, FINDER, Institut für Präventionsforschung, Berlin, mit dem wissenschaftlich evaluierten Lebens- und Risikokompetenzprogramm REBOUND, das vor rund acht Jahren entwickelt wurde. Jungaberle ging eingangs darauf ein, dass bei heutigen Jugendlichen eine Postadoleszenz zu beobachten sei. Das heisst, die für Suchterkrankungen vulnerable Phase bis zum Erwachsenensein dauert länger an als früher. Demgegenüber stehen die Produktion und der Konsum von psychoaktiven Substanzen, die seit 100 Jahren produziert, weltweit vertrieben und eingenommen werden und deren Risiken bekannt sind. «Was ein eigentlich guter Gebrauch dieser Substanzen ist, bleibt trotzdem unklar», so Jungaberle. Einerseits wäre eine «Brechstange» möglich: «Wir kontrollieren dann noch mehr, oder aber es könnte eine Risikokultur mit Befähigern heranwachsen», hielt Jungaberle fest.
Die Möglichkeit, «Befähiger» zu werden, möchte das Projekt REBOUND anbieten. In diesem werden Jugendliche ab 14 bis 25 Jahren am Beispiel des Themas Alkohol und anderer Drogen in Schulen oder Jugendeinrichtungen zur Entwicklung wichtiger Sozial- und Selbstkompetenzen angeregt. Dazu gehören Informationen, die Fähigkeit zu reflektieren, aber auch eigene Erfahrungen, sodass ein Lerneffekt entsteht und sich der Jugendliche orientieren kann. «Wir sollten den Konsum nicht verbieten, sondern kontrolliert damit umgehen», sagte Jungaberle. Zudem sei es wichtig, den Jugendlichen zu orientieren. Wo will dieser hin, wie sieht die Lebensperspektive aus? Fast 50 Prozent der Zeit von REBOUND wird laut Jungaberle in diese Fragen investiert. Bis heute haben bereits 7000 Jugendliche aus 80 Schulen an dem EU-gesponserten Projekt teilgenommen. Geleitet wird es von weitergebildeten Fachkräften. Obwohl der Aufwand mit 10 Sitzungen hoch ist, sind insgesamt nur zwei Schulen abgesprungen.
Transgenerationelle Aspekte bei Abhängigkeitserkrankungen Dr. rer. nat. Diana Moesgen, M. Sc. Psych., Psych. Psychotherapeutin, Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung, Katholische Hochschule NRW, Köln, sprach über transgenerationelle Aspekte bei Abhängigkeitserkrankungen. Fragen zu eigenen Kindern sollten bei Gesprächen mit suchtbelasteten Personen obligatorisch sein, so die Psychologin. Denn Studien zu Kindern mit abhängigen Eltern zeigen, dass sie oftmals in angespannten familiären Verhältnissen leben müssen. Oft sind die suchtbelasteten Eltern arbeitslos; es steht wenig Geld zur Verfügung; die Familie ist sozial ausgegrenzt und aufgrund der elterlichen Sucht häufig stigmatisiert. In der Folge kommt es oft zu schlechten Schulleistungen der Kinder und zu Problemen mit Gleichaltrigen, wie Moesgen festhielt. Die Belastung steigt für Kinder nochmals an, wenn
Das Therapieangebot Zebra
Georg Kling, Fachpsychologe für Psychothera-
pie FSP, Integrierte Suchthilfe Winterthur, erläu-
terte das Therapieangebot Zebra, bei dem
zwischen 30 und 40 Kinder und Jugendliche in
Behandlung sind. Zebra bietet Abklärung, Be-
gleitung und Therapie für Kinder und Jugend-
liche aus suchtbelasteten Familien an. Die
betroffenen Eltern erhalten Informationen, Be-
ratung und begleitende Unterstützung. Die
Kinder können eigene Situationen, Fragen und
Unsicherheiten beispielsweise im Rahmen von
Rollenspielen klären. «Die Unterstützung kann
teilweise wöchentlich stattfinden oder einmal
in mehreren Monaten, auch Kinder ohne Sym-
ptome beraten wir in Zebra», erklärte Georg
Kling. Obwohl es Zebra nun seit bald 15 Jahren
gibt, war der Beginn sehr schwierig und harzig.
«Wir hatten damals kaum Beratungen; es hat
sich fast niemand gemeldet», erzählte Georg
Kling. Für den Psychologen gehörte eine
Menge Durchhaltevermögen dazu, um nicht
wieder aufzuhören. Mittlerweile gibt es eine
Warteliste, und Zebra ist in Winterthur fest eta-
bliert. «Kinder abhängiger Eltern sind sehr vor-
sichtig», sagte Georg Kling. «Aufgrund der
oftmals vorliegenden Stigmatisierung kann es
dauern, bis ein solches Angebot akzeptiert
wird.»
Abschliessend sprach Dr. phil. Kenneth M. Dürs-
teler, Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen
an den UPK Basel, über die dortige ambulante
Frühintervention bei jungen Menschen mit be-
ginnender Suchterkrankung. Die Behandlung
erfolgt an den UPK Basel interdisziplinär nach
dem individuellen Anliegen und den Zielen
des Adoleszenten. Insgesamt beanspruchen
mehr Männer als Frauen eine Suchttherapie
(rund 70% männlich). Seit 2015 erfolgten be-
reits 311 Anmeldungen, derzeit befinden sich
mehrere Personen auf der Warteliste.
G
Quelle: Basler Frühjahrstagung, Prävention und Frühintervention, 3. Mai 2018 an den UPK Basel.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE