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&K U R Z B Ü N D I G
Aktuelle Studien – kurz gefasst
Multiple Sklerose: Fingolimod reduziert Volumenverlust der tiefen grauen Substanz
In der Analyse zweier Phase-III-Studien (1, 2) reduziert Fingolimod im Vergleich zu Plazebo signifikant den Verlust der tiefen grauen Substanz. Die Autoren betonen die klinische Relevanz der Ergebnisse und erhoffen sich davon auch eine Verbesserung des langfristigen Outcomes von Patienten mit schubförmig-remittierender MS.
Im Rahmen der multiplen Sklerose (MS) trete ein Verlust des Gehirnvolumens («Brain Volume Loss», BVL) in einer Rate von jährlich rund 0,5 bis 1,35 Prozent auf, berichten Forscher des Universitätsspitals Basel. Patienten mit schubförmig-remittierender MS (RRMS) verlieren mehr graue Substanz (GM) als weisse Substanz (WM), wobei vor allem der Verlust der tiefen grauen Substanz (dGM) frühzeitig im Krankheitsverlauf zu beobachten ist. Von allen dGMStrukturen gilt insbesondere der Verlust von Thalamusgewebe als prognostischer Marker für eine Krankheitsprogression. In der vorlie-
genden Analyse zweier Phase-III-Studien konnte nun gezeigt werden, dass Fingolimod versus Plazebo signifikant den dGM-Volumenverlust reduziert (inklusive des Verlusts an Thalamusgewebe). Die Autoren erhoffen sich davon auch eine Verbesserung des langfristigen Outcomes von RRMS-Patienten. Die zwei Phase-III-Studien umfassten insgesamt rund 2000 Patienten, von denen jeweils rund ein Drittel Fingolimod 0,5 mg, Fingolimod 1,25 mg beziehungsweise Plazebo erhielten. Nach 24 Monaten zeigte sich unter Fingolimod versus Plazebo ein signifikant geringerer Verlust von dGM (Fingolimod 0,5 mg: –14,5%, 1,25 mg: –26,6%; p < 0,01) beziehungsweise von Thalamusgewebe (jeweils –26,1% bzw. –49,7%; p < 0,001). Auch ein signifikant niedrigerer Verlust von weisser Substanz sowie eine signifikant geringere Zunahme des Ventrikelvolumens wurde unter Fingolimod versus Plazebo beobachtet. Die Bedeutung von niedrigen Volumina von dGM und Thalamus als «ro-
buste Prädiktoren» einer zukünftigen Verschlechterung der Behinderung unterstreichen die klinische Relevanz der Wirkung auf dGM und Thalamusvolumen, wien die Autoren in ihrem Fazit betonen.
Dr. med. Lydia Unger-Hunt Freie Journalistin
Quelle: Gaetano L et al.: Fingolimod effect on gray matter, thalamus, and white matter in patients with multiple sclerosis, Neurology 2018 doi: 10.1212/ WNL.0000000000005292.
Referenzen: 1. Kappos L, Radue EW, O’Connor P et al.: A placebo-controlled trial of oral fingolimod in relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2010;362: 387–401. 2. Calabresi PA, Radue EW, Goodin D et al.: Safety and efficacy of fingolimod in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis (FREEDOMS II): a double-blind, randomised, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Neurol 2014; 13: 545–556.
16 4/2018
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
&K U R Z B Ü N D I G
Aktuelle Studien – kurz gefasst
Medikamentöse Behandlung der multiple Sklerose: Was sagen die Guidelines?
Ziel der neuen ECTRIMS/EAN-Guidelines war die Entwicklung einer evidenzbasierten Leitlinie für die klinische Praxis bezüglich der pharmakologischen Behandlung von Patienten mit multipler Sklerose (MS). Nach drei Wochen konnten sich die Experten auf insgesamt 21 Empfehlungen einigen.
Basis der Leitlinie waren insgesamt zehn Fragen zu Effektivität der Therapie, Ansprechkriterien, Strategien bei suboptimalem Ansprechen, Sicherheitsfragen sowie Strategien bei MS in der Schwangerschaft. Aufgrund der zehn Fragen haben sich insgesamt 21 Empfehlungen ergeben: G Krankheitsmodifizierende Wirkstoffe (DMD)
sollten nur in Zentren mit entsprechender Infrastruktur (Überwachung, Evaluierung, Erkennung von Nebenwirkungen) verschrieben werden. G Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom (CIS) und abnormer Magnetresonanztomografie (MRT, Hinweis auf MS), die aber nicht die MS-Kriterien erfüllen, ist Interferon oder Glatirameracetat anzubieten.
G Zeigt sich unter diesen beiden Optionen (Interferon oder Glatirameracetat) eine Krankheitsprogression, ist dem Patienten ein effektiverer Wirkstoff anzubieten. Bei der Auswahl spielen Patientenmerkmale, Sicherheitsaspekte und Krankheitsschweregrad eine Rolle.
G Patienten mit aktiver schubförmig-remittierender MS (RRMS) (klinische Schübe und/ oder MRT-Aktivität) ist eine frühe Behandlung mit DMD anzubieten.
G Die Auswahl der Medikamente bei aktiver RRMS hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die mit dem Patienten zu besprechen sind (Patientenmerkmale, Krankheitsschweregrad, Arzneimittelsicherheit etc.)
G Für Patienten mit aktiver sekundärprogressiver MS sind als mögliche Optionen Interferon-1a oder -1b, Mitoxantron, Ocrelizumab oder Cladribin zu besprechen.
G Bei der Überwachung des Ansprechens auf DMD ist innerhalb von 6 Monaten ein Referenz-MRT durchzuführen und mit einem weiteren MRT nach 12 Monaten zu vergleichen. Die MRT-Scans müssen dabei von hoher Qualität sein, die Interpreten hochqualifiziert.
G Wird die Behandlung mit einem hocheffektiven Wirkstoff aufgrund von Ineffektivität oder Sicherheitsbedenken abgebrochen, ist die Einleitung eines weiteren hocheffektiven Wirkstoffs zu erwägen.
G In Bezug auf die langfristige Behandlung wird empfohlen, die Weiterführung eines DMD zu erwägen, falls der Patient klinisch und im MRT stabil ist und keine Sicherheitsoder Verträglichkeitsbedenken aufgetreten sind.
G Alle Patientinnen im gebärfähigen Alter sind darüber aufzuklären, dass DMD in der Schwangerschaft nicht zugelassen sind (mit Ausnahme von Glatirameracetat).
G Plant eine Patientin eine Schwangerschaft, und es liegt ein hohes Risiko für eine Reaktivierung der Krankheit vor, kann bis zur Bestätigung der Schwangerschaft der Einsatz von Interferon oder Glatirameracetat erwogen werden.
Dr. med. Lydia Unger-Hunt Freie Journalistin
Quelle: Montalban X et al.: ECTRIMS/EAN Guideline on the pharmacological treatment of people with multiple sclerosis. Mult Scler. 2018 Feb; 24(2): 96–120.
Multiple Sklerose: Wirkung von Fingolimod im «Real-World-Setting» bestätigt
Die Forscher untersuchten die Wirkung des Immunmodulators Fingolimod auf die Gehirnatrophie bei MS-Patienten mit aktiver Erkrankung (entweder klinisch und/oder im MRT bestätigt) im Vergleich zu Patienten ohne Nachweis einer aktiven Erkrankung («No Evidence of Active Disease», NEAD). Es zeigt sich, dass Fingolimod das Fortschreiten der Gehirnatrophie bei MS-Patienten verlangsamt.
Insgesamt waren 590 Patienten mit schubförmig-remittierender MS (RRMS) in die retrospektive Studie eingeschlossen. Eine aktive Erkrankung war definiert als mehr als ein Schub im Jahr vor Therapieeinleitung und/oder Nachweis von Gadolinium-(Gd-)angereicherten
Läsionen in der Baseline-Magnetresonanztomografie (MRT); 42 Prozent der Patienten waren NEAD. Alle Patienten erhielten Fingolimod und wurden für median 16 Monate nachbeobachtet. In beiden Gruppen wurden die jährliche prozentuelle Veränderung des Gehirnvolumens (PBVC) sowie die prozentuelle Veränderung der Seitenventrikelvolumen (PLVVC) analysiert. Nach 16 Monaten lag die PBVC bei Patienten mit aktiver Erkrankung bei –0,38 Prozent, bei NEAD-Patienten betrug die PBVC –0,25 Prozent; die PLLVC lag bei jeweils 1,76 beziehungsweise 0,28 Prozent. Veränderungen des 25-Fuss-Gehtests, des Scores der Expanded Disability Status Scale (EDSS) oder der Akkumulation von MRTLäsionen waren nicht zu beobachten. Allerdings
hatten die Patienten mit aktiver Erkrankung eine höhere Rezidivrate. Laut Autoren liefert die Studie «Real-Life»-Evidenz, dass die Rate der Gehirnatrophie bei MS-Patienten mit aktiver Krankheit und mit NEAD bei Behandlung mit Fingolimod unter den pathologischen Cut-offWerten für den Verlust des Gehirnvolumens und einer Vergrösserung der Seitenventrikel liegt (jeweils > –0,4% bzw. > 3,5%).
Dr. med. Lydia Unger-Hunt Freie Journalistin
Quelle: Zivadinov R et al.: Fingolimod's Impact on MRI Brain Volume Measures in Multiple Sclerosis: Results from MS-MRIUS. J Neuroimaging. 2018 Jul; 28(4): 399–405.
4/2018
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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