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FORTBILDUNG
Roboterassistierte Therapie in der Neurorehabilitation nach Schlaganfall
In der neurorehabilitativen Therapie werden in den letzten Jahren zunehmend elektromechanisch assistierende Geräte und Robotertechnologien eingesetzt. Hierzu haben ein tieferes Verständnis der neuronalen Reorganisations- und Lernprozesse, Fortschritte in der Entwicklung elektronischer Steuertechnik und elektromechanischer Robotik, aber auch die kontinuierliche Suche nach kosteneffektiven Strategien zur Rehabilitation funktioneller Defizite nach einer Verletzung des zentralen Nervensystems (ZNS) beigetragen.
Leopold Zizlsperger
von Leopold Zizlsperger1,2
B ei Patienten mit einer Bewegungsstörung nach einem Schlaganfall kann durch intensives funktionelles Training eine Verbesserung der Arm- und Gehfunktion erreicht werden. Klinische und translationale Forschung aus dem Tiermodell zeigt, dass erfolgreiche Neurorehabilitation früh beginnt (1), aufgabenorientiert ist (2), eine hohe Therapieintensität und Anzahl von Repetitionen (3) sowie eine Kombination aus Top-down- und Bottom-up-Ansätzen aufweist (4). Automatisierte motorische Rehabilitation strebt durch den Einsatz intelligenter Maschinen in der Neurorehabilitation der oberen und unteren Extremität an, möglichst alle dieser Kriterien zu erfüllen. In der Bewegungstherapie nach einem Schlaganfall korreliert die Intensität positiv mit dem Ausmass der motorischen Erholung (3). Um bei roboterassistierter Therapie diese hohe Effizienz ohne Rückgang von Motivation und aktiver Mitarbeit zu erreichen, ist neben einer stimulierenden Umgebung eine benutzerfreundliche und ansprechende Schnittstelle des robotischen Systems mit Patient und Therapeut wichtig. Manche Geräte bieten über ein grafisches Interface Interaktionsmöglichkeiten in einem Computerspiel, das auch Feedback zur Trainingsleistung geben und ein aufgabenorientiertes Training bieten kann. Die quantitative Evaluation der Trainingsleistung durch integrierte Sensoren kann unter anderem Bewegungsausmass, Bewegungskräfte und -geschwindigkeiten sensitiv und objektiv erfassen (5). Dadurch kann ein kurzweiliges «Assist-asNeeded»-Training erfolgen, welches sich kontinuierlich
1 Abteilung Vaskuläre Neurologie und Rehabilitation, Klinik für Neurologie, Universitätsspital Zürich, Schweiz. 2 cereneo Center for Neurology and Rehabilitation, Vitznau, Schweiz.
an die Therapiefortschritte anpasst und die aktive Teilnahme des Patienten fördert.
Technische Grundlagen Endeffektor-basierte Therapieroboter setzen distal an der Extremität an, der Kontakt besteht in der Regel zu Hand oder Fuss des Patienten. Durch die Initiierung der Bewegung werden auch die weiter proximal gelegenen Segmente der Extremität und des Rumpfs bewegt. Exoskelett-Geräte übertragen die direkte Kraft nicht nur auf ein Segment der Bewegungskette, sondern folgen Skelettanatomie und Bewegungsspielraum der beteiligten Gelenke und können über automatisierte Antriebselemente die Bewegung der betroffenen Extremität unabhängig kontrollieren. Ein Beispiel ist «ArmeoPower» (Hocoma, Schweiz; Abbildung 1). Roboterassistierte Therapie zur Verbesserung von Armund Handfunktion zeigt sich in den jüngeren umfassenden Reviews wirksam (6, 7). Beim roboterassistierten Gangtraining sind ebenfalls Endeffektor- und Exoskelett-Geräte im klinischen Einsatz. Bei Endeffektor-Geräten werden die Füsse auf Fussplatten fixiert, deren Bewegungsbahnen die Schwungund Standphase während des Gehens simulieren. Für die Mobilisierung schwer betroffener Schlaganfallpatienten in einer frühen Erholungsphase ist mittels robotischer Therapie bereits in der Akutversorgung eine Kombination aus Vertikalisierung und Gangtraining möglich. Robotisches Kipptischtraining mittels «Erigo» (Hocoma, Schweiz; Abbildung 2) verbessert einerseits die Stabilität des Herz-Kreislauf-Systems der akuten Schlaganfallpatienten insbesondere während der Vertikalisierung, zumal diese häufig an einer reduzierten kardiovaskulären Fitness leiden (8). Andererseits wird durch zyklische Beinbelastung in Form eines nachgebildeten physiologischen Schrittmusters und funktionelle elektrische Stimulation der Beinmuskeln bereits früh eine
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intensive sensomotorische Stimulation möglich. Durch die schrittweise Vertikalisierung und Gangunterstützung kann früh auch anderen Folgeschäden eines Mobilitätsverlusts vorgebeugt werden, wie Muskelatrophie, -kontrakturen, Thrombosen, oder Dekubitus. Das Endeffektor-Gerät «Allegro System Medical» (Dynamic Devices, Schweiz; Abbildung 3) trainiert die Beinpresse mit separater Ansteuerung beider Seiten. Aufwändiger ist die Ergänzung des Laufbandtrainings um eine robotische Assistenz: Konventionelles Laufbandtraining wird häufig um eine teilweise Entlastung des Körpergewichts ergänzt, damit in der Frühphase intensiveres und effektiveres aufgabenspezifisches Training möglich wird. Hochgradig paretische Patienten benötigen dabei trotz Gewichtsentlastung manuelle Unterstützung durch einen oder mehrere Therapeuten, was diese Therapieform personalintensiv und körperlich anstrengend macht. Eine roboterassistierte Automatisation des Trainings lässt nicht nur hochgradig repetitives und geführtes Üben des komplexen Gangmusters zu, sondern entlastet die Physiotherapeuten und erweitert ihren Gestaltungsspielraum. «Lokomat»: Individuell angepasste robotische Exoskelett-Gangtrainer wie «Lokomat» (Hocoma, Schweiz; Abbildung 4) geben auf dem Laufband mittels Orthesen, dynamischer Körpergewichtsentlastung und in neueren Versionen zusätzlich mit Versatz und Drehung des Beckens ein nahezu physiologisches Gangmuster vor. Im Gegensatz hierzu sind tragbare Exoskelette robotische Orthesen, die den Patienten nicht nur im aufrechten Stand stützen, sondern sich durch integrierte Aktuatoren mit ihm im Gangzyklus fortbewegen. In ersten Reviews zum erfolgreichen Einsatz dieser vergleichsweise neuen Therapiegeräte in der Rehabilitation zeigt sich Exoskelett-Gangtraining mindestens so effektiv wie konventionelle Gangtherapie für subakute Schlaganfallpatienten (9). Robotisches Exoskelett «Indego»: Als Beispiel ist in Abbildung 5 das zirka 12 kg schwere robotische Exoskelett «Indego» (Parker Hannifin, USA) dargestellt. Die elektromechanische Unterstützung des Stehens und Gehens ist in den Hüft- und Kniegelenken einzeln variierbar, die Trainingsfunktion stellt gerade so viel Hilfskraft zur Verfügung, wie der Patient zum Gehen braucht. Der Patient kann hierbei die Bewegung initiieren und Gangparameter wie Geschwindigkeit und Schrittlänge selbst steuern. Durch Feedback und schrittweise Reduktion der Assistenz kann das Training für den Patienten anspruchsvoll gehalten und der Trainingseffekt maximiert werden. Unabhängig von einem Einsatz als Rehabilitationsgerät könnten Exoskelette als Mobilitätsunterstützung zukünftig eine Alternative oder Ergänzung zum Rollstuhl darstellen.
Ausblick Neuere robotische Steuerungsstrategien assistieren nur noch dort im Bewegungsablauf, wo der Patient keine oder zu wenig eigene Aktivität aufbaut. Sie können zudem gezielt Perturbationen in den Trainingsablauf einbauen, das heisst, ein Störreiz wird zu einem definierten Zeitpunkt im Bewegungszyklus durch den Roboter eingestreut, oder spontane Fehler werden amplifiziert. Angepasst ans Trainingslevel lassen sich hierdurch Verbesserungen der Gangfunktion beschleunigen (10).
Abbildung 1: Exoskelett-System «Ar-
meoPower» (Hocoma, Schweiz) für die
Therapie des Arms.
Die Armbewegung wird über alle Freiheitsgrade von Schulter, Ellenbogen, Unterarm, Handgelenk und der Finger
Abbildung 2: Robotisches KipptischTrainingsgerät «Erigo» (Hocoma, Schweiz).
trainiert. Die tatsächlich mögliche Be- Es beschleunigt die sichere Vertikalisie-
wegung der paretischen Extremität wird rung und ermöglicht durch zyklische
sensorisch erfasst, dabei wird nicht
Beinbewegung und funktionelle elektri-
mehr Unterstützung als nötig gegeben.
sche Stimulation der Beinmuskeln eine frühe sensomotorische Stimulation
hochgradig paretischer Patienten.
Abbildung 3: Endeffektor-Gerät «Allegro
System Medical» (Dynamic Devices,
Schweiz) für roboterassistiertes Bein-
training.
Die robotische Beinpresse mit separater
Ansteuerung beider Seiten trainiert
durch simulierte Alltagsaktivitäten wie
Gehen, Treppensteigen oder Springen die Kraft und Koordination der Beine.
Abbildung 4: Der Exoskelett-Gangtrainer «Lokomat» (Hocoma, Schweiz).
Er unterstützt mittels Orthesen und Ak-
tuatoren den Gangzyklus in Hüft-, Knie-
und teilweise im Sprunggelenk. Eine
Passive Bewegungen hingegen induzieren nicht dieselben neuroplastischen Änderungen im Motorkortex, welche sich
dynamische Körpergewichtsentlastung und in neueren Versionen ein zusätzlicher Versatz und eine Drehung des Beckens ermöglichen ein nahezu phy-
beim aktiven Erlernen neuer Aufgaben siologisches Gangmuster.
beobachten lassen, auch wenn die Be-
wegungsmuster identisch sind (11).
Der Einsatz von Spieledesignprinzipien
wie virtuelle Fortschrittsbalken, Rangli-
sten oder Auszeichnungen fördert die In-
teraktion des Patienten mit der Trainingsmaschine und
stimuliert seine Motivation und aktive Teilnahme. Robo-
tisierte Virtual-Reality-(VR-)Therapie ermöglicht eine rea-
listischere Lernumgebung für die motorische Aufgabe,
welche neben haptischer Rückmeldung auch simulier-
tes visuelles, auditorisches oder Bewegungsfeedback
gibt (12).
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Abbildung 5: Robotisches Exoskelett «Indego» (Parker Hannifin, USA) zum mobilen Gangtraining. Der Patient bewegt sich mit dieser Kombination von Steuereinheit, Orthesen, Aktuatoren und Batterie im Gangzyklus fort. Er kann hierbei die Bewegung initiieren und Gangparameter wie Geschwindigkeit und Schrittlänge selbst steuern.
Eine Alternative zur aufgabenspezifischen Simulation in VR stellt die Konstruktion sehr leichter robotischer Systeme dar, die vom Patienten im häuslichen oder Arbeitsumfeld getragen werden können. Diese Systeme würden nicht nur assistive und therapeutische Anwendungen verschmelzen, sondern auch den Übergang von der stationären in die ambulante oder Telerehabilitation nahtloser gestalten (13). Vor allem bei Patienten mit schweren neurogenen Bewegungseinschränkungen kann die robotische Therapie um funktionelle elektrische Muskelstimulation ergänzt werden. Neurofeedback oder nicht invasive neuromodulatorische Verfahren wie transkranielle Gleichstromstimulation oder transkranielle Magnetstimulation werden eingesetzt, um parallel zu robotischer Therapie zentrale motorische Netzwerke zu beeinflussen. Vielversprechend ist auch die Kombination von Gehirn-Maschine-Schnittstellen mit Rehabilitationsrobotern, wobei der hochgradig gelähmte Patient zunächst die gestörten efferenten Bahnen zu den Muskeln umgehen und mit der Aktivität im sensomotorischen Kortex das Trainingsgerät steuern kann.
Merkpunkte:
G Roboterassistierte Bewegungstherapie ermöglicht eine frühe Unterstützung der neuronalen Reorganisationsprozesse nach einem Schlaganfall durch hohe Trainingsintensität, aufgabenorientiertes Training, Interaktion, aktive Teilnahme, Motivation und Belohnung.
G Durch integrierte Sensoren lässt sich die Trainingsleistung quantitativ und objektiv erfassen, was «Assist-as-Needed»-Strategien, Feedback an den Patienten und wissenschaftliche Analysen erlaubt.
Häufig wird in Hinsicht auf den Zeitverlauf der Regene-
ration des ZNS vereinfacht angenommen, intensive Be-
wegungstherapie sei in einem Neuroplastizitätsfenster
der ersten 3 Monate nach einem Schlaganfall am wirk-
samsten. Im Tiermodell mündete jedoch Bewegungs-
training innerhalb der ersten 5 Tage nach der zerebralen
Ischämie zum Teil in einer grösseren Läsion und erhöh-
ten Spastizität (4).
Weiterhin wird aber der Bewegungstherapeut die zen-
trale Position in der roboterassistierten Therapie inne-
haben. Der Roboter kann die Funktion eines Werkzeugs
einnehmen, welches den Therapeuten von mono-
tonen und anstrengenden Tätigkeiten befreit und somit
Ressourcen für die Interaktion mit dem Patienten frei-
gibt. G
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Leopold Zizlsperger
cereneo Schweiz AG
Seestrasse 18
6354 Vitznau
Schweiz
Tel.: +41 41 399 67 16
E-Mail: leopold.zizlsperger@cereneo.ch
Disclosure:
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur:
1. Lynch, Hillier & Cadilhac: When should physical rehabilitation commence after stroke: a systematic review. International Journal of Stroke 2014; 9, 468–478.
2. Lo et al.: Robot-Assisted Therapy for Long-Term Upper-Limb Impairment after Stroke. The New England Journal of Medicine 2010; 362, 1772–1783.
3. Lohse, Lang & Boyd: Is More Better? Using Metadata to Explore Dose–Response Relationships in Stroke Rehabilitation. Stroke 2014; 45, 2053–2058.
4. Krakauer, Carmichael, Corbett & Wittenberg: Getting Neurorehabilitation Right. Neurorehabilitation and Neural Repair 2012; 26, 923– 931.
5. Maggioni et al.: Robot-aided assessment of lower extremity functions: a review. Journal of NeuroEngineering and Rehabilitation 2016; 13, 72.
6. Mehrholz, Pohl, Platz, Kugler & Elsner: Electromechanical and robotassisted arm training for improving activities of daily living, arm function, and arm muscle strength after stroke. The Cochrane Library (2015). doi:10.1002/14651858.cd006876.pub4
7. Veerbeek, Langbroek-Amersfoort, EEHV, W., CGM, M. & Kwakkel: Effects of Robot-Assisted Therapy for the Upper Limb After Stroke. Neurorehabilitation and Neural Repair 2017; 31, 107–121.
8. Lefeber, Swinnen & Kerckhofs: The immediate effects of robot-assistance on energy consumption and cardiorespiratory load during walking compared to walking without robot-assistance: a systematic review. Disability and Rehabilitation: Assistive Technology 2016; 12, 1–15.
9. Louie & Eng: Powered robotic exoskeletons in post-stroke rehabilitation of gait: a scoping review. Journal of NeuroEngineering and Rehabilitation 2016; 13, 53.
10. Marchal-Crespo, Michels, Jaeger, López-Olóriz & Riener: Effect of Error Augmentation on Brain Activation and Motor Learning of a Complex Locomotor Task. Frontiers in Neuroscience 2017; 11, 526.
11. Turner, Ramos-Murguialday, Birbaumer, Hoffmann & Luft: Neurophysiology of Robot-Mediated Training and Therapy: A Perspective for Future Use in Clinical Populations. Frontiers in Neurology 2013; 4, 184.
12. Darekar, McFadyen, Lamontagne & Fung: Efficacy of virtual realitybased intervention on balance and mobility disorders post-stroke: a scoping review. Journal of NeuroEngineering and Rehabilitation 2015; 12, 1–14.
13. Reinkensmeyer & Boninger: Technologies and combination therapies for enhancing movement training for people with a disability. Journal of NeuroEngineering and Rehabilitation 2012; 9, 1–10.
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