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Neues aus der Schlaganfallforschung
FORTBILDUNG
Die aktuelle Grundlagenforschung und klinische Studien beim Schlaganfall eröffnen neue Perspektiven für das Verständnis der Mechanismen, die bei einer der häufigsten und schwerwiegendsten neurologischen Erkrankungen des Menschen wirksam sind. Daraus resultierende neue Therapien und die Verbesserung bestehender Ansätze können dazu beitragen, dass sich Patienten mit Schlaganfall besser erholen.
Susanne Wegener
von Susanne Wegener
A uf dem Gebiet des Schlaganfalles wird sehr aktiv geforscht. Auf der Website https://clinicaltrials.gov sind zurzeit (Stand 16.12.2017) 3898 klinische Studien zum Thema Schlaganfall registriert. 1170 Studien rekrutieren derzeit aktiv Patienten. Der Grossteil dieser klinischen Studien hat zum Ziel, die Behandlung des Schlaganfalles zu verbessern, sei es durch die Entwicklung neuer Therapiestrategien oder durch einen gezielteren Einsatz von Behandlungen mit bestem individuellen Nutzen und geringstem Risiko. Neben den klinischen Studien ist der Schlaganfall aber auch ein spannendes Thema in der Grundlagenforschung. Diese ermöglicht, die beim Schlaganfall entstehende Restriktion von Nährstoffen und Sauerstoff im Gehirn in der Zellkulturschale nachzuahmen und einen Schlaganfall auch experimentell in vivo zu induzieren (1). So kann der Einfluss unterschiedlicher Faktoren auf den Therapieerfolg oder die Erholung untersucht werden. Eine Vielzahl von Studien untersucht auch die Wirksamkeit von Substanzen, die neuroprotektive Eigenschaften haben und beispielsweise bei einem Schlaganfall den Untergang von Neuronen vermindern sollen (2). Ein Kandidat ist das Peptid Tat-NR2B9c (3). Dieses Peptid greift spezifisch in die Entstehung des exzitotoxischen (glutamatinduzierten) Nervenzellschadens ein. Im Primatenmodell zeigte sich nach früher und später intravenöser Gabe der Substanz ein eindeutiger schützender Effekt auf Schlaganfallgrösse und neurologische Defizite. Eine klinische Phase-II-Studie mit der Substanz (FRONTIER; Registrierungsnummer NCT02315443) rekrutiert derzeit Patienten. Ein anderer interessanter Behandlungsansatz stammt aus dem Gebiet der Neuroimmunologie. Natalizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen das Leukozyten-Adhäsionsmolekül Alpha-Integrin, der bereits zur Behand-
lung der Multiplen Sklerose erfolgreich klinisch angewendet wird. Entzündliche Vorgänge an der BlutHirn-Schranke, die auch beim Schlaganfall zu einer Verstärkung des Gewebeschadens führen, werden durch Natalizumab abgeschwächt. Nach Erfolg versprechenden experimentellen Studien wurden kürzlich die Ergebnisse des ACTION-Trials veröffentlicht (4). In dieser Phase-II-doppelblinden Studie in Europa und den USA erhielten Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall entweder eine Infusion mit Natalizumab oder Plazebo bis 9 Stunden nach Symptombeginn – Lysetherapie oder Thrombektomie war vor Therapiebeginn erlaubt. Wenngleich in ACTION keine signifikante Verkleinerung des Infarktvolumens an Tag 5 und des klinisch-neurologischen Scores der NIHSS (National Institute of Health Stroke Scale) durch Natalizumab beobachtet wurden, gab es Hinweise auf einen dosisabhängigen positiven Effekt auf den Grad der Behinderung nach 90 Tagen, insbesondere bei Patienten mit kleineren Schlaganfällen bei insgesamt gutem Sicherheitsprofil. Künftige Phase-III-Studien werden Aufschluss geben, ob sich ein Nutzen in der Schlaganfallbehandlung beweisen lässt.
Schlaganfallhäufigkeit der Geschlechter Vom Schlaganfall sind Männer und Frauen nicht gleichermassen betroffen. Die Forschung hat in den letzten Jahren gezeigt, dass Frauen in höherem Alter als Männer Schlaganfälle erleiden und schwerer betroffen sind (5). Die Ursachen sind vielfältig: Ein wichtiger Faktor sind die weiblichen Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron, die sich bei Frauen vor der Menopause im Vergleich zu Männern schützend auswirken, wenn es zu einem Schlaganfall kommt. Nach der Menopause, wenn die Inzidenz eines Schlaganfalls steigt, entfällt dieser Schutz. Es wurden auch andere Mechanismen diskutiert (u.a. geschlechts-
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spezifische Faktoren in der Gerinnungskaskade), die bewirken könnten, dass sich ein Schlaganfall bei Frauen stärker auswirkt und die Erholung beeinträchtigt ist. Ein interessanter Aspekt ist, dass Frauen, obwohl sie sehr gut (zum Teil besser als Männer) über die Symptome des Schlaganfalles und deren Bedeutung informiert sind, im Fall eines solchen Ereignisses später in der Klinik ankommen (6). Zudem finden sich geschlechtsspezifische Faktoren bei der Erkennung und der Behandlung und Sekundärprophylaxe eines Schlaganfalles, die für Frauen eher nachteilig sind. Für die künftige Forschung ist es deshalb entscheidend, dass Frauen bei klinischen Studien zu gleichen Teilen wie Männer berücksichtigt werden, was in der Vergangenheit oft nicht der Fall war (7).
Entwicklungen auf dem Gebiet der Thrombektomie Neben der Entwicklung neuroprotektiver Substanzen gab es im vergangenen Jahr auch wichtige neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Thrombektomie. Die Überlegenheit der mechanischen Thrombektomie gegenüber alleiniger intravenöser Therapie bei proximalen Gefässverschlüssen (ICA, MCA, ICA: Art. carotis interna; MCA: Art. cerebri media) konnte bereits 2015 in mehreren klinischen Studien belegt werden (8). In den meisten klinischen Zentren wird derzeit ein Zeitfenster von zirka 6 bis 8 Stunden nach Beginn der Schlaganfallsymptomatik eingehalten, denn wie bei der intravenösen Lysetherapie nimmt die Effektivität des Verfahrens mit der Zeit ab (9). Im kürzlich veröffentlichen DAWN-Trial wurde nun zusätzlich demonstriert, dass man dieses Zeitfenster in selektierten Patientenpopulationen bis auf mindestens 24 Stunden ausdehnen kann (10). Voraus-
Merkpunkte:
G Neben klinischen Studien zum Schlaganfall wird intensiv auch Grundlagenforschung betrieben.
G Von Interesse sind neuroprotektive Substanzen wie das Peptid Tat-NR2B9c oder der monoklonale Antikörper Natalizumab.
G Frauen in höherem Alter erleiden mehr und schwerer verlaufende Schlaganfälle als Männer. Für die künftige Forschung ist es deshalb entscheidend, dass Frauen bei klinischen Studien zu gleichen Teilen wie Männer berücksichtigt werden.
G Neben der Entwicklung neuroprotektiver Substanzen gab es im vergangenen Jahr auch wichtige neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Thrombektomie: Das Zeitfenster kann auf bis zu 24 Stunden ausgedehnt werden.
setzung war ein vorhandenes klinisch-radiologisches «Mismatch», das heisst, dass trotz eines mässigen bis ausgeprägten neurologischen Defizites ein kleiner Infarktkern in der Bildgebung (CT oder MRI) dargestellt werden konnte. Um das erhöhte Risiko von Komplikationen im hohen Alter zu berücksichtigen, wurde dieses Kriterium altersadjustiert und für Patienten über 80 Jahre angepasst. Es zeigten sich trotz der Adjustierung erstaunlich wenig Komplikationen nach Thrombektomie bei Patienten, die erst spät nach Symptombeginn behandelt wurden. Die Ergebnisse werden die Triage und Behandlung von Schlaganfallpatienten mit derartigen grossen Gefässverschlüssen in den nächsten Jahren sehr wahrscheinlich noch verändern.
Fazit
In der Schlaganfallprävention hat sich in den letzten
Jahren viel bewegt. Die Grundlagenforschung und kli-
nische Studien sind hierbei komplementär. Die trans-
lationale Erforschung von Mechanismen des Schlag-
anfalles hat zum besseren Verständnis der Erkrankung
beigetragen. Neue Therapien und die Verbesserung be-
stehender Ansätze können weiter dazu beitragen, dass
sich Patienten mit Schlaganfall besser erholen.
G
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Susanne Wegener
Oberärztin
Klinik für Neurologie
Universitätsspital Zürich
Frauenklinikstrasse 26
8091 Zürich
E-Mail: Susanne.Wegener@usz.ch
Literatur:
1. Macrae IM: Preclinical stroke research – advantages and disadvantages of the most common rodent models of focal ischaemia. Br J Pharmacol. 2011 Oct; 164(4): 1062–1078.
2. Neuhaus AA, Couch Y, Hadley G, Buchan AM: Neuroprotection in stroke: the importance of collaboration and reproducibility. Brain. 2017 Aug 1; 140(8): 2079–2092.
3. Cook DJ, Teves L, Tymianski M: Treatment of stroke with a PSD-95 inhibitor in the gyrencephalic primate brain. Nature. 2012 Feb 29; 483(7388): 213–217.
4. Elkins J, Veltkamp R, Montaner J et al.: Safety and efficacy of natalizumab in patients with acute ischaemic stroke (ACTION): a randomised, placebo-controlled, double-blind phase 2 trial. Lancet Neurol. 2017 Mar; 16(3): 217–226.
5. Cordonnier C, Sprigg N, Sandset EC et al.: Stroke in women – from evidence to inequalities. Nat Rev Neurol. 2017 Sep; 13(9): 521–532.
6. Stroebele N, Muller-Riemenschneider F, Nolte CH, Muller-Nordhorn J, Bockelbrink A, Willich SN: Knowledge of risk factors, and warning signs of stroke: a systematic review from a gender perspective. Int J Stroke. 2011 Feb; 6(1): 60–66.
7. Burke JF, Brown DL, Lisabeth LD, Sanchez BN, Morgenstern LB: Enrollment of women and minorities in NINDS trials. Neurology. 2011 Jan 25; 76(4): 354–360.
8. Goyal M, Menon BK, van Zwam WH et al.: Endovascular thrombectomy after large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials. Lancet. 2016 Apr 23; 387(10029): 1723–1731.
9. Saver JL, Goyal M, van der Lugt A et al.: Time to Treatment With Endovascular Thrombectomy and Outcomes From Ischemic Stroke: A Meta-analysis. JAMA. 2016 Sep 27; 316(12): 1279–1288.
10. Jovin TG, Saver JL, Ribo M, et al.: Diffusion-weighted imaging or computerized tomography perfusion assessment with clinical mismatch in the triage of wake up and late presenting strokes undergoing neurointervention with Trevo (DAWN) trial methods. International Journal of Stroke. 2017 Aug; 12(6): 641–652.
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