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FORTBILDUNG
Gemeinsam für die Patienten mehr erreichen
Elke Steudter Doris Mösinger
Unter dem Leitsatz «Time is Brain» muss die Versorgung von Menschen mit akutem Hirnschlag optimal organisiert sein. Dies gilt in besonderer Weise für die interprofessionelle Zusammenarbeit der beteiligten Health Professionals in der Akut- und Postakutphase. Denn die gelungene Integration von Fachexpertise, klinischen Fähigkeiten und gemeinsamen Zielen ist eine wichtige Voraussetzung für die gute Versorgungsqualität. Der folgende Beitrag beschreibt, welche Merkmale eine gelebte interprofessionelle Zusammenarbeit kennzeichnen und was diese bewirken kann.
von Elke Steudter und Doris Mösinger*
V erschiedene Themen erhalten in der aktuellen Debatte rund um das Gesundheitswesen grosse Aufmerksamkeit. Ein relevanter Begriff ist dabei die Interprofessionalität beziehungsweise die kooperative Zusammenarbeit der Health Professionals. Denn veränderte Bedingungen im Gesundheitswesen führen zunehmend zu der Einsicht, dass eine Berufsgruppe allein die zukünftigen Herausforderungen nicht meistern kann. Zu diesen zählen die demografische Prognose mit einer Zunahme von älteren, chronisch erkrankten Menschen und die geringen Ressourcen hinsichtlich qualifizierten Fachpersonals (1). Deshalb gilt die interprofessionelle Zusammenarbeit als wichtiges – jedoch noch vielfach unverstandenes – Schlüsselkonzept für eine effektive Patientenversorgung (2, 3). Mit der Charta zur Zusammenarbeit der Fachleute im Gesundheitswesen hat die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ein wichtiges Grundlagenpapier zu diesem Thema vorgelegt (4). Dennoch existiert eine Vielzahl verschiedener Begriffe, die häufig synonym oder uneinheitlich verwendet werden, beispielsweise interdisziplinär, multiprofessionell, interprofessionell. Es zeigt sich darüber hinaus, dass die Akteure des Gesundheitswesens, zum Beispiel Ärzte und Pflegefachpersonen, die Begriffe nicht gleich verwenden. Eine gemeinsame Terminologie unterstützt jedoch das gegenseitige konzeptionelle Verständnis als ersten wichtigen Schritt eines Miteinanders (5).
Interprofessionalität: gemeinsam erarbeiten und leben Die Behandlung von Patienten mit akutem Hirnschlag wird in der Regel durch Ärzte, Pflegefachpersonen und Therapeuten gemeinsam übernommen. Dieser Teamapproach trägt der Komplexität und Mehrdimensionalität des Settings Rechnung (6), stellt aber die beteiligten Professionen nicht selten vor grosse Herausforderungen. Diese zeigen sich beispielsweise in der Tatsache, dass das Zusammenbringen verschiedener Fachpersonen nicht automatisch ein gutes Kooperieren garantiert (7). Mögen die Anforderungen an die interprofes-
* Pflegeexpertin, Cereneo, Klinik für Neurorehabilitation, Vitznau
sionelle Zusammenarbeit im klinischen Normalbetrieb, zum Beispiel auf einer neurologischen Bettenstation oder in der neurologischen Facharztpraxis, bereits hoch sein, werden diese im dynamischen Umfeld der Akutversorgung von Hirnschlagpatienten in einer Stroke Unit noch höher: Vielfach müssen innerhalb kurzer Zeit klinische Entscheidungen getroffen und gemeinsam vom Team getragen werden. Daher ist der interprofessionelle Ansatz integraler Bestandteil des Behandlungskonzeptes und charakterisiert die Teamarbeit auf diesen spezialisierten Fachabteilungen (8, 9). Damit der Grundsatz der Interprofessionalität im klinischen Alltag jedoch Wirkung zeigen und sich vor allem für die Patienten positiv auswirken kann, muss die Qualität der Zusammenarbeit ausreichend hoch sein (6, 10).
Bedingungen der interprofessionellen Zusammenarbeit Seit geraumer Zeit bestehen internationale Richtlinien der interprofessionellen Zusammenarbeit (11), die darlegen, in welcher Art und Weise sich diese von der üblichen Zusammenarbeit unterscheidet. Es zeigt sich, dass der Unterschied vor allem im individuellen Engagement jedes einzelnen Teammitglieds für den Erfolg der Gruppe liegt, das unter anderem echte Interprofessionalität entstehen lässt (12). Damit sich Interprofessionalität konsequent im klinischen Alltag durchsetzen kann, müssen folgende Punkte erfüllt sein: a) eine entwickelte Stationskultur und Arbeitsatmo-
sphäre, die von gegenseitigem Respekt, Wertschätzung, Akzeptanz und Vertrauen geprägt ist; b) eine Wertehaltung, auf die sich die Teammitglieder gemeinsam verständigt haben; c) Kommunikationsstrukturen, die nicht hierarchisch angelegt sind und welche die kommunikativen Kompetenzen fördern; d) ausreichend Raum, damit die Teammitglieder ihre Aufgaben und Rollen entsprechend ihrer Fachexpertise wahrnehmen und gestalten können; e) ausreichende Möglichkeiten des selbstständigen Handelns innerhalb der übertragenen Kompetenzen (13, 14). In einer vom Schweizer Netzwerk Stroke Pflege durchgeführten, nicht repräsentativen Umfrage bei 21 Health Professionals (14 Pflegefachpersonen, 6 Mitglieder des therapeutischen, 1 Mitglied des ärztlichen Dienstes) an
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verschiedenen Schweizer Stroke Units/Stroke-Zentren gaben die Befragten neben den oben genannten Punkten an, dass die Abläufe und die Organisationsstrukturen klar definiert und von allen Teammitgliedern berücksichtigt werden müssen. Eine offene, respektvolle und positive Haltung im Hinblick auf die Zusammenarbeit und die Fähigkeiten aller Teammitglieder wurde ebenfalls als wichtig erachtet. Dies bedingt transparente Arbeitsschritte sowie ein Dokumentationssystem, das von allen Beteiligten jederzeit eingesehen werden kann (15). Eine so organisierte interprofessionelle Zusammenarbeit kann sich sowohl auf die Patienten als auch auf das Team positiv auswirken (vgl. Kasten 1). Health Professionals einer spezialisierten Fachabteilung für Hirnschlagbetroffene erleben die Zusammenarbeit dann als positiv und bereichernd, wenn das Fachwissen und die individuellen Skills aller involvierten Fachpersonen im Prozess der klinischen Entscheidungsfindung genutzt werden. Vor diesem Hintergrund stärken gemeinsam verfasste patientenzentrierte Ziele die Zusammenarbeit zusätzlich. Eine aktuelle amerikanische Arbeit konnte vier weitere Faktoren isolieren: a) gemeinsame Visiten beziehungsweise Austausch
am Patientenbett, sogenanntes Rounding; b) definierte Rollen der Berufsgruppen; c) gegenseitiger Respekt; d) offene Kommunikation als Basis der Zusammenar-
beit (16) (Kasten 2).
Interprofessionelle Zusammenarbeit systematisch fördern Obwohl die positive Wirkung einer gelungenen Interprofessionalität vielfach beschrieben wurde, zeigen sich im klinischen Miteinander Diskrepanzen. Pflegefachpersonen erleben beispielsweise ihre Tätigkeit als nicht zufriedenstellend beziehungsweise belastend, wenn sie bedingt durch die hohe Arbeitslast und unzureichenden Ressourcen die bestmögliche Pflege nicht konstant anbieten beziehungsweise durchführen können (17). Aber auch wenn Pflegefachpersonen die interprofessionelle Zusammenarbeit im klinischen Alltag als unzureichend erleben, nehmen sie dennoch eine prinzipiell positive Haltung dazu ein. Ärzte hingegen beurteilen das alltägliche Miteinander meist als problemlos und gut (18). Damit die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen auf einer Stroke Unit weiter verbessert werden kann, sollten die verschiedenen klinischen Rollen der Pflegefachpersonen besser als bisher genutzt werden. Denn diese haben eine bedeutende Schnittstellenfunktion, vor allem im Hinblick auf die Koordination und Organisation (19). Prinzipiell gelingt es erfahrenen Fachpersonen dabei besser, ihre Rollen und Aufgaben im Team einzubringen und umzusetzen (17). Dabei sollen sich die Teammitglieder besser als bisher gegenseitig unterstützen und wertschätzen. Durch die enge Verknüpfung zwischen Arbeitszufriedenheit, gelungener Teamarbeit und positiven Patientenoutcomes sind alle am Prozess Beteiligten gefordert, die interprofessionelle Zusammenarbeit systematisch zu fördern und auszubauen. Dies gilt auch für die Führungsverantwortlichen (18). Durch den aktuellen Aufund Ausbau der spezialisierten Fachabteilungen für Hirnschlagbetroffene haben die neurologisch orientier-
Gemeinsames Verständnis
Patientenoutcome wird positiv beein usst
Bene t für das Team
Interprofessionelle
Zielsetzung
Faktoren
der inter-
professionellen
Zusammen-
arbeit
Stroke Unit
Interprofessionelles Fachwissen
Interprofessionelle Richtlinien und Struktur
Gemeinsame Haltung
Kasten 1: Wirkung interprofessioneller Zusammenarbeit auf Stroke Units/Centers (15)
Austausch
de nierte Rollen der Berufsgruppen
gegenseitiger Respekt
o ene Kommunikation
Kasten 2: Konzeptuelles Modell der interprofessionellen Zusammenarbeit (16)
ten Health Professionals eine gute Chance, als echtes Team weiter zusammenzuwachsen und so eine Rolle als Vorreiter für andere Disziplinen einzunehmen. G
Korrespondenzadresse: Dr. phil. Elke Steudter
Pflegewissenschaftlerin Kalaidos Fachhochschule Departement Gesundheit
Pestalozzistrasse 5 8032 Zürich
E-Mail: elke.steudter@kalaidos-fh.ch
Merkpunkte:
G Das komplexe und mehrdimensionale Setting einer Stroke Unit stellt besondere Anforderungen an den Teamapproach.
G Interprofessionalität entsteht dann, wenn jedes einzelne Teammitglied sich für den Erfolg der Gruppe engagiert.
G Damit die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen auf einer Stroke Unit weiter verbessert werden kann, sollten die verschiedenen klinischen Rollen der Pflegefachpersonen besser als bisher genutzt werden, denn diese nehmen eine bedeutende Schnittstellenfunktion ein.
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Literatur:
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11. Frenk J, Chen L, Bhutta ZA, Cohen J, Crisp N, Evans T, Fineberg H, Garcia P, Ke Y, Kelly P, Kistnasamy B, Meleis A, Naylor D, Pablos-Mendez A, Reddy S, Scrimshaw S, Sepulveda J, Serwadda D, Zurayk H: Health professionals for a new century: transforming education to strengthen health systems in an interdependent world. Lancet. 2010; 376: 1923–1958.
12. Green BN, Johnson CD: Interprofessional collaboration in research, education, and clinical practice: working together for a better future. J Chiropr Educ, 2015; 19: 1–10.
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