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Ein kleines Einmaleins der Rechte von trans*Menschen
FORTBILDUNG
Für trans*Menschen stellen sich diverse Rechtsfragen. Im Beitrag werden einige dieser Fragen aufgegriffen, insbesondere auch solche von Relevanz für Gesundheitsfachpersonen, die trans*Menschen begleiten.
von Alecs Recher
Was müssen Gesundheitsfachpersonen besonders beachten, wenn sie trans*Menschen begleiten?
I In der Behandlung und der mediko-legalen Beurteilung von trans*Menschen ist nach dem jeweils aktuellen Stand des Wissens zu handeln (1). Definiert wird dieser Stand des Wissens in erster Linie in den von der World Professional Association for Transgender Health herausgegebenen Standards of Care (2); 2014 konkretisierten Fachpersonen diese weltweiten Versorgungsempfehlungen für die Schweizer Gegebenheiten (3). Über diese Versorgungsempfehlungen hinaus sind insbesondere auch jüngere Forschungserkenntnisse beizuziehen. Diagnostik und geschlechtsangleichende medizinische Massnahmen greifen stets in die Integrität der entsprechenden Person ein; Eingriffe, die gerechtfertigt werden müssen. Als Rechtfertigung im Vordergrund steht die vorgängige, freie und informierte Einwilligung der urteilsfähigen trans*Person (4). Diese Einwilligung wiederum setzt, wie bei anderen Eingriffen auch, eine individuelle Aufklärung voraus, deren Inhalte von der jeweiligen Person verstanden wurden (5). Spezifisch relevant hinsichtlich der Aufklärung vor geschlechtsangleichenden Massnahmen ist die Information über verschiedene Möglichkeiten und Techniken geschlechtsangleichender Massnahmen sowie über zu erwartende Ergebnisse – auch nicht zufriedenstellende – und mögliche Komplikationen. Zudem hat die Fachperson transparent hinsichtlich der eigenen Erfahrung und Kompetenz zu kommunizieren. Bei relativ geringer Erfahrung ist von der Fachperson selbst die Option zu thematisieren, die Behandlung bei fachlich überlegeneren Kolleg_innen im In- oder Ausland durchführen zu lassen. Zu informieren ist zudem über die Möglichkeit der
Leistungsverweigerung durch die Krankenversicherung. Die Information, dass eine Person trans* ist oder dass sie geschlechtsangleichende Massnahmen vornehmen liess, fällt unter das Berufsgeheimnis (Art. 321 StGB), das Datenschutzrecht und das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK, Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 BV). Entsprechend haben trans*Menschen einen Anspruch darauf, dass diese sensiblen Informationen von Gesundheitsfachpersonen, aber auch beispielsweise der Administration eines Spitals, nicht unbefugt weitergereicht werden.
Übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für geschlechtsangleichende Massnahmen? Grundsätzlich: Ja. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt dem Bedarf an geschlechtsangleichenden medizinischen Massnahmen Krankheitswert zu (6). Die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung besteht demnach für alle wirksamen, zweckmässigen und wirtschaftlichen Massnahmen (Art. 32 KVG) zur Veränderung der primären und der sekundären Geschlechtsmerkmale, vorausgesetzt, eine Diagnose «Gender-Dysphorie» oder «Transsexualismus» liegt vor (7). Die Kriterien der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit konkretisierte das Bundesgericht in den Achtzigerjahren für geschlechtsangleichende Operationen (8). Heute steht diese Rechtsprechung jedoch in derart eklatantem Widerspruch zum medizinischen Wissen und zu den Versorgungsempfehlungen, dass sie keine Geltung mehr beanspruchen kann (9). Zu verneinen ist die Leistungspflicht für Haarentfernungen, die nicht von zugelassenen Leistungserbringer_innen wie Kosmetiker_innen vorgenommen werden (10). Möglich ist hingegen, so das Sozialversicherungsgericht des Kantons Waadt in einem Urteil von 2015, die
Alecs Recher
Kostenübernahme für Genitalangleichungen, die von besonders erfahrenen Chirurg_innen im Ausland durchgeführt werden. Denn an Schweizer Spitälern werden diese Eingriffe in derart kleiner Zahl vorgenommen, dass das Gericht die damit verbundenen Risiken als medizinisch unzumutbar einstufte (11). Von der IV übernommen werden können die Kosten für Perücken bei trans*Frauen (12).
Sind trans*Menschen in der Schweiz gegen Diskriminierung geschützt? Jein. Art. 8 Abs. 2 der Bundesverfassung schützt gegen Diskriminierung unter anderem aufgrund des «Geschlechts», worunter auch Diskriminierungen von trans*Menschen subsumiert werden (13). Jedoch schützt die Bundesverfassung nur gegen Diskriminierung vonseiten des Staates, was auch staatliche Spitäler mit einschliesst, und von Privaten, die staatliche Aufgaben erfüllen, wie zum Beispiel die obligatorischen Krankenpflegeversicherungen. Gegen Diskriminierungen durch Private sind trans*Menschen in der Schweiz nur partiell geschützt, namentlich im Erwerbsleben durch das Gleichstellungsgesetz.
Können trans*Menschen ihren Namen und den Geschlechtseintrag anpassen? Ja. trans*Menschen, die in der Schweiz ihren offiziellen Wohnsitz haben, können unabhängig von ihrem Alter den amtlichen Namen und das amtliche Geschlecht ändern lassen. Bis vor Kurzem setzten viele Gerichte dafür noch einen Nachweis der Fortpflanzungsunfähigkeit voraus (14). Doch seit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im April 2017 (15) jeglichen Zwang zu medizinischen
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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Angleichungsmassnahmen als Menschenrechtsverletzung verurteilte, hat sich auch die Schweizer Rechtspraxis verändert: Heute bedarf es für die Änderung(en) eines Gesuchs der trans*Person und einer Bestätigung von psychologischer oder psychiatrischer Seite. Menschen, deren Geschlechtsidentität weder (ausschliesslich) männlich noch (ausschliesslich) weiblich ist, können in der Schweiz – anders als beispielsweise in Australien, Indien, Kanada, Malta oder Nepal – bisher keinen passenden offiziellen Geschlechtseintrag erlangen. Jedoch besteht viel Spielraum bei der Wahl von neuen Vornamen: Das Schweizer Recht verlangt keine geschlechtseindeutigen Namen; möglich ist auch eine Kombination von weiblichen, männlichen oder neutralen Namen.
Können trans*Menschen in der Schweiz Asyl erhalten? Grundsätzlich: Ja. trans*Menschen, die glaubhaft machen können, dass sie aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen Geschlechtsidentität oder ihres Geschlechtsausdruckes bedroht werden, sollten als Flüchtlinge anerkannt werden (16). Wiederkehrend – das zeigt die Praxis – kommt es jedoch vor, dass die Schweizer Behörden in rechtlich fragwürdiger Weise ihren Ermessensspielraum zuungunsten der Asylsuchenden nutzen. Auch während des Verfahrens ist der tatsächliche Schutz der Menschenrechte asylsuchender trans*Menschen nicht immer gewahrt. Insbesondere die Unterbringung in Kollektivunterkünften wird ihrem Schutzanspruch meist nicht gerecht (17).
Was müssen Schulen beachten, wenn ihnen ein trans*Kind anvertraut ist? Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung, so Art. 11 Abs. 1 der Bundesverfassung; die UNO-Kinderrechtskonvention verankert das Recht aller Kinder, dass bei allen sie betreffenden Massnahmen das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist (Art. 3 Abs. 1 UNO-KRK) und sie vor schädlichen Einflüssen zu schützen sind. Diese Grundsätze gelten auch für den Umgang mit trans*Schüler_innen. Das heisst, dass Schulen
ein trans*Kind vor Gefährdungen, beispielsweise durch Mobbing, schützen müssen und trans*Kinder nicht aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden dürfen (18). Schulen, die trans*Kindern verbieten, in der Schule entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu leben, gefährden das Kindeswohl und verletzen dadurch die Grundrechte des Kindes. trans*Kinder haben folglich das Recht, beispielsweise mit ihrem gewünschten Namen angesprochen zu werden, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechenden Toiletten zu benutzen oder bei Gruppeneinteilungen nach Geschlecht entsprechend ihrer Identität eingeteilt zu werden. Auch (Abschluss-)Zeugnisse sind den trans*Schüler_innen, Studierenden oder Lernenden auf ihren gewählten Namen und auf das entsprechende Geschlecht auszustellen, unabhängig von amtlichen Änderungen. Denn andernfalls legt die Ausbildungsinstitution das trans*Sein gegenüber allen offen, die das Zeugnis zu sehen bekommen. Dies verletzt das Recht auf Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK, Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 BV) respektive den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz (Art. 28 ff. ZGB). Des Weiteren steht dem trans*Kind das Recht auf alters- und entwicklungsadäquaten Einbezug in allen Fragen, die es betreffen (Art. 12 UNO-KRK), zu. Suchen also beispielsweise Eltern, Lehrerschaft und Schulleitung gemeinsam nach Lösungen für den Schulalltag, so ist das Kind einzubeziehen und ihm ein Mitbestimmungsrecht entsprechend seinem Alter und Entwicklungsstand einzuräumen. G
Korrespondenzadresse: Alecs Recher
Master of Law und dipl. klinische Heilund Sozialpädagogik
Transgender Network Switzerland Rechtsberatung
Monbijoustrasse 73 3007 Bern
E-Mail: alecs.recher@tgns.ch
Quellen: 1. Christine Goodwin v. the United Kingdom [GC], no.
28957/95, § 92, ECHR 2002-VI; Van Kück v. Germany, no. 35968/97, § 49, 55, ECHR 2003-VII. Siehe auch Art. 40 lit. a MedBG.
2. World Professional Association for Transgender Health (WPATH): Standards of Care, Versorgungsempfehlungen für die Gesundheit von transsexuellen, transgender und geschlechtsnichtkonformen Personen, Version 7, 2012. Aktuell erarbeitet die WPATH die 8. Version der Standards of Care.
3. Garcia, David et al.: Von der Transsexualität zur GenderDysphorie, Beratungs- und Behandlungsempfehlungen bei TransPersonen, Schweizerisches Medizin-Forum 19/2014, S. 382–387.
4. Bei urteilsunfähigen Transmenschen erteilte die gesetzliche Vertretung die Einwilligung. Dies ist jedoch nur dann zulässig, wenn der Eingriff zugunsten der Gesundheit der Transperson, mithin zu deren Wohl, vorgenommen werden soll. Solche Fälle kommen in der Praxis nur äusserst selten vor.
5. Zum Anspruch auf Übersetzung: Künzli, Jörg/Achermann, Alberto: Übersetzen im Gesundheitsbereich, Ansprüche und Kostentragung, Jusletter, 6. April 2009.
6. Erstmals anerkannt in BGE 105 V 180 E. 1 S. 183. In der vorgeschlagenen Revision der ICD (ICD-11 Beta Draft) soll Trans*, respektive «Gender incongruence», von dem Kapitel «Mental and behavioural disorders» in das neue Kapitel «Conditions related to sexual health» überführt werden. Diese Neuklassierung würde am Krankheitswert nichts ändern. Voraussichtlich im Mai 2018 wird die WHO über die neue, die 11. Version der ICD entscheiden.
7. So insbesondere BGE 142 V 316 E. 5.1 S. 320.
8. BGE 114 V 153 E. 4a S. 159 und E. 4 S. 167; 120 V 463. Eingehender dazu: Recher, Alecs: Rechte von Transmenschen, in: Ziegler, Andreas R./Montini, Michel/Copur, Eylem Ayse (Hrsg.): LGBT-Recht, Rechte der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in der Schweiz, Eingetragene Partnerschaft, faktische Lebensgemeinschaft, Rechtsfragen zur sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, 2. Aufl., Basel 2015, Rz. 85 ff.
9. Vgl. Recher, Alecs/Garcia Nuñez, David: Frau, Mann – Individuum, Die neuen medizinischen Empfehlungen zur Begleitung von Transmenschen und ihre Auswirkungen auf die Leistungspflicht nach KVG, Jusletter, 18. August 2014.
10. BGE 142 V 316. Gegen den Bundesgerichtsentscheid ist Beschwerde am EGMR eingereicht worden.
11. Cour des Assurances Sociales, Arrêt ZE09.036546 du 9 décembre 2015.
12. Urteil des Bundesgerichts 9C_550/2012 vom 13. Juli 2013 E. 3. Der Beitrag ist begrenzt auf 1500 Franken pro Jahr.
13. Statt vieler: Ehrenzeller, Bernhard et al. (Hrsg.): St.Galler Kommentar Bundesverfassung, 3. Aufl., Zürich/St.Gallen/Basel/Genf 2014, Schweizer, Art. 8 N 70; Müller, Jörg Paul/Schefer, Markus: Grundrechte in der Schweiz, Im Rahmen der Bundesverfassung, der EMRK und der UNOPakte, 4. Aufl., Bern 2008, S. 737; Waldmann, Bernhard/Belser, Eva Maria/Epiney, Astrid (Hrsg.): Basler Kommentar Bundesverfassung, Basel 2015, Waldmann, Art. 8 N 71. Vgl. auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: P.V. v. Spain, no. 35159/09, § 30, 30 November 2010; Identoba and Others v. Georgia, no. 73235/12, § 96, 12 May 2015.
14. Recher (Fn. 8), Rz. 55 ff.
15. A.P., Garçon and Nicot v. France, nos. 79885/12 and 2 others, ECHR 2017.
16. Zur Behandlung von Asylgesuchen aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität: United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR): Guidelines on International Protection No. 9: Claims to Refugee Status based on Sexual Orientation and/or Gender Identity within the context of Article 1A(2) of the 1951 Convention and/or its 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, 23.10.2012, HCR/GIP/12/09.
17. Eingehender dazu: Queeramnesty Schweiz (Hrsg.): Fluchtgrund: Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität, Zürich 2014; Recher (Fn. 8), Rz. 165 ff.
18. Eingehender zum Umgang mit Trans*-Kindern: Schneider, Erik/Baltes-Löhr, Christel (Hrsg.): Normierte Kinder, Effekte der Geschlechternormativität auf Kindheit und Adoleszenz, 2. Aufl., Bielefeld 2015.
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