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FORTBILDUNG
Neues aus der Akutbehandlung des ischämischen Schlaganfalls:
Die Behandlung zum Patienten bringen mit dem Schlaganfall-Einsatz-Mobil
Noch bis vor wenigen Jahren war es technisch nicht vorstellbar, dass ein Computertomograf auf einem Rettungswagen Platz findet. Das prähospitale Schlaganfall-Einsatz-Mobil (STEMO) macht es möglich und bringt die Behandlungseinheit zum Patienten. Damit wird Zeit gespart, denn «Time is Brain».
Christian H. Nolte
von Christian H. Nolte1,2,3
D er Schlaganfall ist ein Notfall, bei dem die Zeit eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Therapien (Thrombolyse und mechanische Thrombektomie [MT]) spielt. Eine Unterbrechung der Blutversorgung führt bei Nervenzellen (im Vergleich zu anderen Geweben) bereits nach sehr kurzer Zeit zu einem Funktionsausfall. Wenig später sind sie irreversibel geschädigt (1). Auch deshalb sind die systemische Thrombolyse und die MT wirksamer, wenn sie frühzeitig zum Einsatz kommen (2, 3). Um die Indikation für eine Thrombolyse beziehungsweise eine MT stellen zu können, müssen aber zunächst klinische Informationen eingeholt, Laborergebnisse erstellt und eine Schnittbildgebung durchgeführt werden (4, 5). Eine sofortige Schnittbildgebung mittels Computertomogramm (CT) oder Magnetresonanztomogramm (MRT) ist – bis auf wenige Ausnahmen – nur in einem Krankenhaus möglich. Um die Zeit des Transports ins Krankenhaus sinnvoll zu nutzen, werden deshalb telemedizinische Konzepte validiert, die eine Voranmeldung von Patienten im Spital erlauben, sowie die Übermittlung von Vitalparametern oder sogar speziellen klinischen Untersuchungsbefunden bis hin zu Livebildern des Patienten (6, 7). Der technische Fortschritt hat die Informationsübertragung zunehmend komfortabler, detaillierter und störungsfreier werden lassen. Durch Telemedizin könnte die intrahospitale Zeitverzögerung bis zur Bildgebung und zur Thrombolyse zukünftig signifikant verkürzt werden (7).
1. Center for Stroke Research Berlin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Germany. 2. Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie, Charité- Universitätsmedizin Berlin, Germany. 3. Berlin Institute of Health (BIH)
Die Behandlung zum Patienten bringen: STEMO Bis vor wenigen Jahren war es technisch nicht vorstellbar, dass ein CT auf einem Rettungswagen Platz gefunden oder den mechanischen Belastungen der Strasse standgehalten hätte. Doch mit dem technischen Fortschritt ist der CT leichter, kleiner und robuster geworden. Das war die Voraussetzung für ein neuartiges Konzept: nämlich den CT und den Schlaganfallexperten zum Patienten zu bringen (8). Solche fahrenden Schlaganfall-Einsatz-Mobile (STEMO) enthalten alle nötigen Instrumente, um eine leitliniengerechte Schlaganfallversorgung vor Ort zu leisten (6). Bisherige Untersuchungen zeigen, dass die Thrombolyse tatsächlich ausserhalb des Krankenhauses durchgeführt werden kann, und das, ohne den Patienten zu gefährden (8,9). Der Einsatz von STEMO führt zu signifikanten Zeitverkürzungen von Symptombeginn-zu-CT- und Symptombeginn-zu-Thrombolyse-(«Onset-to-needle»-)Zeiten. Und auch die Anzahl der Patienten, die überhaupt eine Thrombolyse erhalten, wird gesteigert (8, 9).
Mechanische Thrombektomie Neben der Thrombolyse, die im STEMO vor Ort durchgeführt werden kann, ist die mechanische Thrombektomie (MT) eine evidenzbasierte Therapie bei Schlaganfallpatienten mit grossem Hirngefässverschluss der vorderen Zirkulation (2). Zur Indikationsstellung ist der Nachweis eines Verschlusses eines grossen Hirngefässes notwendig. Diese erfolgt mittels CT-Angiografie oder MRT-Angiografie (5). Die Behandlung mittels mechanischer Thrombektomie (MT) kann allerdings nicht in jedem Spital mit Stroke-Unit angeboten werden, da sie eine besondere technische Ausstattung und besonders ausgebildetes Personal erfordert. Der Nachweis der Wirksamkeit der MT hat deshalb zu Überlegungen geführt, wie man bereits prähospital die Patienten identi-
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FORTBILDUNG
fizieren kann, bei denen aufgrund der klinischen Kon-
stellation ein grosser Gefässverschluss sehr wahrschein-
lich ist. Verschiedene Untersuchungsalgorithmen
beziehungsweise Skalen wurden evaluiert (10, 11) und
verschiedene Zuweisungskonzepte entworfen (12).
Bei den Zuweisungskonzepten konkurrieren im Wesent-
lichen das Konzept «zunächst zum nächstgelegenen
Spital mit Thrombolysemöglichkeit und im Anschluss
gegebenenfalls weiter zur Stroke-Unit mit MT-Möglich-
keit» (das «drip-and-ship»-Konzept) mit dem Konzept
«sofort zur Stroke-Unit mit MT-Möglichkeit» (das
«Mothership»-Konzept) (12, 13).
Der Einsatz von STEMO, die eine CT-Angiografie durch-
führen (und so bereits prähospital grosse Gefässver-
schlüsse erkennen können), erscheint als Ideallösung,
ist jedoch nicht überall umsetzbar. Diese Innovationen
und Überlegungen zu neuartigen Zuweisungskonzep-
ten machen die prähospitale Versorgung von Schlag-
anfallpatienten zu einem dynamischen Feld in der
Optimierung der Versorgung von Patienten mit akutem
Schlaganfall (13).
G
Korrespondenzadresse:
PD Dr. med. Christian H. Nolte
Klinik für Neurologie,
Charité Campus Benjamin Franklin
Hindenburgdamm 30
D-12203 Berlin
E-Mail: christian.nolte@charte.de
Interessenkonflikte:
Christian Nolte hat Honorare für Vorträge und für die Beratertätigkeit von Boehringer Ingelheim, dem Hersteller von Actilyse®, erhalten.
Literatur:
1. Dirnagl U, Iadecola C, Moskowitz MA: Pathobiology of ischaemic stroke: an integrated view. Trends Neurosci. 1999; 22: 391–397.
2. Goyal M, Menon BK, van Zwam WH, Dippel DW, Mitchell PJ, Demchuk AM, et al. HERMES collaborators: Endovascular thrombectomy after large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials. Lancet. 2016; 387: 1723–1731.
3. Kunz A, Nolte CH, Erdur H, Fiebach JB, Geisler F, Rozanski M et al.: Effects of Ultraearly Intravenous Thrombolysis on Outcomes in Ischemic Stroke: The STEMO (Stroke Emergency Mobile) Group. Circulation. 2017; 135: 1765–1767.
4. Jauch EC, Saver JL, Adams HP Jr, Bruno A, Connors JJ, Demaerschalk BM et al.: American Heart Association Stroke Council; Council on Cardiovascular Nursing; Council on Peripheral Vascular Disease; Council on Clinical Cardiology. Guidelines for the early management of patients with acute ischemic stroke: a guideline for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke 2013; 44: 870–947.
5. Powers WJ, Derdeyn CP, Biller J, Coffey CS, Hoh BL, Jauch EC et al.: American Heart Association Stroke Council. American Heart Association/American Stroke Association. Focused Update of the 2013 Guidelines for the Early Management of Patients With Acute Ischemic Stroke Regarding Endovascular Treatment: A Guideline for Healthcare Professionals From the American Heart Association/ American Stroke Association. Stroke 2015; 46: 3020–3035.
6. Ebinger M, Lindenlaub S, Kunz A, Rozanski M, Waldschmidt C, Weber JE, Wendt M, Winter B, Kellner PA, Kaczmarek S, Endres M, Audebert HJ: Prehospital thrombolysis: a manual from Berlin. J Vis Exp. 2013; 26(81): e50534.
7. Hubert GJ, Meretoja A, Audebert HJ, Tatlisumak T, Zeman F, Boy S et al.: Stroke thrombolysis in a centralized and a decentralized system (Helsinki and Telemedical Project for Integrative Stroke Care Network). Stroke 2016; 47: 2999–3004.
Abbildung: Innenansicht des STEMO: Computertomograf am Kopfende. 1,2,3Schutzraum mit Point-of-Care-Labor auf der rechten Seite.
8. Kunz A, Ebinger M, Geisler F, Rozanski M, Waldschmidt C, Weber JE et al.: Functional outcomes of pre-hospital thrombolysis in a mobile stroke treatment unit compared with conventional care: an observational registry study. Lancet Neurol 2016; 15: 1035–1043.
9. Ebinger M, Winter B, Wendt M, Weber J, Waldschmidt C, Rozanski M et al. STEMO Consortium: Effect of the use of ambulance-based thrombolysis on time to thrombolysis in acute ischemic stroke: a randomized clinical trial. JAMA. 2014; 311: 1622–1631.
10. Scheitz JF, Abdul-Rahim AH, MacIsaac RL, Cooray C, Sucharew H, Kleindorfer D et al.: SITS Scientific Committee. Clinical Selection Strategies to Identify Ischemic Stroke Patients With Large Anterior Vessel Occlusion: Results From SITS-ISTR (Safe Implementation of Thrombolysis in Stroke International Stroke Thrombolysis Registry). Stroke. 2017; 48: 290–297.
11. Turc G, Maïer B, Naggara O, Seners P, Isabel C, Tisserand M et al.: Clinical Scales Do Not Reliably Identify Acute Ischemic Stroke Patients With Large-Artery Occlusion. Stroke 2016; 47: 1466–1472.
12. Schlemm E, Ebinger M, Nolte CH, Endres M, Schlemm L: Optimal Transport Destination for Ischemic Stroke Patients With Unknown Vessel Status: Use of Prehospital Triage Scores. Stroke. Stroke. 2017; 48: 2184–2191.
13. Nolte CH, Audebert HJ: Prähospitale Versorgung von Patienten mit Schlaganfall. Med Klein Intensiv Notfmed 2017; 112: 668–673.
Merkpunkte:
G Die mechanische Thrombektomie (MT) ergänzt als neues evidenzbasiertes Verfahren die therapeutischen Möglichkeiten beim akuten ischämischen Schlaganfall.
G Schlaganfall-Einsatz-Mobile (STEMO) mit Computertomograf (CT) im Einsatzwagen ermöglichen die Thrombolyse ausserhalb des Krankenhauses.
G Neuartige Zuweisungskonzepte evaluieren die Verteilung der Patienten auf Krankenhäuser mit und ohne Möglichkeit zur mechanischen Thrombektomie.
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