Transkript
3. Schweizer Fachtag Psychosomatik
Persönlichkeit in der Psychosomatik und Psychotherapie
SYMPOSIUM
Die medizinische und therapeutische Behandlung hat sich in den letzten Jahren fundamental verändert. Nicht mehr allein die behandelnde Fachperson legt die Behandlung fest, zunehmend werden persönliche Werte und Präferenzen des Betroffenen mit eingebunden. Am 3. Schweizer Fachtag für Psychosomatik vermittelten Experten praktisches und evidenzbasiertes Wissen zum klinischen Management von Patienten mit bestimmten Persönlichkeitszügen und -störungen in der psychosomatischen Praxis.
Patientenzentrierte Medizin
P rof. Dr. med. Rainer Schäfert, struktureller Professor und Chefarzt für Psychosomatik an der Universität und am Universitätsspital Basel, sprach über die Evidenzlage und die Gesprächstechniken in der patientenzentrierten Medizin. Die heutige Medizin sei in der Regel biologisch, erkrankungs- und organzentriert ausgelegt und fokussiere auf objektive Befunde, sagte Prof. Schäfert. Im Vergleich dazu orientiert sich die Herangehensweise einer patientenzentrierten Medizin an den gleichen Inhalten, nimmt ergänzend aber psychosoziale Aspekte und das subjektive Befinden des Patienten – etwa seine Überzeugungen, Befürchtungen und Erwartungen – in den Blick und gibt Resonanz auf die Emotionen des Patienten. Bezüglich der Gesprächstechniken lassen sich eine arzt- und eine patientenzentrierte Kommunikation unterscheiden, die sich wechselseitig ergänzen. Bei der patientenzentrierten Kommunikation werden offene Fragen gestellt, und der Patient wird nach seinen Erfahrungen gefragt; insgesamt geht es darum, den Patienten zum Reden zu bringen. Beispielsweise könnte der Behandler fragen: «Was sind Ihre Erfahrungen?», «Wann werden Ihre Bauchschmerzen stärker?», «Gibt es vielleicht auch Situationen, in denen Ihre Beschwerden besser werden?» Die Führung des Gesprächs liegt in der patientenzentrierten Kommunikation überwiegend beim Patienten. Demgegenüber werden durch eine arztzentrierte Kommunikation strukturiert Informationen vermittelt, und es werden fokussierte oder geschlossene Fragen (mit Ja oder Nein zu beantworten) gestellt, etwa um Symptome präziser zu erfassen. Beispiele wären die Ankündigung «Ich würde heute gerne darüber reden,
wie Sie das neue Medikament vertragen haben» oder die Frage «Werden Ihre Beschwerden nach der Stuhlentleerung besser?». Die arztzentrierte Kommunikation dient der Informationserhebung und -vermittlung. Es geht nicht darum, den Patienten zum Erzählen zu bringen. Die Führung liegt beim Arzt. Die Form der Kommunikation hängt – speziell in medizinischen Entscheidungssituationen – auch mit der Behandler-Patient-Beziehung zusammen: Soll der Arzt führen (paternalistisches Modell), wird gemeinsam entschieden (partizipatives Modell) oder entscheidet allein der «Kunde» (informatives Modell). Eine Umfrage mit 14 600 Teilnehmern aus Deutschland fand, dass die meisten Befragten (55%) das partizipative Modell bevorzugen; 23 Prozent präferieren das paternalistische, 18 Prozent das informative Modell (Böcken et al. 2014). Bezüglich Kosten konnte gezeigt werden, dass eine patientenzentrierte Medizin mit geringeren Ausgaben für Diagnostik verbunden ist (Stewart et al. Health Care Policy 2011). In der konkreten Gesprächsführung sind sowohl arztzentrierte als auch patientenzentrierte Gesprächsabschnitte angebracht. Es komme darauf an, sich darüber im Klaren zu sein, je nach Thematik zwischen den Techniken zu wechseln und diesen Wechsel auch dem Patienten anzukündigen, so Prof. Schäfert. So biete sich die arztzentrierte Kommunikation an, wenn Informationen eingeholt werden müssten oder es um Wissensvermittlung gehe. Die patientenzentrierte Kommunikation wiederum holt den Patienten ab, motiviert ihn, greift seine emotionale Resonanz auf die besprochene Thematik auf und berücksichtigt auch Bereiche der Person, die nicht zur Patientenrolle gehören.
Die Person in der Behandlung Subjektive Krankheitsmodelle sind eine organisierte Ansammlung von Überzeugungen, die der Patient über seine Krankheit hat. Die persönlichen Überzeugungen sind bedeutend, da sie die Strategien bestimmen, die der Patient nutzt, um mit der Krankheit umzugehen. Dr. phil. Cosima Locher von der Fakultät für Psychologie an der Universität Basel, gab das Beispiel von Herzinfarktpatienten, die nach dem Infarkt ein Bild ihres Herzens malen sollten. Einige Patienten zeichneten grössere Stellen als krank ein, andere zeichneten ihr Herz ohne beschädigte Fläche. In der Studie zeigte sich, dass die Patienten, welche keine grösseren Schädigungen gezeichnet hatten, schneller wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren konnten und sich die Betroffenen auch langfristig gesünder fühlten. In einer anderen Studie wurde einer Gruppe von Reinigungsfrauen in einem Hotel gesagt, dass Putzen Fitness sei, den anderen Reinigungsfrauen wurde Putzen hingegen nicht als speziell positiv beschrieben. In der ersten Gruppe sank der Body-Mass-Index innerhalb von sechs Wochen, die Gruppe fühlte sich subjektiv fitter. In der Kontrollgruppe hingegen zeigten sich keinerlei Effekte. Für die Behandlung bedeutet dies, so Dr. phil. Cosima Locher, dass die Sicht des Patienten auf die verschriebene Behandlung stärker beachtet werden sollte. Wichtig wäre es deshalb, die Sicht des Patienten auf seine Krankheit zu kennen und diese in den jeweiligen Behandlungsplan zu integrieren.
Intersubjektive Krankheitsmodelle Auch die sozialen Beziehungen hätten einen Einfluss auf die individuelle Erkrankungsrate, den Krankheitsverlauf und das Behandlungsergebnis, erklärte Prof. Beate Ditzen vom Zentrum für Psychosoziale Medizin am Universitätsklinikum Heidelberg. Hierbei spielen vor allem Partnerschaften eine bedeutende Rolle. Bei chronischen Schmerzzuständen reagieren liebende Angehörige beispielsweise automatisch auf den Schmerzausdruck des Partners und wenden sich der Person zu. Dadurch, so Prof. Ditzen, kann es aber zu einer noch stärkeren Fokussierung auf den Schmerz kommen. Beobachtbare Schmerzzustände wie Stöhnen werden dann beispielsweise mit Zuwendung bedacht und in der Konsequenz häufiger gezeigt. Das Ziel der The-
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rapie würde nun darin bestehen, dass der Partner in den Abbau der Schmerzzustände einbezogen wird. Dazu würde gehören, dass dieser lernt, aktiv auf schmerzfreies Alternativverhalten zu achten, sich dann dem Partner zuwendet und so nicht mehr auf den Schmerz fokussiert. Diese Reaktion widerspreche allerdings dem unmittelbaren menschlichen Bedürfnis, sich bei Schmerzen dem Partner unmittelbar liebevoll zuzuwenden, ihn zu trösten und zu schonen – was das Erlernen solcher Ablenkungsstrategien in der Therapie besonders schwer mache, so Prof. Dietzen.
Umgang mit Persönlichkeitsstörungen Patienten mit Persönlichkeitsstörungen gelten noch immer als eine besondere Herausforderung für die klinische Praxis. Im Workshop von Dr. phil. Daniel Regli, Psychotherapeutische Praxisstelle an der Universität Bern, legte dieser neben einer Einführung in die Diagnostik und neben der Definition von Persönlichkeitsstörungen den Fokus auf die Beziehungsgestaltung. Rund 10 Prozent der Bevölkerung weisen gemäss epidemiologischen Untersuchungen eine Persönlichkeitsstörung auf, wobei der Einfluss von Werten und Normen einen grossen Einfluss hat. So wurden Anfang des vergangenen Jahrhunderts beispielsweise infantile Persönlichkeiten als negativ wahrgenommen. In der heutigen Zeit wird dieses Persönlichkeitsmerkmal kulturell und gesellschaftlich anders bewertet. Heute sind laut Definition Persönlichkeitsstörungen G ein überdauerndes Muster des Denkens,
Verhaltens, Wahrnehmens und Fühlens, das sich als durchgängig unflexibel und wenig angepasst darstellt G Persönlichkeitsmerkmale, die die Funktionsfähigkeit im beruflichen und privaten Leben wesentlich beeinträchtigen G wenn die Betroffenen unter ihren Persönlichkeitseigenarten leiden und die eigene
Persönlichkeit sogar zu gravierenden Beschwerden führt.
In der Regel gehen Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung bei Symptomen und Krankheiten zuerst zum Hausarzt. Die interpersonellen Schwierigkeiten zeigen sich dann meist erst im Verlauf der Behandlung. So ist der Arbeitsauftrag beispielsweise unklar, oder es fehlen eine klare Fragestellung und Ziele für die Behandlung. Die Beziehung zum Behandler wird wegen der dysfunktionalen Persönlichkeitszüge immer schwieriger. «Die Zusammenarbeit von Hausarzt, Psychiater und Psychologen ist deshalb so wichtig», unterstrich Dr. Regli. Sie kann dabei helfen, eine konstruktive Arbeitsbeziehung und Beziehungskredit aufzubauen. Wichtig sei es immer wieder, die Motivebene des Patienten zu analysieren und nicht aggressiv zu reagieren. Der Patient und seine ursprünglichen Motive sollen validiert werden, auch wenn sein Verhalten als dysfunktional erlebt wird. Im Umgang mit schwierigen Interaktionssituationen bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen rät Dr. Regli in Anlehnung an Rainer Sachse zu Folgendem: G die Dinge (das ungünstige Verhalten) beim
Namen nennen («dem Drachen immer ins Auge schauen») G sich nicht hinter therapeutischen Strategien verstecken G als Person greifbar sein G die Patientensicht auch als solche kennzeichnen G nur Stellung zu dem beziehen, was verstanden wurde G schnell eingreifen und schnell die Kontrolle gewinnen G im therapeutischen Prozess dranbleiben und den Patienten nicht «entwischen» lassen G zudem können Timing und Reihenfolge von Interventionen entscheidend sein.
Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung sei ein
hochkomplexes Krankheitsbild, so Dr. med. Pia
Bircher, Leitende Ärztin an der Klinik Barmel-
weid. Sie umfasst vielfältige Defizite im Bereich
der Spannungstoleranz, der Emotionsregula-
tion und der zwischenmenschlichen Fertigkei-
ten. Die Betroffenen erleben sich selbst in einer
Krise als depressiv, zum Beispiel aufgrund von
Mobbingerfahrungen, oder sie klagen über
körperliche Beschwerden. Mangelndes Anspre-
chen von Antidepressiva oder Schmerzmitteln
ergäben einen ersten Hinweis darauf, dass es
sich nicht um eine Depression handle, so Dr.
Bircher.
Innere Leere, Ängste vor dem Verlassenwerden
sind wiederum charakteristische Symptome
der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die rich-
tige Diagnose sei entscheidend, weil es den
Aufbau einer therapeutischen Beziehung er-
leichtere, sagte Pia Bircher. Therapien, die ein-
gesetzt werden können, sind die dialektisch-
behaviorale Therapie nach M. Linehan, die auf
dem Konzept der emotionalen Dysregulation
basiert und eine klare Hierarchisierung der The-
rapieziele vorgibt. Oder die Schematherapie
nach Jeffrey Young, die dysfunktionale Sche-
mata oder Modi als Ausdruck verinnerlichter
früherer Beziehungserfahrungen wertet. Nach
Young ist das Ziel der Schematherapie, das in-
nere Kind zu trösten, sodass der gesunde Er-
wachsene gefördert werden kann. Die gute
und langfristige Zusammenarbeit ist ein weite-
rer zentraler Pfeiler für die Erreichung dieser
Ziele. «Oftmals liegen unrealistische Erwartun-
gen ans Gegenüber vor, beispielsweise, dass
der Therapeut jederzeit erreichbar sein muss,
sonst tut sich der Betroffene etwas an», so Dr.
Bircher. Wichtig sei es, sich abzugrenzen, dies
bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Bezie-
hung.
G
Annegret Czernotta
Quelle: 3. Schweizer Fachtag Psychosomatik, Persönlichkeit in der Psychosomatik und Psychotherapie, 1.9.2017 EPI-Park, Zürich.
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