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Psychodynamische Therapien der Borderline-Persönlichkeitsstörung
FORTBILDUNG
Bei den Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPS) gilt Psychotherapie als Behandlungsmethode der ersten Wahl. Zu den etablierten psychodynamischen Behandlungsmethoden gehören die übertragungsfokussierte Psychotherapie und die mentalisierungsbasierte Therapie. Beide Therapieformen haben sich in Bezug auf die Behandlung von BPS in empirischen Studien als wirksam erwiesen und können im deutschen Sprachraum erlernt werden.
von Julia F. Sowislo*# und Sebastian Euler*
D ie Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) gilt als schwerwiegendes psychiatrisches Krankheitsbild. Sie zeichnet sich durch Störungen der Affektivität (z.B. affektive Instabilität, chronische Gefühle von Leere, heftige Wut), der Impulsivität (z.B. in potenziell selbstschädigenden Bereichen wie Geldausgaben oder Substanzmissbrauch), der Kognition (z.B. Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung) und der zwischenmenschlichen Beziehungen (intensive, aber instabile Beziehungen, die zwischen Idealisierung und Entwertung schwanken) aus (1). In der Gesamtbevölkerung wird die Häufigkeit der BPS auf zirka 1,6 Prozent geschätzt (2). Ungefähr 80 Prozent der Betroffenen begeben sich im Erkrankungsverlauf in eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung (3), und ein hoher Anteil der stationär psychiatrischen Patienten, das heisst ungefähr 20 Prozent, erfüllt die Kriterien einer BPS (4). Personen mit BPS zeigen häufige Komorbiditäten sowohl mit anderen Persönlichkeitsstörungen als auch mit Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Suchterkrankungen, wobei eine alleinige Behandlung der Komorbidität nicht zu anhaltenden Behandlungserfolgen führt (5). Neuere Verlaufsforschungen zeigen ein deutlich optimistischeres Bild als historisch angenommen: So konnte zum Beispiel eine über 16 Jahre laufende Studie zeigen, dass es im Verlauf bei 78 bis 99 Prozent der von BPS Betroffenen zu einem deutlichen Symptomrückgang kam (6). Gleichzeitig haben sich die Behandlungsperspektiven für BPS in den letzten drei Dekaden grundlegend verändert: Im Gegensatz zu einer initial kritischen Einschätzung der psychotherapeutischen Behandelbarkeit von Patienten im Grenzbereich zwischen Psychose und Neurose (7) empfehlen die American Psychatric Association (APA) sowie die Schweizerische Gesellschaft für
* Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, # Ausbildungskandidatin Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Freiburg
Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) in ihren Leitlinien die Psychotherapie als Behandlungsmethode der Wahl (8, 9). Als besonders etabliert gelten vier störungsspezifische Verfahren (Big 4), darunter auf kognitiv-verhaltenstherapeutischer Seite die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT [10]) und die schemafokussierte Psychotherapie (SFT [11]) und auf psychodynamischer Seite die übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP [12]) und die mentalisierungsbasierte Therapie (MBT [13]). Alle genannten Methoden haben ihre Wirksamkeit in mindestens einer randomisierten, kontrollierten Studie nachweisen können.
Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) Das Störungsmodell, welches der TFP zugrunde liegt, basiert auf einer Strömung der US-amerikanischen Objektbeziehungstheorie, die massgeblich von Otto Kernberg geprägt wurde. Vereinfacht gesagt, geht Kernberg davon aus, dass unsere psychische Struktur aus Objektbeziehungen oder, genauer gesagt, vielen sogenannten Objektbeziehungsdyaden aufgebaut ist. Konzeptionell besteht eine einzelne solche Dyade aus drei Elementen: einer Repräsentanz des Selbst (S), einer Repräsentanz des anderen (O) und einem verbindenden Affekt (A). Im Säuglingsalter bilden sich aus befriedigenden Erfahrungen «wie genährt werden» positive Objektbeziehungsdyaden (z.B. S = sattes, zufriedenes Selbst; O = idealer, responsiver anderer; A = Liebe), aus frustrierenden Erfahrungen negative Objektbeziehungsdyaden (z.B. S = hungriges, depriviertes Selbst; O = sadistischer, deprivierender anderer; A = Angst). Diese positiven und negativen Dyaden sind zunächst streng voneinander getrennt. Im Verlauf der ersten Lebensjahre werden die extrem guten und extrem schlechten Repräsentanzen allerdings integriert: Menschen werden zu komplexen Wesen und können sowohl aus guten als auch aus schlechten Eigenschaften bestehen (14). Bei Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation (BPO1) verläuft dieser Integrationsprozess problematisch und gestört. Dadurch besteht die Innenwelt dieser Menschen aus aufgespaltenen, sehr polarisierten,
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«guten» und «schlechten» Selbst- und Objektaspekten. Die Patienten nehmen sich selbst oder andere oft nicht differenziert, sondern klischeehaft entweder gut oder böse, stark oder schwach, als Täter oder als Opfer und so weiter wahr, wobei die Wahrnehmungen und die korrespondierenden Emotionen schnell ins Gegenteil umschlagen können (15). Dieser Mangel an innerer Integration der verschiedenen Selbst- und Objektaspekte macht das zentrale Merkmal der BPO, die sogenannte Identitätsdiffusion, aus: Im Gegensatz zu einer reifen Identität fehlt hier ein stabiles und als über Zeit und Situationen kontinuierlich empfundenes Bild von sich selbst und anderen. Zusätzlich benutzen Menschen mit BPO häufiger unreife, das heisst auf Spaltung basierende Abwehrmechanismen, so zum Beispiel die projektive Identifizierung, bei der eigene, nicht akzeptable Gefühle und Selbstbilder abgespalten und in eine andere Person verlagert werden. So könnte zum Beispiel eine Patientin, die in den Therapiestunden eine massive Suiziddrohung ausspricht, in der Therapeutin starke Gefühle von Ohnmacht induzieren und somit die eigene Hilflosigkeit in die Therapeutin verlagern. Das Therapieziel der TFP besteht in erster Linie darin, die Identitätsdiffusion aufzulösen. Diese Auflösung erfolgt dadurch, dass die verzerrten Selbst- und Objektbeziehungen im «Hier und Jetzt» in Bezug auf die Therapeutin aktiviert werden (Übertragung) und dann seitens der Therapeutin gedeutet werden. Die TFP unterscheidet dazu vier strategische Prinzipien, die hier sehr verkürzt dargestellt werden: G Die dominanten Objektbeziehungen definieren: Dazu
muss der Therapeut zunächst in der Lage sein, die eigene, zum Beispiel durch Schweigen oder Schimpfen des Patienten ausgelöste Verwirrung zu erleben und zu tolerieren. So kann sich der Therapeut die Rollen vor Auge führen, die der Patient gerade einnimmt beziehungsweise dem therapeutischen Gegenüber zuweist. Diese Rollenverteilungen werden dem Patienten als Hypothese mitgeteilt (z.B. «Mir ist aufgefallen, dass Sie auf mich reagieren, als wäre ich ein Elternteil, vor dessen Bestrafung Sie sich fürchten müssen») und genau beobachtet, ob die Reaktionen des Patienten für eine zutreffende Formulierung der Objektbeziehungen sprechen. G Rollenwechsel in den Sitzungen beobachten und deuten: Der Patient kann sich zum Beispiel als ungewolltes und vom Therapeuten vernachlässigtes Opfer darstellen, in der Folgesitzung aber unkommentiert 15 Minuten zu spät erscheinen, ohne sich dieser Veränderung bewusst zu sein. G Zusammenhänge zwischen sich abwehrenden Objektbeziehungsdyaden beobachten und benennen: Hier ist es wichtig, zu verstehen, dass die kritische innere
1 Kernberg beschreibt verschiedene Ebenen der Persönlichkeitsorganisation. Die BPO ist dabei zwischen der darunterliegenden Psychotischen Persönlichkeitsorganisation und der darüber liegenden Neurotischen Persönlichkeitsorganisation anzusiedeln. Auf dem Niveau einer BPO sind neben der BPD auch andere Persönlichkeitsstörungen, wie z.B. die schizoide Persönlichkeitsstörung angesiedelt. Die TFP ist eine zur Behandlung nicht nur von BPS, sondern von den verschiedenen Persönlichkeiten mit BPO.
Spaltung bei BPO nicht zwischen Selbst- und Objektrepräsentanz besteht. Eine tiefere Spaltung besteht zwischen Dyaden mit negativen Affekten (z.B. S = schwach; O = ausbeuterisch; A = Angst, Feindseligkeit) und mit positiven Affekten (z.B. S = liebeshungrig; O = ideal versorgend; A = Liebe). Vor allem um die affektiv positiv besetzten Dyaden vor der Zerstörung durch die negativen Affekte zu schützen, hält die Abwehr die Dyaden vollkommen getrennt. Hier könnte der Therapeut zum Beispiel das Bedürfnis nach einer idealisierten Beziehung als Abwehr einer verfolgenden Objektbeziehung, die bei Frustration aktiviert wird, deuten (16). Dieser letzte Schritt schafft eine integrierte, reichhaltigere und realistischere Wahrnehmung der Beziehung und der eigenen Person. In der TFP erfolgt die beschriebene Aktivierung der Objektbeziehung in einem sicheren Behandlungsrahmen: Dazu wird ein Therapievertrag ausgehandelt, der unter anderem auch beinhaltet, was den Behandlungsrahmen gefährdet (z.B. suizidales Verhalten). Die therapeutischen Techniken, mithilfe derer an den Objektbeziehungen gearbeitet wird, umfassen psychoanalytische Techniken, das heisst Klärung, Konfrontation, Deutung, Analyse der Übertragung, Gebot der technischen Neutralität und Benutzung der Gegenübertragung zum Verständnis der Übertragung. Im Vergleich zur Psychoanalyse sind diese Techniken in der TFP jedoch modifiziert. Die TFP ist manualisiert (14) und wurde ursprünglich für den ambulanten Rahmen mit zwei Wochenstunden im Sitzen über zirka zwei Behandlungsjahre hinweg entwickelt. Inzwischen gibt es aber auch Konzepte und Implementierungen für das stationäre und gruppentherapeutische Setting (17). Mehrere empirische Studien belegen die Wirksamkeit der TFP (18).
Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT) Das Störungsmodell, welches der MBT zugrunde liegt, bezieht sich vor allem auf das noch relativ junge Konstrukt des Mentalisierens. Dieses wurde durch die Arbeitsgruppe um Peter Fonagy unter Berücksichtigung und Integration von Elementen der intersubjektiven Psychoanalyse, der Entwicklungspsychologie, der Kognitionswissenschaften und der Neurobiologie ausgearbeitet. Mentalisieren beschreibt die Fähigkeit, sich auf die inneren, mentalen Zustände (Gedanken, Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse, Überzeugungen usw.) von sich selbst und anderen zu beziehen, diese als dem Verhalten zugrunde liegend zu begreifen und darüber nachdenken zu können (19). Eine mentalisierende Person ist in der Lage, eigene Affekte, Gedanken und Wünsche wahrzunehmen. Sie denkt dabei flexibel und prozedural, «steckt» nicht in einer Anschauung fest, ist gleichzeitig neugierig bezüglich der Sichtweisen anderer und geht dabei davon aus, die eigene Anschauung durch andere erweitern zu können. Fonagy geht davon aus, dass die Grundlagen des Mentalisierens entwicklungspsychologisch früh gelegt werden, indem der Säugling mithilfe der Bezugsperson erlernt, seine zunächst noch undifferenzierten eigenen emotionalen Zustände zu identifizieren. Im Idealfall nimmt die Bezugsperson die Affekte des Säuglings feinfühlig auf und spiegelt sie
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dem Säugling zurück. Wichtig ist dabei, dass die Spiegelung mit dem gezeigten affektiven Ausdruck des Säuglings kongruent ist (z.B. Ärger als Ärger und nicht etwa als Müdigkeit gespiegelt wird) und markiert wird (z.B. durch Babysprache oder überzeichnete Mimik). Die Markierung hilft dem Säugling, zu erkennen, dass die Bezugsperson nicht ihren eigenen affektiven Zustand, sondern den des Säuglings darstellt. Bei Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen – so auch mit BPS – wird angenommen, dass es in ebendiesen zentralen Spiegelungsprozessen zu wiederholten Fehlabstimmungen gekommen ist. Als Folge dessen entsteht eine nachhaltige Beeinträchtigung des Mentalisierens. In zwischenmenschlichen, bindungsrelevanten Situationen können Menschen mit BPS dann häufig nicht mehr akkurat mentalisieren und regredieren auf prämentalistische Modi: So zeichnet sich der Äquivalenzmodus dadurch aus, dass innerer Zustand und äussere Realität als identisch erlebt werden. Die subjektiv erlebte Realität wird «überreal»: «Ich werde andauernd von allen gemobbt. Ich weiss, dass die mich hassen. Ich kann nicht mehr zurück an den Arbeitsplatz.» Im Als-ob-Modus hat der innere Zustand keine Auswirkungen auf die äussere Realität und vice versa: Dazu zählt beispielsweise das Pseudomentalisieren, bei dem mentale Begrifflichkeiten verwendet werden, ohne dass eine wirkliche mentale Verankerung besteht. Im teleologischen Modus gilt nur real Beobachtbares: «Wenn Sie mir keinen zusätzlichen Termin geben, ist das der endgültige Beweis dafür, dass Sie mich nicht verstehen.» Diese Modi sind vor allem auch in psychotherapeutischen Begegnungen hoch relevant, da sie das Bindungssystem aktivieren. Das Therapieziel der MBT besteht in erster Linie darin, das Mentalisieren (wieder-)herzustellen oder zu verbessern, indem der Fokus in den Sitzungen auf ein gemeinsames Mentalisieren und ein Mentalisieren der Beziehung im Hier und Jetzt gesetzt wird. Die MBT entspricht dabei vor allem einer spezifischen Haltung, die sich durch authentisches Nichtwissen und eine grundsätzliche kollaborative Begegnung auf Augenhöhe auszeichnet. Statt davon auszugehen, erahnen zu können, was in der Patientin vorgeht, fördert die Therapeutin die gemeinsame Neugier und das Interesse für das Innenleben der Patientin. Ein therapeutischer Habitus wird möglichst vermieden. Stattdessen beteiligt sich die Therapeutin aktiv und authentisch am Gespräch. Sie verfügt nicht über die Deutungshoheit, sondern gleicht das eigene Verständnis immer wieder mit dem des Patienten ab und spricht Missverständnisse aktiv an. Der Fragestil ist affektfokussiert und auf interpersonelles Erleben ausgerichtet. Hier sorgt der Therapeut aktiv dafür, dass die affektive Spannung in der Sitzung im optimalen, das heisst mentalisierungsförderlichen Bereich ist (not to hot and not to cold). Dabei kann die Therapeutin auch mit selektiven Selbstoffenbarungen arbeiten. Das bedeutet, dass sie auch eigene Gefühle und Gedanken äussern kann, insofern diese zur Untersuchung des Beziehungsgeschehens beitragen und das gemeinsame Mentalisieren fördern. Eine wichtige Technik in der MBT besteht im irritierenden Infragestellen (challenge). Hier stellt die Therapeutin durch spielerische, humorvolle und manchmal unkonventionelle Interventionen die Annahmen des Patienten infrage. Ziel ist ein Überra-
schungsmoment, das über die Irritation den Weg zurück ins Mentalisieren eröffnet. Im Fokus aller Sitzungen steht der Prozess des Mentalisierens. Der Therapeut passt Interventionen dem Mentalisierungsniveau des Patienten an: Je niedriger es ist, desto simpler und prägnanter sollten die Interventionen sein. Der Therapeut beobachtet ständig sowohl die Mentalisierungsfähigkeit des Patienten als auch die eigene und interveniert jeweils aktiv, um wieder ins Mentalisieren zurückzufinden. Dazu kann er das Geschehen verlangsamen (stop and stand) oder aktiv zum Gesprächspunkt zurücklenken, an dem das Mentalisieren zusammenbrach (stop and rewind). Erfolgtes Mentalisieren wird vom Therapeuten positiv angesprochen und dient als Rollenmodell für gelungenes Mentalisieren. Die MBT ist ebenfalls manualisiert (20). Die Behandlung dauert üblicherweise 18 Monate und beinhaltet wöchentliche Einzel- und gleichwertige Gruppensitzungen. Am Anfang der Behandlung steht die Vereinbarung eines Behandlungsvertrags (case formulation), der mit dem Patienten gemeinsam entwickelt und regelmässig überprüft wird. Dabei wird insbesondere auf Veränderungen im realen sozialen Leben als Therapieziel fokussiert. Vor Therapiebeginn erfolgt eine Phase der Psychoedukation, die gut in Gruppen angeboten werden kann (MBT-I). Konzepte für integrative stationäre Behandlungen bestehen (21). Mehrere empirische Studien belegen die Wirksamkeit der MBT: So konnten zum Beispiel die Arbeitsgruppe um Anthony Bateman und Peter Fonagy in einer randomisierten, kontrollierten Therapiestudie in England zeigen, dass MBT einer Standardbehandlung signifikant überlegen ist (22).
Fazit TFP und MBT stellen Therapieverfahren dar, die sich in empirischen Studien als wirksam hinsichtlich der Behandlung von BPS erwiesen haben. Beide Therapieverfahren beziehen sich auf entwicklungspsychologisch frühe konflikthafte Prozesse (TFP) beziehungsweise Funktionen (MBT), das heisst auf die Integration von aggressiven und libidinösen Objektbeziehungsdyaden (TFP) beziehungsweise auf die Mentalisierung (MBT). Weiterhin liegen beiden Ansätzen ein psychodynamisches Verständnis der Persönlichkeit zugrunde, und sie fokussieren in der konkreten Behandlung auf das affektive Geschehen. Beide Ansätze betonen den stabilen Behandlungsrahmen, erfordern eine höhere Aktivität des Therapeuten und arbeiten weniger mit biografischem Material und mehr im Hier und Jetzt. Wichtige Unterschiede bestehen zum Beispiel im Umgang und Verständnis der therapeutischen Beziehung. Die MBT verfolgt einen primär interaktionell explorativen Ansatz, während die TFP die Beziehung als Übertragungsgeschehen, geprägt von endogener Aggression und intrapsychischen Konflikte, deutet. Welche Wirkfaktoren den beiden Verfahren tatsächlich zugrunde liegen und ob dabei eher die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede wesentlich sind, ist gegenwärtig ebenso wenig ausreichend untersucht wie die Frage, ob es differenzielle Indikationsstellungen für die beiden Verfahren gibt (23). Beide von uns beschriebenen Behandlungsansätze können im deutschsprachigen Raum im Rahmen von
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Aus- und Fortbildungen erlernt werden. So wird ein
Curriculm in TFP am TFP-Institut in München angebo-
ten.1 Ein MBT-Trainingscurriculum wird gegenwärtig an
der Universität Heidelberg implementiert.2
G
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Sebastian Euler
Oberarzt
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Wilhelm-Klein Strasse 27
4012 Basel
Mail: Sebastian.Euler@upkbs.ch
Literatur:
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10. Linehan M: Cognitive-behavioral treatment of borderline personality disorder. Guilford press, 1993.
11. Young JE: Cognitive therapy for personality disorders: A schema-focused approach, Rev. Professional Resource Press/Professional Resource Exchange, 1994.
12. Clarkin JF, Kernberg OF: Transference-focused psychotherapy for borderline personality disorder: A clinical guide. American Psychiatric Pub, 2015.
13. Bateman A, Fonagy P: Mentalization-based treatment for borderline personality disorder: A practical guide. OUP Oxford, 2006.
14. Clarkin JF, Yeomans FE, Kernberg OF: Psychotherapie der BorderlinePersönlichkeit. Schattauer, 2008.
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19. Euler S, Schultz-Venrath U: Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT). PiD-Psychotherapie im Dialog. 2014; 15(03): 40–43.
20. Bateman A, Fonagy P: Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung: Ein mentalisierungsgestütztes Behandlungskonzept mit einem umfangreichen Behandlungsmanual. Psychosozial-Verlag, 2008.
21. Euler S: Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) als integratives Behandlungskonzept für die Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen. Psychiatrie & Neurologie. 2014; 3: 6–11.
22. Bateman A, Fonagy P: Randomized controlled trial of outpatient mentalization-based treatment versus structured clinical management for borderline personality disorder. American Journal of Psychiatry. 2009; 166(12): 1355–1364.
23. Euler S, Walter M: Mentalisierungsbasierte Therapie. Kohlhammer, in Druck.
Merkpunkte:
G Sowohl die übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) als auch die mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT) haben sich in empirischen Studien als wirksam hinsichtlich der Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen erwiesen.
G Beide Ansätze betonen den stabilen Behandlungsrahmen, erfordern eine höhere Aktivität des Therapeuten und arbeiten weniger mit biografischem Material und mehr im Hier und Jetzt.
G Bei der MBT wird primär ein interaktionell explorativer Ansatz verfolgt, während die TFP die Beziehung als Übertragungsgeschehen deutet.
1 http://www.tfp-institut-muenchen.de/ 2 http://www.annafreud.org/training-research/mentalization-based-treatment-training/international-mbtcentres/mbt-germany/
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