Transkript
Roboter in der Neurorehabilitation: Trend oder Hype?
FORTBILDUNG
Therapieroboter helfen in der Neurorehabilitation auf vielfältige Weise. Am Symposium «Neue Trends in der Neurorehabilitation» des Berner Inselspitals sprach Prof. Dr. Tobias Nef vom ARTORG Center der Universität Bern. Er wählte den provokanten Titel «Roboter in der Neurorehabilitation: Trend oder Hype?». Im Interview spricht er darüber, was wir von Robotern erwarten können.
Tobias Nef
Psychiatrie & Neurologie: Um auf das Vortragsthema zu kommen: Was sind Roboter in der Neurorehabilitation? Ein Trend oder ein Hype? Prof. Dr. Tobias Nef: Zuerst müssten wir unterscheiden, was ein Hype oder ein Trend ist. Ein Trend ist eine tiefgreifende, nachhaltige Entwicklung. Ein Hype ist ein Werbezweck, eine übertrieben dargestellte Nachricht. Therapieroboter sind für mich ganz klar ein Trend. Sie sind schon heute als Hilfsmittel für die Neurorehabilitation im Einsatz. Ich erwarte, dass sie in Zukunft noch breiter und häufiger eingesetzt werden.
Welche Aufgaben übernehmen Roboter in der Neurorehabilitation, und was wird eigentlich als Roboter bezeichnet? Tobias Nef: Mehrheitlich unterstützen Roboter in der Neurorehabilitation die motorischen Fertigkeiten von Patienten nach einem Schlaganfall. Aber das Feld ist viel breiter geworden. Beispielsweise können wir Roboter auch bei Verletzungen der Wirbelsäule einsetzen. Dabei ist festzuhalten, dass Roboter nie die Therapie allein übernehmen können. Diese bleibt auch weiterhin in der Verantwortung von Ergo- und/oder Physiotherapeuten. Therapieroboter sind ein Hilfsmittel und auch als solches konzipiert. Wir unterscheiden Roboter im Einsatz an der oberen und der unteren Extremität. Die Roboter können sowohl motorisiert als auch nicht motorisiert sein.
Wie unterscheidet sich der Einsatz? Tobias Nef: Bei der oberen Extremität geht es primär um die Armtherapie. Dort sind zwei Typen möglich: die passive Unterstützung basierend auf Federn, die das Eigengewicht des Patienten kompensieren. Sie wirken wie ein Gegengewicht. Dann die motorischen Roboter, die den Arm zielgerichtet bewegen. Dort ist darauf zu achten, dass der Patient nicht die ganze motorische Arbeit an den Roboter abgibt. Bei der unteren Extremität sind es insbesondere die Gangroboter. Die Geräte, von denen wir sprechen, sind recht kostspielig. Sie werden primär in Spezialkliniken sowie im Rahmen von Studien eingesetzt. Die Technik
SNF-Professorin Laura Marchal-Crespo bei der Arbeit am Armtherapieroboter ARMin.
ist leider noch nicht so weit, dass jeder niedergelassene Therapeut einen solchen Roboter einsetzen kann. Aber es wäre unser Wunsch oder Traum, dass die Assistenztechnik sich so weit entwickelt, dass diese bald auch zu Hause durchführbar ist. Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass ein Klient in seinen eigenen vier Wänden auf dem Stuhl sitzt und eine Kochaufgabe in der virtuellen Realität respektive mittels technischer Assistenztechniken durchführt. Weitere Möglichkeiten wären virtuell assistiertes Zähneputzen, Brot schneiden oder spielerische Aufgaben wie virtuelles Ballspiel oder Tennis. Die Übungen sind also sehr praktisch und am täglichen Leben orientiert.
Was machen Roboter anders oder besser als Therapeuten? Tobias Nef: Um es nochmals zu betonen: Therapieroboter ersetzen die Physiotherapie nicht, sie sind Hilfsmittel und Werkzeug für die Physio- und Ergotherapie. Bislang liegen zwei Cochrane-Reviews vor, die Trainingseffekte von Reharobotern mit der manuellen Physiound Ergotherapie vergleichen. Das Fazit: Die Trainingseffekte sind in etwa vergleichbar. Das bedeutet, dass aber die optimale Patientenversorgung auch ohne Roboter gewährleistet werden kann. Und wenn Reha-
&26 3/2017
PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
bilitationsroboter eingesetzt werden, dann in Kombination mit manueller Therapie und mit dem Ziel, die Trainingsdauer und die Trainingsintensität zu erhöhen. Zudem ist unklar, welche Patienten von welcher Therapie am meisten profitieren. Es ist deshalb wichtig, auch in Zukunft patientenspezifische Ansätze zu verfolgen.
Was sind zukünftige Entwicklungsfelder in der Neurorehabilitation? Tobias Nef: Neue Entwicklungen gehen in die Richtung, dass Roboter Patienten in Aktivitäten des täglichen Lebens unterstützen. Es braucht dafür Sensoren im Roboter, die wahrnehmen, ob der Patient die Aufgabe selber machen kann oder Assistenz benötigt. Die Unterstützung wird individuell gesteuert und kann sich im Rehabilitationsprozess ändern. Das war noch vor wenigen Jahren komplett anders: Damals hat der Roboter den Patienten einfach bewegt. Heute ist eine Interaktion möglich, die auch in Studien messbar ist.
Wie viel Zeit brauchen roboterunterstützte Therapien? Tobias Nef: In der Regel wird die Therapie drei Mal pro Woche für eine Stunde durchgeführt. Davon sind zehn Minuten bereits für die Vorbereitung einzuplanen. Welche Dauer bei welchem Krankheitsbild optimal ist, wissen wir noch nicht. Es gibt zurzeit zu wenige klinische Daten dazu. Deshalb wird in Studien meist eine Dauer von 6 bis 8 Wochen genommen. Bei chronischen Patienten sind Studiendauern von bis zu 6 Monaten möglich.
An welchen Entwicklungen waren Sie beteiligt? Tobias Nef: Unter der Leitung von Prof. Dr. Robert Riener von der ETH und Universität Zürich entwickelte ich den Armtherapieroboter ARMin. HOCOMA AG aus Volketswil hat die Lizenzen für die Technologie erworben und vermarktet den Armtherapieroboter unter dem Namen ArmeoPower als robotisches Exoskelett für die integrierte Arm- und Handtherapie für stark beeinträchtigte Patienten. Es gibt noch eine Vielzahl von weiteren Firmen, die solche Geräte verkaufen. Wir am ARTORG Center der Universität Bern suchen nach einer Kombination von motorischer und kognitiver Therapie. Prof. Dr. Laura Marchal-Crespo wird ab diesem Sommer neue Regelungsstrategien für Roboter entwickeln. Dazu gehört die «Error Augmented Therapy»: Wir verbessern die Bewegungsfähigkeit, indem wir Fehler verstärken. Ein Patient versucht beispielsweise ein Glas zu greifen. Dabei
Telerehabilitation für Aphasiepatienten
verstärkt der Roboter vorhandene Bewegungsunge-
nauigkeiten und motiviert so den Patienten, seine Be-
wegungen zu optimieren, sodass die Bewegung immer
genauer wird. Damit können wir verhindern, dass sich
der Patient zu stark auf den Roboter verlässt. Die For-
schung wird im Rahmen eines Schweizer-National-
fonds-Projektes finanziell unterstützt. Auf der kognitiven
Ebene versuchen wir mithilfe eines Displays Bewe-
gungsaufgaben darzustellen, die der Proband dann aus-
übt. In der Zukunft werden wir versuchen, diese beiden
Projekte miteinander zu verbinden.
G
Sehr geehrter Herr Prof. Nef, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Tobias Nef
Extraordinarius & Technical Group Head ARTORG Center for Biomedical Engineering Research
Gerontechnology and Rehabilitation Group Murtenstrasse 50 Universität Bern 3010 Bern
E-Mail: tobias.nef@artorg.unibe.ch
3/2017
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
27