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SYMPOSIUM
Frauen in Führungspositionen
In kaum einer Branche arbeiten so viele Frauen wie im Gesundheits- und Sozialwesen – über 70 Prozent der Mitarbeitenden sind weiblich. Am Abschiedssymposium von Dr. med. Suzanne von Blumenthal, Chefärztin Psychiatrische Dienste Graubünden, berichteten weibliche Chefärzte und eine Verwaltungsratspräsidentin über ihre Führungserfahrungen im Gesundheitswesen.
Horizonte weiblicher Führung
D r. med. Magdalena Maria Berkhoff, Chefärztin Psychiatrische Klinik Zugersee, berichtete, dass sich in den letzten Jahren das Gesundheitswesen verändert habe, was sich beispielsweise in der Sprache ausdrücke. So werde beispielsweise von «prozessorientierter Fallsteuerung» in Bezug auf die Behandlung von Patienten gesprochen. Zeitweise stelle sich dadurch die Frage, «ob das Gesundheitswesen dem kranken Menschen diene oder die Patienten den Finanzströmen». In Bezug auf weibliche Führung, so Dr. Berkhoff, sei die Diversität grösser als geschlechtsspezifische Unterschiede. Auch verfügten Frauen nicht notwendigerweise über mehr Soft Skills als Männer. Sichere Unterschiede seien indes bei der Entlöhnung auszumachen, so Magdalena Berkhoff. Ausserdem würden Frauen eher Stereotypen zugeordnet: Fehle beispielsweise einer weiblichen Führungskraft die mütterliche Ausstrahlung, oder habe sie ein spezielles Äusseres, abweichend von Vorstellungen der Weiblichkeit, werde sie eher abgewertet oder diskriminiert. «Eine Frau mit dem Auftreten von Donald Trump hätte im Berufsleben wohl nur wenige Chancen. Ein Mann mit den Eigenschaften von Hillary Clinton wäre vermutlich zum Präsidenten gewählt worden», hielt die Chefärztin fest.
Traditionen, Hindernisse und Chancen Prof. Dr. med. Undine Lang, Klinikdirektorin, Erwachsenenpsychiatrische Klinik und Privatklinik, Universitäre Psychiatrische Kliniken (UPK) Basel, und Ordinaria für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Basel, sprach über Trends, Hindernisse, aber auch Chancen für Frauen in Führungspositionen. Laut deutscher Statistik seien im Jahr 2015 70 Prozent der Medizinstudenten weiblich gewesen, aber nur 23 Prozent der Führungspositionen im Gesundheitswesen weiblich besetzt. Bei den Ordinarien seien es sogar nur 6 Prozent gewesen. Schaue man sich den Anteil von Frauen in
Leitungspositionen in unterschiedlichen medizinischen Disziplinen an, dann gebe es den grössten Anteil an Frauen in leitenden Positionen in der Allgemeinmedizin (35%), danach folgen Dermatologie (18%) und Psychiatrie (16%). An den UPK in Basel hingegen seien gleich viele Männer wie Frauen Assistenzärzte; zudem seien 75 Prozent der klinischen Professuren in der Erwachsenenpsychiatrie von Frauen besetzt und die Hälfte der Geschäftsleitung und ein grösserer Teil der Oberärztinnen sei weiblich. «Auch wurden im Sinne einer frauenfreundlichen Politik 18 Teilzeitstellen geschaffen, die komplett von Frauen besetzt wurden», so Prof. Lang. «Unter den zirka 10 Chefarztpositionen, die wir im Rahmen der Nachwuchsförderung aus der Erwachsenenpsychiatrie in den letzten Jahren besetzen konnten, findet sich allerdings keine Frau.» Barrieren und Karriererestriktionen gebe es mehrere, sagte die Psychiaterin. Neben dem bereits von Dr. Berkhoff angesprochenen Problem der Stereotypie, wonach Frauen diskriminiert würden, wenn sie dem gängigen Bild des Weiblichen nicht entsprächen, dienten Frauen zum Teil auch einfach als Aushängeschild, wenn sich eine Firma damit schmücken wolle, dass sie Frauen fördere. Es sei aber wohl auch für einen Mann Mitte 50 schwierig, so Prof. Lang, wenn er eine junge Frau fördere, weil das missgedeutet werden könne. Hinzu kämen unterschiedliche Lebenskonzepte. «Männer streben bei gleicher Ausbildung doppelt so häufig Führungspositionen an wie Frauen», sagte Prof. Lang. «Und Frauen befürchten, dass sie als Chefin alles verlieren, statt alles zu haben, weil sie meinen, dass eine Familie nicht mit der Arbeit vereinbar ist. Sie bahnen also ihre Karriere etwas weniger proaktiv.» Tatsächlich zeigten Untersuchungen aber auch, dass man Frauen in Führungspositionen Fehler weniger verzeihen würde als Männern. Und sie würden unbeliebter, je höher sie aufstiegen – im Gegensatz zu Männern. Noch immer stiegen deshalb wohl 43 Prozent der hoch qualifizierten Frauen aus dem Beruf
aus, wobei 60 Prozent angäben, dass der Ehemann die Ursache gewesen sei. «Denn noch immer ist es normal, dass sich die Frau um die Kinder kümmert», so Prof. Lang. Männer würden in Partnerschaften zudem mehr unter den Erfolgen ihrer Frauen leiden, wohingegen sich Frauen über den Erfolg ihrer Männer freuten. Neuere Studien belegten aber, dass sich alte Arbeitsparadigmata langsam änderten: Mehr Männer, vor allem die jüngeren, möchten mehr Zeit mit der Familie verbringen. Verdienten in einer Ehe Mann und Frau gleich viel, dann sei die Beziehung glücklicher und die Scheidungsrate niedriger. Eltern, die sich emotional nahestünden, beeinflussten wiederum die Entwicklung des Kindes zwei- bis dreimal stärker positiv als die Betreuungszeit per se.
Führen in den PDGR: Was hat sich in 20 Jahren verändert? Am Abschiedssymposium sprach auch Dr. med. Suzanne von Blumenthal, Chefärztin Psychiatrische Dienste Graubünden, von ihren eigenen Erfahrungen als weibliche Führungsperson in den letzten 20 Jahren. Die Chefärztin tritt zurück, weil sie sich selbstständig machen möchte. Als sie damals begonnen habe, habe sie grosse Schwierigkeiten gehabt, überhaupt einen Job zu bekommen, da man bei einer Frau Familie und Beruf als nicht vereinbar angesehen habe. Letztlich habe sie zwar keine Anstellung in ihrem Wunschberuf, der Geburtsheilkunde, gefunden, aber als Psychiaterin. Dort wollte sie auch nie leitend tätig sein, «allerdings wurde die Psychiatrie damals neu gestaltet. Und in der leitenden Position konnte ich diese Verwandlung aktiv mitgestalten.» Heute sei die Psychiatrie in Graubünden sehr gut aufgestellt. Neben stationären Diensten sei auch die ambulante Versorgung verstärkt ausgebaut worden. Ihre Erfahrung: «Unterstützen und Begleiten von Veränderungen geht nur, wenn man als Chefin Teil des Teams ist.» Als Frau in einer leitenden Position habe sie die Erfahrung gemacht, dass Frauen sehr oft in die Mutterrolle gedrängt würden, «was zu ernsthaften Reibereien führen kann». Führen heisst für von Blumenthal deshalb, eigene Grenzen zu erkennen und diese zu setzen: «Es braucht einen achtsamen Umgang mit sich selbst.» Wichtig sei zudem das private Umfeld gewesen, das sie immer getragen habe.
G
Annegret Czernotta
Quelle: Abschiedssymposium – Dr. med. Suzanne von Blumenthal: Frauen in Führungspositionen, 9. Februar 2017, Klinik Beverin Cazis.
2/2017
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
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