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FORTBILDUNG
Robotergestützte Therapie mit dem Endeffektor-Gangtrainer
Die roboter- und gerätegestützte Rehabilitation macht eine intensive Therapie beispielsweise nach Schlaganfall möglich. RehaClinic Bad Zurzach setzt in der Neurorehabilitation den Gangtrainer Lyra von Ability ein. Der Sportwissenschaftler Dr. Sebastian Frese gibt im Interview Auskunft über Nutzen und Vorteile der elektromechanisch unterstützten Gangtherapie.
Sebastian Frese
5/2016
P&N: Bei welchen Indikationen wird der Gangtrainer eingesetzt? Dr. Sebastian Frese: Die häufigsten Krankheitsbilder, bei denen der Gangtrainer in der Neurorehabilitation bei RehaClinic zum Einsatz kommt, sind Schlaganfall und Multiple Sklerose, gefolgt von Rückenmarksverletzung, Schädel-Hirn-Trauma, Polyneuropathie, Morbus Parkinson, Zerebralparese und der kraftbedingten und altersassoziierten Gangunsicherheit. Die Ursachen der Gehbehinderung sind vielseitig; mit Unterstützung des Gangtrainers möchten wir ein gemeinsames Trainingsziel, eine Funktionsverbesserung zur Realisation einer optimalen Eigenaktivität in allen Lebensbereichen, erreichen. Seit Ende 2013 setzen wir einen sogenannten Endeffektor-Gangtrainer ein. Dieser ermöglicht ein intensives, gezieltes und aufgabenspezifisches Training und ist ein Teil in der Therapiekette von neurologischen, gehbeeinträchtigten Patienten bei RehaClinic.
Welches Wissen im Umgang brauchen Sie zusätzlich, um den Gangroboter einsetzen zu können? Sebastian Frese: Wir setzten beim Gangtraining auf ein erfahrenes, interdisziplinäres Ärzte- und Therapeutenteam, welches auf die Behandlung neurologischer Patienten spezialisiert ist. Therapeuten und Sport-/ Bewegungswissenschaftler leiten das elektromechanisch unterstützte Gangtraining. Dafür bringen sie ein sehr gutes Verständnis für die Pathologien neurologischer Krankheitsbilder mit, und sie verfügen zudem über ausgeprägte biomechanische Kenntnisse aus der Gang- und Laufanalyse.
Sie benutzen den Gangroboter von Ability. Was hat er für Spezialitäten, was grenzt ihn von anderen Gangrobotern ab? Sebastian Frese: Dieser vom ETH-Spin-off Ability entwickelte Endeffektor-Gangtrainer unterstützt die Therapeuten bei der körperlich anstrengenden Arbeit und erlaubt Patienten ein Training mit viel höheren Wiederholungszahlen, beispielsweise im Vergleich zur Laufbandtherapie. Als erster Schweizer Rehabilitationsanbieter hat RehaClinic das Gerät der ETH-Ingenieure von Ability Ende 2013 angeschafft. Am Gangtrainer schätzen wir, dass er das physiologische Gangmuster imitiert und einen freien Zugang zum Patienten ermöglicht. Besonders wertvoll im Klinikalltag sind die kurzen
Rüstzeiten, der hohe Patientendurchlauf und die individuellen Einstellungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel partielle Körpergewichtsentlastung und Schrittlänge.
Wie sieht ein solches Training aus? Sebastian Frese: In Abhängigkeit von der Funktionsund der Leistungsfähigkeit des Patienten kann das Training mit dem Endeffektor-Gangtrainer zwischen 2 und 25 Minuten dauern. Dem Endeffektor-Prinzip entsprechend wird die Bewegung der Füsse distal gesteuert. Dabei steht der Patient mit einem Gurt gesichert auf zwei Fussplatten, die unter Berücksichtigung des Gangzyklus die Bewegung der Stand- und der Schwungbeinphase nachahmen. Wurde zum Beispiel einem sich in der Akutphase befindenden Rollstuhlpatienten mit einer ausgeprägten Hemiparese der Gurt für die Körpergewichtsentlastung einmal angelegt, kann der Transfer in den Stand dank dem rampenlosen Rollstuhlzugang und dem stufenlos verstellbaren Körpergewichtsentlastungssystem innerhalb von 10 bis 20 Sekunden erfolgen. In einem solchen Fall wäre bis zum Trainingsbeginn eine gesamthafte Vorbereitungszeit von zirka 5 bis 7 Minuten zu berücksichtigen. Ein etwas kleineres Zeitfenster wäre für den Transfer in den Rollstuhl nach dem Gangtraining einzuplanen. Die Lokomotionstherapie mit dem Gangtrainer ermöglicht ein aufgabenspezifisches, intensives und repetitives Training, bei dem die Therapeuten die Möglichkeit haben, sich besonders gut auf zentrale Therapieaspekte zu konzentrieren.
Wie reagieren die Patienten auf den Gangroboter? Sebastian Frese: Die Patienten reagieren häufig sehr emotional auf das Gehen mit einem Gangroboter und beschreiben diese Erfahrung als das Beste, was sie jemals erlebt haben. Sie bekommen wieder ein Gefühl für rhythmisches Gehen, welches ohne Gangroboter nur schwer zu erreichen ist. Auch werden die Bewegungsabläufe im Gangzyklus während der Gangtherapie korrekter ausgeführt und erfolgen physiologisch angepasst. Abnorme Gangmuster können oftmals durchbrochen werden. Der überwiegende Anteil der Patienten wird durch die positive Nutzung des Gangroboters stark motiviert. Es kann vorkommen, dass sich Patienten auch einmal etwas bremsen müssen, mit dem Ziel, bei deutlich reduzierter Funktions- und Leistungsfähigkeit das
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Maximum herauszuholen. Allerdings kann der hohe Grad an Unterstützung durch den Endeffektor-Gangtrainer respektive durch die Pedalplatten und das Körpergewichtsentlastungssystem gelegentlich auch kontraproduktiv sein; Patienten verlassen sich dann zu sehr auf die Schrittbewegung des Gangtrainers und unterstützen die Bewegung nicht mehr optimal. Aus Sicht des Therapeuten liegt ein wichtiger Nutzen auch darin, dass ein Therapeut allein eine noch gezieltere Therapie durchführen kann. Bei der Lokomotionstherapie mit dem Laufband sind oft zwei Therapeuten notwendig. G
Sehr geehrter Herr Dr. Frese, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: Dr. Sebastian Frese
Dipl.-Sportwissenschaftler, Neurologie und Forschung RehaClinic Bad Zurzach Quellenstrasse 34 5330 Bad Zurzach
E-Mail: s.frese@rehaclinic.ch
Link auf Videos zur elektromechanisch unterstützen Gangtherapie bei RehaClinic Bad Zurzach: Kurzdokumentation und Einzelinterviews https://www.rehaclinic.ch/aktuell/galerien/
Elektromechanisch unterstütztes Gangtraining mit taktiler therapeutischer Unterstützung des Bewegungsablaufes bei einem neurologischen, gehbeeinträchtigten Patienten
&34 5/2016
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