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kurz&bündig – Aktuelle Studien – kurz gefasst
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Du bist, was Du isst!
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Zusammenschau verschiedener Studien bestätigt Zusammenhang zwischen Übergewicht und Persönlichkeit.
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Der narzisstische Persönlichkeitsstil: Ressourcen und Kosten

FORTBILDUNG

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (NAR) muss keineswegs nur problematisch sein. Betroffene können auch ein hohes Mass an Ressourcen besitzen und überaus leistungsfähig sein. Allerdings bekommt man dies nicht umsonst: Der NAR-Stil geht oft mit deutlichen Kosten, beispielsweise aufgrund der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Burn-out, einher. Ob die Kosten oder die Ressourcen überwiegen, hängt vom Ausmass der Persönlichkeitsakzentuierung ab. Entwickelt sich eine Störung, beginnen die Kosten zu überwiegen: Denn die Person erkauft sich ihren Erfolg mit einer ganzen Reihe unangenehmer «Nebenwirkungen»; in diesem Fall ist eine gute Psychotherapie durchaus zu empfehlen.

Rainer Sachse

von Rainer Sachse
Die «narzisstische Persönlichkeit»
D er «narzisstische Persönlichkeitsstil» oder die «narzisstische Persönlichkeitsstörung» (NAR) ist eine bestimmte Akzentuierung der Persönlichkeit, die durch hohe Anstrengungsbereitschaft, hohe Leistungsorientierung, Kritikempfindlichkeit, starken Egozentrismus, hohes Anspruchsdenken und (wenn die Person die erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen besitzt) hohen beruflichen Erfolg gekennzeichnet ist (1–4). Personen mit narzisstischem Stil oder narzisstischer Störung weisen einerseits ein hohes Selbstvertrauen auf: Sie trauen sich selbst viel zu und verfügen über eine hohe Selbst-Effizienz-Erwartung (5, 6). Andererseits zeigen sie aber ebenfalls starke (bis sehr starke) Selbstzweifel, die trotz aller Erfolge bestehen bleiben und die sie (hoch) kritikempfindlich machen. Sie streben oft danach, «der Beste» zu sein, was zu massiven Anstrengungen führt. Dadurch verschieben sie oft eine Work-Life-Balance in Richtung «Work»: Sie vernachlässigen manchmal Hobbys, Beziehungen und ignorieren eigene Belastungsgrenzen.
Eine psychologische Theorie des Narzissmus Es gibt in der Literatur sehr unterschiedliche Konzepte von Narzissmus. Eine psychologische Theorie des narzisstischen Persönlichkeitsstils oder einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NAR) wurde von Sachse (7) entwickelt und weiterentwickelt (vgl. 8–19). Diese Theorie macht die Annahme, dass ein Narzissmus psychologisch aus einer Wechselwirkung der folgenden psychologischen Faktoren erklärt werden kann:

1. Beziehungsmotive: Die Person weist bestimmte Motive hoch in der Motivhierarchie auf; dabei handelt es sich um Beziehungsmotive, also Motive im Hinblick auf andere Personen (20). Das zentrale Beziehungsmotiv von NAR ist Anerkennung: Die Person möchte, dass andere ihr positives Feedback über die eigene Person geben, das heisst sie will hören: G dass sie als Person ok ist; G dass sie als Person liebenswert ist; G dass sie positive Eigenschaften aufweist; G dass sie kompetent ist, hohe Fähigkeiten hat, intelligent ist und so weiter. Ein weiteres wichtiges Motiv ist Autonomie: Die Person möchte eigene Lebensbereiche definieren, in denen sie selbst bestimmen kann: Sie will dort eigene Entscheidungen treffen, ohne jemand anderen um Erlaubnis fragen zu müssen, ohne sich mit jemandem abstimmen zu müssen.
2. Dysfunktionale Schemata: Schemata sind Annahmen, die eine Person in ihrer Biografie entwickelt. Hat sich einmal ein Schema entwickelt, wird dies schnell und automatisch durch bestimmte Situationen aktiviert («getriggert») und steuert dann die weitere Informationsverarbeitung und Handlungsregulation. Dysfunktionale Schemata sind solche, deren Aktivierung zu ungünstigen Schlussfolgerungen und damit zu ungünstigen Handlungen führen. Man kann zwei Arten solcher Schemata unterscheiden: G Selbstschemata: Diese enthalten Annahmen über die eigene Person. G Beziehungsschemata: Diese enthalten Annahmen darüber, «wie Beziehungen funktionieren» beziehungsweise was man in Beziehungen zu erwarten hat.

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Personen mit NAR weisen dabei immer zwei Arten von Selbstschemata auf: G Ein negatives Selbstschema, das Selbstzweifel
und negative Annahmen über sich selbst enthält. G Ein positives Selbstschema, das positive Selbstannahmen enthält.
Negatives Selbstschema: Narzisstische Störungen weisen immer, auch dann, wenn sie erfolgreich sind, negative Selbstschema-Annahmen auf (die mehr oder weniger stark negativ sein können). Es sind Annahmen der Art: G Ich bin nicht okay. G Ich bin nicht liebenswert. G Ich habe geringe (keine) Fähigkeiten u.ä.
Unmittelbare Konsequenzen, die aus diesen Annahmen resultieren, sind: G Die Person ist stark kritikempfindlich: Jede Art von Kri-
tik kann das Schema «triggern». Schon leichte Kritik kann die Person stark verletzen, kränken oder verärgern (nicht weil die Kritik so «hart» ist, sondern weil die Kritik das Schema triggert!). G Die Person hat oft (starke) Selbstzweifel, auch bei Handlungen, die sie «eigentlich» gut kann. Diese Selbstzweifel können sogar «wie ein zweiter Film» immer «mitlaufen». Beispielsweise glaubt die Person nicht daran, dass sie gute Vorträge halten kann. Es strengt sie also enorm an, sich dieser Situation zu stellen. Von aussen betrachtet ist die Person aber ein guter, zum Teil sogar sehr guter Vortragender.
Positives Selbstschema: Da Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil in ihrer Biografie irgendwann anfangen, durch Leistung ihr negatives Schema zu kompensieren, entwickeln sie, wenn sie damit erfolgreich sind, parallel zum negativen ein positives Selbstschema: Dieses enthält positive Annahmen über die eigene Person. Dabei können sie realistisch positiv sein, sind aber manchmal auch übertrieben und unrealistisch positiv. Das Schema enthält dabei Annahmen wie: G Ich habe gute (aussergewöhnliche) Fähigkeiten! G Ich bin (hoch) intelligent! G Ich bin (hoch) kreativ! G Ich bin (aussergewöhnlich) leistungsfähig! G Ich bin (hoch) belastbar! und so weiter.
Aus diesen Annahmen ergeben sich unmittelbare Konsequenzen: Ist dieses Schema aktiviert, ist die Person optimistisch, in guter Stimmung, nimmt Herausforderungen an. G Das Schema führt zu einer starken Selbsteffizienz-Er-
wartung. G Eine Konsequenz aus dem Schema ist eine Tendenz
zur Selbstüberschätzung. Die Person neigt dazu, sich Arbeiten aufzuhalsen, die ihre Fähigkeiten, ihre Belastbarkeit und so weiter übersteigen. Sie kann dabei auch leicht die Komplexität von Aufgaben oder Anforderungen unterschätzen. G Eine weitere Konsequenz ist Selbstüberforderung: zu viel zu leisten, zu viel zu arbeiten, eigene Grenzen nicht mehr wahr- oder ernst zu nehmen.

G Das Schema macht die Person aber auch in hohem Masse leistungsbereit und versetzt sie in die Lage, Herausforderungen anzunehmen.
Beziehungsschemata: Beziehungsschemata sind Annahmen der Person darüber, wie Beziehungen funktionieren oder darüber, wie man in Beziehungen behandelt wird. Auch in diesen Schemata «verdichten» sich biografische Erfahrungen. Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil weisen meist Beziehungsschemata mit folgenden Annahmen auf: G In Beziehungen wird man bewertet und «geprüft». G In Beziehungen wird man kritisiert und abgewertet. G In Beziehungen wird man kontrolliert und einge-
schränkt.
Kompensatorische Schemata Erfolgreiche NAR entwickeln in ihrer Biografie sogenannte «kompensatorische Schemata», also Schemata, deren Sinn es ist, ein «Gegengewicht» zu den dysfunktionalen Schemata zu bilden. Man kann zwei Arten kompensatorischer Schemata unterscheiden: G Normative Schemata: Schemata, die Vorschriften für
die Person selbst enthalten und die für die Person (mehr oder weniger) verbindlich sind; G Regelschemata: Schemata, die Erwartungen an andere enthalten und die damit «Vorschriften für andere» darstellen.
Die Person setzt die Regeln selbstverständlich, unreflektiert und automatisch; sie denkt nicht über ihre Legitimation nach oder darüber, ob andere solche Regeln wollen; sie geht eher selbstverständlich von einer Regelbefolgung aus. Damit verprellt sie aber oft Interaktionspartner, die solche Reglementierungen nicht wollen, nicht einsehen, nicht umsetzen können und so weiter (z.B. schon deshalb nicht, weil sie gar nichts von den Regeln wissen!). Die Person erzeugt durch Regeln im Allgemeinen ein hohes Ausmass an interaktionellen Kosten. Da Regeln von Interaktionspartnern häufig nicht eingehalten werden, kommt es bei der Person oft zu (heftigen) Ärgerreaktionen; diese können sich (stark) gesundheitsschädlich auswirken. Das Nicht-Erfüllen von Erwartungen geht also allgemein mit Ärgerreaktionen einher. Daher zeigen Personen mit starkem Regel-Setzer-Verhalten meist ein hohes und anhaltendes Ärgerpotenzial.
Manipulation Personen mit Persönlichkeitsstörungen sind (mehr oder weniger) manipulativ: Dabei muss man sehen, dass nach sozialpsychologischem Theorien manipulatives Handeln als «normal» und sogar als Teil der sozialen Kompetenz gilt (vgl. 21–24). Manipulative Strategien sind Handlungsstrategien, mit deren Hilfe man erreicht, dass Interaktionspartner etwas (für einen) tun, was sie eigentlich nicht tun wollen: Man bringt sie dazu, einem Aufmerksamkeit zu schenken, obwohl sie etwas anderes tun wollen; man bringt sie dazu, für einen Arbeit zu machen, die sie gar nicht machen wollen; man bringt sie dazu, zu Hause zu bleiben,

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obwohl sie sich mit Freunden treffen wollen, und so weiter. In der Psychologie wird Manipulation nicht wertend und schon gar nicht abwertend gemeint. Man geht vielmehr davon aus, dass Manipulation ein normales Interaktionsverhalten ist: Jeder manipuliert! Manipulation, richtig angewandt, ist sogar ein Aspekt sozialer Kompetenz. Das Entscheidende an Manipulation ist allerdings die Dosis: Manipuliere ich dosiert, und besteht zwischen mir und meinem Partner ein Ausgleich, dann ist Manipulation überhaupt kein Problem. Manipuliere ich jedoch in einer (sehr) hohen Dosis, dann beute ich den Partner aus: Er muss mehr für mich tun, als ich für ihn tue. Und dadurch wird er mit der Zeit unzufrieden und ärgerlich, und ich bekomme Beziehungsprobleme. Das Entscheidende ist somit nicht die Manipulation an sich, sondern die Dosis der Manipulation! Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil neigen stark dazu, andere für eigene Ziele einzuspannen: anderen eigene Aufgaben aufzuhalsen, unangenehme Probleme abzugeben, Routinetätigkeiten zu delegieren und so weiter.
Egozentrik Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil weisen ein hohes Ausmass an Egozentrik auf, das heisst, sie sehen sich selbst als Mittelpunkt des Universums und nehmen an, dass sich alles um ihre Person dreht. Sie haben die Tendenz: G die Welt «vom Ich aus zu sehen», alles von ihrer Per-
son ausgehend zu betrachten; G ihre eigene Bedeutung (stark) zu überschätzen; G die Bedeutung anderer zu unterschätzen.
Empathie Die meisten Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil weisen eine hohe Fähigkeit zur kognitiven Empathie auf, also die Fähigkeit, schnell und zutreffend zu erkennen, was ein Interaktionspartner möchte, was ihm wichtig ist, auf was er positiv reagiert, aber auch zu erkennen, was er vermeiden will und worauf er negativ reagiert. Eine solche Empathiefähigkeit ist wesentlich, wenn man Interaktionspartner erfolgreich manipulieren will. Allerdings weisen Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil meist auch die Fähigkeit auf, Empathie abzuschalten, also intentional nicht empathisch zu sein, wenn ihnen das nützt. Sollte ein zu grosses Verständnis eines Interaktionspartners, zum Beispiel bei der Verfolgung von Zielen, hinderlich sein, kann die Person ihre Empathie abschalten.
Handlungsorientierung Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil weisen meist eine starke Handlungsorientierung auf: Sie analysieren nur so viel Information, wie sie für notwendig halten, sie reflektieren nur so lange, bis sie eine Lösung haben, und versuchen, möglichst schnell in einen Handlungsmodus zu kommen. Sie treffen damit schnelle Entscheidungen, auch Entscheidungen unter Risiko, und «ziehen dann ihre Strategien durch».
Narzissmus als Ressource Ein narzisstischer Stil und (in Grenzen) auch eine nar-

zisstische Störung weisen ein hohes Mass an Ressourcen auf: Eine solche Persönlichkeitsakzentuierung ist auf keinen Fall nur problematisch (oder gar «pathologisch»); sie hat im Gegenteil auch viele Vorteile für die Person.
Anstrengungsbereitschaft, Leistungsorientierung, Ausdauer: Personen mit NAR sind oft in hohem Masse intrinsisch leistungsorientiert (25–27): Das führt bereits dazu, dass sie stark leistungsbereit und anstrengungsbereit sind: Sie betrachten Probleme und schwierige Aufgaben als Herausforderungen, die es anzupacken und zu bewältigen gilt. Die NAR weisen darüber hinaus aber immer auch eine (starke) Norm auf, leistungsorientiert zu sein: Dabei handelt es sich um eine extrinsische Motivation (26), die jedoch ein sehr starker Antreiber ist und den Klienten zu Höchstleistungen anspornt. Anders als eine intrinsische Motivation (die im Wesentlichen selbstregulativ ist) führt eine hohe extrinsische Motivation dazu: G dass die Person oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit
geht und oft ihre Belastungsgrenzen sogar ignoriert; G dass sdie Person den Aspekten Leistung/Erfolg eine
extreme Priorität einräumt und damit ihre gesamten Ressourcen diesem Lebensbereich zuordnet. Und damit leistet sie dann deutlich mehr, als wenn sie «nur» intrinsisch leistungsmotiviert wäre. In diesem Fall: G kann sie lange «Durststrecken» durchstehen, in denen sie Dinge tun muss, die sie eigentlich nicht tun will; G kann sie Phasen von Abwertung, von «Unterwerfung», von Überforderung ertragen, die Personen ohne solche Motivation längst zur Aufgabe veranlasst hätten; G kann sie Befriedigung extrem stark zurückstellen, um langfristige Ziele zu erreichen. Und damit ist sie (wenn sie über entsprechende Kompetenzen verfügt!) sehr viel erfolgreicher als Konkurrenten ohne NAR. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Anteil von Personen mit NAR in den Führungsetagen von Unternehmen, Kliniken, Universitäten und so weiter überproportional gross ist.
Handlungsorientierung: Sehr effektiv wirkt sich meist auch die starke Handlungsorientierung aus (28, 29): Die Person mit NAR sammelt nur relevante Informationen, um dann so schnell wie möglich Entscheidungen zu treffen. Sie grübelt nicht, sondern handelt möglichst schnell. Sie betrachtet Probleme als Herausforderung und stellt sich ihnen, sie geht sie an und versucht, möglichst schnell Lösungen zu entwickeln. Ein Aspekt einer starken Handlungsorientierung ist auch eine extrem geringe Grübeltendenz: Man denkt nicht über Dinge nach, die schiefgegangen sind, man belastet sich nicht mit aufgeschobenen Entscheidungen: Geht etwas schief, muss man es eben besser machen. Dabei sind Personen mit NAR meist bereit, kalkulierte Risiken einzugehen; sie sind nicht konfliktscheu, sie können sich meist gut abgrenzen und durchsetzen. Dadurch handeln sie oft schon, wenn andere noch analysieren: Dies kann in bestimmten Kontexten von grossem Vorteil sein.

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Manipulation und Regeln: Personen mit NAR können Interaktionspartner sehr gut für ihre Ziele einspannen: Sie können «gut delegieren», lassen andere Detailarbeiten machen und kümmern sich selbst «um die grossen Entwürfe»; sie vertrauen auf ihre Kompetenzen und neigen wenig dazu, sich selbst und andere zu kontrollieren. Damit entlasten sie sich von allen Detailarbeiten und von allen Arbeiten, die sie selbst kaum weiterbringen und konzentrieren sich auf kreative Aufgaben, die maximal Erfolge einbringen. Interaktionspartner werden so oft ausgenutzt, was die NAR meist aber wenig stört, da sie sich selbst für legitimiert halten, als «VIP» dies auch tun zu dürfen.
Hedonismus: NAR weisen meist nur ein geringes Mass an Alienation auf (vgl. 30–32): Sie wissen meist recht gut, was ihnen guttut und was sie wollen, und sie wissen, was sie nicht wollen. Daher richten sie sich oft ihr Privatleben gut ein: mit angenehmen Dingen, gutem Essen, gutem Wein. Sie machen angenehme Reisen, fahren angenehme Autos und so weiter. Bei einer angenehmen Lebensgestaltung sind persönlicher und wirtschaftlicher Erfolg durchaus hilfreich.
Empathie: Die hohe Empathie von NAR versetzt die Personen in die Lage, Interaktionspartner (IP) sehr gut und sehr schnell einzuschätzen: Dadurch können sich die NAR in aller Regel gut auf IP einstellen, was einen wesentlichen Aspekt hoher sozialer Kompetenz darstellt. Diese Fähigkeit ist auch für erfolgreiche Manipulationen sehr wesentlich: Ich muss gut einschätzen können, auf welche Aktionen ein IP «anspringt» und auf welche er sauer reagiert, um ihn effektiv manipulieren zu können (daher ist effektive Manipulation ohne hohe Empathie gar nicht denkbar!). Von Bedeutung ist aber auch die Fähigkeit, «Empathie abzuschalten»: Will ich jemanden einspannen, und dieser leidet unter Umständen unter dieser Aktion, dann wäre es kontraproduktiv, an dieser Stelle empathisch zu sein; also ist es wesentlich, dass ich in solchen Fällen meine Empathie «abschalten» kann, um mich nicht übermässig mit den Konsequenzen meines Handelns zu belasten.
Die Kosten des Narzissmus Wie deutlich wird, könnte Narzissmus viel Spass machen – wenn es die Kostenseite nicht gäbe. Leider führt NAR aber auch zu einigen Nachteilen. Und das umso mehr, je stärker der Stil in eine Störung übergeht, das heisst je stärker die Person ihre eigenen narzisstischen Anteile nicht mehr selbst unter Kontrolle hat.
Interaktionskosten: Ein wesentlicher Kostenfaktor des NAR sind Beziehungsoder Interaktionskosten. Diese resultieren insbesondere aus der Manipulation beziehungsweise aus dem Setzen von Regeln. So hat der NAR oft viele Erwartungen an andere, zum Beispiel:

G nicht kritisiert zu werden; G respektvoll behandelt zu werden; G als VIP behandelt zu werden; G nicht behindert zu werden; G Sonderrechte eingeräumt zu bekommen und so
weiter. Interaktionspartner fühlen sich dadurch aber oft bevormundet, ausgenutzt, kontrolliert, «benutzt»: Das macht sie (über kurz oder lang) unzufrieden, und sie sind nicht mehr bereit, sich so behandeln zu lassen. Damit kommt es zu Konflikten: mit dem Partner, mit Freunden, Arbeitskollegen, Chefs und so weiter. Beziehungen verschlechtern sich, IP verweigern die Kooperation, sabotieren die Person, werden sauer und ärgerlich, ziehen sich zurück oder kündigen die Beziehung. Das bemerkt natürlich der NAR; da er aber dann oft nicht über alternative Handlungsoptionen verfügt oder nicht einsieht, dass er sein Handeln ändern sollte, macht er «mehr desselben». Und dies führt dann zu einer progredienten Verschlechterung der Beziehungen.
Gesundheitskosten: Ein zweiter wesentlicher Kostenfaktor der NAR sind Gesundheitskosten: Wie gesagt, NAR gehen durch ihre extreme Leistungstendenz oft über ihre Belastungsgrenzen hinaus. Das erzeugt gesundheitliche Probleme: Bluthochdruck, Magengeschwüre, beginnende koronare Herzerkrankung und so weiter. Aber auch Burn-out, Erschöpfung und so weiter mit allen psychologischen Begleiterscheinungen. Auch die Regel-Setzer-Struktur ist hier gefährlich: Hat eine Person viele soziale Erwartungen (z.B. «man hat mich nicht zu behindern»), führt das unweigerlich dazu, dass IP diese Erwartungen ständig frustrieren (z.B. im Strassenverkehr): Dies führt zu einem hohen Ausmass von Ärger und Ausbrüchen von Feindseligkeit; und dies ist ein signifikanter Risikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung (33, 34).
Unstillbare Ziele: Aus der Tatsache, dass bei den NAR «Leistung» eine Norm (ein «Vermeidungsziel») ist, folgt, dass sie im Sinne von Gollwitzer (35) unstillbar ist: Wenn ich «der Beste» sein will, dann kann ich das prinzipiell nie erreichen, denn es wird immer jemand besser sein als ich. Und wenn meine Ziele nicht konkret definiert sind, weiss ich auch nie, wann ich meine Standards erreicht haben werde. Damit kann ein NAR aber mit dem (extremen) Leisten prinzipiell nie aufhören, er folgt immer der Devise: «Höher, schneller, weiter!» Damit ist es aber auch nie gut: Wenn der NAR ein Diplom hat, muss er promovieren; ist er promoviert, muss er habilitieren; ist er das, muss er Harvard ins Auge fassen und so weiter. Damit wird «Leistung» zu einem (extremen) inneren Druck, von dem sich der NAR immer weniger befreien kann.
Allgemeine Unzufriedenheit: Man muss auch sehen, dass der NAR anerkennungsmotiviert und nicht leistungsmotiviert ist: Und Anerkennung bekommt man nur «als Person»; bekommt man sie für Leistung, wird sie psychologisch wertlos.

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Daher kann der NAR, sosehr er sich auch anstrengt, durch Leistung und Erfolge nie sein Anerkennungsmotiv befriedigen: Dies steigt dagegen durch ständige Frustration immer höher in der Motivhierarchie, und die Unzufriedenheit des Klienten wird dabei immer ausgeprägter. Das ist vielen NAR auch deutlich; manche sagen auch so etwas wie: «Ich bin erfolgreich, habe ein schönes Haus, eine nette Frau, Kinder, auf die ich stolz sein kann, aber ich habe das Gefühl, ich werde nicht zufrieden. Und ich weiss nicht, wieso.» Der Grund ist, dass der NAR schlicht und einfach an seinem zentralen Motiv vorbei handelt (vgl. 36–43): Anstatt das Motiv «Anerkennung» zu befriedigen, befriedigt er die Norm «Leistung». Diese allgemeine, schwer zu definierende Unzufriedenheit ist für viele NAR tatsächlich ein beträchtlicher Kostenfaktor.
Merksätze:
G Der «narzisstische Persönlichkeitsstil» oder die «narzisstische Persönlichkeitsstörung» (NAR) ist durch hohe Anstrengungsbereitschaft, hohe Leistungsorientierung, Kritikempfindlichkeit, starken Egozentrismus, hohes Anspruchsdenken gekennzeichnet.
G Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil neigen stark dazu, andere für eigene Ziele einzuspannen und zu manipulieren.
G Die meisten Personen mit narzisstischem Persönlichkeitsstil weisen eine hohe Fähigkeit zur kognitiven Empathie auf.
G Ein wesentlicher Kostenfaktor des NAR sind Beziehungs- oder Interaktions- und Gesundheitskosten (Burn-out etc.).

Fazit

Ein Persönlichkeitsstil wie NAR ist keineswegs nur pro-

blematisch: Einen solchen Stil zu haben, kann für eine

Person ein signifikantes Ausmass an Ressourcen impli-

zieren.

Allerdings bekommt man diese nicht umsonst: Der

NAR-Stil geht auch mit deutlichen Kosten einher.

Ob die Kosten oder die Ressourcen überwiegen, hängt

aber vom Ausmass der Persönlichkeitsakzentuierung

ab: Weist eine Person eine leichtere Ausprägung, also

einen Stil auf, dann können die Ressourcen deutlich

überwiegen, und man kann die Kosten in Kauf nehmen.

Entwickelt sich jedoch die Akzentuierung in Richtung

auf eine Störung, dann beginnen die Kosten zu über-

wiegen: Die Person erkauft sich ihren Erfolg mit einer

ganzen Reihe unangenehmer «Nebenwirkungen»; in

diesem Fall kann man der Person eine gute Psychothe-

rapie durchaus empfehlen.

G

Korrespondenzadresse:

Prof. Rainer Sachse

Institut für Psychologische Psychotherapie

Prümerstr. 4

D-44787 Bochum

Internet: www.ipp-bochum.de

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