Transkript
Basler Sucht-Symposium:
Von der Wissenschaft zur Therapie
SYMPOSIUM
Neue Suchterkrankungen und Verhaltenssüchte sind ein zunehmendes Phänomen in der psychiatrischen Behandlung. Am Basler Sucht-Symposium stellten internationale Experten ihre Implikationen für die Therapie sowie neue Behandlungsansätze vor.
V ideospielen («Gaming») wird häufig mit Abhängigkeit in Verbindung gebracht. Neue Forschungsergebnisse legten allerdings nahe, dass Videospielen auch positive Effekte habe, sagte Prof. Dr. med. Jürgen Gallinat, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (D), einleitend am Sucht-Symposium in Basel. Der therapeutische Nutzen von Videospielen wird in der Psychiatrie derzeit erforscht. In Bezug auf die neuronale Plastizität zeigt sich, dass bei depressiv erkrankten Menschen oder bei Menschen unter bestimmten Stressoren die Plastizität abnimmt. Es gibt erste Hinweise, dass die Anzahl von bedeutenden Lebensereignissen mit der Grösse des Hippocampus in Verbindung steht. «Und je kleiner dieser wird, desto grösser ist wiederum die Gefahr von Depressivität», so Gallinat. Dass kognitives Training das Volumen des Hippocampus positiv beeinflussen kann, zeigte erstmals eine Studie an Taxi- und Busfahrern in London. Der Hippocampus der Taxifahrer war in der Magnetresonanztomografie (MRT) vergleichsweise grösser als bei Busfahrern. Dies war wohl darauf zurückzuführen, dass die Taxifahrer im Vergleich zu den Busfahrern immer wieder neue Navigationsleistungen zeigen mussten und sich in den Londoner Strassen zu orientieren hatten. Allerdings stellte sich auch die Frage, ob die Taxifahrer diesen Beruf nicht zuletzt deshalb gewählt haben, weil sie schon vorher über ein grösseres Hippocampusvolumen verfügten. Könnten Videospiele nun eine ähnliche Wirkung auf den Hippocampus haben? Bis zum 21. Lebensjahr haben viele junge Menschen bereits bis zu 10 000 Stunden mit Videospielen verbracht (McGonigal 2011). «Die Auswirkungen eines solchen Verhaltens auf das Gehirn sind bisher noch wenig bekannt», hielt Prof. Gallinat fest. Um herauszufinden, wie sich Videospielen auf das Gehirn auswirkt, liessen Kühn et al. in einer Studie über zwei Monate hinweg täglich 30 Minuten das Videospiel «Super Mario 64» spielen. Eine Kontrollgruppe durfte nicht spielen. Mithilfe der MRT wurde die
Struktur des Gehirns vermessen. Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigte sich bei den Videospielprobanden eine Vergrösserung im rechten Hippocampus, dem präfrontalen Kortex und in Teilen des Kleinhirns. Diese Hirnareale sind unter anderem für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie für die Feinmotorik der Hände von zentraler Bedeutung. Eine weitere Studie liess gesunde Probanden ein Training mit einem sogenannten «EgoShooter» durchführen, bei dem eine Spielfigur per Joystick dirigiert wird (Schlickum et al. 2009). Nach dem Training wurde getestet, ob die Probanden ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen entwickelt hatten. «In einem Operationssimulator zeigten die trainierten Probanden einen geschickteren Umgang mit dem Endoskop», so Prof. Gallinat. Dies ist ein Hinweis, dass die im Spiel trainierten Fähigkeiten zu einem gewissen Grad auch andere Fähigkeiten verbessern können. Eine entscheidende Frage ist nun, ob diese Trainingseffekte auch für die Therapie von Erkrankungen nutzbar gemacht werden können. Zum Beispiel bei psychischen Störungen wie der Schizophrenie, bei einer posttraumatischen Belastungsstörung oder neurodegenerativen Erkrankungen bei älteren Menschen wie der Alzheimer-Demenz. Ein Effekt von Videospieltraining konnte bei älteren gesunden Personen bereits festgestellt werden. Die im Durchschnitt 70-jährigen Probanden führten spielerisch eine Kreuzfahrt am Computer durch. Sie mussten rasch vorbeiziehende Leckereien am Buffet einsammeln, jedoch nicht Essbares auslassen (Kühn et al. submitted). Infolge des Trainings nahm die Dicke des Kortexanteiles zu, welcher für die sogenannte Inhibition (Stoppen einer schon begonnenen Bewegung) relevant ist. In weiteren Studien soll nun geklärt werden, ob ein solches Training auch die kortikale Kontrolle über bestimmte Emotionen verbessern kann. Dies könnte als unterstützendes Verfahren für die bei psychischen Störungen eingesetzte Verhaltenstherapie gegebenenfalls von Bedeutung sein.
Aber wie grenzt sich das Training von einer Spielsucht und anderen Süchten wie Nikotinoder Kokainabhängigkeit ab? Eindeutige Kriterien gibt es bis jetzt zwar nicht, allerdings zeigen manche Spieler ein Verhalten, welches einer Abhängigkeit quasi gleichkommt. Wichtig ist vor allem, dass durch zu ausgedehntes Videospielen nicht die sozialen Kompetenzen leiden. Das muss trainiert werden. «Umso wichtiger ist es deshalb, dass die Spieler sozial eingebettet sind», hielt Gallinat abschliessend fest.
E-Mental-Health und Therapie
Könnten die heutigen Möglichkeiten der
E-Mental-Health sogar zu einem Paradigmen-
wechsel in der Suchtmedizin führen? Diese
Frage stellte eingangs Prof. Michael Krausz,
Psychiater und Direktor für Suchtpsychiatrie am
Institut für Mental Health der University of Bri-
tish Columbia in Kanada.
Im Vergleich zu somatischen Erkrankungen fin-
den in der Suchtmedizin noch immer nur rund
10 Prozent der Betroffenen einen Zugang zu
spezialisierter Behandlung. Obwohl die
Schweiz im Vergleich zu Kanada sehr gut ver-
netzt ist und im internationalen Vergleich die
Zahl Psychiater pro Kopf weltweit die höchste
ist, könnten auch hier durch E-Health noch
grosse Fortschritte erzielt werden, so Prof.
Krausz: «Junge Menschen sind in der Regel gut
via Chat oder Mail zu erreichen. Das eröffnet
gute Perspektiven für Frühinterventionen, Prä-
vention und besseres Monitoring.»
Denn noch immer dauert es rund zehn Jahre
von den ersten Symptomen bei Suchterkran-
kungen bis zur ersten Behandlung. «Und je
kränker jemand ist, desto schwieriger ist es oft,
ihn in die Therapie zu bekommen», so Krausz.
Dabei haben die meisten aber eine Mailadresse
oder ein Handy. Krausz würde E-Health deshalb
gerne immer stärker in die Therapie miteinbe-
ziehen. «Die kognitive Verhaltenstherapie on-
line hat eine extrem hohe Effektstärke!», so der
Experte zu den Möglichkeiten von E-Health.
Auch psychoedukative Programme, beispiels-
weise bei Stress, liessen sich auf Counselling-
Plattformen anbieten.
Das World Wide Web schafft demnach, so
Krausz abschliessend, neue Kommunikations-
wege, die unsere psychiatrische Versorgung
grundlegend verändern werden. Diesen Pro-
zess aktiv zu gestalten, ist laut Krausz Aufgabe
der Universitäten
G
Annegret Czernotta
Quelle: Basler Sucht-Symposium «Von der Wissenschaft zur Therapie», 28.2.16.
&14 3/2016
PSYCHIATRIE NEUROLOGIE