Transkript
Moderne therapeutische Intervention im Reha-klinischen Kontext
FORTBILDUNG
Dirk Fischer
Die Anforderungen an die neurologische Rehabilitation sind deutlich gestiegen. Betroffene und Angehörige möchten heute mehr als die rein therapeutische Beseitigung von Funktionsstörungen. Im Beitrag wird die Komplexität der Anforderungen am Beispiel der Reha-Klinik Helios in AmbrockHagen (D) aufgezeigt, und mögliche Lösungsansätze werden vorgestellt.
von Dirk Fischer
Situation des Patienten
F ür viele Patienten ist die neurologische Rehabilitation mit der Frage und der Angst verbunden, was sich hinter dem Begriff «Rehabilitation» überhaupt verbirgt und was dort zu erwarten sein wird. Der bereits Reha-erfahrene Patient hat demgegenüber einen Wissensvorsprung und weiss bereits von den Inhalten und Abläufen einer Rehabilitation. Trotzdem durchschreitet jeder Patient – ob neu oder erfahren – jedes Mal ein Tor hinein in die Ungewissenheit dessen, was ihn erwarten wird.
Der optimale Prozessablauf Im optimalen Prozessablauf (Kasten) wird der Patient nach dem akuten Ereignis oder nach der Diagnostik der Erkrankung in einer Akutklinik versorgt, beispielsweise auf einer Stroke-Unit. Danach – gegebenenfalls mit einem kurzen Zwischenstopp im häuslichen Umfeld – wird er in die stationäre Rehabilitation eingeliefert. Dort soll der Patient nun eine Zeit verbringen, um nach eingetretener Verbesserung eine teilstationäre Reha oder auch ambulante Therapie mit Versorgung durch die verschiedenen Therapiepraxen zu absolvieren. Eventuell steht anschliessend oder begleitend eine berufliche Wiedereingliederung an bis zur möglichst vollständigen Genesung. Denn das ist das vornehmliche Ziel des Patienten: gesund wieder in den jäh unterbrochenen Alltag zurückzukehren.
Die Einflussfaktoren Zu den Einflussfaktoren der stationären Rehabilitation zählen der Prozessablauf, die vorhandenen Ressourcen, der Kostenträger, der Patient und zunehmend auch die Angehörigen. Vergleicht man den Verlauf einer Rehabilitation heute und vor zehn Jahren, dann dauerte die Akutbehandlung noch vor einigen Jahren deutlich länger. Auch die stationäre Rehabilitation wurde weiter komprimiert, und die ambulante Nachversorgung beginnt und endet deutlich früher. Das wiederum bedeutet, dass sich die neurologische stationäre Rehabilitation verkürzt hat, die stationäre
Reha ebenfalls – dadurch muss mehr Reha in weniger Zeit stattfinden! Der frühe Reha-Beginn stellt zumindest neurologisch betrachtet aber durchaus einen Gewinn dar: Der Körper hat kaum Gelegenheit, Pathomechanismen zu entwickeln und zu manifestieren, die in der Folge (in früherer Zeit) zunächst aufwändig hätten beseitigt werden müssen. Dennoch hat der frühe stationäre Beginn der neurologischen Rehabilitation nicht nur Vorteile: Immer wieder stellen wir fest, dass der Patient und auch die Angehörigen einen deutlich höheren Aufklärungsbedarf haben und mehr psychische Unterstützung benötigen als noch vor einigen Jahren. Oftmals sind die Patienten gedanklich noch gar nicht in der veränderten Lebenssituation angekommen und finden sich nach der Akutbehandlung nur wenige Tage oder Wochen später erneut in einer ebenfalls neuen, ungewohnten und unbekannten Situation wieder: in der stationären Rehabilitation.
Effizienz wird immer wichtiger Die im Vergleich zu früher kurze Aufenthaltsdauer macht eine effizientere Therapie notwendig und somit auch viel Therapie in kurzer Zeit?! Hier setze ich ganz bewusst ein Fragezeichen an das Satzende, verbunden mit dem Wunsch, zu hinterfragen, ob der eine oder andere eventuell sogar körperlich noch deutlich geschwächte Patient in diesem frühen Zeitfenster auch schon derart komprimiert «viel» Therapie verarbeiten kann. Ein chinesisches Sprichwort sagt: «Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.» Dieses Sprichwort können wir auch in die Rehabilitation übertragen: Die Reha schreitet nicht einfach schneller voran, der Patient muss für diese auch bereit sein.
Die Ressourcen Betrachten wir nun einmal die Ressourcen im Prozess, so sehen wir, dass bei wachsendem Kostendruck die Anzahl der Mitarbeiter sinkt; bei verkürzter Aufenthaltsdauer aber der «Patientendurchlauf» und somit auch der organisatorische und bürokratische Aufwand in einer Klinik steigt. Die Kostenträger fordern zunehmend den schriftlichen Beleg von Quantität und Qualität und die Validität der durchgeführten Therapien. Das heisst:
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Kasten: Optimaler Prozessablauf einer Rehabilitation (D. Fischer)
Weniger Mitarbeiter müssen mehr Arbeit bei höherer Qualität und höherer Patientenanzahl leisten.
Der Angehörige und der Betreuungsbedarf Oftmals kommen die Patienten ohne oder mit wenigen, teilweise auch mit falschen und/oder pauschalierten Informationen in die stationäre Reha. Je nach Grundeinstellung bringt der Betroffene die positive oder negative Information als «seine Wahrheit» mit in die Reha ein. Auch der mittlerweile immer häufiger «fehlende» Angehörige bringt in der Beratung und Betreuung des alleinstehenden Patienten einen erhöhten Betreuungsbedarf beim Patienten mit sich. Der Graben zwischen dem gut informierten und dem völlig falsch oder uninformierten Patienten und Angehörigen klafft immer weiter auf. In den Akuthäusern werden durchaus aufklärende Gespräche geführt, jedoch sind Patient und Angehörige häufig gar nicht in der Lage, die Informationen in dieser frühen Phase schon in ihrer Komplexität und Tragweite aufzunehmen und adäquat zu verarbeiten. Erschwerend kommt hinzu, dass zum Teil auch Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.
Anspruch und Wirklichkeit Aussprüche wie: «Gehen Sie nach Ambrock! Die machen Ihren Angehörigen gesund!» ehren unser Haus und zeigen, dass wir einen guten Ruf geniessen und die Therapieeffizienz offensichtlich gut ist. Allerdings führt das zu Erwartungen, die wir nicht immer erfüllen können. Denn nicht bei jeder Erkrankung wird «alles gut». So ist es nicht verwunderlich, wenn Verzweiflung und Wut über das zerstörte optimale Lebensmodell der Betroffenen in der versorgenden Rehabilitationsklinik entladen werden.
Unser konzeptioneller Ansatz Wie funktioniert stationäre neurologische Rehabilitation unter diesen Rahmenbedingungen denn nun trotzdem? Wir arbeiten in einem interdisziplinären Team aus Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften. Durch die interdisziplinäre, neurologisch-pneumologische Beatmungsstation haben wir die Möglichkeit, die Patienten schon sehr früh in die neurologische Rehabilitation zu übernehmen. Der Patient wird beispielsweise zur Beatmungsentwöhnung als pulmologischer Patient aufgenommen, wechselt dann aber ohne erneuten Ortswechsel in die neurologische Rehabilitation. Unser angeschlossenes Institut für Schlafmedizin bietet parallel die Möglichkeit, ursächliche Erkrankungen – beispielsweise das obstruktive Schlaf-Apnoe-Syndrom für einen Stroke – direkt zu therapieren. Erzielt der Patient nach der stationären Rehabilitation
bereits deutliche Fortschritte, wird das Erlernte im eigenen häuslichen Umfeld erprobt und gefestigt. Dazu bietet eine teilstätionäre Behandlung, wie sie unser Ambrocker Therapiezentrum ermöglicht, die Gelegenheit. So lassen sich die Therapieziele im Reha-Verlauf immer präziser abstimmen und der Erfolg am Ergebnis der möglichen Umsetzung im Alltag validieren.
Unser inhaltlicher Ansatz Eine effiziente Gestaltung und ständige Optimierung aller Arbeitsabläufe ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen notwendig. Dazu gehören auch die Automatisierung von Begleitprozessen, die Anwendung und Weiterentwicklung validierter Therapieverfahren, regelmässige Schulungen und Fortbildung der Mitarbeiter, ständige Verbesserung und Überwachung durch das Qualitätsmanagement. Gerade in jüngster Vergangenheit haben wir zusätzlich Konzepte entwickelt, die den heutigen oben genannten Rahmenbedingungen verstärkt Rechnung tragen, wie Konzepte zur frühen umfassenden Aufklärung zu Beginn, im Verlauf und zum Ende der stationären neurologischen Rehabilitation. In den vergangenen Jahren haben wir zudem viele Angebotserweiterungen im therapeutischen Bereich durchgeführt, zu nennen sind etwa: G der Lokomat zur gleichmässigen, repetitiven Schu-
lung von Laufbewegungsmustern; G der Balancetrainer mit Biofeedback; G Versorgungen von schwerstbetroffenen Patienten
zum Beispiel bei Guillain-Barré-Syndrom oder amyotropher Lateralsklerose mit Humankommunikatoren, die Ansteuerungsmöglichkeiten wie Augenund Lidschluss- oder auch Tastersteuerungen mit der optionalen Möglichkeiten haben, das persönliche Umfeld zu steuern; G bild- und symbolbasierte Softwaresysteme, die Patienten mit gestörter Sprachproduktion eine PCoder Tablet-gestützte Kommunikationsmöglichkeit zur Kompensation bieten;
Merkpunkte:
G Die stationäre neurologische Rehabilitation ist aufwändiger geworden und umfasst mehr als die Beseitigung von Funktionsstörungen.
G Neue und zusätzliche Reha-Schwerpunkte sind die Beratung, die psychosoziale Betreuung und die Überleitung in die nächste (teilstationäre oder ambulante) Reha-Phase.
G Die Inter- und Intradisziplinarität der Mitarbeiter ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg.
G Der Zeitrahmen der Rehabilitation ist enger. Es wird mehr in weniger Zeit therapiert.
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G myo-elektrische Orthesen, mit deren Hilfe betroffene Patienten frühzeitig eine Unterstützung zur Reduktion von muskulären Verkürzungen und Anbahnung erster Funktionen erhalten, dies mit dem Ziel, eine solche Orthese eventuell sogar ohne therapeutische Hilfe selbst anwenden zu können.
Ebenso bieten wir begleitende präventive Massnahmen wie ein Rauchentwöhnungsprogramm und verschiedenste interdisziplinäre Seminare zur Aufklärung über verschiedene Erkrankungen.
Fazit Die moderne therapeutische Intervention im Reha-klinischen Kontext unterliegt heutzutage bedeutend engeren zeitlichen wie finanziellen Handlungsspielräumen und bedeutet wesentlich mehr als die reine Therapie
der Körperfunktionsstörung. Wir erfassen die verschie-
denen Ebenen des Störungsbildes und nicht nur die
Funktionsstörung und berücksichtigen deren Einfluss
auf die Aktivitäts- und Partizipationsebenen des Patien-
ten unter Einbezug möglichst aller relevanter Ressour-
cen. Die Therapie erfolgt unter Einsatz von langjährig
bekannten Therapiekonzepten und -verfahren sowie
der Nutzung modernster Technologien.
G
Korrespondenzadresse:
Dirk Fischer
Therapeutische Leitung
Staatl. Gepr. Ergotherapeut
Helios-Kliniken Hagen Ambrock
Ambrocker Weg 60
D-58091 Hagen
E-Mail: dirk.fischer@helios-kliniken.de
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