Transkript
EDITORIAL
Voneinander lernen
S chmerz ist eine universelle Wahrnehmung und taucht als Symptom nahezu in jedem klinischen Fachgebiet auf. Dabei ist es unerheblich, ob dieser Schmerz akut oder chronisch ist. Die Wahrnehmung des Patienten unterscheidet dies nicht. Zur Behandlung eines Schmerzes fühlt sich also mehr oder weniger jedes medizinische Fachgebiet gleichermassen berufen: Ausgerüstet mit dem fachspezifischen Wissen gerät man dabei leicht in die Position desjenigen, der nur einen Hammer besitzt – für ihn sind alle Probleme Nägel.
Chronischer Schmerz hat sich jedoch als komplexes, vielschichtiges Problem herausgestellt, welchem eine sequenzielle Monotherapie nicht gerecht wird. Dass gerade chronische Schmerzen teuer sind, zeigt die neueste, vom Bundesamt für Gesundheit veröffentlichte Studie zu den Kosten der nicht übertragbaren Krankheiten (www.bag.admin.ch/ ncd). Spitzenreiter sind die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gefolgt von den muskuloskeletalen. Insgesamt fallen die höchsten indirekten Kosten bei muskuloskeletalen Krankheiten an (7,5 Milliarden Franken für Rückenschmerzen und 4,7 Milliarden Franken für rheumatische Erkrankungen), was vor allem auf die hohe Prävalenz (Häufigkeit und Dauer der Erkrankung) dieser Erkrankungen zurückzuführen ist. Die Kosten liegen damit weit vor den Kosten für Diabetes, chronische Atemwegserkrankungen, Demenz oder Tumorerkrankungen.
Seit Langem haben die Internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (IASP), aber auch die Europäische Föderation der Schmerzgesellschaften (EFIC) und neuerdings das World Institute of Pain (WIP) einen interdisziplinären und multimodalen Behandlungsansatz als Goldstandard für die Behandlung chronischer Schmerzen definiert.
Durch eine enge Zusammenarbeit von Spezialisten verschiedener Fachrichtungen lässt sich nicht nur
die Qualität der Versorgung verbessern, sondern es lassen sich auch Behandlungskosten einsparen. Zudem ist das Wissen eines interdisziplinären Teams mehr als die Summe des Fachwissens seiner einzelnen Mitglieder. Innerhalb solcher Teams ist es möglich, über den eigenen fachlichen Rahmen hinaus relevante Themen zu diskutieren. In Bezug auf chronische Schmerzen sind klassische Risikofaktoren oder Therapieblocker seit Langem bekannt: Übergewicht und Fehlernährung, Rauchen, Bewegungsmangel, Arbeitsplatzprobleme, psychosoziale Konfliktsituationen, psychiatrische Komorbiditäten, Migrationsstatus und so weiter. Diese werden jedoch in der Einzelbehandlung oft zu wenig in die Konzeption der Therapie einbezogen, sind es doch oft aus medizinischer Sicht gesehen Randthemen.
Im vorliegenden Heft möchten wir deshalb einige unterschiedliche Aspekte von chronischen Rückenschmerzen beleuchten. Wir möchten Sie ermuntern, mit der Lektüre dieses Heftes vielleicht den Blick auf Ihnen wenig bekannte Nachbarbereiche Ihrer täglichen Arbeit zu richten und sich von den Informationen inspirieren zu lassen.
Ausserdem meldet sich in diesem Heft die Schmerzliga Schweiz als Selbsthilfeorganisation und Patientenvertretung zu Wort. Da die Behandlung chronischer Schmerzen für den Betroffenen einen Lernprozess auf vielen Ebenen darstellt, ist eine Einbindung der Betroffenen in die Therapiekonzepte wichtig. Beim Psychiatrieschwerpunkt stehen die bildgebenden Verfahren im Mittelpunkt.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. G
Dr. med. André Ljutow Leitender Arzt Zentrum für Schmerzmedizin
Schweizer Paraplegiker-Zentrum E-Mail: andre.ljutow@paraplegie.ch
2/2015
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
1