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FORTBILDUNG
Interventionelle Therapie bei chronischen Rückenschmerzen
Interventionelle Therapieverfahren spielen im Kontext einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie sowohl unter diagnostischen als auch unter therapeutischen Aspekten eine wichtige Rolle. Allerdings gilt es, diese Verfahren zielgerichtet und auf der Basis einer klaren Indikationsstellung einzusetzen, da jedes interventionelle Therapieverfahren mit potenziellen Risiken und Komplikationen vergesellschaftet ist.
Tim Reck
2/2015
von Tim Reck
R ückenschmerzen sind ein sehr häufiges Krankheitsbild. Der überwiegende Teil der Bevölkerung in den Industrieländern erleidet im Laufe seines Lebens mindestens eine Episode heftiger Rückenschmerzen. Rückenschmerzen sind allerdings nicht gleich Rückenschmerzen. Grundsätzlich muss zwischen akuten und chronischen sowie zwischen spezifischen und unspezifischen Rükkenschmerzen unterschieden werden. In den meisten Fällen sind akute Rückenschmerzen unspezifisch und selbstlimitierend (90%). In etwa 5 Prozent der Fälle besteht ein etwas längerer Verlauf, und 2 bis 7 Prozent der Patienten entwickeln einen chronischen Schmerz (1). Im Zusammenhang mit Rückenschmerzen beschreibt der Begriff «chronisch» weit mehr als die blosse Dauer der Beschwerden. Vielmehr entsteht ein chronischer Rükkenschmerz in den meisten Fällen langsam progredient, ohne dass sich eine auslösende Ursache festmachen lässt. Im Verlauf der Zeit führt die Chronifizierung zu einem eigenständigen Krankheitsbild, welches von psychischen Belastungen, depressiver Symptomatik und fehlenden Verarbeitungsmechanismen geprägt ist (2). Während unspezifische Rückenschmerzen per definitionem ein grundsätzlich gutartiges Leiden beschreiben, besteht bei den spezifischen Rückenschmerzen eine diagnostizierbare, strukturelle Pathologie als Ursache für den Schmerz. Dies kann beispielsweise eine Fraktur, ein Bandscheibenvorfall, ein Infekt oder ein Tumor sein. Vor diesem Hintergrund spielen interventionelle Verfahren sowohl in der Diagnostik von Rückenschmerzen als auch in der Therapie von spezifischen Rückenschmerzen eine wichtige Rolle. Bei unspezifischen Rückenschmerzen gibt es gemäss den aktuell gültigen Leitlinien keine Indikation für therapeutische Interventionen (3). Einige der zur Verfügung stehenden interventionellen Verfahren sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Interventionelle Verfahren Nervenwurzelverfahren Die selektive Nervenwurzelblockade beschreibt ein wirbelsäulennahes Verfahren, bei dem unter fluoroskopi-
scher Kontrolle eine Nadel in unmittelbare Nähe einer bestimmten Nervenwurzel im entsprechenden Neuroforamen platziert wird. Diese Intervention kann unter diagnostischem wie auch unter therapeutischem Aspekt durchgeführt werden. Grundsätzlich wird dieses Verfahren sowohl im zervikalen, im thorakalen als auch im lumbalen und sakralen Abschnitt der Wirbelsäule eingesetzt (Abbildung). In vielen Fällen sind Rückenschmerzen vergesellschaftet mit einer Schmerzausstrahlung in ein oder beide Beine. Eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen stellt dann der radikuläre Schmerz beziehungsweise die Radikulopathie dar. Diese beiden Termini werden fälschlicherweise häufig synonym gebraucht. Radikulopathie beschreibt einen Symptomenkomplex aus verschiedenen sensiblen und motorischen Veränderungen mit oder ohne Schmerzempfinden, welche auf eine Reizung oder Verletzung einer Nervenwurzel zurückzuführen sind. Es ist also durchaus vorstellbar, dass zwar eine Radikulopathie neurophysiologisch nachweisbar ist, die Intensität des ausstrahlenden Schmerzes sich aber nicht durch eine selektive Wurzelblockade reduzieren lässt. In diesem Fall muss nach einer anderen Ursache für den gleichzeitig vorliegenden Schmerz gesucht werden. Sollten sich auf der anderen Seite die selektiven Wurzelblockaden als positiv erweisen, muss auch ohne in der Neurophysiologie nachweisbare Veränderungen klinisch von einer radikulären Schmerzproblematik ausgegangen werden. In diesem Fall schliesst sich konsequenterweise ein therapeutisches Verfahren an. Zur Diagnostik werden aufgrund der hohen Rate falschpositiver Ergebnisse bei der ersten Intervention zwei Interventionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, sinnvollerweise mit unterschiedlich lang wirkenden Lokalanästhetika (zum Beispiel Lidocain und Bupivacain), durchgeführt (4). Die Lokalisation des Neuroforamens erfolgt mithilfe der Fluoroskopie, vor Injektion des Lokalanästhetikums wird zur definitiven Lagekontrolle sowie zum Ausschluss einer intravasalen Position der Nadelspitze Röntgenkontrastmittel injiziert. Nach positiver Diagnostik kann unter therapeutischem Aspekt sowohl die perkutane funktionelle Denervation (Radiofrequenztherapie) als auch die transforaminale Steroidinfiltration zum Einsatz kommen, wobei die
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Durchführung grundsätzlich der Durchführung der diagnostischen Blockaden sehr ähnlich ist. Für die Wirksamkeit der Radiofrequenztherapie besteht eine gute Evidenz (5), die Evidenz bezüglich Steroidinfiltrationen ist nicht eindeutig belegt (6).
Facettengelenksblockaden Eine mögliche (Mit-)Ursache lumbaler Schmerzen liegt in den lumbalen Facettengelenken als Schmerztrigger. Allerdings gibt es im Rahmen der klinischen Untersuchung keine Testverfahren, die pathognomonisch für die Diagnose eines Facettengelenksschmerzes sind. Mögliche Differenzialdiagnosen umfassen den diskogenen Schmerz, eine Pathologie im Bereich der Iliosakralgelenke, sowie myofaszielle Schmerzen. Zusätzlich besteht gerade bei dieser anatomischen Struktur die Gefahr, dass aufgrund radiologischer (meist degenerativer) Veränderungen zu schnell und undifferenziert von der Bildgebung auf die klinische Situation des Patienten projiziert wird und interventionelle Therapieverfahren der lumbalen Facettengelenke ohne vorherige Diagnostik zur Anwendung kommen. Dabei besteht gerade für die unter fluoroskopischer Kontrolle durchgeführten diagnostischen Blockaden (im Sinne einer Blockade der sensiblen Versorgung der Facettengelenke durch die entsprechenden Rami mediales) eine sehr gute Evidenz (7). Sie werden mit einem Lokalanästhetikum durchgeführt, und der Patient hat mithilfe eines Schmerztagebuches die Aufgabe, die Schmerzintensität in den folgenden Stunden zu beurteilen. Als positiv gilt eine Blockade üblicherweise, wenn eine mindestens 50-prozentige Schmerzreduktion erreicht werden konnte. An therapeutischen Optionen stehen auf der einen Seite die intraartikuläre Steroidinfiltration der betroffenen Gelenke, auf der anderen Seite die Radiofrequenzthermoablation oder die gepulste Radiofrequenztherapie der entsprechenden Rami mediales zur Verfügung. Die Evidenz für die intraartikuläre Injektion ist weniger gut; Beobachtungsstudien neueren Datums gibt es nur wenige. Die besten Untersuchungen existieren zur Thermoablation. Hier konnte in einer randomisierten Doppelblindstudie nicht nur eine signifikante Schmerzlinderung, sondern auch eine Verbesserung funktioneller Parameter gezeigt werden (8).
Epiduralanästhesie Schmerzen aufgrund einer Spinalkanalstenose haben üblicherweise ein recht charakteristisches Verteilungsmuster. Meistens sind beide Beine betroffen, eine dermatomale Zuordnung der Schmerzen ist nur schwer möglich, und es liegt der typische (anamnestische) Hinweis einer Claudicatio spinalis vor. Insgesamt ist diese strukturelle Pathologie häufig schon klinisch deutlich besser von einem unspezifischen Schmerzbild abzugrenzen als andere pathologische Zustände. Dennoch kommt auch bei dem klinischen (und möglicherweise radiologischen) Vorliegen einer relevanten Spinalkanalstenose der diagnostischen Epiduralanästhesie eine gewisse Bedeutung zu, insbesondere, wenn von Wirbelsäulen-chirurgischer Seite eine mögliche operative Option diskutiert wird. Die Durchführung einer epiduralen Injektion gehört zur anästhesiologischen Grundausbildung. Bei Einsatz die-
Abbildung: Nervenwurzelblockade.
Darstellung des periradikulären Kontrastmittelabflusses bei einer diagnostischen Nervenwurzelblockade S1 links.
ser Intervention im Rahmen der Schmerztherapie, ins-
besondere unter diagnostischen Aspekten, ist allerdings
die Durchführung unter fluoroskopischer Kontrolle in-
diziert, da auf diese Weise die Ausbreitung des Kontrast-
mittels (und damit entsprechend des Wirkstoffes)
kontrolliert und eine gegebenenfalls unvollständige
Blockade entsprechend interpretiert werden kann.
Unter therapeutischen Aspekten wird üblicherweise
eine Kombination aus Lokalanästhetikum und Steroid
eingesetzt. In der aktuellen Literatur wird der Effekt zwar
zum Teil kontrovers diskutiert (9, 10), dennoch kann ge-
rade bei klinisch zwar relevanten, radiologisch aber
nicht kompletten Spinalkanalstenosen mithilfe (gege-
benenfalls wiederholt durchgeführter) epiduraler Injek-
tionen möglicherweise eine Operation vermieden oder
zumindest hinausgezögert werden. Dies erlaubt dem
Patienten im besten Fall, schmerzgelindert mithilfe der
Physiotherapie bestmögliche Voraussetzungen für die
Operation zu schaffen.
Abschliessend muss erwähnt werden, dass an dieser
Stelle nicht alle interventionell in der Diagnostik oder
der Therapie von Rückenschmerzen eingesetzten Ver-
fahren beschrieben werden konnten. Zusätzlich zu wei-
teren perkutan durchführbaren Interventionen wie zum
Beispiel der Iliosakralgelenksblockade oder der Infiltra-
tion des M. piriformis gibt es je nach Indikation auch die
etwas invasiveren Optionen wie zum Beispiel die epi-
durale Rückenmarkstimulation (SCS, Spinal Cord Stimu-
lation). Neben der klassischen Anwendung (perkutane
Stabelektroden oder neurochirurgisch eingelegte Plat-
tenelektroden zur epiduralen Stimulation des Rücken-
marks) etablieren sich derzeit neue Verfahren wie die
epidurale Hochfrequenzstimulation oder die (wesent-
lich weniger invasive) subkutane Feldstimulation. Diese
Verfahren haben zum Teil ihren Nutzen in der Behand-
lung auch der unspezifischen Rückenschmerzen (sub-
kutane Feldstimulation), zum Teil in der Behandlung bei
Schmerzen mit spezifischen Ursachen (z.B. radikuläre
Schmerzen), bereits nachweisen können. Wichtig ist al-
lerdings bei allen diesen Verfahren, dass es sich immer
nur um ein symptomatisches und nie um ein kausales
Therapieverfahren handelt.
G
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Tim Reck, MSc
Oberarzt Anästhesiologie
Spezielle Schmerztherapie (D)
Interventionelle Schmerztherapie (SSIPM)
Zentrum für Schmerzmedizin
Schweizer Paraplegiker-Zentrum
Guido A. Zäch Str. 1
6207 Nottwil
Es bestehen keine Interessenkonflikte.
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Literatur:
1. Andersson GB: The epidemiology of spinal disorders. In: Frymoyer JW, editor. The adult spine: Principles and Practice. Philadelphia: Lippincott-Raven 1997; 93–141.
2. Waddell G: Biopsychosocial analysis of low back pain. Baillieres Clin Rheumatol 1992; 6(3): 523–557.
3. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungs Leitlinie Kreuzschmerz – Leitlinienreport, 1. Auflage. Version 1. 2013. Available from: http://www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de [cited: 09.12. 2014]; DOI: 10.6101/AZQ/000144
4. Van Zundert J, Patijn J et al.(eds.): Evidence-based Interventional Pain Medicine. Wiley-Blackwell Verlag 2012.
5. Abejon D, Garcia-del-Valle S et al.: Pulsed radiofrequency in lumbar radicular pain: clinical effects in various etiological groups. Pain Pract 2007; 7: 21–26.
6. Chou R, Atlas SJ et al.: Nonsurgical interventional therapies for low back pain: a review of the evidence for an American Pain Society clinical practice guideline. Spine 2009; 34: 1078–1093.
7. Falco FJE, Manchikanti L et al.: An update of the effectiveness of therapeutic lumbar facet joint interventions. Pain Physician 2012; 15(6): E909–953.
8. Nath S, Nath CA et al.: Percotaneous lumbar zygapophysial (facet) joint neurotomy using radiofrequqncy current, in the management of chronic low back pain. Spine 2008; 33(12): 1291–1297.
9. Friedly JL, Comstock BA et al.: A randomized trial of epidural glucocorticoid injections for spinal stenosis. N Engl J Med 2014; 3; 371(1): 11–21
10. Manchikanti L, Candido KD et al.: Randomized trial of epidural injections for spinal stenosis published in the New England Journal of Medicine: further confusion without clarification. Pain Physician. 2014; 17(4): E475–88.
Merksätze:
G Unspezifische Rückenschmerzen sind per definitionem ein grundsätzlich gutartiges Leiden, und spezifische Rückenschmerzen haben eine diagnostizierbare, strukturelle Pathologie als Ursache für den Schmerz. Interventionelle Verfahren spielen deshalb sowohl in der Diagnostik von Rückenschmerzen als auch in der Therapie von spezifischen Rückenschmerzen eine wichtige Rolle.
G Die selektive Nervenwurzelblockade beschreibt ein wirbelsäulennahes Verfahren. Diese Intervention kann unter diagnostischem wie auch unter therapeutischem Aspekt durchgeführt werden.
G Die lumbalen Facettengelenke können eine mögliche Ursache als Schmerztrigger sein. Für die unter fluoroskopischer Kontrolle durchgeführten diagnostischen Blockaden besteht eine sehr gute Evidenz.
G Die Durchführung einer epiduralen Injektion gehört zur anästhesiologischen Grundausbildung. In der aktuellen Literatur wird der Effekt zum Teil kontrovers diskutiert, trotzdem kann sie aufgrund der Schmerzlinderung bestmögliche Voraussetzungen für die Operation schaffen.
G Bei allen interventionellen Verfahren handelt es sich um symptomatische, nie um kausale Therapieverfahren.
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