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Medikamentöse Therapie der Demenzen und Ausblick in die Zukunft
Die Alzheimer-Forschung startete mit grosser Hoffnung. In der Zwischenzeit macht sich Ernüchterung breit. Welche Behandlungsansätze derzeit erforscht werden und welche antidementive Behandlung bei den verschiedenen Formen der Demenzen sinnvoll ist, sagt PD Dr. Marc Axel Wollmer, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie, Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll, Hamburg (D), im Gespräch.
Psychiatrie & Neurologie: Bei dementen Patienten kommt es im Laufe der Erkrankung oft zu Störungen des Verhaltens und der Psyche. Diese Störungen werden in der Literatur als BPSD (Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia) beschrieben. Zu den häufigsten Verhaltensstörungen zählen körperliche Aggressivität, Agitation, zielloses Umherwandern, Enthemmung, Schreien, Tag-Nacht-Umkehr und Ruhelosigkeit. Zu den häufigsten psychischen Symptomen zählen Depression, Angst, Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Wie sieht die Therapie dieser – für das soziale Umfeld schwierig zu ertragenden – Störungen aus? PD Dr. Marc Axel Wollmer: Wir kommen in der Klinik immer mehr davon weg, von einer Verhaltensstörung zu sprechen, sondern verstehen BPSD heute eher als herausforderndes Verhalten. Oft versteckt sich dahinter, dass der Betroffene unerkannte Bedürfnisse hat, die er nicht mehr differenziert wahrnehmen und verbal ausdrücken kann, und deshalb kommt es beispielsweise zu aggressivem Verhalten oder Unruhe. Wichtig ist es, dahinter die Ursache zu erkennen. BPSD können zum Beispiel aufgrund von Blasenentleerungsstörungen, Müdigkeit, zu wenig oder zu viel Stimulation von aussen oder aufgrund von Schmerzen entstehen. Erst wenn diese möglichen Ursachen adäquat abgeklärt sind und die nicht medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, gibt es eine Behandlungsindikation für die Verschreibung von Medikamenten. In diesem Fall oftmals Neuroleptika, die allerdings beträchtliche Nebenwirkungen haben: sie erhöhen die Sturzgefahr, das Risiko für Pneumonien oder für zerebrovaskuläre Ereignisse, die zu erhöhter Morbidität und Mortalität führen.
Wann könnte trotz dieser Nachteile die Indikation zur medikamentösen Therapie gegeben sein? Marc Axel Wollmer: Bei psychotischen Symptomen, schwerer Agitation oder Aggressivität sowie bei deliranten Zustandsbildern. Zur Behandlung solcher Sym-
Marc Axel Wollmer
ptome im Rahmen von Demenz-Erkrankungen ist das atypische Neuroleptikum Risperidon zugelassen. Die Dosis sollte niedrig gewählt werden, um Nebenwirkungen, insbesondere extrapyramidale Symptome zu vermeiden. Neben Risperidon werden off-label auch andere Neuroleptika eingesetzt. Da es oft ausreicht, die genannten Symptome kurzfristig zu behandeln, sollte man im Verlauf immer wieder versuchen, das Medikament zu reduzieren und abzusetzen. Manchmal kommen die Symptome wieder, manchmal aber auch nicht. Wenn die Indikation gegeben ist, sollte man die Medikamente aber auch einsetzen, denn auch die BPSD selbst sind mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert.
Wie wirksam sind die Antidementiva und wann sollte man diese einsetzen? Marc Axel Wollmer: Die Effektstärke der Antidementiva ist nicht riesig, aber trotzdem sind sie wirksam. Zur Behandlung der leichten bis mittelschweren AlzheimerDemenz sind die Acethylcholinesterase-Hemmer (ChE-H) Donepezil, Galantamin und Rivastigmin zugelassen. Kassenzulässigkeit besteht unter der Voraussetzung, dass die kognitiven Fähigkeiten zu Beginn der Therapie, nach drei und anschliessend alle sechs Mo-
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nate mit der Mini Mental State Examination (MMSE) überprüft werden. Sobald der MMSE-Wert unter 10 Punkten liegt, ist die Kassenzulassung «formal» nicht mehr gegeben, was aber nicht bedeutet, dass die ChEH in diesem Bereich nicht mehr wirksam sind. Vorsicht ist geboten bei einem Asthma bronchiale, einer Bradykardie oder einem höhergradigen AV-Block. Interessanterweise sind in letzter Zeit aber auch kardioprotektive Effekte der ChE-H beobachtet und beschrieben worden. Für die symptomatische Behandlung der mittelschweren bis schweren Alzheimer-Demenz ist Memantin zugelassen. Auch hier ist die Kassenzulassung an den MMSE-Wert gekoppelt. Memantin verzögert wie die ChE-H die klinische Verschlechterung der AlzheimerDemenz. Idealerweise sollte die Behandlung der Alzheimer-Demenz mit einem Antidementivum früh beginnen und dann kontinuierlich weitergeführt werden. Einige Befunde sprechen für die Überlegenheit einer Kombinationstherapie mit einem ChE-H und Memantin gegenüber der Behandlung mit nur einem Antidementivum. Das gilt nicht nur für die kognitiven Symptome, sondern auch für das Auftreten von BPSD. Leider wird eine Kombinationsbehandlung von den Krankenversicherungen nicht getragen, nicht einmal bei der mittelschweren Alzheimer-Demenz, wo für beide eine Zulassung gegeben ist. Ausser den bei der Zulassung festgelegten MMSE-Grenzen gibt es keine verlässlichen Kriterien für die Entscheidung, mit einer antidementiven Behandlung aufzuhören. In der Praxis zeigt sich aber häufig, dass es zum Beispiel Schluckstörungen oder eine ablehnende Haltung des Patienten sind, die zum Absetzen des Medikamentes führen.
Lohnt sich zur Verbesserung der Kognition ein Behandlungsversuch mit Ginkgo biloba? Marc Axel Wollmer: Ginkgo biloba ist sicherlich eines der meistbeforschten Phytopharmaka. Tatsächlich gibt es immer wieder Studien, die positive Effekte von hochdosierten standardisierten Extrakten auf kognitive Funktionen zeigen. Insgesamt ist die Datenlage aber heterogen, sodass zurzeit keine klare Empfehlung für die Gabe von Ginkgo biloba als Antidementivum ausgesprochen werden kann. Einheitlicher ist die Datenlage für die Beeinflussung von BPSD durch Ginkgo biloba: Es konnten lindernde Effekte auf Angst, Reizbarkeit, Apathie und Depression beobachtet werden.
Wie sieht die Therapie bei anderen Demenzformen wie der Lewy-Körperchen-Demenz aus? Marc Axel Wollmer: Bei der Lewy-Körperchen-Demenz besteht wie bei der Alzheimer-Demenz ein cholinerges Defizit, und eine ChE-H-Behandlung ist wirksam, wenn auch nicht zugelassen. Es treten bei dieser Erkrankung häufig optisch-szenische Halluzinationen auf. Beim Einsatz von Neuroleptika ist aber Vorsicht geboten, weil die Patienten sehr schnell und unter Umständen schwere extrapyramidale Nebenwirkungen entwickeln können. Ausser Clozapin kommt hier nur Quetiapin in Frage.
Wie sollte eine Depression im Rahmen einer Demenz behandelt werden? Marc Axel Wollmer: Die Beziehung zwischen einer Depression und Demenz ist eng und komplex. Einerseits erhöhen Depressionen das Risiko für eine Alzheimer-
Demenz, andererseits kann die Depression als Prodrom einer Demenz oder als Reaktion auf die Demenz-Erkrankung auftreten. Die Depression ist auch eine Differenzialdiagnose der Demenz, da sie gerade bei älteren Patienten häufig mit kognitiven Störungen einhergehen kann. Der Erfolg einer medikamentösen, antidepressiven Behandlung bei Demenz-Patienten ist begrenzt. Zwar können depressive Symptome wieder zunehmen, wenn man eine etablierte antidepressive Behandlung absetzt, in einer Metaanalyse schnitten Mirtazapin und Sertralin jedoch nicht besser ab als Plazebo. Unter den Medikamenten traten aber mehr Nebenwirkungen auf als unter Plazebo. Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer wie das Citalopram können allerdings agitierte Verhaltenssymptome lindern. Zu den möglichen Nebenwirkungen zählt dann unter anderem eine Verschlechterung kognitiver Funktionen. Antidepressiva sollten bei Demenz-Patienten also ebenfalls vorsichtig und unter kontinuierlicher Abwägung von Wirksamkeit und Verträglichkeit im Einzelfall eingesetzt werden.
Gehört bei Ihnen auch ein Schmerzassessment dazu? Marc Axel Wollmer: Ja! Schmerzen sind eine häufige Ursache von unruhigen Verhaltenssymptomen, werden aber oft nicht als solche erkannt. Da viele Demenzpatienten keine verlässlichen Angaben mehr darüber machen können, ob sie Schmerzen haben, ist eine Beobachtung der Körpersprache, besonders des Gesichtsausdrucks, zum Beispiel beim Lagern und anderen pflegerischen Massnahmen besonders wichtig. Manchmal kann sich ein Unruhezustand durch Gabe von Schmerzmitteln ebenso gut bessern wie nach der Gabe eines Psychopharmakons. Das kann dann ein Hinweis darauf sein, dass Schmerzen die Ursache für die Unruhe waren. Möglicherweise spielen aber auch die sedierenden und anxiolytischen Effekte, die manche Analgetika haben, eine Rolle. Es gibt inzwischen Behandlungsalgorithmen, die den probatorischen Einsatz eines Schmerzmittels als einen Schritt in der Behandlung von demenzassoziierten Verhaltenssymptomen vorsehen.
Was ist zu tun, wenn demenziell erkrankte Menschen die Medikation verweigern? Was ist als Nachdruck erlaubt und gilt nicht als Zwangsmassnahme? Marc Axel Wollmer: Grundsätzlich ist der natürliche Wille des Betroffenen zu respektieren. Wenn der Betroffene die Medikamente verweigert, dann ist das Ausdruck eines solchen natürlichen Willens, auch wenn der Patient – bedingt durch seine Erkrankung – nicht versteht, dass ihm die Medikamente helfen sollen. Dem Patienten zu helfen soll immer das primäre Therapieziel sein, nicht, den Patienten an die Bedürfnisse des Helfersystems anzupassen. Hilfreich für die Behandlung ist es auch, den mutmasslichen Willen des Betroffenen zu kennen, also das, was er sich in gesunden Zeiten für die aktuelle Situation gewünscht hätte. Hier können die Angehörigen Auskunft geben, oder vielleicht gibt es sogar eine Patientenverfügung. Zwangsmassnahmen können im Rahmen der jeweiligen gesetzlichen Vorgaben notwendig sein, wenn eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Wenn Medikamente gegen den Willen des Patienten verabreicht werden, so muss dies transparent geschehen. Eine leider immer wieder praktizierte heimliche, verdeckte Gabe, zum Beispiel in Form
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von gemörserten Medikamenten in Speisen oder Getränken, ist nicht akzeptabel.
Die symptomatische Behandlung mit Antidementiva ist empfehlenswert, aber die Medikamente heilen die Erkrankung nicht. Welche neuen Forschungsansätze gibt es aktuell? Wie wichtig ist das Immunsystem in der Entwicklung der Alzheimer-Demenz und welche Immunisierungsansätze werden derzeit erprobt oder erforscht? Marc Axel Wollmer: Die Pathogenese der AlzheimerKrankheit hat man in den letzten Jahren sehr intensiv beforscht und über weite Strecken gut verstanden. Es gibt eine Vielzahl von therapeutischen Ansätzen, die in Modellen der Erkrankung wirksam sind. Diese Ansätze richten sich zumeist gegen frühe Schritte in der pathogenetischen Kaskade, vor allem gegen die Bildung, Aggregation und Ablagerung des Amyloid-Peptids Abeta. Ein grosses Problem der aktuellen Forschung ist es, die Wirksamkeit dieser Ansätze auch am Patienten zu zeigen: Zwischen den angesprochenen frühen Schritten und den klinischen Symptomen der Demenz liegen viele Jahre, unter Umständen Jahrzehnte. Die frühsten Symptome der Alzheimer-Demenz treten also erst im Spätstadium der Alzheimer-Krankheit auf, wenn irreparable degenerative Prozesse bereits weit vorangeschritten sind. Wenn man nun neue, den zugrunde liegenden Krankheitsprozess kausal beeinflussende Ansätze an bereits kognitiv beeinträchtigten Patienten testet, ist es wenig überraschend, dass diese von der Behandlung klinisch nicht profitieren. Ihr volles Potenzial können solche Ansätze wahrscheinlich nur dann ausspielen, wenn sie lange vor Beginn der Symptome prophylaktisch eingesetzt werden. Allerdings kann man nicht im grossen Stil Prophylaxe betreiben, wenn man nicht sicher ist, dass die vorbeugenden Massnahmen das Auftreten einer Demenz tatsächlich verzögern oder verhindern, ohne dass sie dabei andere Risiken mit sich bringen. Einen entscheidenden Fortschritt ist von einer Reihe von Studien zu erwarten, die zurzeit eine prophylaktische Behandlung an Menschen untersuchen, die aufgrund einer genetischen Mutation sicher in einem bestimmten Alter an einer Alzheimer-Demenz erkranken werden. Wenn es gelingt, bei diesen Patienten nicht nur die Amyloid-Pathologie zu reduzieren, sondern auch das Auftreten der Demenz zu verzögern, wäre das ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer gezielten Vorbeugung auch bei den nicht genetischen Formen der Alzheimer-Krankheit. Grosse Hoffnungsträger bei den krankheitsmodifizierenden Behandlungsansätzen sind nach wie vor am ehesten passive Impfstoffe in Form von Antikörpern, die hochspezifisch bestimmte
Formen des Abeta binden und so das Immunsystem befähigen, diese zu eliminieren. Wahrscheinlich wird es aber am Ende nicht eine «Magic bullet» geben, mit der das Demenzproblem gelöst wird, sondern eine kombinierte Behandlung mit mehreren Wirkstoffen, die auf den unterschiedlichen Ebenen der pathogenetischen Kaskade ansetzen. Dabei könnten auch bereits in anderen Indikationen zugelassene Medikamente zum Einsatz kommen, mit denen grosse Erfahrungen in der längerfristigen Anwendung bestehen, die gut verträglich sind und für die gezeigt worden ist, dass sie die Bildung oder Ablagerung von Abeta reduzieren können. Dazu zählt beispielsweise der Angiotensin-II-Rezeptorantagonist Valsartan, ein Antihypertensivum, oder der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Citalopram, ein Antidepressivum.
Wie bedeutsam wären Biomarker in der Demenzforschung? Marc Axel Wollmer: Wenn wir eine präklinische Behandlung der Alzheimer-Krankheit anstreben, ist natürlich auch eine präklinische Diagnostik erforderlich. Bereits jetzt ist es möglich, Veränderungen zum Beispiel von Abeta im Liquor zu messen oder seine Ablagerung im Gehirn in der Positronenemissions-Tomografie nachzuweisen. Man arbeitet aber auch daran, anhand von bestimmten Protein-, RNA- oder Immunsignaturen präklinische Krankheitsstadien zu erkennen oder anhand genetischer Marker das Risiko einer Erkrankung zu bestimmen. Natürlich ist die präklinische Diagnostik auch durch ethische Fragen limitiert, solange sich daraus keine therapeutischen Konsequenzen ergeben. Es ist aber wichtig, dass wir sie schon heute entwickeln und erproben, damit sie einsatzfähig ist, wenn wir einmal wirksame Methoden krankheitsmodifizierender Behandlung zur Verfügung haben. Und diese Zeit wird kommen; davon bin ich überzeugt!
Sehr geehrter Herr PD Dr. Wollmer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: PD Dr. M. Axel Wollmer Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll Langenhorner Chaussee 560
22419 Hamburg (D) E-Mail: m.wollmer@asklepios.com
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