Transkript
EDITORIAL
Viele Kontroversen in der Psychiatrie
I n der Psychiatrie finden viele Kontroversen statt, dazu gehört auch die Debatte über die Effektivität ihrer Therapieformen. Hinterfragt wird beispielsweise die Effektivität von Antipsychotika, Cholinesterasehemmern und Antidepressiva vor dem Hintergrund ihrer Nebenwirkungen. Demgegenüber wird die Wirksamkeit von Aspirin oder ACE-Hemmern zur Behandlung kardiovaskulärer Krankheiten nur selten hinterfragt. Eine neue Metaanalyse von Leucht et al. zeigt im Vergleich dieser Präparate allerdings interessante Ergebnisse: So können beispielsweise Lithium oder Clozapin die Mortalität um das bis zu 10-Fache senken, ACEHemmer senken diese hingegen nur um 1 Prozent (1). Und die prophylaktische Wirksamkeit von Aspirin etwa bei Schlaganfall (ARR = 0,07%, n = 95000) oder von ACE-Hemmern bei kardiovaskulären Ereignissen (ARR = 4%, n = 18229) liegt weit hinter der von Antipsychotika (ARR = 38%, n = 6392) und Lithium (ARR = 39%, n = 227) zurück (1).
Kritik an der Psychotherapie Kritizismen sind auch gegenüber der Effektivität und Evidenz bei Psychotherapie aufgetreten, insbesondere bei der Psychoanalyse, aber auch bei der Verhaltenstherapie. In einer neuen Metaanalyse, die insgesamt 61 Metaanalysen bei 21 psychiatrischen Krankheitsbildern umfasste und 137 000 Teilnehmer involvierte, zeigte sich für praktisch alle psychiatrischen Erkrankungen die Psychotherapie als mindestens ebenso wirksam wie die Pharmakotherapie (2). Tatsächlich sind insbesondere neuere Verfahren bei bestimmten Individuen, beispielsweise vortraumatisierten Patienten, als hocheffektiv angesehen, weshalb auch die Psychotherapie als Erstwahlverfahren in die Leitlinien der Behandlung fast aller psychiatrischer Erkrankungen aufgenommen wurde. Im folgenden Heft werden diese neuen Verfahren, die integrativ achtsamkeits- und akzeptanzbasierte Strategien sowie tiefenpsychologisch ausge-
richtete Übertragungs- und Gegenübertragungs-
mechanismen in verhaltenstherapeutisch manua-
lisierte Techniken implementieren, vorgestellt.
Ein weiteres stark expandierendes Thema ist die Be-
handlung von Schmerzen, die zunehmend zu ei-
nem interdisziplinären Prozess wird, der psycholo-
gische und körperliche Wechselwirkungen umfasst.
Hier explodieren neue erfolgreiche Therapiean-
sätze. Weiteres wird auch berichtet von neuen Ent-
wicklungen und Erkenntnissen bei interventionel-
len Verfahren bei Demenz und Neurodegeneration,
wo Inaktivität als Risikofaktor, beziehungsweise
körperliches Training als Interventionsmöglichkeit
bis zu 380 000 Alzheimerfälle weltweit verhindern
könnte.
Wir hoffen, mit diesem Heft den Leser inspirieren zu
können: Denn die Psychiatrie und Psychotherapie
ist ein sehr, sehr erfolgreiches Fach mit spannenden
neuen Entwicklungen!
G
Prof. Undine Lang
Herausgeberin
E-Mail: Undine.Lang@upkbs.ch
Referenzen:
1. Leucht S, Hierl S, Kissling W, Dold M, Davis JM.: Putting the efficacy of psychiatric and general medicine medication into perspective: review of meta-analyses. Br J Psychiatry. 2012 Feb; 200(2): 97–106.
2. Huhn M, Tardy M, Spineli LM, Kissling W, Förstl H, Pitschel-Walz G, Leucht C, Samara M, Dold M, Davis JM, Leucht S.: Efficacy of Pharmacotherapy and Psychotherapy for Adult Psychiatric Disorders: A Systematic Overview of Meta-analyses. JAMA Psychiatry. 2014 Apr 30.
Mitteilung in eigener Sache:
Der Mitherausgeber der «Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie» (P&N), Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Martin Ekkehard Keck, ärztlicher Direktor der Clienia Privatklinik «Schlössli» in Oetwil am See, folgt im Oktober dem Ruf als Direktor der Klinik des renommierten Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Er bleibt dem «Schlössli» als «Ärztlicher Direktor Privé und Innovationen» erhalten.
Die Redaktion von P&N, die Herausgeber und der Verlag Rosenfluh Publikationen AG gratulieren Prof. Martin Keck zu dieser ehrenvollen Berufung und freuen sich, weiterhin auf seine Mitarbeit zählen zu dürfen.
3/2014
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
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