Transkript
FORTBILDUNG
Behandlungsmöglichkeiten bei Jugendlichen mit Persönlichkeitsstörungen
Während es den meisten Jugendlichen während der Adoleszenz gelingt, befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, gelingt das einer Minderheit nicht. Bei diesen Jugendlichen besteht ein hohes Risiko für soziale Probleme in der Schule und bei der Arbeit sowie in intimen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie weisen zudem ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung auf.
Susanne Schlüter-Müller Klaus Schmeck
2/2014
Susanne Schlüter-Müller, Emanuel Jung, Veronika Burger, Oliver Pick, Klaus Schmeck
Allgemeine Behandlungsprinzipien bei Persönlichkeitsstörungen
P sychotherapien bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen sind meist lang dauernde Behandlungen, da sowohl die Symptomatik als auch die Einschränkung des Funktionsniveaus stark ausgeprägt sind. Der Fokus der Behandlung liegt auf der Verbesserung der Affektregulation, der Impulskontrolle, des Selbstwertes und den meist ausgeprägten interpersonellen Problemen. Aus Therapiestudien gibt es Hinweise auf evidenzbasierte Prinzipien effektiver Interventionen bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen (Abbildung). Dazu zählen nach Livesley (2) die Etablierung und die Aufrechterhaltung der therapeutischen Beziehung, des konsistenten Therapieprozesses (z.B. Therapievertrag), der Therapiemotivation sowie einer wertschätzenden Haltung gegenüber dem Betroffenen. Nach Bateman und Fonagy (3) sollten psychotherapeutische Interventionen für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen auf einer stabilen therapeutischen Beziehung basieren, langfristig angelegt sein, einen klaren Fokus sowie einen aktiven und strukturierten Ansatz haben. Es gibt unterdessen eine Reihe von manualisierten Programmen zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter, und einige davon sind für das Jugendalter modifiziert worden und liegen ebenfalls manualisiert vor.
Für Erwachsene sind das: G Beck und Freeman (1990 [4]): Cognitive Therapy of
Personality Disorders G Linehan (1991 5]): Dialektisch-Behaviorale Therapie
(DBT ) G Ryle A (1997 [6]): Kognitiv-Analytische Therapie
(CAT ) G Clarkin et al. (1999 [7]): Übertragungsfokussierte The-
rapie (TFP)
G Bateman und Fonagy (2004 [8]): Mentalisierungsgestützte Therapie (MBT)
G Rudolf (2004 [9]): Strukturbezogene Therapie G Young et al. (2005 [10]): Schemafokussierte Therapie
(SFT ).
Für Jugendliche sind das: G Miller und Rathus (2007 [11]; deutsche Version
Fleischhaker 2011 [12]): Dialektisch-Behaviorale Therapie für Jugendliche (DBT-A) G Chanen A (2008 [13]): Cognitive-Analytic Therapy for Adolescents (CAT) G Schuppert et al. (2012 [14]): Emotion Regulation Training for Adolescents (ERT-A) G Rossouw und Fonagy (2012 [15]): Mentalization based Treatment for Adolescents (MBT-A) G Foelsch et al. (2013 [16]): Adolescent Identity Treatment (AIT). Im Folgenden soll auf zwei dieser Ansätze näher eingegangen werden.
Zwei Psychotherapiemethoden für Jugendliche mit Persönlichkeitsstörungen: DBT-A und AIT Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) ist eine von Marsha Linehan entwickelte ambulante Behandlungsmethode für erwachsene Frauen mit selbstverletzendem Verhalten und Suizidalität. Die DBT ist ein hoch strukturiertes und multimodal angelegtes verhaltenstherapeutisches Programm, aber auch ein dialektisches Verfahren, das aus dem Widerspruch von Veränderung und Akzeptieren seine spezifische Wirkung bezieht. Darin unterscheidet sich das Programm auch von klassischen Verhaltenstherapien, die primär ihren Fokus auf die Veränderung ausrichten.
Charakteristika von DBT für Adoleszente (DBT-A): G ambulantes Therapieangebot G kürzere Behandlungsdauer (16 Wochen) G Kombination aus wöchentlicher individueller Psy-
chotherapie und Fertigkeitentraining in der Gruppe G zusätzliche Familientherapie falls erforderlich
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
13
FORTBILDUNG
Suizidalität, Fremdgefährdung
Gefährdung der Therapie
Störungen der Verhaltenskontrolle
Störungen des emotionalen Erlebens
Probleme der Lebensgestaltung
Abbildung: Dynamische Hierarchisierung der Behandlungsziele (1).
G Telefonkontakte G Adaptation der dialektischen Dilemmata für Jugend-
liche G Modul im Fertigkeitentraining (Walking the middle
path) G feste Teilnahmebedingungen (z.B. Ausschluss bei
fünfmaligem Fehlen) G wöchentliche Supervisionsgruppe für Therapeuten.
Ziele des DBT-A sind die Verbesserung der Behandlungs- und der Veränderungsmotivation des Patienten, der Erwerb und die Stärkung von Fertigkeiten sowie die Generalisierung dieser erworbenen Fertigkeiten in vivo oder durch Telefonkontakte. Bei den Therapeuten soll eine Verbesserung der therapeutischen Fähigkeiten und der Motivation, effektiv zu behandeln, erreicht werden (12). Von Pamela Foelsch, einer engen Mitarbeiterin von Paulina Kernberg, wurde in Zusammenarbeit mit Kollegen aus New York, Santiago, Frankfurt und Basel das Verfahren Adolescent Identity Treatment (AIT [16]) entwickelt, das für den deutschsprachigen Raum unter dem Titel Behandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen bekannt ist. AIT ist ein Therapieverfahren, das sich von TFP (Transference Focused Psychotherapy) ableitet und besonders auf den Aspekt der Identitätsstörung in der Psychopathologie von Persönlichkeitsstörungen fokussiert. AIT misst den zentralen Unterschieden in der Behandlung von Jugendlichen im Gegensatz zu Erwachsenen eine grosse Bedeutung bei. Dazu zählt der Einbezug der Eltern und der Schule sowie der Peergroup oder der in diesem Alter besonders bedeutsamen Identitätsproblematik. Im Gegensatz zu klassischen psychoanalytischen Behandlungen weist das psychodynamische Verfahren AIT Besonderheiten auf. Dazu zählen Therapievereinbarungen, die Bedeutung der Affekte im «Hier und Jetzt», die schwerpunktmässige Anwendung von Klärung (und weniger Deutungen), spezielle (Gegen)-Übertragungsphänomene und die Kombination mit behavioralen und pädagogischen Elementen sowie eine intensive Elternarbeit und psychoedukative Elemente, die für die Arbeit mit Jugendlichen besonders wichtig sind.
AIT ist eine integrative Behandlungsmethode, die folgende Elemente einbezieht: G modifizierte Elemente der übertragungsfokussierten
Psychotherapie (TFP) von Clarkin et al. (7) G Behandlungsvertrag G Psycho-Edukation von Patienten und Familienange-
hörigen G verhaltenstherapeutisch orientierter «Homeplan» G intensive Einbeziehung der Familien, um den thera-
peutischen Prozess des Jugendlichen dadurch zu unterstützen.
Die Therapiemethode geht davon aus, dass die zentrale Problematik bei Persönlichkeitsstörungen die Störung der Identität und der zwischenmenschlichen Beziehungen ist. Der Fokus liegt deshalb auf der Verbesserung der Identitätsproblematik sowie der Integration von sich selbst und wichtigen anderen. AIT will Blockaden lösen, die eine normale Identitätsentwicklung behindern, damit langfristig ein adaptiveres Funktionsniveau erreicht werden kann. Das soll sich zum Beispiel in verbesserten zwischenmenschlichen Beziehungen, konkreteren Vorstellungen von Lebenszielen, befriedigenderen romantischen Partnerschaften sowie verbesserter Impulskontrolle, Affektregulation und Frustrationstoleranz zeigen.
Spezielle Überlegungen zur Behandlung von Jugendlichen mit Persönlichkeitsstörungen Die meisten Adoleszenten leben im Familiensystem, deshalb sind Eltern in die Behandlung einzubeziehen (17). Bei Kinder- und Jugendpsychiatern gehört das in der Regel zur Routine in der alltäglichen klinischen Arbeit. Auch in den störungsspezifischen Therapiemethoden wie DBT-A, MBT-A/MBFT und AIT wurde das erfolgreich umgesetzt. Jugendliche müssen basale Verhaltensstandards erfüllen, damit sie zu Hause leben können. Deshalb sind verhaltensbezogene Interventionen oftmals notwendig, um die Voraussetzung für ein Gelingen der Therapie zu schaffen.
Bedeutung der Elternarbeit
G Der intensive Einbezug der Eltern ist, auch und ge-
rade bei Jugendlichen, dringend erforderlich, was
aber nur gelingt, wenn man sie nicht als Schuldige
sieht (die Sicht des Patienten von den bösen verfol-
genden Eltern lässt unter Umständen ausser Acht,
dass Borderline-Patienten dazu neigen, frühere Be-
zugspersonen zu entwerten).
G Auch bei sehr gestörten Eltern gibt es eine intensive
Bindung des Kindes an diese.
G Eltern herauszuhalten, unterschätzt die Bedeutung
familiärer Interaktionen für das Fortbestehen der
Probleme.
G Die Schulung der Eltern ist notwendig, damit diese
lernen, die besonderen Empfindsamkeiten ihres Kin-
des gegenüber emotionalen Reizen, zwischen-
menschlichen Stressoren wie Kritik, Zurückweisung
und Trennung zu berücksichtigen.
G Auch sehr kompetente Eltern können unter der Be-
lastung durch ein Kind mit einer Persönlichkeitsstö-
rung pathologisch erscheinen.
G
&14 2/2014
PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Susanne Schlüter-Müller
Oberärztin Forschung
Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik
Tel. 061-265 89 60
Schanzenstrasse 13
4056 Basel
E-Mail: susanne.schlueter-mueller@upkbs.ch
Literatur: 1. Bohus M, Stieglitz R, Fiedler P, Berger M. Persönlichkeitsstörungen.
In: Berger M (Hrsg.): Lehrbuch der Psychiatrie und Psychotherapie. München: Urban und Schwarzenberg Verlag 1999, S. 771–846. 2. Livesley WJ.: Handbook of Personality Disorders. Theory, Research, and Treatment. New York: Guilford 2001. 3. Bateman AW, Fonagy P.: Effectiveness of psychotherapeutic treatment of personality disorder. J Psychiatry 2000; 177: 138–43. 4. Beck A, Freeman A.: Cognitive Therapy of Personality Disorders. New York: Guilford 1990. 5. Linehan MM, Armstrong HE, Suarez A, Allmon D, Heard HL.: Cognitive behavioural treatment of chronically parasuicidal borderline patients. Arch Gen Psychiatry 1991; 48: 1060–1064. 6. Ryle A.: Cognitive Analytic Therapy of Borderline Personality Disorder. The Model and the Method. Wiley 1997. 7. Clarkin JF, Yeomans FE, Kernberg O.: Psychotherapy for borderline personality. New York: Wiley & Sons 1999. 8. Bateman A, Fonagy P.: Psychotherapy for Borderline Personality Disorder: Mentalisation based treatment of BPD. Oxford: Oxford University Press 2004. 9. Rudolf GT.: Strukturbezogene Psychotherapie. Stuttgart: Schattauer 2004. 10. Young JE, Klosko JS, Weishaar ME.: Schematherapie. Ein praxisorientiertes Handbuch. Paderborn: Junfermann 2005. 11. Miller AL, Rathus JH, DuBose AP, Dexter Mazza ET, Goldklang AR.: Dialectical behavior therapy for adolescents. In: Dimeff LA, Koerner K (Eds.). Dialectical Behavior Therapy in Clinical Practice Applications across disorders and settings. New York: Guilford 2007; S. 245–63. 12. Fleischhaker C.: DBT-A-Manual: Dialektisch-behaviorale Therapie für Jugendliche. Springer Heidelberg, New York 2011. 13. Chanen AM, Jackson HJ, McCutcheon L et al.: Early intervention for adolescents with borderline personality disorder using cognitive analytic therapy: a randomised controlled trial. Br J Psychiatry 2008; 193: 477–484.
Merksätze:
G Psychotherapeutische Interventionen für Pa-
tienten mit Persönlichkeitsstörungen sollten
auf einer stabilen therapeutischen Beziehung
basieren, langfristig angelegt sein, einen klaren
Fokus sowie einen aktiven und strukturierten
Ansatz haben.
G DBT-A und AIT sind zwei Psychotherapiemetho-
den für Jugendliche mit Persönlichkeitsstörun-
gen.
G AIT fokussiert auf den Aspekt der Identitätsstö-
rung in der Psychopathologie von Persönlich-
keitsstörungen. DBT-A ist ein hoch struktu-
riertes und multimodal angelegtes verhaltens-
therapeutisches Programm.
G Der intensive Einbezug der Eltern ist, auch und
gerade bei Jugendlichen, dringend erforderlich.
14. Schuppert HM, Timmerman ME, Bloo J, van Gemert TG, Wiersema HM, Minderaa RB, Emmelkamp PMG, Nauta MH.: Emotion Regulation Training for Adolescents With Borderline Personality Disorder Traits: A Randomized Controlled Trial. J Am Acad Child Adol Psych 2012; 51(12): 1314–21.
15. Rossouw TI, Fonagy P.: Mentalization-based treatment for self-harm in adolescents: A randomized controlled trial. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2012; 51(12): 1304–13.
16. Foelsch P, Schlüter-Müller S, Schmeck K, Borzutzky A, Odom A, Arena H.: Behandlung von Jugendlichen mit Identitätsstörungen (AIT) – Ein integratives Therapiekonzept für Persönlichkeitsstörungen. Springer Heidelberg, New York 2013.
17. Fruzzetti AE, Shenk C, Hoffman PD.: Family interaction and the development of borderline personality disorder: A transactional model. Development and Psychopathology 2005; 17. S. 1007–1030.
2/2014
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
15