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SERIE: MULTIPLE SKLEROSE TEIL 8
Lieber Leser, liebe Leserin Die Multiple Sklerose ist trotz neuer Medikamente und intensiver Forschungsbemühungen eine bis heute unheilbare und chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems. In einer mehrteiligen Serie möchten wir Ihnen die vielfältigen Gesichter dieser Krankheit nahebringen. PD Dr. Michael Linnebank, Leitender Arzt, Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich (USZ), stellt Ihnen Fallbeispiele aus der Sprechstunde für die praxisorientierte Fortbildung vor.
Behandlung der Spastizität mit der intrathekalen Baclofenpumpe
Die intrathekale Baclofentherapie mittels Pumpe eignet sich für schwere, nicht fokale Spastiken, die nicht mit einer oralen Medikation zu behandeln sind. PD Dr. Michael Linnebank kann auf therapeutische Erfahrungen bei insgesamt drei Patienten zurückgreifen. Die Erfahrungen sind insgesamt sehr gut.
Michael Linnebank
Psychiatrie & Neurologie: Wann setzten Sie die intrathekale Baclofenpumpe (ITB) ein? PD Dr. Michael Linnebank: Wir implantieren die ITB bei Patienten mit einer schweren, nicht fokalen Spastik, die einen zerebralen oder spinalen Ursprung hat und nicht mehr auf die orale Medikation anspricht. Oder bei Patienten, die unter Nebenwirkungen wie Müdigkeit aufgrund der Dosierung von systemisch verabreichten Medikamenten leiden.
Wie wirkt Baclofen? Michael Linnebank: Baclofen hat eine ähnliche Molekülstruktur wie GABA und wirkt an derselben Stelle im Hinterhorn wie GABA. Man nimmt an, dass es wie ein GABA-Agonist wirkt. Baclofen hemmt den Dehnungsreflex, ermöglicht die Relaxation der Muskeln und die Streckung der Extremität. Vom oralen Baclofen gelangt nur ein kleiner Anteil durch die Blut-Hirn-Schranke ins Rückenmark. Es bedarf einer höheren Dosierung mit zum Teil nicht zumutbaren Nebenwirkungen. Baclofen hingegen, welches intrathekal direkt in den Liquorraum appliziert wird, wirkt direkt am erforderlichen Wirkort. Weil die Blut-Hirn-Schranke umgangen wird, ist nur eine niedrige Dosierung erforderlich. Zudem ist die Gefahr für nicht tolerierbare Nebenwirkungen gering.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, welche Schmerztherapien müssen durchgeführt worden sein, bevor die ITB eingesetzt wird? Michael Linnebank: Die Therapie der Spastik erfolgt individuell. Ist allerdings mit Kontrakturen aufgrund der Spastik zu rechnen, muss etwas gemacht werden. Wobei zu beachten ist, dass bei einer erfolgreichen Spastiktherapie die Kraft gemindert sein kann. Das ist insbesondere bei mobilen Patienten relevant, die beispielswiese aufgrund der Spastik am Rollator laufen können. Deshalb braucht es nach der Pumpenimplantation häufig noch eine Rehabilitation für den Muskelaufbau.
Wie wird der Patient für den Eingriff abgeklärt?
Michael Linnebank: Entscheidend sind die Patienten-
selektion und ein erfolgreich abgeschlossener Scree-
ningtest. Am USZ haben wir bis anhin drei intrathekale
Baclofenpumpen eingesetzt. Vor diesem Eingriff er-
folgte allerdings die Anlage einer Testpumpe. Der Ka-
theter liegt dann intrathekal wie die Originalpumpe, ist
aber noch nicht implantiert. Bei einem guten thera-
peutischen Effekt legen wir die Pumpe dann an. Die
Wirksamkeit der intrathekalen Applikation zeigt sich
bereits nach wenigen Stunden. Bis anhin war die
Pumpe bei allen drei Patienten wirksam.
G
&46 1/2014
PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
SERIE: MULTIPLE SKLEROSE TEIL 8
Fallvignette
Ein Beispiel einer Behandlung mit der intrathekalen Baclofenpumpe (ITB) ist eine inzwischen 54-jährige Patientin, bei der im Alter von 20 Jahren erste MS-Symptome auftraten. Sie erlitt damals eine Paraparese der Beine, von der sie sich unvollständig erholte. Im weiteren Verlauf erlitt sie mehrere Schübe mit Residuen. Für einige Jahre wurde sie nacheinander mit zwei verschiedenen krankheitsmodifizierenden Medikamenten behandelt. Seit etwa zehn Jahren ist ihre MS sekundär chronisch-progredient. Die Patientin nutzt meist einen Rollstuhl, in der Wohnung kann sie noch einige Schritte gehen. Vor allem nachts leidet sie an spastikbedingten Schmerzen der Beine, tagsüber behindert die Spastik das Sitzen. Orale Medikamente zur Reduktion der Spastik führen zu Linderung, müssen jedoch so hoch dosiert werden, dass als Nebenwirkung eine deutliche Müdigkeit auftritt. Wir besprechen die Möglichkeit einer ITB und bieten die Patientin stationär auf. Hier wird zunächst ein Assessment durch die Ärzte, die Physiotherapie und die Pflege durchgeführt. Dann wird ein provisorischer intrathekaler Katheter gelegt, der mit einer externen Baclofenpumpe verbunden wird. Über diese wird nun kontinuierlich Baclofen intrathekal appliziert. Die Patientin berichtet von einer deutlichen Linderung ihrer spastikbedingten Symptome, diese wird in folgenden Assessments objektiviert. In der Klinik für Neurochirurgie werden ein dauerhafter intrathekaler Katheter und eine Baclofenpumpe implantiert. Nach drei weiteren Tagen, in denen die niedrigere Tag- und die höhere Nachtdosis der ITB eingestellt werden, wird sie in eine Rehabilitationsklinik verlegt, um in der nun verbesserten Situation das neue Potenzial optimal nutzen zu können.
Kasten:
Implantation
Die Pumpe wird unter Lokal-, Regional- oder Vollnarkose eingeführt. Der chirurgische Eingriff dauert in der Regel ein bis zwei Stunden. Während des Eingriffs wird ein Ende des Katheters über einen flachen, paramedianen, schrägen Zugang in den Liquorraum der Wirbelsäule eingeführt. Anschliessend erfolgt die Anlage einer subkutanen Tasche für die Pumpe, die links oder rechts des Unterbauchs unter der Haut eingelegt wird. Anschliessend wird der Katheter unter der Haut tunneliert und mit der Pumpe verbunden. Die Einstellung der Pumpenparameter erfolgt mit dem N`VisionProgrammiergerät.
Wirkort von Baclofen
1/2014
Mit Genehmigung der Medtronic (Schweiz) AG.
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
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