Transkript
FORTBILDUNG
Teil 2: Suizidprävention im Alter
Hilfreiche Erklärungsmodelle zur Suizidprävention im Alter
Die Suizidrate ist bei über 65-jährigen Menschen deutlich höher als in jüngeren Jahren. Dennoch nimmt das die Gesellschaft hin, ohne die gleichen kritischen Fragen zu stellen, mit denen die deutlich weniger erhöhte Suizidrate in der Adoleszenz diskutiert wird. Im zweiten Teil werden verschiedene Erklärungsmodelle zur Suizidprävention vorgestellt. Denn unsere Gesellschaft sollte die Chance wahrnehmen und eine reflektierte Haltung zur Suizidalität älterer Menschen entwickeln.
Gregor Harbauer Jacqueline Minder
Von Gregor Harbauer und Jacqueline Minder
I m ersten Teil unseres Artikels (P & N 3/2013) haben wir Hintergründe und Besonderheiten der Suizidalität im Alter dargestellt. In diesem zweiten Teil stellen wir die Thematik in den Kontext von Erklärungsmodellen sowie präventiven und therapeutischen Konzepten. Suizid kann als Folge eines psychischen Unfalls (8) bezeichnet werden, als Folge einer Handlung, die faktisch ausserhalb unserer bewussten kognitiven Kontrolle im dissoziierten Zustand abläuft. Suizidologieexperten gehen heute davon aus, dass die Kontrolle über sich und seine Handlungsweisen für einen Menschen in dem Moment verloren gehen kann, in dem der unerträgliche seelische Schmerz alle Grenzen des für ein Individuum Aushaltbaren überschreitet. Der Prozess von subjektiv nicht bewältigbaren Problemen bis zur letztlich letalen Handlung verläuft meistens über eine längere Zeitdauer und bietet uns zahlreiche Gelegenheiten, gefährdete Menschen auf ihre Suizidalität anzusprechen. Suizidalität wird als multifaktoriell verursachtes, multidimensionales Phänomen verstanden. Um ein klinischpragmatisches Verständnis der Suizidalität zu entwickeln, empfiehlt es sich, von einem Kontinuitätsmodell auszugehen, wie es Wolfersdorf (28) beschrieben hat. Nach seinem vereinfachten Modell entwickelt sich Suizidalität vom «passiv erlebten» Wunsch nach Ruhe oder einer Unterbrechung im Leben kontinuierlich weiter über die Erwägung, sich zu töten, bis zur Suizidabsicht und der finalen Durchführung der Suizidhandlung. Die Betrachtung der Suizidalität als Kontinuum auf einer Achse von nicht suizidal bis hoch suizidal kommt den Erfahrungen im klinischen Alltag weitaus näher als eine kategoriale Betrachtung, in der eine Person als suizidal gefährdet oder andernfalls als nicht suizidal gefährdet bezeichnet wird. Als häufige Schwierig-
keit begegnet uns die Frage, ab wann jemand in welchem Ausmass als gefährdet gilt. Das wiederum hängt grundsätzlich vom subjektiven Leidensausmass einerseits und der Resilienz, also dem Widerstandsvermögen, andererseits ab, mit dem jemand das Leiden zu bewältigen vermag. Mehrere Autoren haben sich mit Modellen der Komplexität der Suizidalität genähert, um die Entstehungsweise oder die Ursachen einer suizidalen Handlung zu erklären. Viele Modelle trugen dabei erheblich zum Verständnis des Phänomens Suizidalität bei. Ringel beschrieb bereits 1953 das präsuizidale Syndrom (19) und gründete bezeichnenderweise 1948 das weltweit erste Suizidpräventionszentrum im Wien. Er hielt als einer der Ersten die «zunehmende situative und dynamische Einengung» fest, die Suizidenten erleben, sowie aktive und passive, sich aufdrängende «Suizidfantasien»; heute sprechen wir in diesem Zusammenhang eher von Suizidgedanken. Beide Phänomene beschäftigen uns auch heute immer noch. Ringel hat auch das Phänomen des «Selbstmordes bei psychisch gesunden Menschen», den sogenannten Bilanzsuizid beschrieben, – die Art von Suizid, die gerade im Altersbereich im Zusammenhang mit Sterbehilfeorganisationen als assistierter Suizid an Bedeutung gewinnt. Die oben erwähnte schwierige Frage, ab wann jemand im pathologischen Sinne als suizidgefährdet eingestuft werden soll, wird in diesem Kontext noch schwieriger: Durch die zunehmende Polymorbidität und die sich mehrenden Verluste kann die «zunehmende situative und dynamische Einengung», die im Kontext als Phänomen der Erkrankung gesehen wird, aus der Sichtweise des alten Menschen auf einmal nachvollziehbar und entsprechend als gesund interpretiert werden. Hier fehlen auf dem oben beschriebenen Kontinuum die Eckwerte für Pathologie und Normalität. Dass die Entwicklung der Suizidalität sich über mehrere, jeweils charakteristische Phasen erstreckt, hat Pöldinger
&36 5/2013 PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
in seinem Entwicklungsmodell 1968 illustriert (15). Er differenzierte Erwägungs-, Ambivalenz- und Entschlussstadium und setzte damit einen Grundstein für die heute akzentuierte Betrachtungsweise der unterschiedlichen Entwicklungsschritte auf dem Weg zum suizidalen Verhalten. Praktisch relevant sind auch heute noch die klinischen Hinweise wie Ankündigungen, Bemerkungen über den Tod oder eine «trügerische Ruhe» der Betroffenen, die Rückschlüsse auf die einzelnen Stadien und somit auch indirekt über den aktuellen Gefährdungsgrad erlauben können. Mann (13) postuliert ein Diathese-Stress-Modell, in dem er aufzeigen möchte, weshalb manche Menschen suizidale Verhaltensweisen ausüben und andere dies, in ähnlichen Situationen, nicht tun. Nicht alle depressiven Patienten vollziehen schliesslich suizidale Handlungen. Bestimmte prädisponierende Faktoren wie Genetik, frühe Lebenserfahrungen, chronische Erkrankungen, Substanzmissbrauch, Nahrungsaufnahme, Alter und Polymorbidität können, nach seinem Modell, durch einen auslösenden Faktor wie Stress zur suizidalen Handlung führen. Diese unterschiedlichen prädisponierenden Faktoren sollen nach Mann erklären, weshalb es bei einem Teil der Patienten zur Suizidhandlung kommt und bei anderen nicht. Wie mehrere andere Modelle hat sich dieses im klinischen Alltag wenig bewährt, und es wurde bis anhin keine empirische Evidenz für ein bestimmtes umfassendes Modell der Suizidalität gefunden.
Traumatische Krise und Entwicklungskrise Am ehesten bewährt haben sich in der klinischen Praxis hingegen für viele zwei Modelle, die die Entstehung suizidaler Krisen beschreiben: traumatische Krise und Entwicklungskrise. Nach Cullberg (6) kann eine (traumatische) Krise ausgelöst werden durch das Erleben eines plötzlich auftretenden, hoch belastenden Ereignisses, wie beispielsweise eines Unglücks oder einer erfahrenen Gewaltanwendung. Diesem Ansatz gegenüber steht die Entwicklungskrise nach Caplan (5), die für eine betroffene Person erst nach längerer Zeit und zahlreichen gescheiterten Bewältigungsversuchen ihren kritischen Höhepunkt erreicht. Eine suizidale Krise kann entsprechend diesen Autoren interpretiert werden als Kulmination eines längeren unbewältigten Leidensprozesses, der sich aufgrund eines (resp. mehrerer) als belastend erlebten Ereignisses zur akuten suizidalen Gefährdung zuspitzt. Das Fass des Erträglichen ist für die gefährdete Person voll und läuft über. Thomas Reisch (17) schlägt ein anschauliches Sechsphasenmodell zur Beschreibung suizidaler Krisen vor, das den Ansatz der caplanschen Entwicklungskrise konsequent weiterverfolgt und das Verständnis für Suizidalität in unserer suizidpräventiven klinischen Alltagsarbeit fördert. Er geht, wie viele Autoren auch, von einer präsuizidalen Phase aus, in der sich subklinische beziehungsweise klinische Symptome – am häufigsten in Form einer depressiven Symptomatik – manifestieren. Stressoren (z.B. Verlust einer geliebten Person oder von gewohnter Sicherheit) erhöhen das Leidensausmass bis zur Unerträglichkeit (Phase 2) und zur verzweifelten Intention, das Leiden zu beenden. Wurde der Suizid als subjektiv einzige Lösung zur Beendigung des seeli-
schen Schmerzes gefunden, folgt die Suizidhandlungsphase (Phase 3), in der die betroffene Person als weniger angespannt wahrgenommen wird. Sie hat ihre leidenreduzierende Lösung gefunden, was zu einer deutlichen Spannungsreduktion führen kann. Kurz vor der eigentlichen Suizidhandlung zögern viele Menschen, unterbrechen den vorgesehenen Handlungsablauf und sind hin- und hergerissen, ob sie sich töten sollen oder nicht (Phase 4), bevor sie die Suizidhandlung vollziehen (Phase 5). In der Aufwachphase (Reisch) kehren die Personen nach einem missglückten Suizidversuch aus der Dissoziation zurück und realisieren, was passiert ist. Die Entwicklungsmodelle bieten uns hilfreiche Möglichkeiten zu verstehen und nachzuvollziehen, wie sich Patienten in ihrer Suizidalität fühlen. Ein gutes Verständnis der mit der Suizidalität verbundenen Prozesse ist eine fundamentale Voraussetzung für wirksame Prävention. Aus den meisten Modellen lassen sich gute Gründe ableiten, warum ältere Menschen besonders gefährdet sind, in solche suizidalen Dynamiken zu geraten: Die Kulmination eines längeren unbewältigten Leidensprozesses mit zahlreichen gescheiterten Bewältigungsversuchen (Caplan) sowie auch die Weiterentwicklung (Reisch) mit zusätzlichen Stressoren wie Partnerverlust oder Verlust von Sicherheit sind Situationen, denen Menschen im Alterungsprozess zunehmend ausgesetzt sind.
Wie erkenne ich Suizidgefährdete? Um es gleich vorwegzunehmen: Ältere Menschen aus dem westeuropäischen Kulturkreis mit Mehrfacherkrankungen und/oder chronischen Erkrankungen sind grundsätzlich verstärkt suizidgefährdet. Wenn dann noch psychische Erkrankungen, Verluste und Einsamkeit hinzukommen, steigt das Risiko weiter an. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man mit älteren Menschen zu tun hat. Und noch etwas ist gleich vorwegzunehmen: Suizidalität lässt sich nie mit hundertprozentiger Sicherheit erfassen. Es handelt sich um ein Phänomen, das eingebettet im individuellen lebensgeschichtlichen Kontext eines Menschen entsteht und auch nur unter dessen Berücksichtigung zu verstehen ist. Durch das Erkennen bestimmter Risikofaktoren können wir lediglich auf ein erhöhtes Suizidrisiko schliessen und neben spezifischen Assessmentinstrumenten unsere Erfahrung und unser «Bauchgefühl» dabei einsetzen. Das Suizidrisiko lässt sich konzeptionell zusammensetzen aus einer wenig präzise definierten «Basissuizidalität» und der aktuell hinzukommenden erhöhten Suizidgefährdung. Das Konzept der Basissuizidalität geht davon aus, dass bestimmte Lebens- oder Krankheitserfahrungen eines Menschen sein Risiko, suizidal zu werden, erhöhen. Das sind unter anderen frühere Suizidversuche als einer der stärksten Prädiktoren für zukünftige Suizidhandlungen, Suizide in der Familie beziehungsweise bei nahen Angehörigen oder Bezugspersonen oder missbräuchlicher Konsum von Substanzen. Besondere Relevanz erhalten im Alter die Risikofaktoren, verwitwet zu sein, das subjektive Gefühl, sozial isoliert zu sein sowie in belastenden sozioökonomischen Verhältnissen zu leben (z.B. Belastung durch schwierige Wohnverhältnisse, Armut). Es lohnt sich daher für uns Fachpersonen, sich
5/2013
&PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
37
FORTBILDUNG
über die aktuelle Lebenssituation der Patienten ins Bild zu setzen und ein Sensorium für die Suizidalitätseinschätzung zu entwickeln, das bei erhöhtem Suizidrisiko Alarm schlägt; speziell bei älteren Menschen sollte dieses Sensorium permanent sehr wach sein. Die Basissuizidalität kann über einen längeren Zeitraum erhöht sein, ohne dass das Suizidrisiko jedoch bedrohliche Ausmasse annimmt.
Einschätzung der Suizidalität Bei der Einschätzung der Suizidalität hat es sich in der Praxis bewährt, folgende Ausprägungsdifferenzierungen vorzunehmen: keine Suizidalität, erhöhte oder unklare und akute Suizidalität. Die heute nach wie vor verwendeten Begriffe der latenten oder chronischen Suizidalität tragen weder zum klaren Erkennen noch zu einem realitätsbezogenen Verständnis der Suizidalität bei. Im Gegenteil, die Bezeichnung chronische Suizidalität geht von einem langzeitlich mehr oder weniger unverändert erhöhten Suizidrisiko aus und kann als Einladung verstanden werden, das aktuelle Suizidrisiko (zu) wenig ernst zu nehmen, ihm zu wenig Beachtung zu schenken und es fatalerweise nicht adäquat einzuschätzen. Das Suizidrisiko und die Äusserungen der «chronisch Suizidalen» werden im schlimmsten Fall bagatellisiert und verkannt. Die Bezeichnung latente Suizidalität ist trennunscharf gegenüber der akuten Suizidalität und auch gegenüber einer nicht vorhandenen Suizidalität. Latent bedeutet entsprechend dem Verständnis des Dudens «vorhanden, aber (noch) nicht in Erscheinung tretend». Kann jemand suizidal sein, wenn Suizidalität nicht in Erscheinung tritt? Und was impliziert das im Umgang mit suizidalen Menschen? Soll ich als Fachperson diese latente Suizidalität nun ernst nehmen oder nicht? Und wenn ja, ab wann? Um einer weiterführenden Diskussion über den Begriff latent hier Grenzen zu setzen, empfiehlt es sich, in der verwendeten Terminologie mehr Klarheit zu schaffen und von «erhöhter» Suizidalität zu sprechen. Sobald sich aktuell (sic!) ein Suizidrisiko feststellen lässt, muss dieses ernst genommen werden und in den Fokus der professionellen Aufmerksamkeit rücken. Dann ist davon auszugehen, dass Suizidalität für die Betroffenen wie auch für uns Fachpersonen besonders relevant wird und auch entsprechend Beachtung finden sollte. Mehrere Kriterien weisen auf eine aktuell erhöhte Suizidalität hin, die häufig Ausdruck einer Lebenskrise ist. Auslöser für Krisen sind in jedem Alter mehrheitlich Verluste von Personen oder Beziehungen, Kränkungserlebnisse oder subjektiv schwierig zu bewältigende Lebensübergänge und Veränderungen. Suizidale Menschen leiden. Sie befassen sich mit dem Tod, mit dem Wunsch nach Ruhe und möchten Abstand von ihrem Leiden gewinnen können. Es überwiegen häufig depressive Symptome wie Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Wertlosigkeit, Versagensgefühle, Resignation, aber häufig auch Schlafschwierigkeiten, innere Unruhe oder inneres Angetriebensein. Ältere suizidgefährdete Menschen wenden häufiger als junge sogenannte harte Methoden (z.B. die Verwendung von Schusswaffen) an und geben noch weniger Hinweise auf ihre Not (7). Werden Äusserungen über Suizidideen, -pläne, -intentionen oder vorbereitende Suizidhandlungen gemacht, kann man von höherer Suizidgefährdung aus-
gehen, je konkreter die Äusserungen gemacht werden. Weitere relevante Anzeichen sind soziale Rückzugstendenzen oder wenn sich Betroffene unerwartet von geschätzten oder geliebten Gegenständen trennen. Wichtig ist, die Signale, die eine suizidale Person aussendet, ernst zu nehmen und nicht zu verharmlosen. Jede und jeder kann in eine Krise geraten; Krisen gehören zu unserem Leben und können durch Suizidalität als «normale Reaktion» begleitet sein.
Wie begegne ich suizidalen Menschen? Suizidale Menschen möchten über ihre seelische Not und ihren unerträglichen Zustand sprechen. Die Hürde, sich anderen Menschen mitzuteilen, ist für Suizidale jedoch schier unüberwindbar. Es hilft ihnen deshalb sehr, wenn sie von anderen darauf angesprochen werden. Sie fühlen sich dadurch ein Stück weit entlastet sowie in und mit ihren Problemen nicht mehr isoliert. Es ist an uns Fachpersonen, den ersten Schritt zu tun und die Suizidalität anzusprechen. Die Betroffenen erhalten so die Möglichkeit, mit einer Vertrauensperson über ihr Leiden zu sprechen, und können ihre für sie nicht bewältigbaren Probleme und Schwierigkeiten endlich thematisieren und vertrauensvoll platzieren. Die Erfahrungen in der klinischen Praxis zeigen immer wieder, dass viele Versuche daran scheitern, von sich aus anderen ihre Suizidalität mitzuteilen. Dazu kommt, dass gerade ältere Menschen im Gegensatz zu jüngeren weniger über ihre fast schon «intimen» Schwierigkeiten sprechen können. Unabdingbare Voraussetzung dafür, jemanden auf Suizidalität anzusprechen, ist ein vertrauensstiftendes Setting, das mehr Ruhe, Raum und Zeit bietet als andere Gespräche. Je besser es uns gelingt, eine vertrauensvolle Zugangsweise zu diesen hochgradig leidenden Menschen herzustellen, desto eher werden sie bereit sein, uns Einblick in ihre Not zu gewähren. Vertrauensfördernd ist, wenn wir aktiv eine Haltung im Sinne eines Schulterschlusses einnehmen, den Jobes (12) Collaborative Approach nennt. Dieser gemeinschaftliche Ansatz drückt sich dadurch aus, dass wir den Betroffenen zu verstehen geben, mit ihnen gegenwärtig sozusagen im gleichen Boot zu sitzen, und wir uns dafür engagieren a) wirklich zu verstehen, wie sich die erhöhte Suizidalität entwickelt hat, b) was bereits dagegen unternommen wurde und was nicht sowie c) wie wir das Leiden und die Suizidalität behandeln können. Der Collaborative Approach rückt die Erfahrungen und das Know-how der Betroffenen näher in den Vordergrund als häufig üblich und bezieht sie als Experten für sich selbst aktiv in den Behandlungsprozess mit ein. Um ein nachvollziehbares Verständnis für die Entstehung der Suizidalität zu gewinnen, hat es sich in der Praxis bewährt, im Gespräch mit suizidgefährdeten Menschen den Ansatz des Suizidologen David Jobes (12) zu verfolgen: «I want to see it through your eyes.» Ich möchte die Suizidalität aus den Augen der/des Betroffenen sehen. Durch ein empathisches, wohlwollendes Nachfragen und Zuhören lässt sich der Gefährdungsgrad oft rascher und verlässlicher einschätzen als anhand von checklistenartig abgehakten Interviewfragen. Dennoch sollen die Fragen direkt und offen formuliert werden. Unser eigenes ungutes Bauchgefühl und unsere Bedenken sollen dabei ruhig beachtet und offen mitgeteilt werden. Etliche – auch
&38 5/2013 PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
suizidalitätserfahrene – Menschen fürchten sich vor Massnahmen (wie die fürsorgerische Unterbringung), die gegen ihren Willen eingeleitet und durchgesetzt werden. Bleiben wir als Fachpersonen bezüglich unserer Intentionen und unseres Handelns transparent, kann das einem antizipierten Autonomieverlust entgegenwirken. Es lohnt sich, Suizidgefährdete darüber zu informieren, weshalb wir gerade jetzt nach Suizidgedanken oder Suizidintentionen fragen, und es lohnt sich, sie ins Bild zu setzen, was wir aus den Antworten schliessen und welchen nächsten Schritt wir aus welchen Gründen zu tun gedenken. Eine besondere Problematik kann sich bei der Betrachtung der Suizidalität aus der Sicht von gerade älteren Betroffenen ergeben (I want to see it through your eyes). Es besteht an der Schnittstelle zu den Sterbehilfeorganisationen die Gefahr, die Patienten durch einen betont empathisch verständnisvollen Zugang in ihrer situativen und dynamischen Einengung (nach Ringel) zu verstärken. Dadurch kann eine vermeintlich interpretierte «gesunde Suizidalität» (Suizidalität bei gesunden Menschen nach Ringel) bei einer beispielsweise verkannten Depression «vorangetrieben» werden. Anders gesagt, man kann den Patienten auch zu gut verstehen, wenn man als helfende Person sich und sein eigenes Altersbild nicht sehr sorgfältig reflektiert.
Assessment der Suizidalität Suizidalität patientengerecht und in nützlicher Zeit zuverlässig einzuschätzen, ist immer noch eine grosse Herausforderung in der klinischen Praxis. Immer wieder sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt, innerhalb von kurzer Zeit eine zuverlässige Aussage über den aktuellen Gefährdungsgrad zu machen – und darüber hinaus nicht selten noch eine Einschätzung über die weitere Entwicklung dieser Gefährdung. Zahlreiche Messinstrumente bieten eine wissenschaftlich evaluierte Unterstützung beim Assessment der Suizidalität, doch ist der Einsatz von solchen Fragebögen in einer suizidalen Krise bei den Betroffenen wie auch bei Fachpersonen nicht immer hoch willkommen. Gerade im Altersbereich gibt es heute noch relativ wenige Erfahrungen mit dem Einsatz von Suizidalitätsassessmentinstrumenten. Einen etwas anderen und praxisnäheren Ansatz gegenüber traditionellen Fragebogen bietet das visuelle Instrument PRISM-S von Harbauer (9).
PRISM-S In weniger als fünf Minuten soll PRISM-S (Pictorial Representation of Illness and Self Measure – Suicidality) erlauben, die aktuelle Suizidgefährdung zuverlässig zu messen und dabei nach dem patientenzentrierten Collaborative Approach vorzugehen. Das standardisierte Instrument besteht aus einer weissen A4-Metallplatte mit einem gelben Punkt von sieben Zentimetern Durchmesser in der rechten unteren Ecke und einer schwarzen Kunststoffscheibe. Entsprechend der Haltung des Schulterschlusses setzt man sich idealerweise neben den Patienten und eher nicht frontal zu diesem. Ihm wird erklärt, dass die Platte das eigene «Leben» und der gelbe Kreis «sich selbst» darstellt (Wording: der gelbe Punkt repräsentiert «Sie»). Dann wird eine schwarze, kreisförmige, magnetische Scheibe von fünf Zentimetern Durchmesser gezeigt, welche als Reprä-
sentanz für den «Drang, sich das Leben zu nehmen» eingeführt wird. Schliesslich wird der Patient mit der Frage «Welchen Platz in Ihrem Leben nimmt zurzeit der Drang, sich das Leben zu nehmen, ein?» aufgefordert, die «Suizidalitätsscheibe» zu platzieren. Die Distanz zwischen dem gelben Punkt (Patient) und der «Suizidalitätsscheibe» ist das quantitative Mass, das mit «Gefährdung, sich zu suizidieren» beschrieben werden kann. Der Patient wird anschliessend gefragt: «Was bedeutet das für Sie (… wenn Sie den Drang, sich das Leben zu nehmen, an diesen Platz setzen)?» Die spontan folgenden, konkreten Detailäusserungen werden qualitativ ausgewertet und bieten einen raschen und direkten Zugang zu den Hintergründen der Suizidalität. Das visuelle Instrument PRISM-S misst vergleichbar zuverlässig wie andere standardisierte Skalen, beispiels-
Suizidalität Ihr Leben im Moment Self-Suicidality Separation (SSS)
Ich
Abbildung 6: Suizidalitätseinschätzung von PRISM-S gemeinsam mit den Betroffenen
weise die Suicidal Ideation Scale von Beck (2), setzt jedoch nicht das übliche Paper-and-Pencil-Handling ein. Meistens genügen zwei bis drei Minuten, bis man einen Eindruck vom aktuellen Gefährdungsgrad des Patienten gewinnt. Konkret visualisiert der Patient auf der Tafel die eigene Beziehung zu seinem Drang, sich zu suizidieren. Die schwarze Scheibe wird von den Patienten – entsprechend der Annahme der Autoren – an dem Punkt positioniert, an dem das unerträgliche Leidensausmass einerseits und ihre verfügbare Resilienz andererseits aufeinandertreffen. Er drückt sozusagen das gegenwärtige Gleichgewicht der beiden Tendenzen für oder wider die Suizidhandlung aus (12), was sich im Dialog mit den Patienten thematisieren und konkretisieren lässt. Es vermittelt uns Fachpersonen in einfacher Art und Weise einen visuellen Eindruck, in welchem Ausmass sich die Suizidgefährdeten selbst «bedroht» fühlen, oder in anderen Worten, von wie viel Widerstandsvermögen oder Ressourcen sie noch getragen werden. Die Verwendung des Instrumentes PRISM-S ersetzt selbstverständlich nicht das ärztlichpsychologische Gespräch, in das die wertvollen und hilfreichen Erfahrungen der Fachpersonen und ihr «Bauchgefühl» mit einfliessen. Ob sich das Instrument auch zur Messung der Suizidalität im Altersbereich bewährt, wird sich allerdings noch zeigen müssen.
Worauf ist bei der Einschätzung zu achten? Die grundsätzliche Frage bei der Durchführung eines Suizidalitätsassessments bleibt mit und ohne Einsatz eines jeglichen Messinstruments bestehen: Worauf soll
5/2013
&PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
39
FORTBILDUNG
man zur Einschätzung der Suizidalität besonders achten? Auf welche «Suizidalitätsfaktoren» soll man fokussieren und bei welchen Faktoren die Betroffenen aktiv fragen? Gehen wir vom Verständnis einer multifaktoriell verursachten Suizidalität aus, weist die Literatur (24) auf folgende Einflussmerkmale hin, die bei Menschen kurz vor einer Suizidhandlung feststellbar sind: Hoffnungslosigkeit, innerer und äusserer Stress, das subjektive Gefühl der sozialen Isoliertheit, seelischer Schmerz sowie die schwierig zu übersetzende Perturbation. Shneidman (25) umschreibt Perturbation mit «one’s inner turmoil, or being upset or mentally disturbed, and maybe seen as a continuum from tranquil and serene to frenzied, hypermanic, and wildly disturbed». Im deutschen Sprachverständnis sprechen wir in diesem Zusammenhang am ehesten von einem hohen inneren Aufgewühltsein, von einer ausgeprägten inneren Angespanntheit, vergleichbar mit einer sehr unruhigen, aufgewühlten Meeresoberfläche. Zur Einschätzung des aktuellen Gefährdungsgrades ist es folglich empfehlenswert, sich einen Eindruck über mindestens eben diese Grössen zu verschaffen: Wie viel Hoffnung vermögen Betroffene gegenwärtig noch zu schöpfen? Inwieweit befinden sie sich in einem akuten Stresszustand? Fühlen sie sich sozial isoliert und innerlich aufgewühlt? Ist der seelische Schmerz im Moment noch erträglich? Leider gibt es kein Kochrezept beziehungsweise keinen standardisierten Algorithmus, den man zur detaillierten und zuverlässigen Einschätzung der Suizidgefährdung einsetzen kann. Wir kommen gezwungenermassen nicht umhin, uns auf weitere Signale zu sensibilisieren und diese im Gespräch durch direktes Ansprechen zu überprüfen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass, je konkreter und spezifischer Betroffene die kognitive und emotionale Einengung erleben, desto ausgeprägter kann die Not und damit die Suizidgefährdung eingeschätzt werden. Es lohnt sich, aktiv nach konkreten Suizidintentionen und Suizidplänen zu fragen sowie nach drängenden Suizidgedanken und allfälligen vorbereitenden Handlungen. Dabei ist entscheidend, inwieweit Patienten noch imstande sind, diese zusätzlichen Belastungen durch die Suizidalität aktuell zu regulieren und zu bewältigen oder eben nicht. Wenn wir einschätzen können, wie gut das Suizidalitätsmanagement der Betroffenen funktioniert, erlaubt uns das, Rückschlüsse auf das vorhandene Widerstandsvermögen zu ziehen und den Gefährdungsgrad genauer einzuschätzen. Immer wieder berichten Menschen über ihre klaren, konkreten Suizidpläne und wissen bereits, wo sie sich ihr Leben nehmen und wie sie das genau tun würden, falls sie es nicht mehr aushalten würden. Dieser vorbereitete Ausgang aus ihrer Not kann ihnen helfen, das Leidensausmass über Monate oder sogar Jahre auf einigermassen erträglichem Niveau zu halten, ohne dass sie akut suizidal sein müssen. Ausschlaggebend ist, wie Betroffene das Ausmass aller verschiedenen Risikofaktoren zu einem bestimmten Zeitpunkt erleben.
Welche präventiven Möglichkeiten gibt es? Suizidprävention kann unter anderem nach direkten oder indirekten Angeboten und Massnahmen unterschieden werden. Direkte Suizidprävention beinhaltet
Massnahmen beziehungsweise Angebote, die gezielt auf die Verhinderung von Suizidhandlungen und Suiziden fokussieren, wie beispielsweise Angebote und Massnahmen für Hinterbliebene oder auch Öffentlichkeitsarbeit. Indirekte Suizidprävention ist auf Hilfs- und Unterstützungsmassnahmen beziehungsweise -angebote ausgerichtet, wie beispielsweise Kriseninterventionszentren oder die Dargebotene Hand sowie Ausund Weiterbildungsanstrengungen zu psychischer Gesundheit. In seinem Bericht «Suizid und Suizidprävention in der Schweiz» unterscheidet das Bundesamt für Gesundheit folgende Empfehlungen für die Suizidprävention (1): a) Public-Health-Massnahmen, ausgerichtet auf die
Allgemeinbevölkerung; b) Health-Care-Massnahmen, ausgerichtet auf Risiko-
gruppen und c) Forschung und Evaluation. Diese kurze Illustration verschiedener Einteilungsmöglichkeiten der Suizidprävention weist auf die grundsätzliche Komplexität der Suizidpräventionsarbeit hin, die der nicht minder komplexen Suizidalitätsentstehung und -entwicklung gegenübergestellt wird. Nur wenige Kantone haben ein Suizidpräventionskonzept erarbeitet und in die Umsetzung verabschiedet. Darin wird der methodenspezifischen Prävention, neben anderen, zu Recht besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Zu den effektiven direkten Massnahmen zur Suizidprävention gehört die Hot-Spot-Sicherung, die jene Orte durch bauliche Massnahmen sichert, an denen viele Suizide begangen werden. Gitter oder Netze an Brücken können gefährdete Menschen am Sprung effektiv und nachhaltig hindern, wie die bereits erwähnte Studie mit den Golden-Gate-Jumpers eindrucksvoll zeigt (23). Menschen, die keine Möglichkeit haben, von einer bestimmten Brücke zu springen, weichen nicht einfach auf eine andere Brücke aus, stellt der Suizidologe Thomas Reisch in seinen Untersuchungen zu Brückensuiziden fest (18). Installierte Notrufsäulen oder Überwachungskameras an Hot Spots bieten den Gefährdeten zudem die Möglichkeit, sofort auf ihre Not aufmerksam zu machen und Hilfe anzufordern. Bauliche Absicherungen von bestimmten Bahngleisabschnitten können nicht nur die Suizidrate verringern, sondern auch präventiv gegen die Traumatisierung der Lokomotivführer nach einem Zusammenstoss wirken. Generell können viele Suizide verhindert werden, wenn der Zugang zu Suizidmitteln (Schusswaffen, Medikamente, Giftsubstanzen) erschwert oder verhindert wird. Es lohnt sich daher, in der klinischen Praxis gefährdete Patienten auf verfügbare oder erreichbare Mittel anzusprechen und Letztere nötigenfalls sicherstellen zu lassen. Insbesondere bei Menschen im Alter empfiehlt es sich, nach Schusswaffen (beispielsweise aus der Militärdienstzeit) zu Hause zu fragen. Erschiessen ist in der Schweiz für Männer im Alter die am zweihäufigsten angewendete Suizidmethode (22). Spezifische Präventionsmassnahmen für Risikogruppen bieten weitere wertvolle Möglichkeiten, Suizide zu verhindern. Dazu gehören beispielsweise spezifische Beratungs- und Behandlungsangebote für Menschen im Alter und die niederschwelligen Dienstleistungen von Kriseninterventionszentren. Suizide können auch verhindert werden, indem die Berichterstattung über
&40 5/2013 PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
Suizide sparsam und zurückhaltend statt emotionalisierend und dramatisierend gestaltet wird. Durch den sogenannten Werther-Effekt können bei gefährdeten Menschen Imitationshandlungen induziert werden. Die Befunde mehren sich glücklicherweise, dass der gegenteilige Papageno-Effekt ebenso wirksam Suizide verhindern kann. Wird über Menschen berichtet, die ihre Lebenskrise oder ihre suizidale Krise erfolgreich bewältigt und hinter sich gebracht haben, ohne sich umzubringen, kann das für andere Menschen Anstoss sein zu versuchen, die eigene Krise auch zu bewältigen. Papageno ist der Name des Vogelfängers in Mozarts Oper «Die Zauberflöte», der befürchtet, seine geliebte Papagena zu verlieren, und Suizidpläne in seinem Kopf zu schmieden beginnt. Drei Knaben jedoch gelingt es erfolgreich, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Wünschenswert ist eine vermehrte Berichterstattung gerade über Menschen im Alter, die ihre (suizidale) Krise erfolgreich bewältigen können und Einblick gewähren, wie ihnen das gelungen ist. Als klinisch tätige Fachpersonen können wir wesentlich zur Suizidprävention beitragen, indem wir uns auf die Erkennung von Depressionen sensibilisieren und diese möglichst früh und entsprechend fachgerecht psychotherapeutisch und pharmakotherapeutisch behandeln. Zudem obliegt uns die Möglichkeit, spezifische medizinische Angebote für Menschen im Alter zur Verfügung zu stellen und auszubauen. Als sozial und moralisch verantwortlich Handelnde können wir aktiv dazu beitragen, dass die Beziehungsnetze alter Menschen aufrechterhalten und gepflegt werden. Als Mitmenschen können wir die Rücksichtnahme auf alte Menschen fördern, sodass sie sich von uns respektiert und willkommen fühlen und tief berührende Aussagen wie die von Laure Wyss der Vergangenheit angehören mögen: «Wir Alten sind eine Last, eine Bedrohung. Das ganze Land ..., viele in unserer Umgebung suchen nach Lösungen, wie man mit uns fertig wird ..., wie uns ertragen punkto Kosten und auch psychisch. Es ist für niemanden erheiternd, sich mit uns zu beschäftigen, mit uns, die wir nichts mehr einbringen und ganz ohne Zukunft sind. Für uns aber auch kein Schleck, in diese Bevölkerungsschicht hineingestossen zu werden.» (21)
Wie können Angehörige unterstützt werden? Hat ein geliebter Mensch einen Suizid begangen, ist das Drama für die Hinterbliebenen keinesfalls vorbei, es entwickelt sich zu einem neuen belastenden Höhepunkt einer lange dauernden Leidensgeschichte. Einerseits muss der Verlust mit all seiner Trauer und den häufig offen gebliebenen Fragen akzeptiert werden. Andererseits führt der Tod zwangsläufig zu einer einschneidenden Veränderung des ganzen Lebens. Gerade nach einem Suizid beginnt für die Hinterbliebenen eine lange Phase der persönlichen Verarbeitung, der Bewältigung und der Neuorientierung. Nicht immer gelingt es Freunden, Nachbarn und Bekannten, in dieser Zeit hilfreiche Unterstützung zu bieten. Nach wie vor fühlen sich viele unsicher, wie sie nach einem Suizid helfen sollen. Immer wieder erleben Hinterbliebene, dass ihnen zwar Hilfe angeboten wird, viele sich aber auch von ihnen abwenden – manchmal für immer.
Nach wie vor ist für viele Menschen der Suizid ein
Tabuthema, und man spricht nicht gerne darüber. Ge-
rade deshalb ist es auch für Hinterbliebene sehr wichtig,
mit anderen darüber sprechen und sich austauschen
zu können. In der Schweiz setzen sich verschiedene Or-
ganisationen für Hinterbliebene nach einem Suizid ein.
Der Verein für Hinterbliebene, Refugium bietet Hilfestel-
lung bei der Verarbeitung des Verlustes und die Mög-
lichkeit, seine Leidensgeschichte mit Gleichbetroffenen
zu teilen. Für junge Menschen, die einen Elternteil verlo-
ren haben, ist der Verein Nebelmeer eine hilfreiche An-
laufstelle. In der Gruppe von Betroffenen kann man sich
in monatlichen Treffen austauschen und wertvollen
Rückhalt erfahren. Bei der Stiftung Selbsthilfe Schweiz
finden sich viele regionale Trägerorganisationen, die in
themenspezifischen Selbsthilfegruppen Unterstützung
anbieten (www.selbsthilfeschweiz.ch).
G
Korrespondenzadresse:
lic. phil. Gregor Harbauer
Therapeutischer Leiter
Leitender Psychologe
Leiter Bildung + Standesfragen Psychologie
Integrierte Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland
KIZ Kriseninterventionszentrum
E-Mail: Gregor.Harbauer@ipw.zh.ch
Bleichestrasse 9
Postfach 144
8408 Winterthur
Internet: www.ipw.zh.ch
Literaturverzeichnis:
1. BAG, Bundesamt für Gesundheit. (2005). Suizid und Suizidprävention in der Schweiz, Bericht in Erfüllung des Postulates Widmer. Bern: Bundesamt für Gesundheit, Direktionsbereich Gesundheitspolitik.
2. Beck, A. T.: Scale for suicide ideation: Psychometric properties of a self-report version. J Clin Psychol 1998; (44), S. 499–505.
3. BFS. (3 2012). Sterbehilfe und Suizid in der Schweiz 1988 bis 2009. Bundesamt für Statistik – Sterblichkeit und Todesursachen – Analysen: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.html?publicationID=4729 abgerufen.
4. Blonski, H.: Neurotische Störungen im Alter.1998; Heidelberg: Roland Asanger Verlag.
5. Caplan, G.: Principles of Preventive Psychiatry.1964; New York: Basic Books Inc.
6. Cullberg, J.: Krisen und Krisentherapie. Psychiatrische Praxis1978, S. 25–34 .
7. Forum Suizidprävention im Alter. Tagungsbericht (S. 1–6). Rüschlikon: Gottlieb Duttweiler Institut. 2012.
8. FSSZ Forum für Suizidprävention und Suizidforschung Zürich. Suizidprävention im Kanton Zürch. Expertenbericht zu Handen des Regierungsrates des Kantons Zürich. 2011.
9. Harbauer, G., Ring, M., Schuetz, C., Andreae, A., Haas, S.:Suicidality assessment with PRISM-S – simple, fast, and visual: a brief nonverbal method to assess suicidality in adolescent and adult patients. Crisis 2013; 2(34).
10. Hatzinger, M.: Affektive Störungen. In Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie. 2011; 162(5): 179–89.
11. ISPM Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich. Prävention psychischer Erkrankungen. Grundlagen für den Kanton Zürich. 2012 Hrsg.
12. Jobes, D. A.: Managing Suicidal Risk. 2006; New York: Guilford.
13. Mann, J. W.: Toward a clinical model of suicidal behavior in psychiatric patients. Am J Psychiatry, 1999; (156), S. 181–189.
14. Orbach, I., Mikulincer, M., Gilboa-Schechtmann, E.: Mental Pain and Its Relationship to Suicidality and Life Meaning. Suicide and LifeThreatening Behavior, 2003; 33, 231–241.
15. Pöldinger, W.: Die Abschätzung der Suizidalität.1968; Bern: Verlag Hans Huber.
16. Radebold, H.: Psychodynamische Sicht und psychoanalytische Psychotherapie 50–75-jähriger. 1992; Berlin: Springer.
17. Reisch, T.: Wo kann Suizidprävention ansetzen? Vorschlag eines 6Phasen-Modells suizidaler Krisen. (Thieme, Hrsg.) Psychiat Prax 2012; 39, 257–258. doi:http://dx.doi.org/10.1055/s-0032-1305205.
18. Reisch, T. S.: Suicide by jumping and accessibility of bridges: Results from a National Survey in Switzerland. Suicide and Life-Threatening 2007; 37(6), S. 681–687.
19. Ringel, E.: Der Selbstmord. Abschluss einer krankhaften psychischen Entwicklung.Wien: Maudrich; 1953.
5/2013
&PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
41
20. Rudd, M. D.: The suicidal mode: a cognitive-behavioral model of suicidality. Suicide Life Threat Behav (30); 2000; 18–33.
21. Rüegger, H.: Autonomie, Würde und Alter. Forum Suizidprävention im Alter 2012; Rüschlikon: Gottlieb-Duttweiler-Institut.
22. Schmidtke, A. S.: Epidemiologie von Suizidalität im Alter. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2008; 41(1), S. 3–13. doi:DOI 10.1007/ s00391-008-0517-z.
23. Seiden, R. H.: Where are they now? A Follow-up Study of Suicide Attempters from the Golden Gate Bridge. Suicide and Life threatening Behavior 1978; 8(4), 0363-0234/78/1600-0203$00.951978.
24. Shneidman, E. S.: Suicide as psychache. J Nerv Ment Dis 1993; 181: 145–147.
25. Shneidman, E. S.: Perturbation and lethality. A psychological approach to assessment and intervention. In D. G. (Ed.), The Harvard Medical School guide to suicide assessment and intervention.1999; 83–97. San Francisco: Jossey-Bass.
26. WHO. (2002). Distribution of suicides rates (per 100 000) by gender and age. World Health Organization – Suicide Prevention and special Programmes: http://www.who.int/mental_health/prevention/ suicide/suicide_rates_chart/en/index.html abgerufen.
27. WHO. (2011). Suicide rates per 100 000 by country, year and sex. World Health Organization – Suicide Prevention and Special Programmes: http://www.who.int/mental_health/prevention/suicide_ rates/en/ abgerufen.
28. Wolfersdorf, M.: Der suizidgefährdete Mensch. Zur Diagnostik und Therapie. In E. H. Wenglein, Selbstvernichtung (S. 89–112).1996; Göttingen Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht.
29. Schelling, R., Martin, M.: Einstellungen zum eigenen Altern: Eine Alters- oder eine Ressourcenfrage? Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2008; 41, 38–50.
30. Teising, M.: Narzisstische Kränkbarkeit alternder Männer, International Journal of Psychoanalysis 2006; 88: 1329–1344.
31. Optimierte Versorgung depressiver Patienten und Suizidprävention: Ergebnisse des «Nürnberger Bündnisses gegen Depression», Dtsch Arztebl 2003; 100(42): A-2732 / B-2278 / C-2137.
Teil 1: Suizidprävention im Alter
«Besonderheiten der Suizidalität im Alter»
ist in P & N 3/2013 erschienen.
FORTBILDUNG
Merksätze:
G Suizidalität ist häufig ein Symptom einer psychiatrischen Erkrankung, die in der Regel behandelbar und auch behandlungsbedürftig ist.
G Die Haltung unserer westlichen Welt gegenüber älteren Menschen ist eher eine suizidfördernde.
G Suizidalität ist auch bei älteren Menschen häufig ein Symptom einer Depression. Diese stellt eine diagnostische Herausforderung dar, weil sie sich häufig hinter Somatisierung, Dysphorie, Demenz, Suchtproblematik unter anderem versteckt.
G Nicht der Wunsch nach dem Tod steht im Vordergrund, sondern der Wunsch nach Ruhe, Abstand und Erlösung vom nicht mehr ertragbaren Leid («Psychache»). Es gibt deutliche Hinweise, dass dieser suizidale Modus hirnorganische Veränderungen induziert und in den Köpfen sozusagen bleibende Spuren hinterlässt.
G Suizidalität lässt sich nie mit hundertprozentiger Sicherheit erfassen. Einen praxisnäheren Ansatz gegenüber traditionellen Fragebogen bietet das visuelle Instrument PRISM-S (9), mit dem man in weniger als fünf Minuten die aktuelle Suizidgefährdung messen kann.
G Spezifische Präventionsmassnahmen für Risikogruppen bieten weitere wertvolle Möglichkeiten, um Suizide zu verhindern.
&42 5/2013 PSYCHIATRIE NEUROLOGIE