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FORTBILDUNG
Aktuelle medikamentöse Epilepsiebehandlung im Erwachsenenalter
Die medikamentöse Behandlung der Epilepsien beruht auf dem Konzept, durch die kontinuierliche präventive Behandlung dem Auftreten weiterer epileptischer Anfälle vorzubeugen. In den letzten 20 Jahren wurden in der Schweiz neben den fünf vorgängig gebräuchlichsten Standardsubstanzen 14 neue Präparate zur Pharmakotherapie von Epilepsien zugelassen. Die Wahl des geeigneten Präparates ist für den einzelnen Betroffenen damit individueller, für den behandelnden Neurologen aber auch anspruchsvoller geworden.
Heinrich Vogt
von Heinrich Vogt
A ntiepileptika heilen nicht im eigentlichen Sinne die Grunderkrankung, sondern haben den Zweck, bei deren regelmässiger Einnahme die individuell erniedrigte Anfallsschwelle zu erhöhen. Auch die Bezeichnung «Antikonvulsiva» ist nicht ganz treffend. «Konvulsiv» ist nur der kleinere Anteil der Anfälle, die Pharmaka wirken auch bei anderen Anfallssymptomen. Ein aktueller Vorschlag lautet daher, die zur Behandlung der epileptischen Anfälle eingesetzten Medikamente als «Seizure Medication», als «Anfallsmedikation» zu bezeichnen (1). In den letzten 20 Jahren wurden in der Schweiz neben den 5 vorgängig gebräuchlichsten Standardsubstanzen 14 neue Präparate zur Pharmakotherapie von Epilepsien zugelassen. Von den neuen Medikamenten sind in der Zwischenzeit einige schon so lange im Einsatz, dass ihre Vor- und Nachteile, ihre Stärken und Schwächen untereinander, wie auch gegenüber den «alten», gut eingeschätzt werden können. Bei vergleichbarer Wirksamkeit in Vergleichsstudien, einem guten Verträglichkeitsprofil, dies in der Zwischenzeit teilweise gesichert auch in der Langzeitbehandlung, einem geringeren Interaktionspotenzial, mit teilweise weniger allergisch-idiosynkratischen Reaktionen und bei Kinderwunsch einer geringeren Teratogenität, haben Substanzen wie Lamotrigin oder Levetiracetam den Platz als Anfallsmedikamente erster Wahl zur Initialbehandlung zumindest bei fokalen Epilepsien eingenommen. An neuen Substanzen sind in der Schweiz
* Die vollständige Liste aller derzeit zur Verfügung stehenden Anfallsmedikamente: Alte Anfallsmedikamente: Carbamazepin, Ethosuximid, Phenobarbital, Primidon, Phenytoin, Sultiam,Valproinsäure Neue Antiepileptika: Felbamat, Gabapentin, Lacosamid, Lamotrigin, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Perampanel, Pregabalin, Retigabin, Rufinamid,Tiagabin,Topiramat,Vigabatrin, Zonisamid
seit der letzten Übersicht zur medikamentösen Epilepsiebehandlung (2) in der Zwischenzeit hinzugekommen: Zonisamid, Lacosamid, Rufinamid, Retigabin und als Letztes Perampanel*. Bis auf Zonisamid sind sie zur Zusatzbehandlung bislang refraktärer Epilepsien zugelassen oder Spezialindikationen vorbehalten (Kasten 2 und 3).
Behandlung bereits bei einem ersten Anfall? Erst bei der Diagnosestellung Epilepsie wird die Aufnahme einer präventiven medikamentösen Behandlung empfohlen. Die erwähnten Definitionen geben dafür operationale Kriterien (siehe Kasten 1). Auch nach einem ersten unprovozierten Anfall muss nach möglichen behandelbaren Ursachen und Faktoren für ein erhöhtes Wiederholungsrisiko abgeklärt werden. Falls keine epileptiforme Aktivität im EEG und/oder keine strukturelle Ursache in der neuroradiologischen Untersuchung gefunden werden, besteht ein tieferes Wiederholungsrisiko. Die Diagnose einer Epilepsie wird nicht gestellt und in der Regel keine Behandlung aufgenommen. Das Rezidivrisiko und die Langzeitprognose einer sofortigen versus einer verzögerten Anfallsbehandlung wurden in einer italienischen ([7, 8] FIRST – First Seizure Trial Group) und einer englischen Studie ([9, 10] MESS – Multicenter Epilepsy and Single Seizure Study) prospektiv untersucht. Die sofortige Behandlung mit einem Anfallsmedikament reduzierte zwar das Risiko eines zweiten Anfalles um 50 beziehungsweise 30 Prozent, aber 50 Prozent hatten keinen zweiten tonisch-klonischen Anfall. Die Langzeitprognose bei Behandlung erst nach dem zweiten Anfall war in beiden Untersuchungen praktisch identisch, die spätere 5-Jahres-Remissionsrate wurde mit 76 beziehungsweise 77 Prozent angegeben. Der Entscheid für oder gegen die Aufnahme einer frühen Behandlung muss mit dem Be-
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troffenen unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation getroffen werden. Nach den neuen Richtlinien der DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie) ist eine Kurzzeitbehandlung akut symptomatischer Anfälle abhängig vom Einzelfall (Ort und Ursache der Läsion z.B. nach einer ZNS-Infektion, einem Schlaganfall oder nach Schädel-Hirn-Trauma) über 3 bis 6 Monate möglich (11).
Medikamentenwahl bei neu diagnostizierter Epilepsie Ziel einer Behandlung ist immer Anfallsfreiheit bei nebenwirkungsfreier Verträglichkeit der eingesetzten Anfallsmedikation. Bei der Anfallsbehandlung ist die Monotherapie Goldstandard. Die Medikamentenwahl richtet sich vonseiten des Patienten nach dem/den Anfallstyp(en), dem Epilepsiesyndrom, dem Geschlecht, der Dringlichkeit einer Behandlung, den vorhandenen Begleiterkrankungen und deren Begleitmedikation. Kriterien vonseiten des Anfallsmedikamentes sind sein Wirkspektrum, seine Verträglichkeit und speziell auch seine Sicherheit vor potenziell schwerwiegenden idiosynkratischen Nebenwirkungen. Daneben sind gewünschte Eigenschaften der Pharmakokinetik eine genügend lange Halbwertszeit oder die Einnahmemöglichkeit als retardiertes Präparat. Wesentliche Anforderungen sind das Fehlen relevanter Interaktionen, speziell der Induktion des Lebermetabolismus. Relevant können auch die erlaubte Titrationsgeschwindigkeit sein und in speziellen Fällen die Möglichkeit anderer Einnahmeformen als peroral. Der Wirkmechanismus kann speziell bei Kombinationsbehandlungen relevant werden. Daneben sind auch erfolgte Zulassungen als Mono- oder (vorläufig) nur Zusatztherapie bei fokaler und/oder generalisierter Epilepsie und nicht zuletzt die Kosten zu beachten. Die Diagnose einer Epilepsie sollte gesichert sein. Falls unklar, müssen die Differenzialdiagnosen abgeklärt und optimalerweise zur Sicherung der Diagnose Epilepsie bereits in diesem Stadium EEG-Langzeit-Ableitungen durchgeführt werden, die einen hohen prädiktiven Wert haben (12). Eine probatorische Anfallsbehandlung sollte wegen möglicher unerwünschter Wirkungen, der allfälligen Verzögerung beim Erkennen einer anderen behandlungsbedürftigen Erkrankung, der unklaren Behandlungsdauer und der im Einzelfall nicht unerheblichen psychosozialen Konsequenzen einer Epilepsiediagnose vermieden werden. Zur Behandlung fokaler Epilepsien können ausser Ethosuximid alle Anfallsmedikamente eingesetzt werden. Bei den generalisierten Epilepsien ist bisher Valproat das Mittel erster Wahl mit der höchsten Zahl anfallsfreier Patienten. Alternativen sind die Anfallsmedikamente mit einem breiten Wirkungsspektrum wie Levetiracetam, Lamotrigin, Topiramat oder Zonegran. Reine Absencen sprechen gut auf Ethosuximid an. Kontraindiziert bei Absenzen oder Myoklonien sind wegen der Möglichkeit einer Anfallsverschlechterung Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenytoin, Vigabatrin, Tiagabin, Gabapentin oder Lyrica. Lamotrigin kann vereinzelt Myoklonien verschlechtern. Von den neueren Substanzen fehlen diesbezügliche Daten.
Vergleich der Anfallsmedikamente punkto Wirksamkeit/Verträglichkeit Neue Anfallsmedikamente werden in Zulassungsstudien bei therapierefraktären Patienten als Zusatz zu einer ungenügend wirksamen und häufig im Rahmen einer Mehrfachmedikation geprüft. Ihre spezifischen Vorteile kommen in der Regel aber erst im Vergleich in Monotherapiestudien gegen andere Anfallsmedikamente vollständig zur Geltung. In den beiden weiterhin als vorbildlich geltenden VA-Monotherapiestudien wurden die damals eingesetzten Standardmedikamente gegen fokale Anfälle untereinander in zwei randomisierten und verblindeten Studien verglichen (13, 14). Die beiden – auch heute noch geltenden Kriterien der Effizienz – waren Anfallskontrolle und Verträglichkeit, gemessen an der Retentionsrate der unter der jeweiligen Substanz verbliebenen Patienten. Das bessere Abschneiden von Carbamazepin und Phenytoin lag weniger in der Wirksamkeit, mehr in der schlechteren Verträglichkeit von Phenobarbital und Primidon, die häufiger wegen Nebenwirkungen abgesetzt wurden. Valproat war in der Nachfolgestudie bei tonisch-klonischen Anfällen gleich wirksam wie Carbamazepin, deutlich unterlegen aber in der Wirksamkeit bei komplex-fokalen Anfällen. In der neueren pragmatischen englischen Studie SANAD (Standard And New Antiepileptic Drugs, Marson [15, 16]) wurden, in einer zwar randomisierten, aber offenen Untersuchung, bei neu als fokal klassifizierten Epilepsien die Substanzen Carbamazepin (retardiert und unretardiert), Oxcarbazepin, Lamotrigin, Topiramat und Gabapentin untereinander verglichen. Primäre Outcome-Kriterien waren die Retentionsraten mit Anzahl Behandelter bis zu zwölf Monaten Anfallsfreiheit und die Zeit bis Behandlungsabbruch wegen ungenügender Anfallskontrolle oder intolerabler Nebenwirkung(en) oder beidem. Lamotrigin wurde in der Auswertung wegen weniger Behandlungsabbrüchen bei besserer Verträglichkeit als Medikament erster Wahl empfohlen, gefolgt von Carbamazepin und Oxcarbazepin. An dritter Stelle lagen Topiramat – abgesetzt wegen der meisten Nebenwirkungen – und Gabapentin wegen der geringsten Wirksamkeit. Nur bezüglich der erreichten Quote der Anfallsfreiheit beurteilt, blieb Carbamazepin aber weiter die wirksamste Substanz. Bei Erstbehandlung in der Gruppe der als generalisiert oder nicht näher klassifizierbar beurteilten Epilepsien wurden in derselben Studie Valproat, Lamotrigin und Topiramat verglichen. Valproat wurde weiter als Substanz erster Wahl bei diesen Epilepsieformen empfohlen, da es wirksamer als Lamotrigin und besser verträglich als Topiramat war. Nur bezüglich Wirksamkeit beurteilt, war Topiramat vergleichbar dem Valproat, um eine Anfallsfreiheit von einem Jahr zu erreichen. Für die Zulassung zu einer Monotherapie neuer Substanzen wird derzeit in den Vergleichsstudien wegen der bislang nicht übertroffenen Wirksamkeit der «alten Standardantiepileptika» ein Nichtunterlegenheitsnachweis gefordert. In einer der ersten damit durchgeführten randomisierten, doppelblinden, direkten Vergleichsstudie, mit Levetiracetam im Vergleich zu retardiertem Carbamazepin, jeweils in Monotherapie bei neu diagnostizierten Epilepsien, ergab sich keine Unterlegenheit von Levetiracetam (17). In einer offe-
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Kasten 1:
Vorgeschlagene revidierte Definition von Epilepsie (2005 und 2013)
2005 wurde von einer Arbeitsgruppe der ILAE (3) eine konzeptionelle, für die alltägliche Praxis nicht immer hilfreiche Definition von Epilepsie und Anfall formuliert. Für die Diagnose genügte bereits das Auftreten mindestens eines und auch nicht mehr zwingend unprovozierten Anfalles, dazu eine «dauerhafte Neigung zur Entwicklung epileptischer Anfälle» beziehungsweise eine «abnormal erhöhte Veranlagung für weitere Anfälle». Diese «dauerhafte Neigung» und die «abnormal erhöhte Veranlagung» waren für den Praktiker, der die Betroffenen beraten sollte, allerdings nicht klar definiert. Was ist als Veränderung im Gehirn gefordert, um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens weiterer Anfälle zu erhöhen? Genügen epileptiforme Potenziale im Elektroenzephalogramm (EEG) oder eine strukturelle Läsion in der Magnetresonanz des Neurokraniums oder nur schon eine positive Familienanamnese? Vorgängig wurden aufgrund der epidemiologischen Daten (4, 5) zur Diagnose einer Epilepsie mindestens 2 unprovozierte epileptische Anfälle gefordert, die nicht innert 24 Stunden aufgetreten waren. In den derzeit vorgeschlagenen revidierten Kriterien baut die Arbeitsgruppe diese anerkannten operationalen Kriterien von zwei Anfällen wieder ein und schlägt als praktische klinische Definition einer Epilepsie folgende Konstellation vor: 1. Das Auftreten von mindestens 2 unprovozierten Anfällen in einem Abstand von
mehr als 24 Stunden. 2. Ein unprovozierter Anfall und eine Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle ver-
gleichbar dem generellen Wiederholungsrisiko nach 2 unprovozierten Anfällen von zirka 75 Prozent oder mehr. 3. Mindestens 2 Anfälle im Rahmen einer Reflexepilepsie.
Daneben wurde auch der Zeitrahmen der «dauerhaften Neigung» relativiert. Eine Epilepsie ist nicht mehr «länger vorhanden» bei Individuen, die ein altersabhängiges Epilepsiesyndrom (gutartige Epilepsien des Kindesalters) hatten und diesem Alter entwachsen sind, ebenso wenig bei solchen, die mindestens zehn Jahre ohne Medikation anfallsfrei geblieben sind, vorausgesetzt, es besteht kein Risikofaktor mit einer hohen (> 75%) Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Anfällen.
Unterschieden werden im aktuellen Vorschlag wieder die «provozierten Anfälle». Diese werden dem Begriff des «reaktiven Anfalles» oder dem «akut symptomatischen Anfall» als Reaktion auf ein akutes, das zentrale Nervensystem (ZNS) betreffendes Ereignis, gleichgesetzt (6). Durch dieses Ereignis kommt es nur vorübergehend zu einer Senkung der Anfallsschwelle. Definiert sind sie als Anfälle, die zum Zeitpunkt oder in zeitlich naher Beziehung mit einem akuten ZNS-Insult auftreten, welcher metabolisch, toxisch, strukturell, infektiös oder entzündlich bedingt sein kann. Beispiele sind der Fieberanfall, der Anfall bei Alkohol- oder Medikamentenentzug oder bei Einnahme prokonvulsiver Medikamente. Reflexepilepsien aufgrund äusserer Stimuli, wie der photischen Stimulation, erfüllen die Kriterien einer Veranlagung einer Epilepsie.
nen Vergleichsstudie zwischen Levetiracetam und Lamotrigin wurden keine signifikanten Unterschiede bei Anfallsfreiheit, Retentionsraten und Lebensqualität angegeben (18). Müdigkeit und Aggression wurden häufiger unter Levetiracetam beobachtet. Im Vergleich von Zonegran und retardiertem Carbamazepin wurde nach geforderten Zulassungskriterien ebenfalls keine Nichtunterlegenheit von Zonegran gefunden, weshalb es zur Monotherapie mit der Möglichkeit einer Einmalgabe bei der langen Halbwertszeit zugelassen wurde
(19). Im direkten Vergleich von Pregabalin und Lamotrigin war Pregabalin weniger wirksam (20). Die Empfehlungen zur medikamentösen Erstbehandlung haben sich in den letzten Jahren geändert. Mit der erfolgten Zulassung zur initialen Monotherapie gibt es bei den wirksamen und verträglichen neuen Substanzen gute Gründe, sie gleich zu Beginn der Erkrankung einzusetzen. Da die Mehrzahl der Epilepsiebetroffenen eine jahrelange bis häufig lebenslange Behandlung benötigt, werden heute bereits zur Erstbehandlung Substanzen ohne Induktionswirkung auf die Leberenzyme empfohlen. Die Zulassung auch als Monotherapie zur Neueinstellung fokaler Epilepsien haben derzeit von den neuen Anfallsmedikamenten Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Topiramat, Levetiracetam und Zonegran. Bei bisher refraktären Epilepsien haben die Neuen wegen der erhofften zusätzlichen Wirksamkeit aufgrund eines anderen oder neuen Wirkmechanismus und weiterer Eigenschaften, wie weniger Interaktionen und erhoffter guter Verträglichkeit, einen wichtigen Platz in der Zusatzbehandlung oder in der alternativen Monotherapie. Eine Rolle bei der Medikamentenwahl können auch Begleiterkrankungen spielen, die wegen des (weiteren) Wirkungsprofils mit den gleichen Substanzen behandelt werden können. So ist Lamotrigin ein ideales Medikament zur Mitbehandlung depressiver Störungen, Topiramat bei Migräne oder Übergewicht, Zonegran bei Übergewicht, Gabapentin oder Pregabalin bei neuropathischen Schmerzen.
Vorgehen beim Scheitern der Ersttherapie und weiter therapierefraktären Epilepsien Scheitert das erste eingesetzte Anfallsmedikament, so besteht, falls eine unerwünschte Wirkung der Grund für den Wechsel war, mit der zweiten Substanz immer noch eine hohe Wahrscheinlichkeit, Anfallsfreiheit zu erzielen. Ursache einer Wirkungslosigkeit sollte allerdings nicht in einer schlechten Adhärenz liegen. So kann die Einnahmekontrolle durch eine Wochendosette unterstützt und mit Bestimmung der Serumkonzentration die Einnahme objektiviert werden. Empfohlen wird bei fehlender Effizienz im nächsten Schritt die Umstellung auf eine alternative zweite, allenfalls im Verlauf eine dritte Monotherapie. Durch die heutigen interaktionsärmeren Substanzen ist man auch offener, früher eine Behandlung mit zwei Substanzen durchzuführen. Studienbelegte Evidenz zur besseren Wirksamkeit einer alternativen Monotherapie versus Kombinationsbehandlung besteht nicht. Die Unterschiede in zwei durchgeführten Studien waren nicht signifikant (21, 22). Wird mit der Zusatzgabe eines zweiten Medikaments die Anfallsfreiheit erreicht, hängt es vom Betroffenen ab, ob dieser zufrieden mit dem Resultat Anfallsfreiheit ist oder ob die Einnahme von weniger Medikamenten wichtig ist.
Pharmakoresistente Epilepsien Nach der neuesten Definition der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) soll von Pharmakoresistenz gesprochen werden, wenn nach adäquaten Behandlungsversuchen mit zwei vertragenen, geeigneten und
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Kasten 2:
Zulassung und mögliche Nebenwirkungen der neueren Anfallsmedikamente
Substanz Lacosamid Vimpat® Perampanel Fycompa® Retigabin Trobalt®
Rufinamid Inovelon®
Zonisamid Zonegran®
Aktuelle Zulassung add-on fokale Epilepsien
add-on bei fokalen Epilepsien
add-on bei fokalen Epilepsien
add-on beim Lennox-Gastaut-Syndrom
Monotherapie fokale Epilepsien und gen. tonisch-klonische Anfälle
Mögliche Nebenwirkungen Dosisabhängig Nausea, Schwindel, Ataxie, Doppelbilder EKG-Screening empfohlen: mögliche PR-Verlängerung Müdigkeit, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Stürze schwere Verhaltensänderungen, Stimmungsstörungen Harnverhalten, Somnolenz, Gleichgewichtsstörungen, psychotische Störungen neu: wegen Pigmentstörungen (Blauverfärbung) bei Retina, Nägeln und Lippen nur noch eingeschränkte Indikation Schwindel, Müdigkeit, gastrointestinale Beschwerden EKG-Kontrolle: QT-Intervall leicht verkürzt Kontraindikation: kurzes QT-Syndrom Kognitive und psychiatrische: Wortfindungsstörungen, Verwirrtheit, Verlangsamung, Gewichtsabnahme Nierensteine, Oligohidrose, Hyperthermie allergische Reaktionen (wegen Sulfonamidgruppe)
in genügend hoher Dosis angewendeten Anfallsmedikamenten (entweder als Monotherapie oder in Kombination) keine anhaltende Anfallsfreiheit erreicht wurde (23). Danach sollte bereits eine Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum zur genaueren Abklärung des Epilepsiesyndroms und zu möglichen Ursachen der Pharmakoresistenz und damit auch zur präoperativen Diagnostik betreffend epilepsiechirurgischer Optionen erfolgen. Falls eine Epilepsiechirurgie keine Option ist und keine nicht epileptischen Anfälle oder ein anderer Grund für die Pharmaresistenz vorliegen, werden für eine bessere Anfallskontrolle weitere Anfallsmedikamente nach persönlicher Erfahrung und – soweit anwendbar – dem Prinzip der «rationalen Pharmakotherapie» versucht. Etwas ernüchternd wird teilweise aufgeführt, dass sich die Anzahl der pharmakoresistenten Epilepsien trotz der Behandlungserweiterung mit den neuen Substanzen nicht substanziell zurückgebildet hat (24). Die eher pessimistische Annahme der Wahrscheinlichkeit von nur noch 4 Prozent zu erreichender Anfallsfreiheit bei einem Scheitern der ersten beiden eingesetzten Anfallsmedikamente (25) wurde allerdings in zwei Berichten (26) relativiert. Deren Verlaufsbeobachtungen sprechen dafür, dass mit seriellen Medikamentenänderungen immer noch Behandlungserfolge erzielt werden können. In einer prospektiven Untersuchung in einer epileptologischen Einzelpraxis (26) konnten bei 43 (28%) der 155 Erwachsenen mit einer vorgängigen Epilepsiedauer über fünf Jahre und mindestens einem Anfall pro Monat mit 265 Medikamentenänderungen (124 add-on, 140 Wechsel) eine mindestens einjährige Anfallsfreiheit erreicht werden. Positive Prädiktoren waren vorgängig Einsatz von weniger als fünf Anfallsmedikamenten, Epilepsiedauer unter zehn Jahren und idiopathische generalisierte Epilepsien, die generell ein besseres Ansprechen zeigen. Eine weitere 3-jährige Verlaufsuntersuchung in einem amerikanischen Epilepsiezentrum bei 264 Erwachsenen mit therapierefraktärer Epilepsie führte bei 15 Prozent zu einer Anfallsfreiheit über mindestens sechs Monate, wobei als Grund bei elf Prozent
der Medikamentenwechsel, bei 4,5 Prozent eine erfolgreiche Epilepsiechirugie und bei 0,4 Prozent eine spontane Remission angegeben war (27). Als negative Prädiktoren wurden junges Alter bei Resistenz, geistige Behinderung, vorangehender St. epilepticus und wieder die Anzahl ungenügend wirksamer vorangehender Anfallsmedikamente angegeben. Die fallende Ansprechrate in Abhängigkeit der Anzahl vorangehender Anfallsmedikamente wurde prospektiv bei 429 Betroffenen mit dem Einsatz neuer Medikamente untersucht (28). Die Rate der anfallsfreien Betroffenen nahm von 61,8 Prozent für das erste Anfallsmedikament auf 41,7 Prozent der verbliebenen mit dem zweiten, danach auf 16,6 Prozent mit dem dritten bis fünften Medikament ab. Ab der 6. und 7. Substanz wurde über keine Anfallsfreiheit mehr berichtet. Response mit einer Abnahme der Anfallshäufigkeit von 50 Prozent oder mehr wurde auch bei letzteren beiden Zusatzgaben bei diesen schweren Epilepsien noch in etwa einem von vier Behandelten erreicht. Möglichweise ist die höhere Rate von Anfallsfreien im letzten Jahrzehnt auch auf die Einführung von Levetiracetam zurückzuführen, wie dies die in den erwähnten Berichten eingesetzten Medikamente annehmen lassen. Wegen der fehlenden Interaktionen war und ist dies eine ideale Substanz, sowohl zur Kombinationsbehandlung wie auch aufgrund der häufig sehr guten Wirksamkeit zur sekundären Monotherapie (29). Die klinische und auf Studien basierende Evidenz einer rationalen Polytherapie ist limitiert (30). Sowohl bezüglich Wirksamkeit wie auch unerwünschter Wirkungen bedeutet ein supraadditiver oder synergistischer Effekt, dass zwei Medikamente in Kombination eine bessere Wirkung erzielen als deren addierte einzelne Wirkung. Diese Effekte werden vor allem für Therapien mit Kombinationen von Anfallsmedikamenten mit nominell komplementären, jedenfalls unterschiedlichen Wirkmechanismen erwartet. Ein generell besserer Therapieerfolg für solche «rational» ausgesuchten Kombinationen konnte bisher aber nicht sicher nachgewiesen werden. Synergistische beziehungsweise suppraaddi-
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Kasten 3:
Pharmakokinetische Parameter der neueren zugelassenen Anfallsmedikamente
(nach Patsalos, Bourgeois 2010, 2013 ua)
Lacosamid (LCM) Perampanel (PER)
Retigabin (RTG) Rufinamid (RFM)
Zonisamid (ZNS)
F Tmax Verteilungs- Protein- T½ (h) ThBe Metabolismus (%) (h) volumen (l/kg) bindung (%) µmol/l
100 0,5–4 0,6
< 30% 12–16 16–48 CYP2C6/19, 3A4, 40% renal unverändert 25% erhöhte Clearance mit Induktoren 100 0,5–1,5 77 96% 70–110 0,5–1,5 3A4, Clearance mit Induktoren 2–3x höher UGT?, induziert Ovulationshemmer in hoher Dosis Oxcarbazepin (über UGT?) verdoppelt Clearance von PER, aber selbst tiefere Clearance 60% 2–3 6,2 80% 8–10 1,0–2,0 Wird induziert durch und induziert LTG Induziert durch CBZ, PHT 70% 4–6 0,7–1,1 34% 8–12 40–120 Erhöhte Clearance mit 3A4-Induktoren Schwacher Induktor von CYP 3A4 Inhibiert durch Valproat (UGT?) Einnahme immer zur gleichen Zeit mit Nahrung > 90 2–5 1,0–1,9 40% 50–70 47–188 CYP 3A4 und UGT
Erhöhte Clearance mit 3A4-Induktoren
F = Bioverfügbarkeit in %; Tmax = Zeitintervall zwischen Einnahme und maximaler Serumkonzentration; Proteinbindung = an Serumprotein gebundener Anteil; T½ = Ausscheidungshalbwertszeit in Stunden; ThBe = Therapeutischer Bereich der Serumkonzentration; CYP = Zytochrom P450; UGT = UDP-Glucuronosyltransferase
tive Effekte wurden mit der Kombination Ethosuximid/Valproat bei Absenzenepilepsien berichtet. Die Kombination Lamotrigin/Valproat hat derzeit die beste Evidenz einer besseren, pharmakodynamisch bedingten Wirkung. Bei Resistenz auf Monotherapie mit einer der beiden Substanzen alleine kann in der Kombination Anfallsfreiheit erreicht werden. Additiv ist bei der Kombination leider auch der zum Teil massiv störende Tremor oder die höhere Rate allergischer Hautreaktion bei der Zusatzgabe von Lamotrigin zu Valproat. Nach Erfahrung des Autors kann die Dosis von Valproat auch recht tief sein, um den gewünschten synergistischen Effekt zu erreichen. Ein supraadditiver Effekt bezüglich (Typ A)-Nebenwirkungen wird häufig in der Kombination verschiedener Natriumblocker, speziell Carbamazepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin und Lacosamid, gesehen und sollte daher zumindest in Kombination mit höheren Dosen vermieden werden. Eine Post-hoc-Analyse dreier Studien beim Einsatz von Lacosamid bei fokalen Epilepsien ergab eine höhere Responderrate der Kombination von Lacosamid mit Nicht-Natriumkanalblockern, speziell Levetiracetam. Für die Kombinationsbehandlung sind alle zugelassenen Anfallsmedikamente denkbar. Es besteht die Hoffnung, dass die neueren Substanzen mit einem anderen Wirkmechanismus, zumindest bei einem Teil der bis anhin Pharmakoresistenten, zu einer Anfallsfreiheit führen.
Potenzielle Nebenwirkungen und ihre Einteilung Das Profil unerwünschter wie auch erwünschter weiterer Wirkungen unterscheidet die einzelnen Wirkstoffe. Sie sind ein wichtiges Kriterium der Medikamentenwahl. Nebenwirkungen können vereinfacht in fünf Gruppen eingeteilt werden (31): dosisabhängige, idio-
synkratische Langzeitnebenwirkungen, Teratogenität und neu Medikamenteninteraktionen. Typ-A-Nebenwirkungen sind aus dem Wirkmechanismus ableitbar. Häufig sind sie dosisabhängig, entstehen durch eine zu hohe individuelle Dosis oder eine zu rasche Aufdosierung und sind reversibel. Die meisten sind ZNS-bezogen wie Schwindel, Doppelbilder, Ataxie, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Sedation und psychiatrische Nebenwirkungen. Typ B als idiosynkratische Nebenwirkungen sind selten, aber gefürchtet. Sie haben ihre Ursache in einer individuellen Vulnerabilität aufgrund immunologisch-allergischer, genetischer oder anderer Mechanismen. Sie manifestieren sich in der Regel innerhalb der ersten Wochen bis wenige Monate nach Behandlungsbeginn und betreffen Haut, Leber, Pankreas oder Knochenmark. Sie sind meist reversibel bei sofortigem Stopp der Substanz. Eine genetische Prädisposition mit dem humanen Leukozyten-Antigen HLA-B*1502 wurde bei Patienten aus Asien nachgewiesen (32). Der HLA-A*3101-Genotyp mit einem erhöhten Risiko für Hautund Hypersensitivitätsreaktionen soll bei 2 bis 5 Prozent der Europäer vorkommen und bei diesen mit einer erhöhten Inzidenz allergischer Reaktionen der Haut einhergehen (33). Der Test ist nur bei Neueinstellungen mit Carbamazepin sinnvoll und wird seit 2012 in der Schweiz empfohlen. Dass das Nebenwirkungsprofil neuer Substanzen nicht unbedingt günstiger ist, haben die Erfahrungen mit Felbamat gezeigt, das wegen der potenziell tödlichen Nebenwirkungen auf Leber und Knochenmark nur nach Ausschöpfung alternativer Behandlungen und unter strenger Kontrolle erfolgen darf. Typ C entspricht den Langzeitnebenwirkungen aufgrund der kumulativen Dosen über die Jahre der Behandlung mit der Substanz. Die Gewichtsabnahme unter Topiramat oder Zonegran kann gewünscht sein, vereinzelt aber ein störendes Mass annnehmen. Die zu
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starke Gewichtszunahme unter Valproat, Gabapentin oder Pregabalin kann neben psychischen Störungen zu medizinischen Krankheiten (kardiovaskuläre, Diabetes mellitus u.a.) führen. Stark enzyminduzierende Substanzen (speziell Phenytoin und Phenobarbital, inkonsistent berichtet von Carbamazepin und Valproat) können im Langzeitgebrauch eine Osteopenie/Osteoporose fördern. Dupuytren-Kontraktur und SchulterArm-Syndrome sind von den Phenobarbitalpräparaten, Gingivahyperplasie oder Hirsutismus von Phenytoin bekannt. Vigabatrin, eines der ersten zugelassenen neuen Anfallsmedikamente, wird wegen des Risikos irreversibler Gesichtsfelddefekte praktisch nur noch zur Behandlung epileptischer Spasmen eingesetzt. Auch Retigabin hat wegen der aufgetretenen Pigmentstörungen (Blauverfärbung) der Retina, Nägel und Lippen nur noch eine eingeschränkte Indikation. Von den neuen Wirkstoffen können, vor allem bei entsprechender familiärer oder gar individueller Veranlagung, Topiramat oder Zonegran zu Nierensteinen führen, Topiramat vereinzelt zu Glaukomen. Unter Typ D, den verzögerten Effekten, werden die teratogenen und allerdings diskutablen karzinogenen Effekte aufgeführt. Ein generelles Problem der Medikamenteneinnahme in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft ist die mögliche höhere Rate der Teratogenität. In verschiedenen Registern werden seit Jahren Daten zum teratogenen Risiko von Anfallsmedikamenten erhoben (34). Nach den bisher berichteten Erkenntnissen besteht das niedrigste Fehlbildungsrisiko bei einer Monotherapie mit tiefen Dosen, bei Carbamazepin unter 400 mg und Lamotrigin unter 300 mg. Höhere Fehlbildungsraten mit allen untersuchten Tagesdosen ergaben sich als substanzimmanent bedingt mit Phenobarbital und Valproat. Vermieden werden sollten, wenn möglich, Medikamentenkombinationen, insbesondere solche mit Valproat. Je mehr verschiedene Substanzen und je höher die Dosis, desto höher das Missbildungsrisiko. Neben dem Fehlbildungsrisiko wird bei Valproat auch auf kognitive Einschränkungen der Nachkommen mit tieferem Intelligenzquotienten im Vergleich zu Behandlungen mit Carbamazepin, Lamotrigin und selbst Phenytoin hingewiesen (35). Karzinogene Effekte sind bei Anfallsmedikamenten nicht im eigentlichen Sinne nachgewiesen. Bei Langzeiteinnahme von Phenytoin kann es zu Pseudo-Lymphomen kommen, deren Behandlung im Absetzen von Phenytoin besteht. Probleme können entstehen, wenn diese als maligne Lymphome beurteilt und dann aggressiv mit Zytostatika behandelt werden. Unter Typ E werden die Folgen der vorhersehbaren und reversiblen Medikamenteninteraktionen eingeteilt. Pharmakokinetische Interaktionen zwischen Antiepileptika wie auch anderen Medikamenten können zu einer Wirkungsverminderung oder zu unerwünschten Wirkungen bei einer Überdosierung bis hin zu einer Intoxikation führen (36). Die Enzyminduktion kann die Wirksamkeit der oralen Kontrazeptiva, Psychopharmaka, Krebsmedikamente und Internistika herabsetzen. Ein Vorteil neuerer Medikamente ist, dass je nach Substanz Induktionen im Lebermetabolismus nicht oder weniger ausgeprägt auftreten. Auf die Induzier-
barkeit muss in Kombination aber auch bei diesen geachtet werden.
Richtlinien des Einsatzes von Anfallsmedikamenten Das Vorgehen beim Einsatz von Anfallsmedikamenten hat sich – ausser im Notfall – bei der Behandlung serieller Anfälle oder im Status epilepticus nicht geändert. Es sollte immer mit dem als geeignet beurteilten Anfallsmedikament in Monotherapie begonnen und dieses schrittweise je nach Wirkung und Verträglichkeit individuell auf- und ausdosiert werden. Die Titrationsgeschwindigkeit wird bei allen als stufenweise langsam («start low, go slow») wegen der initial besseren Verträglichkeit und damit besseren Akzeptanz empfohlen.
Therapiekontrolle Kontrollen sind bei allen Anfallsmedikamenten besonders zu Beginn, bei Umstellung der Medikation auf ein alternativ neues oder bei einem Zusatzmedikament erforderlich. Die Wirkung auf Anfallsfrequenz, Zeit des Auftretens und allenfalls Schwere der Anfälle sollte idealerweise mithilfe eines Anfallskalenders dokumentiert werden. Unbefriedigend wirksame Substanzen sollten wieder aus der Behandlung genommen werden. Die empfohlenen Labortests dienen zu Beginn der Behandlung dem Erfassen von potenziell schwerwiegenden (Typ-B-)Nebenwirkungen auf Leber, eventuell Pankreas bei Valproateinnahme, und den Hämatologiewerten. Speziell bei den induzierenden Medikamenten wird die Bestimmung von Vitamin D und Kalzium empfohlen, um bei Mangel einer allfälligen Osteopenie/Osteoporose mit einer Substitution vorzubeugen (37). Zur Überwachung der Verträglichkeit dienen in erster Linie die Angaben des Patienten, die immer ernst zu nehmen sind und deren Inhalt bezüglich Schwere und Störwirkung im Gespräch abzuwägen sind. Eine Bestimmung der Serumkonzentrationen ist zumindest einmalig sinnvoll und dient der Dokumentation der wirksamen und verträglichen Dosis. In Kombinationstherapien ist sie nötig zur Vermeidung und Aufdeckung von Intoxikationen sowie zur Vermeidung von Unterdosierung. Bewährt hat sie sich zur Kontrolle der Adhärenz. Empfohlen sind bei Rezidivanfällen – sowohl zur Kontrolle der regelmässigen Einnahme wie auch einer allfälligen Unterdosierung aus anderen Gründen – die unmittelbar postiktal bestimmten Serumkonzentrationen. Die empfohlenen «therapeutischen Bereiche» geben Richtlinien für die nötige Dosis, letztlich entscheidend sind aber immer die klinischen Kriterien der Wirksamkeit und Verträglichkeit. Das EEG ist ein wichtiges Instrument in der Diagnose und Klassifizierung von Epilepsien. In der Therapieüberwachung sind EEG-Kontrollen angezeigt bei Veränderung des Anfallstypes, bei Therapieresistenz oder bei Verdacht auf Intoxikation. Bei komplikationslosem Verlauf sind EEG-Kontrollen nur in grossen Abständen sinnvoll.
Einsatz von Generika in der Behandlung von Epilepsien Der Einsatz von Generika dient dem finanziellen Einsparungspotenzial und somit der Senkung von Ge-
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sundheitskosten. Die Neu- und Dauereinstellung auf ein bestimmtes Generikum ist medizinisch unproblematisch. Wegen der potenziell einschneidenden psychosozialen Konsequenzen bei anfallsfreien Patienten gibt es zum Einsatz von Generika in der Epilepsietherapie, wegen der variablen Bioverfügbarkeit und des damit erhöhten Risikos von Rezidivanfällen, klare Stellungnahmen der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie wie auch anderer Fachverbände: Die Neueinstellung einer bisher unbehandelten Epilepsie mit Generika ist unproblematisch und keiner Einschränkung unterworfen, ausser wenn beim Patienten bereits eine Unverträglichkeit auf einen der Trägerstoffe des Generikums bekannt ist. Auch bei einer bisher noch nicht erfolgreich behandelten Epilepsie (persistierende Anfälle) können Generika eingesetzt oder substituiert werden. Aufgrund der möglichen ausgeprägten Folgen, die eine Antiepileptika-Substitution jeglicher Art (sowohl vom Original zum Generikum oder umgekehrt wie auch von einem Generikum zu einem anderen) bei einer gut eingestellten Epilepsie mit sich bringen kann, ist eine solche Substitution medizinisch abzulehnen (38).
Zusammenfassung
Die Möglichkeiten der medikamentösen Epilepsie-
therapie haben sich in den letzten Jahren mit der Viel-
zahl der zur Verfügung stehenden Anfallsmedika-
mente erweitert. Nicht wesentlich geändert haben
sich die Regeln der Pharmakotherapie. Weiterhin gilt in
der Ersteinstellung die Monotherapie mit einem wirk-
samen und in der Regel gut verträglichen Anfallsmedi-
kament als Behandlung der ersten Wahl. Von Vorteil ist
bei inzwischen mehreren der verfügbaren Substanzen
die fehlende Enzyminduktion, auch im Hinblick auf all-
fällig notwendige spätere Kombinationen mit anderen
Anfalls- oder weiteren Medikamenten. Auch für Kombi-
nationsbehandlungen gilt die Regel, interaktionsarme
und Substanzen mit unterschiedlichem Wirkmecha-
nismus einzusetzen.
Ein bei allen Betroffenen wirksames und gut vertrage-
nes ideales Anfallsmedikament existiert nicht, ist auch
aufgrund der Heterogenität der Epilepsien wie auch
der individuellen Besonderheiten und der allfälligen
Begleiterkrankungen der Behandelten nicht zu erwar-
ten.
Die Rate der refraktären Epilepsien ist in den letzten
Jahren aufgrund der erweiterten medikamentösen Be-
handlungsmöglichkeiten wahrscheinlich leicht gesun-
ken.
Einige der neuen sind den älteren Antiepileptika in der
Verträglichkeit überlegen, andere wegen gravierender
Nebenwirkungen nur sehr eingeschränkt einsetzbar.
Alle Anfallsmedikamente haben ihre Vor- und Nach-
teile aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften,
die bei ihrem Einsatz bekannt sein und nach denen sie
ausgewählt werden sollten.
G
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Heinrich Vogt
Leitender Arzt
Schweiz. Epilepsie-Zentrum
Bleulerstrasse 60
8008 Zürich
E-Mail: heinrich.vogt@swissepi.ch
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Merksätze:
G Die Möglichkeiten der medikamentösen
Epilepsietherapie haben sich in den letzten
Jahren mit der Vielzahl der zur Verfügung
stehenden Anfallsmedikamente erweitert.
G Weiterhin gilt in der Ersteinstellung die
Monotherapie mit einem wirksamen und in
der Regel gut verträglichen Anfallsmedika-
ment als Behandlung der ersten Wahl.
G Auch für Kombinationsbehandlungen gilt
die Regel, interaktionsarme und Substanzen
mit unterschiedlichem Wirkmechanismus
einzusetzen.
G Die Rate der refraktären Epilepsien ist in den
letzten Jahren aufgrund der erweiterten
medikamentösen Behandlungsmöglichkei-
ten wahrscheinlich leicht gesunken.
G Einige der neuen sind den älteren Antiepi-
leptika in der Verträglichkeit überlegen, an-
dere wegen gravierender Nebenwirkungen
nur sehr eingeschränkt einsetzbar. Alle An-
fallsmedikamente haben ihre Vor- und
Nachteile aufgrund ihrer unterschiedlichen
Eigenschaften, die bei ihrem Einsatz be-
kannt sein und nach denen sie ausgewählt
werden sollten.
G Der Einsatz von Generika ist möglich, bei
einer gut eingestellten Epilepsie ist eine sol-
che Substitution allerdings medizinisch ab-
zulehnen.
&36 4/2013 PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
FORTBILDUNG
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