Transkript
Nachhaltige Arbeitsplatzintegration für psychisch Kranke
Supported Employment versus pre-vocational Training
FORTBILDUNG
Psychisch kranke Menschen haben Schwierigkeiten, in die Arbeitswelt zurückzukehren. Um ihre Chancen bei der beruflichen Reintegration zu verbessern, braucht es neue Konzepte. PD Dr. Holger Hoffmann, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern und Soteria Bern, macht sich seit Jahren für das Supported Employment stark. Bei diesem Ansatz arbeiten die Betroffenen von Anfang an in der freien Wirtschaft und erhalten eine zeitlich nicht befristete Unterstützung durch einen Job Coach. Was einfach klingt, ist in der Umsetzung anspruchsvoll.
Die Arbeit hat für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung einen hohen Stellenwert. Denn Arbeit verschafft Anerkennung und soziale Kontakte (Kasten 1). Allerdings münden bisherige Rehabilitationsmassnahmen oftmals in einen Dauerarbeitsplatz in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Die Wiedereingliederung an einem Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist hingegen allzu oft die Ausnahme. Um Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in Arbeit zu bringen, braucht es deshalb eine enge Zusammenarbeit von Invalidenversicherung (IV), Arbeitgebern und Psychiatrie. Ausserdem braucht es entsprechende Anreize, damit Firmen überhaupt bereit sind, psychisch beeinträchtigte Menschen dauerhaft einzustellen. In den letzten 20 Jahren hat das aus den Vereinigten Staaten kommende Supported Employment weltweit an Bedeutung gewonnen. In der Schweiz hat eine flächendeckende Verbreitung noch nicht stattgefunden. Nach wie vor erfolgt die Wiedereingliederung mehrheitlich nach dem traditionellen pre-vocational Training («First train, then place»-Prinzip). Zuerst findet dabei ein vorbereitendes Arbeitstraining im geschützten Rahmen statt; nach Ende der Wiedereingliederungsmassnahme endet die weitere Begleitung. PD Dr. Holger Hoffmann ist seit Ende der Achtzigerjahre Initiant und Leiter verschiedener Rehabilitationsprojekte und hat dadurch grosse Erfahrung im Bereich der beruflichen Reintegration psychisch Kranker sammeln können. 2002 hat er mit dem Berner Job Coach Placement das Supported Employment in der Schweiz eingeführt. Supported Employment funktioniert nach dem «First place, then train»-Prinzip.
Psychiatrie & Neurologie: Welche Form der Reintegration ist erfolgreicher? PD Dr. Holger Hoffmann: Die Vorteilhaftigkeit der beiden Wiedereingliederungsansätze pre-vocational Training und Supported Employment bei psychisch Kranken wurde in mittlerweile über 15 randomisiert
Holger Hoffmann
kontrollierten Studien überprüft (Kasten 2). Alle Studien belegen die Überlegenheit des Supported Employment. Übereinstimmend damit zeigen die Ergebnisse unserer Studie, dass ein Supported Employment eine nachhaltigere Integration ermöglicht: Nach zwei Jahren sind noch immer 45 Prozent in der freien Wirtschaft tätig, im Vergleich zu 17 Prozent beim pre-vocational Trainings-Ansatz. Der Unterschied wird nach fünf Jahren sogar noch deutlicher. Entsprechend deutlich fällt die Empfehlung 13 der S3-Leitlinien der DGPPN hierzu aus: «Zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ist eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt anzustreben, sollen Programme mit einer raschen Platzierung direkt auf einen Arbeitsplatz des ersten Arbeitsmarktes und unterstützendem Training (Supported Employment) genutzt und ausgebaut werden (Empfehlungsgrad: B, Evidenzebene: Ia).»
Warum ist das Supported Employment nachhaltiger? Holger Hoffmann: In erster Linie ist die Nachhaltigkeit Folge der zeitlich nicht befristeten Begleitung durch den Job Coach, der nicht nur den Teilnehmer, sondern
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auch den Vorgesetzten und Mitarbeitenden im Betrieb coacht. Das schützt den Teilnehmer vor Überforderung, und Krisen können frühzeitig aufgefangen werden. Die Betriebe sind zudem über die für die Arbeit relevanten Krankheitssymptome informiert, sie fühlen sich gestützt, was vertrauensfördernd ist.
Eine Umfrage bei KMU hat ergeben, dass Arbeitgeber lieber eine unmotivierte Person anstellen als jemanden mit einer psychiatrischen Erkrankung, weil sie sich im Umgang mit diesen Krankheiten überfordert fühlen. Welche Vorteile bietet das Supported Employment? Holger Hoffmann: Damit Arbeitgeber Arbeitsplätze für psychisch Kranke zur Verfügung stellen, muss das Angebot für sie attraktiv sein, auch finanziell. Beim Berner Job Coach Placement ist es uns gelungen, eine WinWin-Situation zu schaffen, indem wir für die Betriebe neben der Begleitung durch den Job Coach eine Reihe von Anreizen bieten können: Der Teilnehmer ist beim Job Coach Placement angestellt und wird im Sinne einer Personalverleihfirma dem Betrieb ausgeliehen. Dieser muss lediglich einen Leistungslohn zahlen, die Sozialleistungen und Pensionskassenbeiträge gehen zu unseren Lasten, das heisst, finanziell geht die Rechnung für den Betrieb auf. Sollte es zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommen, wissen sie, dass der Job Coach für eine geeignete Anschlusslösung besorgt ist. Ohne solche Anreize wird sich Supported Employment langfristig nicht durchsetzen können.
Wäre es nicht sinnvoller, wenn Firmen sich dazu verpflichteten, einen gewissen Prozentsatz an Behinderten einzustellen? Holger Hoffmann: Eine Prozentklausel, wie auch ein Bonus-Malus-System, sind keine Anreize für Arbeitgeber. Wie die Situation in Deutschland zeigt, zahlen sie lieber einen «Ablass», als sich auf einen Arbeitnehmer einzulassen, den sie in seiner Leistung und in seinen gesundheitlichen Risiken nicht einschätzen können, wo sie deshalb ständig Angst haben, dass sie nebst ihren zusätzlichen Umtrieben finanziell drauflegen könnten.
Warum ist Supported Employment im deutschsprachigen Raum noch nicht stärker verbreitet? Holger Hoffmann: Obwohl wissenschaftlich die Evidenz klar für das Supported Employment spricht, sind die gesetzlichen Grundlagen noch nicht umfassend geschaffen, um die Realisierung solcher Angebote zu fördern und finanzielle Anreize für die Unternehmen, zum Beispiel in Form von Steuererleichterungen, Subventionen und so weiter, zu gewährleisten. Auch ist die Arbeitsmarktsituation in Europa anders als in den USA. Es gibt hier weniger sogenannte Nischenarbeitsplätze, wo Arbeit mit einer geringeren Qualifikation ausgeführt werden kann. Statt einer Hire-and-Fire-Politik gibt es einen Kündigungsschutz und statt Leistungslohn tariflich festgelegte Löhne. All dies hält Arbeitgeber davon ab, psychisch kranken Menschen eine Stelle anzubieten. Auf der anderen Seite erleben Anbieter der traditionellen pre-vocational Trainingsangebote das Supported Employment als eine Bedrohung ihrer Einrichtungen und betreiben ein entsprechendes Lobbying.
Wie nehmen Verfechter des pre-vocational Trainings diese Kritik auf? Holger Hoffmann: Der Nutzen und damit die Existenzberechtigung der traditionellen Pre-vocational-Trainingsmassnahmen wird durch die Studienergebnisse zunehmend infrage gestellt. Dies löst einerseits Widerstand und Existenzängste aus, andererseits gehen zunehmend mehr Wiedereingliederungseinrichtungen dazu über, selbst «Job Coaching» anzubieten. Diese Entwicklung ist sehr positiv. Viele dieser Angebote erfüllen jedoch nur teilweise die Qualitätskriterien des Supported Employment, vor allem was die zeitlich unbefristete Begleitung durch den Job Coach betrifft.
Kasten 1:
Positive Effekte von Arbeit
Arbeit: ● verschafft den Rahmen, um eine normale soziale Rolle zu erfüllen, und
wirkt so einer Rolle des chronischen Kranken entgegen ● hilft durch die Möglichkeit persönlicher Erfolge bei der Bewältigung
äusserer Anforderungen ● ist ein Kriterium für Genesung, sozialen Status und Identität ● strukturiert den Tag, verschafft soziale Kontakte.
(adaptiert nach Aktion Psychisch Kranke [2004]: Individuelle Wege ins Arbeitsleben. Psychiatrie-Verlag, Bonn.)
Kasten 2:
Was ist was?
Pre-vocational Training: Bezeichnet das vorbereitende Arbeitstraining in einer geschützten Einrichtung im Rahmen einer beruflichen Wiedereingliederungsmassnahme mit dem Ziel der Rückkehr auf den ersten Arbeitsmarkt. Es ist zentraler Bestandteil der traditionellen Rehabilitationsmassnahmen, die nach dem «first train, then place»-Prinzip aufgebaut sind. Supported Employment: Anstatt zuerst zu trainierenund dann zu platzieren, wird sofort an einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft platziert und dann dort trainiert («first place, then train»). Dabei werden Arbeitnehmer und Betrieb zeitlich unbefristet durch einen Job Coach begleitet.
Dies hat wiederum negative Auswirkungen auf den Wiedereingliederungserfolg, was Wasser auf die Mühlen der Skeptiker ist. Hier ist der Verein «Supported Employment Schweiz» gefordert, einheitliche Qualitätsstandards – wie man sie aus den USA kennt – auch für die Schweiz zu definieren.
Wirtschaftliche Schlüsselfaktoren sind heutzutage Sozialkompetenz und Teamfähigkeit. Wie können psychisch Kranke diese erfüllen? Holger Hoffmann: Sozialkompetenz und Teamfähigkeit sind in erster Linie Persönlichkeitsfaktoren und werden nur zum Teil durch psychische Krankheiten negativ beeinflusst, zum Beispiel bei der Schizophrenie, aber auch dort nicht immer. Wenn die Teilnehmer motiviert sind, sich nicht als hilflose Opfer ihrer Krankheit erleben, sondern aktiv ihr Leben in die Hand nehmen wollen und damit trotz ihrer Erkrankung für den Arbeitgeber und die Mitarbeitenden eine gewisse Attrakti-
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vität ausstrahlen, dann sind ihre Chancen nicht schlecht. Zusätzliche Kognitions- und Sozialkompetenzprogramme verbessern ihre Chancen nochmals.
dien zeigen, dass der Nutzen solcher Angebote sehr bescheiden ist. Dies ist den Psychiatern noch zu wenig bekannt.
Welche Bedeutung kommt den Job Coaches zu? Holger Hoffmann: Diese müssen sehr gut qualifiziert sein. Idealerweise hat ein Job Coach eine psychiatrische Ausbildung und Berufserfahrung in der freien Wirtschaft. Wichtig ist das psychiatrische Wissen, um den psychisch Kranken überhaupt verstehen und dieses Wissen auch an den Arbeitgeber vermitteln zu können! Erfahrung in der freien Wirtschaft ist ebenfalls von Vorteil, um die Bedürfnisse des Arbeitgebers zu kennen. Sie sind also Brückenbauer zwischen diesen beiden Welten.
Was müsste in Bezug auf Psychiater oder psychiatrische Versorgungssysteme noch verbessert werden, um die berufliche Reintegration zu erleichtern? Holger Hoffmann: Auch Psychiater sind leider noch zu häufig dem Stufenleitermodell der Rehabilitation verhaftet, finden also, dass die Patienten schrittweise mit vorangehenden Trainingsmassnahmen auf die Arbeit in der freien Wirtschaft vorbereitet werden müssten, weil sie von einem direkten Einstieg überfordert seien. In der Praxis stellen diese pre-vocational Trainingsangebote häufig eine Unterforderung dar und sind entsprechend demotivierend. Wissenschaftliche Stu-
Wie ist beispielsweise die Haltung des Bundesamts für Sozialversicherung (BSV) bezüglich Reintegration? Holger Hoffmann: Die Idee des Supported Employment ist bereits in die letzten IVG-Revisionen eingeflossen. Das BSV und die IV-Stellen zeigen sich offen dafür. Gleichzeitig hat das BSV im Rahmen der Integrationsmassnahmen das Stufenleitermodell des pre-vocational Training im geschützten Rahmen mit der Schaffung von Belastbarkeits- und Aufbautrainings weiter ausgebaut. Was aus meiner Sicht noch nicht genügend gesetzlich geregelt ist, ist die Finanzierung der zeitlich nicht befristeten Begleitung durch einen Job Coach über die Dauer einer Massnahme hinaus. In eine Erfolg versprechende Richtung weisen dagegen jene Massnahmen des BSV, die einer Ausgliederung entgegenwirken und so eine Reintegration fördern. Namentlich sind dies die Früherfassung oder Frühintervention. ●
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Holger Hoffmann E-Mail: hoffmann@spk.unibe.ch
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