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13. INTERDISZIPLINÄRER KONGRESS FÜR SUCHTMEDIZIN
Therapie der chronischen Hepatitis C
13. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin, 5. bis 7. Juli 2012, München
Mehr als 600 Psychiater, Internisten, Hausärzte und fachverwandte Berufsgruppen besuchten den 13. Interdisziplinären Kongress für Suchtmedizin. Diskutiert wurden Neuheiten in der Diagnostik und Therapie der verschiedenen Suchtkrankheiten. Einen thematischen Schwerpunkt bildete die Tripeltherapie in der Behandlung der Hepatitis C, die sowohl Patienten als auch Mediziner vor grosse Herausforderungen stellt. Im Mittelpunkt standen zudem spezielle Lebensstadien wie zum Beispiel Kinder suchtkranker Eltern oder Suchtkrankheit im späteren Lebensabschnitt. In der aktuellen Ausgabe präsentieren wir Ihnen wichtige Highlights des Kongresses und spannende Interviews mit Kongressreferenten.
Verschiedene Symposien setzten sich am 13. Interdisziplinären Suchtkongress mit der neuen Tripeltherapie bei Hepatitis C auseinander. An den Symposien wurde über praktische Konsequenzen und Kontraindikationen für die duale Therapie und insbesondere die Tripeltherapie gesprochen.
Annegret Czernotta
D er Hepatitis-C-Virus (HCV) wird hauptsächlich über Blut übertragen. Etwa zwei Drittel der Infektionen erfolgen über Drogenkonsum (Spritzen, Nadeln, unsterile Löffel). Die Diagnose einer chronischen Hepatitis C wird gestellt, wenn sich die HCV-RNA über mehr als sechs Monate im Blut nachweisen lässt. Primäres Ziel einer antiviralen Therapie ist ein dauerhaft fehlender Nachweis Hepatitis-C-spezifischer RNA sechs Monate nach Therapieende. Obwohl die Anzahl an Neuansteckungen seit 2004 rückläufig ist, wird die chronische Hepatitis C aufgrund der langsamen Krankheitsprogression und der verbesserten Versorgung von Drogenkonsumenten zunehmen, wobei dieses Phänomen weltweit zu beobachten ist. Laut Schätzungen sind in der Schweiz 50 000 bis 70 000 Personen mit dem HCV infiziert. 20 bis 30 Prozent der chronischen HCVPatienten entwickeln nach 30 bis 25 Jahren eine Leberzirrhose. In den USA ist die chronische Hepatitis C die zweithäufigste Indikation zur Lebertransplantation.
Therapie der Hepatitis C Bei den derzeit verfügbaren HCV-Therapien unterscheidet man die duale Therapie mit Peg-Interferon und Ribavirin, die Tripeltherapie mit einem direkt antiviralen Medikament (DAA) oder einem auf Wirtsstrukturen zielenden antiviralen Medikament (HTA = Host Targeted Antiviral), die Quadrupeltherapie mit zwei DAA und die interferonfreie Therapie. An den Symposien wurde über praktische Konsequenzen und Kontraindikationen für die duale Therapie und insbesondere die Tripeltherapie mit einem DAA gesprochen. Im Dezember 2011 und im Januar 2012 erhielten in der Schweiz zwei neue Proteaseinhibitoren (Telaprevir und Boceprevir) die Zulassung zur Behandlung der HCV mit Genotyp-1-Infektion. Studien zeigen, dass es mit der Tripeltherapie zu einer signifikanten Steigerung der Raten des dauerhaften virologischen Ansprechens von 38 bis 44 Prozent auf 63 bis 75 Prozent bei der Erstbehandlung beziehungsweise von durchschnittlich 17 bis 21 Prozent auf 59 bis 66 Prozent bei vortherapierten Patienten im Vergleich zur dualen Kombinationstherapie mit Peginterferon alfa (PEG-IFN) und Ribavirin (RBV) allein kommt. Ein wesentlicher Vorteil der Tripeltherapie besteht zudem in der Möglichkeit einer Therapieverkürzung auf 24 bis 28 Wochen bei einem Grossteil der Patienten mit einer Ersttherapie und auch bei Patienten mit Rückfall auf eine Vortherapie. Allerdings unterscheiden sich die
Therapieregime hinsichtlich des Einsatzes einer PEG und RBV-Einleitungsphase (Lead-in), der Dauer der Gabe des Proteaseinhibitors, der Gesamttherapiedauer, der HCV-RNA-Untersuchungen für eine Therapieverkürzung wie auch der Stoppregeln zwischen der Gabe von Boceprevir und Telaprevir erheblich. Während frühere Leitlinien eine Behandlung von Suchtpatienten ablehnten, hat sich die Behandlung innerhalb der Substitutionstherapie entscheidend geändert.
Neue Herausforderungen in der HCV-Behandlung «Eine Substitutionstherapie ist heute keine Kontraindikation mehr für eine HCV-Therapie», sagte Dr. Nicole Forestier, Internistin mit langjähriger Erfahrung in der Behandlung von viralen Lebererkrankungen und Studienleiterin im Studienzentrum Infektomed, Stuttgart, gleich zu Symposiumsbeginn. Vielmehr bedarf es einer guten Führung des Patienten. Denn die Herausforderungen liegen heute primär in der Aufrechterhaltung der Compliance, der drohenden Resistenzbildung unter der Tripeltherapie und den pharmakologischen Interaktionen. Teleprevir kann zu dermatologischen Nebenwirkungen führen und ist mit einer kleinen Portion Fett (20 g) einzunehmen, was die Patientenadhärenz erschwert. Boceprevir wiederum kann zu Anämie und damit starker Müdigkeit und Erschöpfung führen (Kasten 1). Unsicherheiten bestehen auch häufig, wenn psychiatrische Erkrankungen vorliegen. Daten des COBRAProjektes zeigen (Kasten 2), dass Drogenkonsumenten in 30 bis 60 Prozent der Fälle neben der Abhängigkeit eine weitere psychiatrische Diagnose aufweisen, wie eine Depression oder bipolare Störungen. Zu den besonderen Komplikationen unter der Tripeltherapie zählen dementsprechend Heroinrückfälle, ein Beikonsum und psychiatrische Episoden. Unsicherheiten bestehen auf ärztlicher Seite, ob die Standardtherapie (Lead-in) mit Ribavirin und Interferon diese Komorbiditäten verstärken kann oder ob Interaktionen durch die Proteasehemmer bestehen. Interferon ist insbesondere mit Schlafstörungen, Psychosen und Verstimmungen assoziiert. «Aber auch psychiatrische Erkrankungen sind keine Kontraindikation für eine Tripeltherapie», sagte Dr. Forestier. Sie erklärte das anhand verschiedener Fallbeispiele: Bei einer 42-jährigen Patientin mit rezidivierenden Depressionen, die sich in einer Substitutionsbehandlung mit Methadon befand, leitete Dr. Nicole Forestier die Standardtherapie ein. Die Patientin war therapienaiv, weil sie bis anhin Angst vor den Nebenwirkungen der
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Tripeltherapie hatte; die HCV-Viruslast lag zu Therapiebeginn bei 560 000 IU/nl, bei einer vorliegenden HCVGT-1-Infektion. Nach 8 Therapiewochen verspürte sie einen verstärkten Suchtdruck, weshalb die Methadondosis erhöht wurde. In Woche 10 verschlimmerte sich die Antriebslosigkeit. Mit einem Antidepressivum (Citalopram 20 mg/Tag) blieb die Stimmung stabil, insgesamt ging es der Patientin besser, und die HCV-RNA blieb weiterhin negativ, weshalb die Therapie für weitere 48 Wochen durchgeführt wurde. Bei Patienten mit psychiatrischen Komorbiditäten braucht es dann eine Motivation für den Patienten, sagte Forestier. «Wir bestimmen deshalb die Viruslast oftmals in Therapiewoche 2», so Forestier. «Ist der Therapieerfolg sichtbar, motiviert das auch den Patienten.» Bei einem weiteren Patienten kam es unter der Tripeltherapie zu einem starken Hämoglobinabfall, weshalb sie die Ribavirindosierung reduzierte und Bluttransfusionen verordnete. «Auf keinen Fall darf der Proteasehemmer reduziert werden», warnte Forestier am Symposium, «das führt zu Resistenzproblemen.» Die Internistin rät zudem von einem Wechsel des Proteasehemmers bei Resistenzbildung ab. «Beide Proteasehemmer sind sich sehr ähnlich und haben Kreuzresistenzen, weshalb ein Wechsel bei einem virologischen Versagen keinen Sinn ergibt». Bei Therapieresistenzen ist es deshalb wichtig, die Abbruchkriterien einzuhalten. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich diese Resistenzen nach Absetzen der Therapie wieder zurückbilden. Die Bedeutung für eine Re-Therapie ist derzeit leider noch nicht bekannt. Der Patient stabilisierte sich unter der Reduktion von Ribavirin; die Hausausschläge besserten sich ab Woche 8, und der Patient konnte die Therapie erfolgreich abschliessen. Der Kölner Allgemeinmediziner Dr. Konrad Isernhagen ergänzte am Symposium die Aussagen von Dr. Forestier folgendermassen: «Jede HCV-Therapie ist eine Einzelfallentscheidung. Wichtig ist, dass der Patient sehr gut informiert und instruiert ist.» Dr. Peter Buggisch, Gastroenterologe am Institut für interdisziplinäre Medizin in Hamburg, wies am Symposium darauf hin, dass die Tripeltherapie komplexer ist, es gelte, mehr Kontrollen durchzuführen und die Stoppregeln zu beachten. «Der Aufwand in der Überwachung, Betreuung und Aufklärung steigt bei der Tripeltherapie. Das setzt eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus.» Wie bedeutend ein Netzwerk und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind, betonte auch der Allgemeinmediziner Dr. Karl-Heinz Meller aus Biberach. Der Hausarzt betreut HCV-Patienten unter der Tripeltherapie und hat sich ein solches Netzwerk aufgebaut. Die Vorteile: Bei einem Patienten mit Rash hat er einen niederschwelligen Zugang zum Dermatologen, bei einer notwendigen Blutransfusion weiss das Labor, dass diese kurzfristig organisiert werden muss. Weshalb es unter der Tripeltherapie zu den häufigen Nebenwirkungen kommt, erklärte Dr. Nicole Forestier. Das Zytochrom-P-450-Isoenzym-System stellt einen wichtigen Teil des Arzneistoffmetabolismus dar. Daneben kommt aber auch dem als Transportprotein fungierenden P-Glykoprotein eine wichtige Bedeutung bei der Detoxifizierung von Arzneistoffen zu.
Kasten 1:
Abbruchraten aufgrund von Nebenwirkungen
Boceprevir (SPRINT-2)
Schwere Nebenwirkungen Abbruch wegen Nebenwirkungen Dosisreduktion Anämie < 10 g/dl Gabe von EPO Geschmacksstörung
BOC RGT 11% 12% 40% 49% 43% 37%
Telepravir (ADVANCE)
Abbruch PI/Plazebo Abbruch gesamte Therapie Hautausschläge (Rash) Anämie < 10 g/dl
TVR 12 11% 7% 37% 45%
RGT-BOC: Response-Guided Therapy (RGT) with Boceprevir (BOC) TVR 12: Telaprevir 12 Wochen SOC/PLC: Standard of Care/Phospholipase C Quelle: Poordad et al. AASLD 2010; Jacobson et al. AASLD 2010
SOC/PLC 9% 16% 26% 29% 24% 18%
SOC/PLC 1% 4% 24% 16%
Kasten 2:
Psychiatrische Komorbiditäten bei Patienten in Substitutionstherapie: COBRA-Projekt
Psychiatrische Komorbidität (n = 2409) Depressive Störungen Persönlichkeitsstörungen Schizophrenie/Psychotische Störungen Bipolare Störungen Angststörungen Akute und chronische Stresserkrankungen Demenzielle Störungen Somatoforme Störungen Schlafstörungen Andere psychotische Störungen
Quelle: www.cobra-projekt.de/
Häufigkeit in % 45,7% 26,1% 3,2% 1,6% 21,3% 12,5% 1,7% 9,0% 23,3% 4,5%
P-Glykoprotein gehört zu den ABC-Transportern (ATPbinding-Cassette-Transporter), die endogene Substanzen aus den Zellen heraus transportieren. Im menschlichen Körper wird P-Glykoprotein vor allem in Dünndarmzotten gebildet. Wie bereits vom CYP-450Isoenzym-System bekannt, können Medikamente sowohl Substrate als auch Inhibitoren oder Induktoren von P-Glykoprotein sein und damit die Resorption von Substanzen erheblich verändern. Beim Einsatz von Proteaseinhibitoren müssen Interaktionen mit Medikamenten, die über Zytochrom P 450 3A (CYP3A, v.a. CYP3A4) verstoffwechselt werden, beachtet werden, wobei Boceprevir und Telaprevir unterschiedliche Interaktionen zeigen. Die Interaktionen können sowohl zu einer Steigerung als auch zu einer Reduktion der jeweiligen Medikamentenspiegel führen. Boceprevir ist ein starker CYP3A4-Inhibitor. Vorsicht ist daher geboten mit Medikamenten, die hauptsäch-
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lich über CYP3A4 abgebaut werden, wie beispielsweise Midazolam und Triazolam. Telaprevir, ein P-Glykoprotein-Substrat, wird hauptsächlich durch CYP3A4 metabolisiert und hemmt dieses Isoenzym. Es ist kontraindiziert bei gleichzeitiger Anwendung mit Wirkstoffen, deren Clearance stark von CYP3A abhängt und deren erhöhte Plasmakonzentrationen mit schweren und/oder lebensbedrohlichen Ereignissen assoziiert sind, wie Midazolam oder Triazolam. Vor der Therapie hat deshalb eine genaue Medikamentenanamnese zu erfolgen. Insgesamt ist es wich-
tig, die Patienten im Vorfeld einer solchen Therapie kri-
tisch auszuwählen und unter der Therapie engmaschig
zu überwachen und zu führen, damit ein dauerhafter
Therapieerfolg möglich ist.
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Annegret Czernotta
Quellen:
«Duale und Triple Therapie von substituierten Hepatitis-C-Patienten – Fallvorstellungen und Diskussion», 5.7.2012., 13. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin.
«Aktuelle Daten und erste Erfahrungen mit der neuen Hepatitis-C-Therapie», 6.7.2012., 13. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin.
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