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13. INTERDISZIPLINÄRER KONGRESS FÜR SUCHTMEDIZIN
«Hepatitis C ist auch eine neurologische Erkrankung»
Personen mit einer chronischen Hepatitis C werden zu selten therapiert. Zusätzlich limitiert das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Verschreibung der neuen Hepatitis-C-Proteaseinhibitoren. Warum dieses Vorgehen wahrscheinlich kontraproduktiv ist, und was es zur Ausrottung von Hepatitis C braucht, erklärt Dr. Philip Bruggmann im Gespräch. Der Internist ist Chefarzt Innere Medizin der Arud-Zentren für Suchtmedizin in Zürich.
Psychiatrie & Neurologie: Wer ist hauptsächlich von der chronischen Hepatitis C betroffen? Dr. Philip Bruggmann: Mehr als die Hälfte der Betroffenen hat sich in der Schweiz durch Drogenkonsum angesteckt. Die Prävalenz unter Drogenkonsumierenden beläuft sich derzeit auf 42 Prozent. Insgesamt nimmt die Prävalenz aufgrund der erfolgreichen Behandlungen tendenziell eher ab. Mit der dualen Therapie, die wirksam ist gegen den Genotyp 1 bis 4, liegt die OverallAnsprechrate bei 61 Prozent.
Wie sehen die Daten bezüglich Mortalität und Morbidität aus? Philip Bruggmann: Die Hepatitis-C-bedingte Mortalität übersteigt inzwischen diejenige von HIV und nimmt nach dem 45. Lebensjahr exponentiell zu. Unsere Arud-Daten belegen, dass von 64 verstorbenen Patienten im Zeitraum von 2005 bis 2009 22 an Leberversagen und 17 an einer Überdosierung starben. Arud betreut rund ein Fünftel aller opioidsubstituierten Patienten im Kanton Zürich. Die chronische Hepatitis C ist unter Drogenkonsumenten mittlerweile zu einem grösseren Problem geworden als HIV oder Aids.
Haben Betroffene, beispielsweise HCV-Patienten in Substitution, Zugang zur Therapie? Philip Bruggmann: Oftmals erhalten die Betroffenen keine Therapie. Entweder weil sie stigmatisiert sind, das heisst, ihnen wird die Behandlung vorenthalten, weil man davon ausgeht, dass zum Beispiel Substitutionspatienten nicht adhärent sind, oder weil auf ärztlicher Seite die Angst vor den Nebenwirkungen des Interferons so gross ist, dass von einer Behandlung abgesehen wird. Viele Betroffene wissen auch gar nicht, dass sie infiziert sind, weil keine Abklärung erfolgte. Dabei ist die Therapie zwar aufwändig, aber lohnend – denn danach ist der Infizierte von Hepatitis C geheilt. Weiter herrscht ein falsches Krankheitsverständnis vor. Hepatitis C ist nicht nur eine Erkrankung der Leber, sondern auch eine systemische Infektionskrankheit und somit unter anderem auch eine neurologische Erkrankung. Die Betroffenen sind müde, haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Das Virus betrifft also den ganzen Körper, nicht nur die Leber.
Braucht es einen niederschwelligen Therapiezugang? Philip Bruggmann: Es wäre wünschenswert, dass wir
Philip Bruggmann
die Therapie zu den Süchtigen bringen, nicht umgekehrt. Für Drogenkonsumierende heisst das, dass die Therapie in den Suchtzentren angeboten werden sollte. In den Arud-Zentren bieten wir eine ins suchtmedizinische Angebot integrierte HIV- und HepatitisSprechstunde an, inklusive Ultraschall- sowie Fibroscanabklärung und antiviraler Therapie vor Ort. Die Sprechstunde ist flexibel und funktioniert bei Bedarf nach dem Walk-in-System. Patienten können so während einer Hepatitis-C-Therapie bis zu mehrmals pro Woche gesehen werden. An grossen Zentren hat der Patient aber zu bestimmten Zeiten zu erscheinen, er muss pünktlich sein und sich den Klinikstrukturen anpassen. Das sind für die häufig psychisch komorbiden Patienten oftmals hohe Hürden, die sie nicht nehmen können.
Sollen auch Substituierte oder Drogenkonsumenten behandelt werden, die offen einen Beikonsum haben oder nicht in der Substitutionstherapie sind? Philip Bruggmann: Aus Public-Health-Sicht wäre das sogar die sinnvollste und dringendste Vorgehensweise. Die Übertragungsrate ist unter aktiv Drogenkonsumierenden am höchsten. Die Hepatitis-C-Behandlung hat in dieser Patientengruppe einen nachgewiesenen präventiven Effekt und senkt die Prävalenz. In der täglichen Praxis muss die Therapieindikation aus einer multidisziplinären Sichtweise und auf einer individuellen Basis gestellt werden. Alkohol- und Drogenkonsum dürfen keine absoluten Kontraindikationen sein, da sie wohl die Adhärenz, aber nicht die Effizienz der Medikamente beeinflussen. Aktiv Konsumierende, die es
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schaffen, adhärent zu sein, dürfen nicht von einer Therapie ausgeschlossen werden.
Wie steht es mit der Austestung von Hepatitis C? Philip Bruggmann: Im Kanton Zürich liegen aktuelle Zahlen vor: Es sind derzeit nur rund 50 Prozent der Methadonpatienten auf HCV ausgetestet. Leider denken insbesondere Psychiater, die in ihrer Sprechstunde oftmals Suchtpatienten betreuen, zu selten daran, dass diese mit einer Hepatitis C infiziert sein können. Oft fehlt auch das Wissen, wie eine Hepatitis C korrekt abgeklärt wird, das heisst, dass bei positiven Antikörpern immer eine Viruslast und der Genotyp bestimmt werden müssen. Jeder Suchtpatient sollte auf Hepatitis C gescreent werden, bei andauerndem Risiko halbjährlich. In den USA werden neuerdings Personen der Jahrgänge 1945 bis 1965 unabhängig vom Risiko auf Hepatitis C gescreent (1), dies, um den tiefen Testraten zu begegnen, die unter anderem auf der Hemmung der Ärzte beruhen, ihre Patienten nach Risiken wie Drogenkonsum und Sexualverhalten zu fragen. Solche Massnahmen müssen für die Schweiz auch evaluiert werden, um der hohen Dunkelziffer zu begegnen. Bei vorliegender Hepatitis-C-Infektion soll bei jedem Patienten auf individueller Basis über die Therapieindikation entschieden werden, und das nicht nur anhand des Zustandes der Leber, sondern unter Berücksichtigung aller Symptome und Transmissionsrisiken.
Diskutiert werden immer wieder die Kosten der Therapie? Wird das nicht unbezahlbar? Philip Bruggmann: Modellstudien aus Grossbritannien haben eindrücklich gezeigt, dass die konsequente Hepatitis-C-Therapie von Drogenkonsumierenden der Epidemie Einhalt gebieten kann, und das erst noch kosteneffizient (2, 3). Denn eine Lebertransplantation aufgrund einer Leberzirrhose durch Hepatitis C oder die Behandlung von Leberversagen und der Begleiterscheinungen sind immer deutlich kostspieliger.
Die Durchführung der Tripeltherapie ist kompliziert, welche weiteren Fortschritte/Forschungsbemühungen bräuchte es in Zukunft? Philip Bruggmann: Die Tripeltherapie ist aufwändig und komplex, aber sie ist beim Genotyp 1 die wirksamste Therapie. Die Heilungsraten liegen bei 70 Prozent, das ist deutlich höher als bei der bisherigen Dualtherapie (50%). Aber die Pipeline mit neuen Medikamenten ist voll. Bis in ein bis zwei Jahren wird es wahrscheinlich möglich sein, interferonfrei und mit deutlich weniger
Nebenwirkungen sehr erfolgreich zu behandeln. Aus epidemiologischer Sichtweise bringen diese künftigen hoch effizienten Behandlungen aber nur dann einen Nutzen, wenn sie sehr breit angewendet werden können. Davon sind wir weit entfernt mit unseren tiefen Test- und Behandlungsraten in der Schweiz. Insbesondere der Zugang zu marginalisierten Patientengruppen, die den Hauptteil der Infizierten ausmachen, wie Drogenkonsumierende und Immigranten, muss nun rasch mit bedarfsgerechten, niederschwelligen Angeboten verbessert werden, damit das Hepatitis-C-Virus in den nächsten zehn Jahren eradiziert werden kann.
Infektiologen und Gastroenterologen dürfen die Tripel-
therapie verordnen, obwohl sie zu Suchterkrankten we-
nig Bezug haben. Was müsste man ändern? Welches
weitere Vorgehen braucht es in der Schweiz?
Philip Bruggmann: Die vom Bundesamt für Gesund-
heit (BAG) verordnete Verschreibungs-Limitatio auf
Hepatologen und Infektiologen ist weder zweckmäs-
sig noch wirtschaftlich oder wirksam. Sie schliesst eine
wichtige Gruppe von Hepatitis-C-Experten von der Ver-
schreibung aus, die sich als Grundversorger oder
Suchtmediziner hauptsächlich der Hauptrisikogrup-
pen wie Drogenkonsumierenden und Migranten an-
nehmen. Somit gefährdet diese Limitatio die Versor-
gung dieser Patientengruppen. Die Limitatio beruht
einzig auf kurzfristigen wirtschaftlichen Überlegungen
aus Sicht der Kostenträger und blendet jegliche Public-
Health-Aspekte aus. Das ist sehr bedenklich für einen
BAG-Entscheid und muss unbedingt rückgängig
gemacht werden, nicht zuletzt hinsichtlich künftiger
Hepatitis-C-Medikamente.
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Korrespondenzadresse:
Dr. Philip Bruggmann
ARUD Zürich
Konradstrasse 1
8005 Zürich
E-Mail: p.bruggmann@arud.ch
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Referenzen:
1. Smith BD. Hepatitis C Virus Testing of Persons Born During 1945 to 1965: Recommendations From the Centers for Disease Control and Prevention, Annals of Internal Medicine 2012, Volume 157, No 9.
2. Martin NK, Vickerman P, Foster GR, Hutchinson SJ, Goldberg DJ, Hickman M. Can antiviral therapy for hepatitis C reduce the prevalence of HCV among injecting drug user populations? A modeling analysis of its prevention utility. J Hepatol 2011 Jun; 54(6): 1137–44.
3. Martin NK, Vickerman P, Miners A, et al. Cost-effectiveness of hepatitis C virus antiviral treatment for injection drug user populations. Hepatology 2012; 55: 49–57.
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