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FORTBILDUNG
Medikamente und Epilepsie:
Antiepileptika und die Gefahr von Osteoporose
Epilepsie und ihre Behandlung kann die Knochenmineralisation und den Kalziummetabolismus negativ beeinflussen. Patienten mit lang andauernder Antiepileptika-Exposition ist im Rahmen der Osteoporose-Basisabklärung die Durchführung einer Knochendichtemessung zu empfehlen. Bei hohem Frakturrisiko ist die medikamentöse Behandlung indiziert. Spezifische Interventionsstudien bei Patienten mit Epilepsie liegen bis heute nicht vor.
Christian Meier
Christian Meier
M etabolische Veränderungen im Zusammenhang mit der Langzeiteinnahme von Antiepileptika haben bisher nur wenig Aufmerksamkeit erfahren. Eine dieser metabolischen Veränderungen geht im Knochenstoffwechsel mit einer Verminderung der Knochendichte (BMD, Bone Mineral Density) und erhöhtem Frakturrisiko einher. Dies ist besonders für Menschen mit Epilepsie ungünstig, da sie aufgrund anderer Arzneimittelnebenwirkungen (z.B. Ataxie), gleichzeitig bestehender neurologischer Defizite (z.B. Zerebralparese) und anfallsbedingter Stürze eine erhöhte Frakturgefährdung haben (3). Osteoporosebedingte Frakturen werden häufig bei postmenopausalen Frauen und älteren Männern beobachtet. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens eine osteoporosebedingte Fraktur zu erleiden («Lebenszeitrisiko»), beträgt in der Schweiz im Alter von 50 Jahren für den Mann 20 Prozent und für die Frau 51 Prozent (4, Kasten 1). Die Abschätzung des Osteoporoserisikos ohne bereits eingetretene Fraktur ist schwierig. Empfohlen wird eine «Case-Finding»-Strategie, die auf die Erfassung von Personen mit eindeutig erhöhtem Frakturrisiko ausgerichtet ist (5–6). Das Frakturrisiko ist dabei nicht allein von der Knochenmasse abhängig, sondern auch von Risikofaktoren, die unabhängig von der Knochendichte zum Frakturrisiko beitragen wie beispielsweise Alter, vorbestehende Frakturen, familiäre Belastung, Lifestylefaktoren wie Ni-
Kasten 1:
Knochenmasse
Die Knochenmineraldichte wird densitometrisch mittels DXA (Dual Energy Xray Absorptiometry) bestimmt. Nach der WHO-Definition wird sie unterschieden in die Schweregrade: ● Osteopenie: T-Score -1 bis -2,5 SD ● Osteoporose: T-Score < -2,5 SD.
kotinkonsum und extraossäre Risiken wie Sturzneigung. In der Abklärung sekundärer Osteoporoseursachen spielt die Medikamentenanamnese eine wichtige Rolle. Glukokortikoide, Aromatasehemmer oder Antiandrogene werden häufig mit Osteoporose assoziiert. Im Gegensatz dazu sind die potenziell knochenabbauenden Wirkungen von Antiepileptika weniger bekannt. Dies veranschaulicht eine Erhebung unter 624 Neurologen: Nur 28 Prozent von ihnen war bekannt, dass Antiepileptika mit einer reduzierten Knochenmasse assoziiert sind, und lediglich 9 Prozent der pädiatrisch orientierten sowie 7 Prozent der Erwachsene behandelnden Neurologen verabreichten ihren Epilepsiepatienten prophylaktisch Kalzium und Vitamin-D-Supplemente (7).
Epilepsie und Frakturrisiko Die Epilepsie zählt zu den häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen (1). Sie tritt vorwiegend bei Kindern und älteren Menschen auf (2), und ihre Folgen reichen über das Auftreten von epileptischen Anfälle hinaus. Menschen mit Epilepsie haben ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 2- bis 6-mal höheres Frakturrisiko (8–10), wobei vorwiegend Wirbelkörper- und Schenkelhalsfrakturen gehäuft auftreten (11–13). Nur zirka 35 Prozent der Frakturen sind direkt anfallsbedingt, dies sowohl bei selbstständig lebenden als auch bei Personen in Institutionen (10). Beachtenswert ist eine Dosis-WirkungsBeziehung: Mit der kumulativen Dauer der Antiepileptika-Exposition steigt das Frakturrisiko signifikant an (14). Eine dänische pharmako-epidemiologische Studie (15) hat gezeigt, dass die Einnahme von Antiepileptika mit einem erhöhten Frakturrisiko assoziiert ist. Das Risiko war grösser bei denjenigen Patienten, die enzyminduzierende Präparate einnahmen, als bei denjenigen, die mit nicht enzyminduzierenden Antiepileptika behandelt wurden. Das Frakturrisiko war unter Antiepileptika mässig erhöht: die Odds Ratio (OR) für Carbamazepin betrug 1,18, für Phenobarbital 1,79, für Oxcarbazepin 1,14, für Valproat 1,15 und für Clonazepam 1,27. Im
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Gegensatz dazu war in dieser Studie das Frakturrisiko für Lamotrigin, Primidon, Tiagabin, Ethosuximid, Topiramat und Vigabatrin nicht signifikant erhöht. Diese unerwünschte Wirkung enzyminduzierender Antiepileptika wurde in einigen anderen (16), aber nicht allen (14) Studien bestätigt. Die meisten Studien, welche den Einfluss von Antiepileptika auf das Osteoporoserisiko untersucht haben, weisen methodische Schwächen auf (z.B. kleine Populationen, Bias bei der Wahl der Versuchspersonen, Mangel an adäquaten Kontrolldaten und Nichtberücksichtigung von Störfaktoren), was die Studieninterpretation erschwert (17).
Epilepsie und niedrige Knochenmasse Von antiepileptikaassoziiertem Knochenmassenverlust sind Patienten beider Geschlechter und jeden Alters betroffen. Antiepileptika können den altersbedingten Knochenmassenverlust unterstützen (18). In einer italienischen Studie an 96 Kindern und Jugendlichen mit Epilepsie (mit oder ohne Zerebralparese und/oder mentaler Retardierung) wurde bei 58 Prozent (n = 56) der Patienten densitometrisch eine verminderte Knochendichte beobachtet, wobei in 75 Prozent eine Osteopenie und in 25 Prozent eine Osteoporose vorlag (18). In verschiedenen Studien wurde bei Erwachsenen eine erniedrigte Knochendichte an verschiedenen Körperregionen inklusive Schenkelhals und Lendenwirbelsäule gemessen (19). Es handelte sich allerdings zumeist um Querschnittsstudien ohne Kontrollpopulationen, was ihre Interpretierbarkeit einschränkt. Ergebnisse einer longitudinalen Studie wiesen darauf hin, dass die Verwendung von Antiepileptika bei über 65-jährigen Frauen mit Epilepsie zu einem akzelerierten Knochenabbau am proximalen Femur führt. Die Autoren folgerten, dass der Knochenmassenverlust, sofern er unvermindert anhält, ausreichen würde, um im Verlauf von 5 Jahren das Risiko einer Hüftfraktur um 29 Prozent zu erhöhen. Laut einer Schätzung besteht unter Phenytoinbehandlung das Risiko, dass die Knochendichte jährlich um 1,8 Prozent abnimmt (20). In ihrer Metaanalyse beurteilen Vestergaard et al. die Auswirkungen der Epilepsie auf das Frakturrisiko und die Veränderungen der Knochenmasse bei Patienten mit Epilepsie. Die Knochenmineraldichte war an der Wirbelsäule und Hüfte signifikant niedriger. Die beobachtete Zunahme des relativen Frakturrisikos war jedoch höher (RR 2,18; 95%-KI: 1,94–2,45), als nach den BMD-Werten zu erwarten gewesen wäre (RR 1,2–1,3) (10). Nach der Korrektur für verschiedene Kovariablen, inklusive Einnahme von Antiepileptika, sank das relative Risiko, eine Hüftfraktur zu erleiden, auf 1,57 (95%-KI: 1,30–1,90) ab (15). Dies könnte darauf hinweisen, dass Antiepileptika zwar zur Abnahme der Knochendichte beitragen, aber ein höheres Frakturrisiko nicht im vollen Umfang erklären. Daher dürften auch andere Faktoren wie Stürze beziehungsweise epileptische Anfälle zum erhöhten Frakturrisiko beitragen. Wie bereits erwähnt, sind ungefähr 35 Prozent der Frakturen nachweislich Episoden von Anfällen zuzuordnen (10). Dieser Sachverhalt wird gestützt durch die Beobachtung, dass der Anfallstypus das Frakturrisiko beeinflusst: Patienten mit tonisch-klonischen Anfällen erleiden häufiger Frakturen als Patienten mit anderen Anfallsarten (21).
Behandlungsdauer und Knochenmasseverlust Auch die Dauer der Antiepileptikabehandlung ist mit der Häufigkeit von Arzneimittel-induziertem Knochenmassenverlust assoziiert (22). Bei Patienten, die lange Zeit Antiepileptika einnehmen, ist ein verminderter Mineralgehalt in 20 bis 65 Prozent festzustellen (23–24). Die Frage stellt sich, welche Antiepileptika einen Knochenmassenverlust begünstigen. Bereits in älteren Arbeiten konnte gezeigt werden, dass enzyminduzierende Antiepileptika mit einem erhöhten Frakturrisiko assoziiert sind (25) und dass Phenytoin der Wirkstoff mit dem grössten Potenzial zur Beeinflussung des Knochen- und Mineralstoffwechsels zu sein scheint (26). Die Daten zu Carbamazepin, ebenfalls einem Enzyminduktor, und Valproat, einem Enzyminhibitor, sind widersprüchlich. In einigen Studien wurde festgestellt, dass beide Wirkstoffe mit dem Vorliegen einer Osteopenie assoziiert sind (27–28). Valproat und/oder Lamotrigin waren besonders bei kombinierter Anwendung mit reduzierter Knochenbildung, niedriger BMD und Minderwuchs bei Kindern vergesellschaftet (29). Inwieweit neuere Antiepileptika den Knochenstoffwechsel beeinträchtigen, ist noch ungeklärt. Wirkstoffe, welche die Carboanhydrase inhibieren (Topiramat, Zonisamid, Acetazolamid), können den Knochenstoffwechsel ungünstig beeinflussen, indem sie eine metabolische Azidose bewirken (30). Kürzlich publizierte tierexperimentelle Daten weisen darauf hin, dass Levetiracetam die Widerstandskraft des Knochens reduziert, ohne die Knochenmasse zu verändern (31). Es sind sicherlich weitere Studien erforderlich, um die potenziellen Wirkungen neuerer Antiepileptika auf die Knochenqualität zu untersuchen.
Auswirkungen der Antiepileptika auf den Stoffwechsel Antiepileptika, die das Cytochrom-P-450-Enzym induzieren, werden am häufigsten mit negativen Auswirkungen auf die Knochen in Verbindung gebracht. Man nimmt an, dass CYP-450-induzierende Antiepileptika (z.B. Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin, Oxacarbazepin) die für den Vitamin-D-Stoffwechsel zuständigen Enzyme hochregulieren, was eine Umwandlung von 25(OH)Vitamin D in inaktive Metaboliten zur Folge hat (Kasten 2 und Abbildung). Die daraus resultierende Senkung von 1,25-(OH)2Vitamin D führt zu einer verminderten Kalziumresorption mit konsekutivem sekundärem Hyperparathyroidismus, gesteigerter Knochenresorption und akzeleriertem Knochenmassenverlust (32). In der schwersten Form des Vitamin-D-Mangels, der Osteomalazie, liegt eine ausgeprägte Mineralisationsstörung des Knochens vor (33). Mehrere Studien haben aufgezeigt, dass enzyminduzierende Antiepileptika mit reduzierten 25(OH)D-Spiegeln assoziiert sind (26, 34–38). Diese Theorie wurde auch in einigen Querschnittsstudien bestätigt (25, 27, 39), in denen im Vergleich zu Kontrollpersonen von höheren Parathormonspiegeln bei mit enzyminduzierenden Antiepileptika behandelten Patienten berichtet wurde. Andere Autoren dagegen (37) stellten diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede fest. In einer kontrollierten Längsschnittuntersuchung zur Beurteilung der Auswirkungen von Antiepileptika auf
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Kasten 2:
Einfluss von Antiepileptika auf den Knochenmetabolismus
(modifiziert nach [48])
Medikament
Klassische Antiepileptika
Benzodiazepine
Carbamazepin (Tegretol®, Neurotop®)
Phenytoin (Phenhydan®)
Phenobarbital (Luminal®, Phenobarbital®)
Valproinsäure (Depakine®, Ofril®)
BMD
↓ ↓ ↓ ↓ ↓
25(OH)VD Ca/P
↓↔ ↓↔ ↓↓ ↓↔ ?↔
PTH ↔ ↑ ↑
↔
Neuere Antiepileptika
Gabapentin (Gabantin®, Neurontin®)
Lamotrigin (Lamictal®, Lamotrigin®)
Levetiracetam (Keppra®)
Oxacarbazepin (Trileptal®)
↓ ↔ ↔ ↓
↔ ↔? ↔↔ ↓ ↔↑
Knochenformationsmarker: ALP (alkalische Phosphatase), bALP (knochenspezifische alkalische Phosphatase) OC (Osteocalcin) Knochenresorptionsmarker: ICTP (C-terminales quervernetztes Typ-I-Kollagen-Telopeptid) NTX (N-terminales quervernetztes Typ-I-Kollagen-Telopeptid)
Knochenumbaumarker ↑bALP, ↑OC, ↑ICTP, ↑NTX ↑bALP, ↑OC, ↑ICTP, ↑NTX ↑bALP, ↑NTX ↑bALP, ↑ICTP ↑ALP, ↑OC
? ↑bALP
Knochendichte und -stoffwechsel verfolgten Pack et al. über ein Jahr Frauen, die eine Antiepileptika-Monotherapie mit Phenytoin (PHT), Carbamazepin (CBZ), Lamotrigin (LTG) oder Valproat (VPA) erhielten. Sie stellten bei den mit PHT behandelten Patientinnen einen signifikanten Knochenmassenverlust am Schenkelhals fest, welcher mit verminderten 25(OH)D-Spiegeln und erhöhten Knochenumbauparametern korreliert war. Allerdings zeigten sich entgegen den Erwartungen weder bei den mit CBZ noch bei den mit LTG behandelten Patientinnen derartige Veränderungen. Diese Studie legt den Schluss nahe, dass sich die einzelnen enzyminduzierenden Antiepileptika unterschiedlich auf den Knochenstoffwechsel auswirken können (40, Kasten 2). Antiepileptika können auch ohne Vitamin-D-Defizienz auf den Knochen ungünstig wirken. Valproat, welches keine CYP-450-Leberenzyme induziert, beeinträchtigt nachweislich die skeletale Integrität (29, 41–42). Als mögliche Mechanismen werden eine verminderte intestinale Kalziumabsorption (PHT), eine Parathormonresistenz (CBZ), eine Calcitonindefizienz (PHT, Primidon), eine Störung des Vitamin-K-Stoffwechsels (PHT) und eine direkte Medikamentenwirkung auf Knochenzellfunktionen (PHT, CBZ, VPA) vermutet (3). Andere, indirekte Arzneimittelwirkungen wie hormonelle Veränderungen (z.B. verminderte Testosteronspiegel infolge
erhöhter SHBG-Spiegel durch Phenobarbital, PHT, CBZ), Zunahme des Homocysteins oder eine Abnahme der IGF-I-Konzentrationen können ebenfalls den Knochenstoffwechsel ungünstig beeinflussen (40). Zu neueren Antiepileptika liegen bis anhin kaum Daten vor.
Abbildung: Vitamin-D-Metabolismus
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Kasten 3: Massnahmen zur Osteoporoseprophylaxe
● Genügende Kalziumzufuhr in der Nahrung, ev. Kalziumsupplementation (1000–1500 mg/Tag)
● Genügend Sonnenlichtexposition, ev. Vitamin-D3-Supplementation – Behandlung mit nicht enzyminduzierenden Antiepileptika: 1000–2000 IE/Tag – Behandlung mit enzyminduzierenden Antiepileptika: 2000–4000 UE/Tag – Bei Osteomalazie meist höhere Vitamin-D-Dosen erforderlich – Jährliche Kontrollen der 25 OH-Vitamin-D-Spiegel empfohlen
● Ausgeglichene Ernährung mit genügender Eiweisszufuhr ● Regelmässige körperliche Aktivität, Meiden von Immobilisation ● Reduktion des Sturzrisikos durch:
– Krafttraining, Koordinationstraining, Geh- und Sturztraining – Überprüfung des häuslichen Milieus (Stolperfallen in der Wohnung) – Visuskorrektur – Überprüfung des Gebrauchs und der Indikation sedierender und ortho-
statisch wirkender Medikamente – Vermeidung von Risikofaktoren (Rauchen; übermässiger Alkoholkon-
sum; Einnahme von Medikamenten, welche den Knochenstoffwechsel negativ beeinflussen) ● Ev. Hormonersatzbehandlung unter Berücksichtigung des Nutzen-RisikoVerhältnisses
● Gabapentin (GBP) wird nicht metabolisiert, und Leberenzyme werden von GBP weder induziert noch inhibiert. Bisher hat noch keine Studie die Beziehung zwischen dem Knochenmetabolismus und einer GBP-Monotherapie untersucht. Allerdings deuten mehrere Studien an erwachsenen epileptischen Patienten, die mit verschiedenen AED, darunter GBP, behandelt wurden, darauf hin, dass eine Langzeittherapie mit GBP zu Knochenmassenverlust an der Hüfte und Lendenwirbelsäule führen kann (11, 22). Erst kürzlich haben Ensrud et al. in einer prospektiven Studie bestätigt, dass GBP bei älteren Männern einen Knochenmassenverlust am Schenkelhals auslösen kann (43).
● Es gibt keine Daten über einen direkten Zusammenhang zwischen Lamotrigin (LTG) und Frakturen, aber einige Studien haben LTG hinsichtlich seiner Wirkung auf die Knochendichte bei Kindern (29, 44) und prämenopausalen Frauen (45) untersucht. LTG induzierte allgemein keinen beschleunigten Knochenmassenverlust, wie dies bei Patienten der Fall ist, die mit anderen Antiepileptika behandelt werden.
● Klinische Daten zur Wirkung von Levetiracetam (LEV) auf die Skelettintegrität sind limitiert. Eine präklinische Studie an Ratten fand eine verminderte Knochenstärke am Schenkelhals von Ratten, die mit niedrig dosiertem LEV behandelt wurden. Im Gegensatz dazu blieben Knochenmineralgehalt und Knochenmasse unverändert (31).
● Oxacarbazepin (OXC), ein schwacher Leberenzyminduktor, scheint mit gesenkten 25(OH)D-Spiegeln assoziiert zu sein sowie mit erhöhten Knochenresorptionsmarkern, die zu einem erhöhten Knochenumsatz führen (36, 46–47).
● Topiramat (TOP) schliesslich scheint nicht mit Änderungen des Knochenmetabolismus assoziiert zu
sein, aber es liegen nur wenige klinische Untersuchungen vor. Bei mit TOP behandelten Patienten kann sich eine leichte bis mittelschwere Stoffwechselazidose ausbilden, was zum Auftreten von Nierensteinen, Osteomalazie und/oder Osteoporose führen kann (48).
Praktisches Vorgehen Generell geht es im klinischen Alltag darum, Personen mit erhöhtem Frakturrisiko oder Osteoporose zu identifizieren, präventive Massnahmen einzuleiten und sie entsprechend dem individuellen Frakturrisiko einer therapeutischen Intervention zuzuführen. Eine weiterführende Abklärung mittels Densitometrie wird erst bei erhöhter Frakturgefährdung empfohlen (Kasten 3). Die Knochendichtemessung ist als kontinuierlicher Risikofaktor anzusehen, ohne dass sich daraus allein eine Interventionsgrenze und damit eine Therapieentscheidung ergibt. Dies wird auch dadurch illustriert, dass viele Personen eine Fraktur nach inadäquatem Trauma erleiden, ohne dass bereits die «OsteoporoseSchwelle» (T-Score ≤ -2,5) erreicht ist. Auf der anderen Seite haben viele Personen mit deutlich osteoporotischen Mineralgehaltswerten keine Fraktur erlitten. Das Frakturrisiko ist also nicht allein von der Knochenmasse abhängig, sondern auch von Risikofaktoren wie Alter, Körpergewicht, Lifestyle-Faktoren und extraossären Risiken. Evidenzbasierte Strategien zur Abklärung und Behandlung einer Osteoporose bei Patienten mit Epilepsie beziehungsweise bei antiepileptikaassoziierter Osteopathie liegen nur beschränkt vor. Gemäss der DVOLeitlinie 2009 wird das Vorliegen einer Epilepsie beziehungsweise eine antiepileptische Behandlung bei Frauen über 60 Jahren und Männern über 70 Jahren als relevanter Risikofaktor für Wirbelkörper- und Schenkelhalsfrakturen (10-Jahres-Frakturrisiko über 20%) gewertet und entsprechend eine Basisabklärung mittels Densitometrie empfohlen (50). Dies gilt insbesondere für Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren. Alle Patienten mit Epilepsie beziehungsweise antiepileptischer Langzeitbehandlung (insbesondere Patienten unter enzyminduzierenden Antiepileptika und Valproat) sollten auf ihr höheres Frakturrisiko hingewiesen werden. Ihnen sollten zudem präventive Massnahmen empfohlen werden (Kasten 3). Zu berücksichtigen bleibt, dass unter Umständen epileptische Anfälle unter einer Hormonersatztherapie aggraviert werden können (51). Spezieller Berücksichtigung bedarf der Einfluss von Antiepileptika auf den Vitamin-D-Stoffwechsel. Während bei Patienten mit nicht enzyminduzierenden Antiepileptika eine Vitamin-D-Supplementation von 1000 bis 1200 IU/Tag für den täglichen Bedarf genügen sollte, empfiehlt sich bei Patienten unter einer Langzeitbehandlung mit Barbituraten, Phenytoin oder Carbamazepin eine höhere tägliche prophylaktische Vitamin-D-Dosis (2000–4000 IU) (52–53). Höhere Vitamin-D-Dosen sind bei Osteomalazie erforderlich. Generell empfiehlt sich bei Patienten unter einer Langzeittherapie mit enzyminduzierenden Antiepileptika die Bestimmung der 25(OH)Vitamin-D-Spiegel im Serum (vor Behandlung, anschliessend 6–12-monatlich).
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Eine medikamentöse Therapie ist indiziert bei erhöh-
tem Frakturrisiko. Dies betrifft Patienten mit bereits er-
littener Fraktur, insbesondere einer Wirbel- oder Hüft-
fraktur, oder Patienten mit erhöhtem absolutem
10-Jahres-Frakturrisiko (54). Die Evaluation des indivi-
duellen Frakturrisikos kann mit dem WHO Fracture Risk
Assessment Tool (FRAX©, www.sgvo.ch) erfolgen (55–57).
In der Therapie einer Osteoporose werden primär anti-
resorptiv wirkende Präparate, insbesondere Bisphos-
phonate oder selektive Östrogen-Rezeptor-Modulato-
ren (Raloxifen), zum Einsatz kommen. Die Therapie
sollte mindestens 3 bis 5 Jahre dauern. Vor Beginn einer
medikamentösen Intervention muss ein Vitamin-D-
Mangel beziehungsweise eine Osteomalazie ausge-
schlossen werden.
●
Korrespondenzadresse:
PD Dr. med. Christian Meier
Endokrinologie, Diabetes und Metabolismus,
Universitätsspital Basel
Missionsstrasse 24, 4055 Basel
E-Mail: christian.meier@unibas.ch
Literaturangaben auf Anfrage beim Verlag unter: info@rosenfluh.ch
Merksätze:
● Antiepileptika können die Knochenmineralisation und den Kalziummetabolismus negativ beeinflussen.
● Bei älteren, enzyminduzierenden Antiepileptika wurde in Studien eine signifikante Reduktion der Knochenmineraldichte und ein erhöhtes Frakturrisiko nachgewiesen.
● Daten zu den knochenspezifischen Wirkungen neuerer Antiepileptika liegen kaum vor.
● Bei lang andauernder Antiepileptika-Exposition ist die Durchführung einer Knochendichtemessung zu empfehlen; bei hohem Frakturrisiko ist eine medikamentöse Behandlung indiziert.
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