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KONGRESSBERICHT
Multiple Sklerose: Forschung als Grundlage neuer Therapien
Forschung nimmt in der Medizin eine zentrale Rolle ein. Prof. Dr. Roland Martin, Zürich, veranschaulichte anhand des MS-Therapeutikums Natalizumab die Bedeutung der Forschung bei der Entwicklung der Substanz und der Prävention von Nebenwirkungen.
Dr. Therese Schwender
D ie Multiple Sklerose (MS) stellt die häufigste neurologische Erkrankung junger Erwachsener dar. «In der Schweiz gibt es etwa zwischen 8000 und 10 000 MS-Patienten», erklärte Prof. Dr. Roland Martin, Zürich, einleitend. Hinsichtlich Ursache werde davon ausgegangen, dass es sich bei der MS um eine komplexe genetische Erkrankung handelt, bei der gleichzeitig Umweltfaktoren eine Rolle spielen. «Die MS wird heute als prototypische CD4-T-Zell-vermittelte Autoimmunerkrankung angesehen. Die wichtigsten pathogenetischen Faktoren stellen die Entzündung, die Entmarkung und der Untergang von Axonen dar.»
Dank gezielter Forschung zur Therapie Als Beispiel zur Rolle der Forschung in der Entwicklung neuer Therapien hatte Prof. Martin den humanisierten, monoklonalen VLA4-Antikörper Natalizumab gewählt. «Natalizumab stellt momentan die wirksamste zugelassene Substanz zur Behandlung einer MS dar», be-
gründete Prof. Martin seine Wahl. Bereits 1992 wurde Natalizumab bei der experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE), dem Tiermodell der MS, untersucht (1). Dabei wurde entdeckt, dass durch den Antikörper die Einwanderung von Lymphozyten aus dem Gefässsystem ins Gehirn vollständig unterbunden werden konnte. «Diese Substanz ist im Bereich MS das beste Beispiel dafür, wie aus zielgerichteter Grundlagenforschung im Tiermodell eine neue Therapie entstanden ist», so Prof. Martin. Die Substanz hat sich im Folgenden bei MS-Patienten mit einer Reduktion der jährlichen Schubrate um 68 Prozent als klinisch hoch wirksam erwiesen (2). Bereits während der späten klinischen Prüfung wurde festgestellt, dass unter der Behandlung jedoch vereinzelt Fälle einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) auftraten (3, 4). Die PML wird durch das JC-Virus, ein Polyomavirus, verursacht. Wichtig ist also, dass die Forschung hier Möglichkeiten findet, mit deren Hilfe sich das Risiko für eine PML verringern lässt. «Eine Möglichkeit stellt die Antikörpertestung dar. So weisen nicht mit dem JC-Virus infizierte Patienten ein
geringes Risiko auf, an PML zu erkranken. Und eine weitere, noch in der Zukunft liegende Möglichkeit stellt die Impfung mit dem JC-Virus oder einem Protein des Virus dar.» Erste Versuche seien hier vielversprechend ausgefallen. Abschliessend betonte Prof. Martin, wie wichtig eine zielgerichtete Forschung nicht nur bei der Suche nach neuen Therapien, sondern auch bei der Entwicklung prophylaktischer Massnahmen im Falle von Nebenwirkungen ist. Auf dem Gebiet der MS sei die Forschung daher auch in hohem Masse interdisziplinär. ●
Dr. Therese Schwender
Referenzen: 1. Yednock TA et al.: Prevention of experimental autoimmune
encephalomyelitis by antibodies against alpha 4 beta 1 integrin. Nature 1992; 356: 63–6. 2. Polman CH et al.: A randomized, placebo-controlled trial of natalizumab for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2006; 354: 899–910. 3. Kleinschmidt-DeMasters BK, Tyler KL.: Progressive multifocal leukoencephalopathy complicating treatment with natalizumab and interferon beta-1a for multiple sclerosis. N Engl J Med 2005; 353: 369–74. 4. Langer-Gould A et al.: Progressive multifocal leukoencephalopathy in a patient treated with natalizumab. N Engl J Med 2005; 353: 375–81.
Quelle: Referat «Multiple Sklerose – Forschung als Grundlage neuer Therapien» von Prof. Roland Martin, Universitätsspital, Zürich. MediDays 2011, 7. September 2011, Zürich.
&36 1/2012 PSYCHIATRIE NEUROLOGIE