Transkript
New Media/Social Media:
Chancen und Gefahren einer neuen Form der Kommunikation
FORTBILDUNG
Alle sprechen von Social Media. Nur: Was ist damit gemeint? Und welche Bedeutung haben die Neuen Medien für das Gesundheitswesen? Am multiprofessionellen Fachkongress Epilepsie hat Thomas Mauch, Mitglied der Geschäftsleitung des Onlineverlags blogwerk.com, über die Chancen, aber auch die Gefahren der Neuen Medien gesprochen.
Thomas Mauch
Psychiatrie & Neurologie: Was ist mit New Media und was mit Social Media im Bereich Gesundheit gemeint? Thomas Mauch: Social Media bezeichnet digitale Medien und Technologien, mit denen sich Nutzer untereinander austauschen und einzeln oder in Gemeinschaft Inhalte gestalten. Der Begriff Neue Medien bezieht sich auf zeitbezogene neue Medientechniken. Diese Definition stammt von Wikipedia, einem der prominentesten Social-Media-Dienste. Jüngere Beispiele für Social-Media-Dienste sind Facebook oder Twitter; Blogs und Foren kennen wir schon etwas länger, sie gehören aber auch zu den sozialen Medien. Im Bereich Gesundheit sind Foren sehr bekannt, in denen Menschen gegenseitig Wissen austauschen, sich Tipps geben oder sich unterstützen. Auch Blogs werden häufig genutzt, um Wissen und Erfahrungen über Krankheiten zu vermitteln.
Zur Person: Thomas Mauch ist seit 2008 Autor bei imgriff.com und arbeitet seit November 2010 bei Blogwerk. Die Blogwerk AG ist ein Onlineverlag für Weblogs und eine Full-ServiceAgentur für Social-MediaMarketing.
Internet: www.blogwerk.com
Welchen Mehrwert könnten das Schweizerische Epilepsie-Zentrum, aber auch andere Institutionen durch New Media/Social Media erfahren? Thomas Mauch: Es gibt ganz unterschiedliche Ansätze: Wikis können etwa in der Weiterbildung verwendet werden, um ein gemeinsames Thema zu bearbeiten: Alle tragen zu einer definierten Fragestellung kleine Wissensbrocken bei, und so entsteht ein Ganzes. In der Kommunikation nach aussen können Instrumente wie Blogs helfen, den Blick hinter die Kulissen einer Institution zu werfen oder rasch und schnell aktuelle Informationen zu transportieren.
Welchen Mehrwert hat der Betroffene oder der Patient davon? Thomas Mauch: Betroffene, Patienten oder Angehörige nutzen Social Media wie zum Beispiel Foren sehr stark zum Austausch. In den meisten Fällen sind sie selbstorganisiert, also ohne dass eine Institution oder ein Verband dahintersteht. Setzt eine Institution, eine Klinik oder eine Patientenorganisation Instrumente wie einen Blog ein, bieten diese dem Betroffenen einen einfachen Kanal, um mit der Institution in Kontakt zu treten.
Wie liessen sich Social Media/New Media in anderen Institutionen umsetzen, wie beispielsweise dem Universitätsspital Zürich oder einer Arztpraxis? Thomas Mauch: Ein Universitätsspital könnte etwa einen «digitalen Raum» zur Verfügung stellen, in denen sich Betroffene mit ähnlichen Fragestellungen austauschen können. Eine Arztpraxis könnte einen Blog nutzen, um im Herbst kleine Artikel mit Tipps und Tricks gegen den Schnupfen zu publizieren – die Leser wiederum könnten ihre Geheimrezepte dort veröffentlichen. Die Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich auch aus der Fantasie und der Gestaltungskraft der Menschen, die soziale Medien nutzen. Wir stehen hier am Anfang und alle lernen gemeinsam, wie wir diese Instrumente nutzen können.
P&N geht an Neurologen und Psychiater: Welchen Nutzen haben diese Berufsgruppen von Social Media? Thomas Mauch: Gerade stark spezialisierte Fachkräfte finden im Internet und auch in sozialen Medien viele wertvolle Kontakte: Häufig gibt es auf der ganzen Welt nur wenige Personen, die in einem bestimmten Fachgebiet tätig sind. Social Media macht es ihnen sehr leicht, sich kennenzulernen, sich zu vernetzen, Wissen auszutauschen und schliesslich voneinander zu lernen. Das war noch nie so einfach wie heute.
Kann man den Mehrwert finanziell oder auf eine andere Art messen? Thomas Mauch: Es gibt Organisationen aus dem Gesundheitsbereich und andere Non-Profit-Organisationen, die Facebook als Fundraising-Kanal einsetzen. Das US-amerikanische Rote Kreuz sammelt regelmässig Spenden via Facebook. Dort lässt sich der Mehrwert natürlich messen. Ansonsten wird es in vielen Fällen sehr schwierig, einen direkten finanziellen Gewinn aus Social-Media-Aktivitäten abzuleiten. Bei einem Blog oder in einem Forum lassen sich die Aktivitäten und die «Mitarbeit» messen: Beispielsweise wie viele Menschen lesen mit, wie viele Kommentare werden abgegeben, wie viele Fragen werden zur Diskussion gestellt. Es lassen sich viele Kennzahlen ablesen; die Frage ist bloss, ob diese Ihnen helfen, zu beurteilen, ob Sie das Ziel erreicht haben. Das kann teilweise sehr aufwändig sein.
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FORTBILDUNG
Am Kongress haben Sie behauptet, dass Blogs der Unternehmenskommunikation eine persönliche Note geben sollten. Was heisst das? Thomas Mauch: Eine persönliche Note kann entstehen, indem Mitarbeitende einer Institution auf dem Blog aus ihrem Arbeitsalltag berichten. Oder Sie erfahren als Lesende, wie der Umbau der Grossküche verläuft. Ein solcher Blick hinter die Kulissen kann aufzeigen, was eine Institution am Ende ausmacht: Menschen, die dort arbeiten, dort ein- und ausgehen, vielleicht auch die kleinen Erfolge und Dinge, die den Alltag prägen. Viele Unternehmen wie die Swiss oder die Swisscom setzen bereits Blogs mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen ein. Und Organisationen wie World Vision nutzen Blogs, um aktuell über den Verlauf ihrer Projekte zu berichten.
Müssten neue Stellen geschaffen werden, oder wer ist für den Dialog verantwortlich? Thomas Mauch: Nicht unbedingt neue Stellen. Eine Institution, die Social-Media-Kanäle nutzen will, muss sich bewusst sein, dass es Zeit kostet. Sie muss Personalressourcen zur Verfügung stellen. Das kann bei einem kleinen Pensum Teil einer «normalen» Arbeitsstelle sein, das kann aber auch ein vollamtlicher Social-Media-Manager sein. Der Dialog beziehungsweise die Bereitschaft dazu muss Teil der Kultur einer Organisation sein – sonst sollte man von Social Media besser die Finger lassen. Wenn man sich entschliesst, an dem Gespräch in den sozialen Medien teilzunehmen, müssen Sie Antwort geben, wenn Sie angesprochen werden. Also müssen Sie jemanden bestimmen, der als Ansprechpartner Zeit und Ressourcen hat, für diese Anfragen da zu sein. Allerdings: Gerade auf Facebook tobt heute ein Kampf um die Aufmerksamkeit. Wenn Sie für ihre Organisation eine Seite auf Facebook einrichten, ist im Normalfall nicht damit zu rechnen, dass Sie überflutet werden.
Welche Gefahren haben Social Media/New Media? Thomas Mauch: Ich würde im Moment zwei grosse Themenkreise bezeichnen, wenn es um Gefahren geht. Der erste ist unser Umgang mit diesen Medien, die Medienkompetenz. Social Media sind neu, wir müssen alle lernen, damit umzugehen. Wie verhält man sich, was darf man, was sollte man lieber bleiben lassen – welche Daten gebe ich etwa von mir preis. Das lernt zurzeit praktisch die ganze Welt gemeinsam, wie das funktioniert. Mein Anliegen ist vor allem, dass wir Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, diese Kompetenz zu entwickeln. Kinder oder Jugendliche sind nicht per Geburt oder dank der Gnade einer späten Geburt kompetenter im Umgang mit diesen Technologien. Es ist notwendig, sich als Eltern und Erwachsene damit auseinanderzusetzen – und zwar durch eigenes Tun, nicht durch Lektüre der Sonntagspresse. Verbote oder den Kopf in den Sand zu stecken, sind heute keine tragfähigen Strategien mehr – Social Media werden nicht mehr verschwinden. Der zweite Themenkreis bezieht sich auf den Schutz unserer Daten – beziehungsweise unsere Verfügungsgewalt darüber. Jeder Staat, darunter auch die Schweiz, hat Gesetze, die definieren, was die Anbieter von Social-Media-Diensten mit unseren Daten tun dürfen oder welche Daten sie erheben können. Das lässt sich
regeln. Der Punkt ist aber, dass Sie bei der Nutzung von Social Media viele Daten über sich preisgeben – freiwillig, ohne Druck oder ohne hinters Licht geführt zu werden. Vielfach ist das sinnvoll und bringt Vorteile. Stossend ist, dass Sie wenig Verfügungsgewalt über Ihre Daten haben: Sie können Ihr Facebook-Konto deaktiveren, aber nicht löschen. Die Daten bleiben irgendwo
Social Media: die Kanäle
Facebook: ein neues Massenmedium ● 800 Mio. Mitglieder weltweit, über 2,6 Mio. in der Schweiz,
Durchschnittsalter: 38 Jahre ● 50 Prozent der Mitglieder loggen sich täglich ein ● jede vierte Page-Impression in den USA findet bei Facebook statt ● weltgrösste Foto-Community ● Gruppen- und Fanseiten werden sowohl für politische Aktivitäten als auch
Konsumentenaktivismus genutzt
Blogs: mehr als nur digitale Tagebücher ● extrem schnelles Medium: ohne Vorkenntnisse zu bedienen, Reichweite durch
Vernetzung (Trackbacks, Kommentare, RSS-Feeds) ● exzellente Positionierung bei Google ● Trend zu spezialisierten Fachblogs mit grossem Expertenwissen
Twitter: Siegeszug des «Echtzeit-Web» ● Kommunikationsmedium für Nachrichten mit maximal 140 Zeichen ● bereits jeder fünfte Internetnutzer in den USA twittert ● Twitterer sind die einflussreichsten Internetnutzer ● offene Programmierschnittstelle ermöglicht ein Ökosystem von Tausenden von
Zusatzdiensten ● Google und Bing integrieren «Tweets» in ihre Suchergebnisse
Andere Foren: Business Networks ● Xing, LinkedIn ● ortsbasierte Dienste ● Facebook Places, Foursquare, Gowalla ● Medienplattformen ● Flickr, Slideshare, Issue ● Bewertungsplattformen ● Tripadvisor, Qype, ● Fragen und Antworten
auf einem Server in einem Ihnen unbekannten Land. Sie haben es im Moment sehr schwer, wenn Sie Ihre Daten zurückhaben wollen. Das ist ein Umstand, den wir auf Gesetzgebungsebene endlich diskutieren müssen: Meine Daten gehören mir.
Thomas Mauch, wir danken Ihnen für das Gespräch. ●
Das schriftliche Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: Thomas Mauch
Geschäftsleiter des Onlineverlags blogwerk.com Mitglied der Geschäftsleitung Tel. 044-533 30 02
E-Mail: thomas.mauch@blogwerk.com
Quelle: Multiprofessioneller Fachkongress Epilepsie, 15. und 16. September 2011, Schweizerisches Epilepsie-Zentrum Zürich.
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