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EDITORIAL
Schizophrenie: Die Belastung durch Stigma scheint sich weiter zu verschlechtern
« D ie WHO hat die Prävention mentaler Störungen zu einer ihrer primären Zielsetzungen für die nächsten Jahre erklärt. In der Europäischen Union sind gross angelegte Aktivitäten in Gang gesetzt, die der Entwicklung von Gesamtstrategien zur Förderung der seelischen Gesundheit dienen.» Dieser Satz stammt aus dem Abstract von Prof. Joachim Klosterkötter, Direktor der Klinik und Poliklinik in Köln (D), den er anlässlich der 6. Internationalen Zürich-Konferenz «100 Jahre Schizophrenieforschung» geschrieben hat. Dass die Prävention mentaler Störungen auch in der Schweiz ein dringendes Problem ist, zeigt der Forschungsbericht 1/11 von Niklas Baer, Ulrich Frick und Tanja Fasel über «schwierige» Mitarbeiter. Dieser verdeutlicht, welche Konsequenzen psychische Störungen haben. So bekunden Vorgesetzte und Personalverantwortliche grosse Schwierigkeiten im Umgang mit psychisch bedingten Problemsituationen von Angestellten: In neun von zehn Fällen bestand die Lösung in einer Kündigung, wenn auch oft erst nach länger dauernden Bewältigungsversuchen.
Eine im Jahre 2009 im «Lancet» veröffentlichte Studie der Indigo-Gruppe verdeutlicht die Diskriminierung im Lebensalltag von an Schizophrenie erkrankten Menschen. Egal, ob in Bulgarien, Brasilien oder der Türkei: Die Betroffenen haben dadurch Nachteile in Beruf und Alltag. Da bildet die Schweiz keine Ausnahme. Weitere Studien zeigen, dass in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Menschen, die an Schizophrenie Erkrankte für gefährlich halten, zugenommen hat. Die Belastung durch Stigma scheint sich also eher weiter zu verschlechtern.
In der Ausarbeitung systematischer Empfehlungen für die Prävention psychischer Erkrankungen werden laut Klosterkötter drei Ansätze zur Absenkung der Neuerkrankungsrate unterschieden,
wobei der Ansatz der indizierten Prävention am
besten durch Studienergebnisse abgesichert ist.
Wenn die Entwicklung weiterhin so rasant voran-
schreite wie bisher, so Klosterkötter, liessen sich
schon in den nächsten Jahren evidenzbasierte Er-
gebnisse in der Versorgungspraxis umsetzen und
möglichst jedem Ratsuchenden mit Frühwarnzei-
chen auf die individuellen Bedürfnisse zuge-
schnittene Präventionsangebote unterbreiten.
Fällt diese Prognose vielleicht zu positiv aus? Die
Invalidenversicherung hat mit der 5. IV-Revision
zwar ihre Aktivitäten zur Frühintervention ausge-
baut, aber ob sich angesichts der Vorurteile die
berufliche Situation verbessert, ist fraglich. Dabei
stellt schon allein das Erkennen eines Psychoseri-
sikos Experten vor grosse Probleme, wie Dr. Andor
Simon auf Seite 3ff. in seinem Beitrag «Die
psychotische Frühphase: eine psychopathologi-
sche Schatztruhe» eindrücklich beschreibt. Die
Diskussion um die Früherkennung – ein Schwer-
punkt in diesem Heft – und den Umgang mit psy-
chisch kranken Menschen wird also weiterhin
spannend bleiben.
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Annegret Czernotta
Redaktorin Psychiatrie&Neurologie
Themenverweise:
● Schizophrenie: An der 6. Internationalen Zürich-Konferenz wurden neben einer Standortbestimmung auch neuere Entwicklungen in der Schizophrenieforschung vorgestellt. Seite 6
● Kopfschmerz: Kopfschmerzen infolge Medikamentenübergebrauch sind ein häufiges Problem. Stratifizierte Behandlungsmöglichkeiten mit einer günstigen Prognose haben sich erfolgreich etabliert. Seite 17
4/2011
&PSYCHIATRIE NEUROLOGIE
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