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FORTBILDUNG
Schmerz, Emotionen, Kognition:
Neurobiologische Forschung und Überlegungen zur Therapie
Psychiatrische Erkrankungen sind häufig mit Schmerzstörungen assoziiert. Umgekehrt führen Schmerzsyndrome oft zu psychiatrischen Störungen. Schmerzen werden von Emotionen begleitet, welche wiederum mit bestimmten Kognitionen verknüpft sind. Die Modulation der Emotionen über kognitive Kontrollstrategien liesse sich auch schmerztherapeutisch nutzen.
Uwe Herwig
Uwe Herwig
D epressionen können mit einem somatischen Syndrom und auch mit multiplen Schmerzsymptomen einhergehen. Und Schmerzsyndrome können umgekehrt zu einer depressiven Verstimmung führen. Chronische Schmerzsyndrome habe eine hohe Therapieresistenz, und im therapeutischen Alltag kann es zu schwierigen Interaktionen mit den Patienten kommen. Dabei gibt es eine Palette von Behandlungsmöglichkeiten der Schmerzen. Medikamentöse Ansätze umfassen Analgesie und antidepressive Behandlung. Psychotherapeutische Interventionen helfen beim Umgang mit den Schmerzen und zur Schmerzdistanzierung. Auch gibt es verschiedene psychologische Bedingungen, wo eine Schmerzreduktion erlebt wird. Die Ablenkung durch andere Reize wie auch positive Erlebnisse führen zu vermindertem Leiden unter dem Schmerz. In Stresssituationen kann der Schmerz «vergessen» werden. In dissoziativen Zuständen kann der Schmerz vom Bewusstsein abgespalten werden. Auch Hypnose als psychotherapeutische Intervention kann einen analgetischen Effekt haben.
Leitung somatischer Schmerzreize Heute wissen wir einiges über die neurobiologischen Hintergründe von sensorischer Informationsverarbeitung und Schmerzwahrnehmung (Craig 2002, Keysers et al. 2010). Somatische Schmerzreize werden über den lateralen spinothalamischen Trakt nach zentral geleitet, wo eine erste wesentliche Umschaltung im mediodorsalen Nukleus des Thalamus stattfindet. Parallel kommt es zur Weiterleitung von Informationen zum parabrachialen Nukleus im Hirnstamm und zum periaquäduktalen Grau. Von dort werden Informationen ebenfalls im Thalamus, vor allem im ventromedialen Kern, umgeschaltet. Die Informationen werden weitergeleitet zum somatosensorischen Kortex, zu cingulären Arealen und in die Inselregionen. Im somatosensorischen Kortex findet dann eine körperliche Repräsentation des Schmerzes statt. Im cingulären Kortex hingegen werden emotionale Aspekte und die Bedeutung für den
Organismus erfasst. In insulären Arealen werden ebenfalls Schmerzreize repräsentiert und auch zusammen mit viszero-sensitiven Informationen für eine weitere Verarbeitung nach präfrontal geleitet. Insbesondere der anteriore insuläre Kortex wird auch als Region mit zentraler Aufgabe im Rahmen der Bewusstwerdung von körperlichen Signalen angesehen (Critchley et al. 2004). Zudem sind hier, zusammen mit enger reziproker Verschaltung mit den Mandelkernen, emotionale Bedeutungen repräsentiert (Craig 2009). Schmerzreize werden unmittelbar wahrgenommen und empfunden. Sie führen zu einer begleitenden emotionalen Tönung, wie Angst, Verzweiflung, allgemeines Unwohlsein. Diese ist mit entsprechenden Kognitionen assoziiert, wie: «Das ist unerträglich, dem bin ich ausgeliefert.» Daraus resultiert eine Motivation für bestimmte Handlungen, wie beispielsweise Schmerz vermeidendes Verhalten.
Kognitive Kontrolle Eine wichtige grundsätzliche Frage ist, ob das Verständnis neurobiologischer Zusammenhänge hilft, psychotherapeutische schmerzlindernde Interventionen zu entwickeln. Einen wichtigen Ansatz stellt die kognitive Kontrolle dar: Kognitionen und Emotionen sind eng miteinander verwoben (Pessoa 2008). Unsere Kognitionen können wir aktiv steuern. Kognitionen üben Top-down-Einflüsse auf andere Systeme wie im Rahmen der Emotionsverarbeitung und der Wahrnehmung aus. So kann die aktive Aufmerksamkeitslenkung auf den persönlichen Partner Schmerz und schmerzassoziierte Hirnaktivität reduzieren (Younger et al. 2010). Auf diese Weise können wir unsere Emotionen über die Kognitionen steuern und damit ein wichtiges Begleitelement des Schmerzes mildern und so auch die Schmerzwahrnehmung selbst. Ein wichtiges Beispiel kognitiver Kontrolle liegt in der Neubewertung emotionaler Situationen. Eine Neubewertung, englisch Reappraisal, kann die gesamte emotionale Antwort entspannen. Sie wird als am wirkungsvollsten für Angstreduktion angesehen (McRae et al. 2010). Dagegen verändert das aktive Unterdrücken von
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Emotionen lediglich den emotionalen Ausdruck wie die Mimik, nicht die empfundenen Emotionen selbst, und verstärkt sogar die begleitende Physiologie, wie zum Beispiel die Herzrate (Ochsner und Gross 2005). Die kognitive Kontrolle geht nun mit einer Aktivierung von medial präfrontalen Hirnarealen einher und mit einer reduzierten Aktivität in den Mandelkernen. Dies konnten wir in eigenen Experimenten zur kognitiven Kontrolle – während der Erwartung von negativen Reizen oder Reizen unbekannter emotionaler Valenz – zeigen (Herwig et al. 2007). Damit ist die grundsätzliche neurobiologische Achse der kognitiven Kontrolle bekannt. Zudem ist auf dieser Ebene nachgewiesen, dass wir mit kognitiven psychotherapeutischen Interventionen die Emotionsverarbeitung positiv beeinflussen können. Ein weiterer Ansatz zur Emotionsregulation führt über Achtsamkeitsansätze. Mittels aktiver Vergegenwärtigung der aktuellen Empfindungen kann die Amygdala-Aktivität herunterreguliert werden (Herwig et al. 2010). So kann schon die Selbstbeobachtung der eigenen aktuellen Gefühle die emotionale Erregung mindern helfen (Abbildung). Die Bewusstmachung der aktuellen Emotion kann die tiefere Signalebene entlasten, sozusagen den Wecker abstellen, dessen Bedeutung nun erkannt ist. Zumindest darf der Wecker die unmittelbar alarmierende Wirkung verlieren. Derartige Ansätze wurden auch schon zur Schmerzbehandlung untersucht (Brown und Jones 2010, Zeidan et al. 2011). Ergebnisse auf der neurobiologischen Ebene zeigen, dass es prinzipiell möglich ist, über psychotherapeutische Interventionen Emotionen inklusive ihrer Hirnaktivität zu regulieren. Ganz neue Ansätze könnten aus der Kombination von neurobiologischen Befunden und mentalen psychotherapeutischen Interventionen entstehen. Ein erster Ansatz wurde mittels der Echtzeitrückmeldung von Änderungen der Hirnaktivität via funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) von DeCharms und Kollegen 2005 gezeigt. Probanden lernten, über Feedback ihre Hirnaktivität zu kontrollieren, und setzten das Gelernte in Zusammenhang mit Schmerzreizen durch Hitze um. Je besser die Hirnaktivität im anterioren Cingulum verändert werden konnte, umso weniger intensiv wurden assoziierte Schmerzreize wahrgenommen. Auch die erfolgreiche Emotionsregulation mittels Echtzeit-fMRT-Rückmeldung wurde bereits demonstriert (Caria et al. 2010). Probanden konnten mittels mentaler Beeinflussung die Hirnaktivität im Rahmen der emotionalen Informationsverarbeitung in der vorderen Insel verändern. Dies bedeutet eine neue Verknüpfung von Neurobiologie und Psychotherapie, welche auch in der Schmerzbehandlung nützlich ist. ●
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Uwe Herwig Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Militärstr. 8 8021 Zürich Tel. 044-296 7451 E-Mail: uwe.herwig@puk.zh.ch
Abbildung: Mandelkern-Aktivität bei emotionalem Empfinden: Wenn wir auf unser aktuelles Empfinden achten, führt dies zu reduzierter Mandelkern-Aktivität (blau im gelben Kreis).
Modifiziert aus Herwig et al. 2010.
Literatur: 1. Brown CA, Jones AKP.: Meditation experience predicts less negative
appraisal of pain: Electrophysiological evidence for the involvement of anticipatory neural responses. Pain 2010; 150: 428–38. 2. Caria A, Sitaram R, Veit R, Begliomini C, Birbaumer N.: Volitional control of anterior insula activity modulates the response to aversive stimuli. A real-time functional magnetic resonance imaging study. Biol Psychiatry. 2010; 68(5): 425–32. 3. Craig AD. How do you feel? Interoception: the sense of the physiological condition of the body. Nat Rev Neurosci. 2002; 3(8): 655–66. 4. Craig A. How do you feel – now? The anterior insula and human awareness. Nat Rev Neurosci 2009; 10(1): 59–70. 5. Critchley, H.D., Wiens, S., Rotshtein, P., Ohman, A., Dolan, R.J.: Neural systems supporting interoceptive awareness. Nat Neurosci 2004; 7(2): 189–195. 6. DeCharms RC, Maeda F, Glover GH, Ludlow D, Pauly JM, Soneji D, Gabrieli JD, Mackey SC.: Control over brain activation and pain learned by using real-time functional MRI. Proc Natl Acad Sci USA. 2005; 102(51): 18 626–31. 7. Herwig U, Kaffenberger T, Jäncke L, Brühl AB.: Self-related awareness and emotion regulation. Neuroimage, 2010; 50(2): 734–741. 8. Herwig U, Baumgartner T, Kaffenberger T, Brühl A, Kottlow M, Schreiter-Gasser U, Abler B, Jäncke L, Rufer M.: Modulation of anticipatory emotion and perception processing by cognitive control. NeuroIimage 2007; 37: 652–662. 9. Keysers C, Kaas JH, Gazzola V.: Somatosensation in social perception. Nat Rev Neurosci 2010; (6): 417–28. Epub 2010 May 6. 10. McRae K, Hughes B, Chopra S, Gabrieli JD, Gross JJ, Ochsner KN.: The neural bases of distraction and reappraisal. J Cogn Neurosci. 2010; 22(2): 248–62. 11. Ochsner, KN, and Gross, JJ.: The cognitive control of emotion. Trends Cogn Sci 2005; 9: 242–249. 12. Pessoa L.: On the relationship between emotion and cognition. Nature Reviews Neuroscience 2008; 9: 148–158. 13. Younger J, Aron A, Parke S, Chatterjee N, Mackey S.: Viewing pictures of a romantic partner reduces experimental pain: involvement of neural reward systems. PLoS One. 2010; 5(10): e13309. 14. Zeidan F, Martucci KT, Kraft RA, Gordon NS, McHaffie JG, Coghill RC.: Brain mechanisms supporting the modulation of pain by mindfulness meditation. J Neurosci. 2011 Apr 6; 31(14): 5540–8.
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Kognitive Emotionskontrolle:
«Unser Gehirn bereitet sich auf den schlimmsten Fall vor»
Prof. Uwe Herwig von der Klinik für Soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) hat auf neurobiologischer Ebene nachweisen können, dass die kognitive Emotionskontrolle und das einfache achtsame Wahrnehmen der eigenen Gefühle beruhigend sein können. Das könnte Folgen für die Behandlung von Schmerzpatienten haben.
An der PUK haben Sie Studien zur Emotionskontrolle durchgeführt. Wie zeigt sich die kognitive Emotionsverarbeitung im Gehirn? Prof. Uwe Herwig: Unsere Studien zeigen, dass sich unser Gehirn darauf vorbereitet, wenn wir ein Ereignis erwarten. Wenn wir nicht wissen, ob uns ein Ereignis mit angenehmer oder unangenehmer Bedeutung bevorsteht, bereiten wir uns auf den schlimmeren Fall vor. Uns hat dabei auch die Frage interessiert, ob wir Emotionen bewusst regulieren können. Dafür entscheidend sind im Gehirn die Mandelkerne, die Amygdala. Diese braucht es für die Einschätzung der emotionalen Bedeutung.
Wie konnten Sie dem nachgehen? Uwe Herwig: Im Rahmen von Studien untersuchten wir 34 Probanden – 16 ohne kognitive Kontrolle, 18 mit kognitiver Kontrolle – und überprüften die Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie. Wir zeigten den Probanden Bilder, die entweder schön oder schlimm waren, und kündigten die emotionale Wertigkeit entweder an oder nicht. Im Wissen darum, dass sie gleich ein unangenehmes Bild sehen müssen, konnten sich die Probanden mittels kognitiver Kontrolle auf die Erwartung einstellen. Die Probanden führten dafür einen «Reality-Check» durch, sie machten sich mit Sätzen wie «Ich liege im Scanner», «Dies ist ein Experiment» bewusst, worum es in Wirklichkeit ging. Es zeigte sich, dass die kognitive Kontrolle mit einer verminderten Amygdala-Aktivität im Vergleich zur Bedingung ohne Kontrolle einhergeht.
Sie haben noch eine weitere Studie zur Achtsamkeit durchgeführt. Was hat sie mit dem Schmerz zu tun? Uwe Herwig: In der Studie ging es um kognitive Selbstreflexion und um emotionale Introspektion. Wir liessen 30 gesunde Probanden im Sinne der kognitiven Selbstreflexion über sich nachdenken oder im Sinne der emotionalen Introspektion in sich hineinspüren. Die Hirnaktivität erfassten wir ebenfalls mittels funktioneller Magnetresonanztomografie, während sich die Probanden mit sich selbst auseinandersetzten. Dabei zeigte sich, dass beide selbstbezogenen Aufgaben mit neuronalen Aktivierungen in Mittellinienregionen des Stirnhirns einhergingen. Bei der kognitiv-selbstreflexiven Aufgabe «Wer bin ich?» lagen sie weiter vorne, bei der emotional-introspektiven «Wie fühle ich mich?»
weiter hinten. Darüber hinaus zeigte sich – und dies war der wichtigste Befund –, dass allein durch Beachten der aktuellen Gefühle – ohne diese zu bewerten – die Amygdala herunterreguliert wurde.
Welche Botschaft kann man der Studie entnehmen? Uwe Herwig: Schon wenn ich auf meine Gefühle achte und sie bewusst wahrnehme, könnte eine mögliche emotionale Anspannung zurückgehen. Wenn ich mich zum Beispiel aufrege und mir die begleitenden Empfindungen bewusst mache, mindere ich meine Aufregung.
Wie hängen dann Schmerz und Emotion zusammen? Uwe Herwig: Schmerz verursacht Emotionen, die wahrgenommen werden, und dies geht wiederum mit Kognitionen einher. Diese sind oft katastrophisierend und verschlimmern im Sinne eines Teufelskreises das Schmerzempfinden. Psychotherapeutisch liesse sich auf der Ebene der Kognitionen eingreifen. In der Therapie könnten Betroffene lernen, Emotionen über mentale Vorgänge zu steuern. Über eine Kontrolle der Hirnaktivität liessen sich die Schmerzempfindungen dann reduzieren. Dass das funktioniert, zeigen Daten einer Echtzeit-funktionellen Magnetresonanztomografie aus dem Jahr 2005.
Können Sie das Wissen in die Praxis umsetzen?
Uwe Herwig: Die psychotherapeutische Behandlung
von Schmerz darf nicht vergessen gehen. Dabei
könnte unter anderem im Rahmen der Achtsamkeit auf
Ebene der Selbstwahrnehmung geübt werden, dass
der Patient sich weniger mit dem Schmerz identifiziert
und sich innerlich besser von ihm distanziert. Die Be-
handlung psychischer Zustände kann so mit einer
Schmerzreduktion einhergehen. Auf dieser Ebene wir-
ken auch Plazebos: Der Betroffene erwartet, dass etwas
wirkt. Und dieser Behandlungseffekt tritt dann auch
tatsächlich ein. Natürlich muss uns bewusst sein, dass
dies nicht einfach ist. Aber es kann ein wichtiger Bau-
stein in der Schmerzbehandlung sein.
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Professor Herwig, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Annegret Czernotta.
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