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Fortbildung
Begutachtung von Schmerzen
Im Spannungsfeld zwischen Verantwortung gegenüber Individuum und Gesellschaft
Rita Schaumann-von Stosch
Chronische Schmerzen zeichnen sich durch eine Generalisierung und Erweiterung zu anderen Funktionsstörungen als Ausdruck einer komplexen körperlichen und psychischen Störung aus. Sie haben häufig kein apparativ nachweisbares klinisches Korrelat. Das biopsychosoziale Krankheitsmodell der Entstehung chronischer Schmerzen erfordert für die Begutachtungssituation eine aufwendige Anamnese- und Befunderhebung und stellt eine interdisziplinäre Herausforderung dar. Eine vertrauensvolle, annehmende Atmosphäre wie auch eine kritische Würdigung (Konsistenzüberprüfung) aller erhobenen Bausteine sind elementar für die Beurteilung eines Probanden mit chronischen Schmerzen. Für die Beurteilung der Kausalität spielt der Verlauf der Schmerzen eine entscheidende Rolle. Um die willentliche Überwind-
Spannungsfeld zwischen Verantwortung gegenüber dem Individuum und gegenüber der Gesellschaft. Im Gegensatz zur therapeutischen Aufgabenstellung hat der Gutachter eine unparteiliche Haltung einzunehmen (kein «in dubio pro aegroto») und dem Anspruch gerecht zu werden, den Probanden ernst zu nehmen und seine Beurteilung auf bestmögliche Evidenz zu stützen, das heisst mit Argumenten zu belegen, die auch von einem kritischen Experten, der sich mit der Beurteilung auseinandersetzt, nachvollzogen werden können.
Den Probanden zu akzeptieren
und ernst zu nehmen und
dabei eine unparteiliche, kritische,
aber empathische Grundhaltung
einzunehmen – das müssen die
unabdingbaren Grundregeln für
jeden Gutachter sein!
barkeit beurteilen zu können, muss sich der Gutachter Obwohl das Phänomen Schmerz seit
unter anderem mit der Frage nach dem sekundären
Menschengedenken zum Menschen und Schmerzstillung zu den ureigens-
Krankheitsgewinn beschäftigen.
ten Aufgaben des Arztes gehört, erfährt die Schmerzmedizin in der me-
dizinischen Lehre und Forschung erst
W ie die Diagnostik und Behandlung ist auch die Begutachtung von chronischen
tung, als Beispiele können Kopfschmerzen nach schwerer Hirnverletzung oder Rückenschmerzen im
in den letzten Jahrzehnten einen entsprechenden Stellenwert – Gründung der ersten Schmerzambulanz durch
Schmerzen eine grosse Herausforde- Rahmen einer Osteoporose genannt Bonica und White in Seattle im Jahr
rung und eine der schwierigsten Gut- werden. Ist kein entsprechendes orga- 1960, Einrichtung der Zusatzbezeich-
achtenaufgaben schlechthin. Objek- nisches Substrat mit herkömmlichen nung «Spezielle Schmerztherapie» als
tivierbare Beeinträchtigungen, die als klinischen Verfahren nachweisbar, ein nicht fachbezogenes Teilgebiet in
Krankheits- oder Unfallfolge häufig müssen andere Kriterien zur Objek- Deutschland 1996. Demzufolge haben
beobachtet und von Experten aner- tivierbarkeit beklagter Beschwerden das Wissen zum und die Beschäfti-
kannt werden, bereiten entsprechend herangezogen werden. Der Gutachter gung mit dem Thema Schmerz zuge-
6 weniger Probleme bei der Begutach- bewegt sich bei diesem Thema im nommen.
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Tabelle 1:
Erforderliche Anamnese bei der Begutachtung von Schmerzen (3)
Arbeits- und Sozialanamnese
Berufsausbildung mit/ohne Abschluss, Arbeitsbiografie, besondere psychische und physische Belastungen am Arbeitsplatz, Dauer und Begründung für Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit, Entwicklung der familiären Situation und ihrer Belastungen
Allgemeine Anamnese
Entwicklung der körperlichen und psychischen Erkrankungen zurzeit und unter Einbeziehung früherer Lebensabschnitte einschliesslich familiärer Belastungen – bei «kausalen» Fragestellungen ausserdem Angaben zu Unfallereignissen und anderen ursächlichen Einwirkungen und zum Verlauf danach
Spezielle Schmerzanamnese
Lokalisation, Häufigkeit und Charakter der Schmerzen; Abhängigkeit von verschiedenen Körperhaltungen, Tätigkeiten und Tageszeiten, Verlauf mit/ohne Remissionen; biografische Schmerzerfahrungen: körperliche Misshandlung, emotionale Vernachlässigung, chronische familiäre Disharmonie, Parentifizierung, mehrfache Situationen mit postoperativen Schmerzen, Schmerzmodell bei wichtigen Bezugspersonen
Behandlungsanamnese
Dauer, Intensität und Ergebnis bisheriger Behandlungsmassnahmen, insbesondere Häufigkeit und Regelmässigkeit von Arztbesuchen, Häufigkeit und Dauer der Einnahme von Medikamenten und deren Nebenwirkungen, Intensität physiotherapeutischer Behandlungen, Einbringen eigener Bewältigungsstrategien; symptomverstärkende und -unterhaltende ärztliche Massnahmen
Einschränkungen in den Aktivitäten Schlaf, Tagesablauf, Mobilität, Selbstversorgung, Haushaltsaktivitäten wie Kochen, Putzen, Waschen,
des täglichen Lebens
Bügeln, Einkaufen, Gartenarbeit, erforderliche Ruhepausen, Fähigkeit zum Auto- und Radfahren
Einschränkungen der Partizipation Familienleben einschliesslich Sexualität und schmerzbedingter Partnerprobleme; soziale Kontakte in verschiedenen Lebensbereichen einschliesslich Freundschaften und Besuche; Freizeitbereich wie Sport, Hobbys, Vereinsleben, Halten
von Haustieren, Urlaubsreisen; soziale Unterstützung und Qualität der Partnerbeziehung
Selbsteinschätzung
Eigene Einschätzung des positiven und negativen Leistungsbilds (z.B. anhand der Diskussion von geläufigen Verweistätigkeiten mit geringer körperlicher Beanspruchung)
Fremdanamnese
Exploration von z.B. engen Familienmitgliedern, Freunden oder Arbeitskollegen mit Einverständnis des Probanden sowie ggf. mit Zustimmung des Auftraggebers
Chronischer Schmerz spielt auch in der Versicherungsmedizin eine zunehmende Rolle. Wagner et al. 2003 (1) stellten in einer Publikation über eine Befragung, die die Autoren retrospektiv an 50 schmerztherapeutischen Institutionen durchgeführt hatten, noch als auffälligstes Ergebnis der Untersuchung eine Uneinheitlichkeit im Begutachtungsprozess fest, den sie auf einen fehlenden Standard beziehungsweise das Fehlen von Leitlinien für die «Begutachtung in der Schmerztherapie» zurückführten. Nach einer Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft für Neurologische Begutachtung (2) wurde 2005 eine Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen durch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) auf S2Niveau erstellt. Beteiligt waren die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM), das Deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM), die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) (3). Diese Leitlinie ist Grundlage der nachfolgenden Ausführungen.
Welche speziellen Aspekte gilt es, bei der Begutachtung von Schmerzen zu beachten?
Interdisziplinarität Gemäss dem biopsychosozialen Krankheitsmodell (4, 5), welches für die Entstehung von chronischen Schmerzen allgemein akzeptiert ist, ist wie die Diagnostik und Behandlung chronischer Schmerzen auch die Begutachtung interdisziplinär durchzuführen. Die Experten der beteiligten Disziplinen sollten einerseits ein Grundlagenwissen um Schmerzentstehung,
Schmerzverarbeitung und Schmerzchronifizierung haben, andererseits sind Kenntnisse der Begutachtungsgrundlagen für verschiedene Rechtsbereiche notwendig. Nicht jeder chronische Schmerz erfordert jedoch eine eingehende biopsychosoziale Abklärung. Solange der beklagte Schmerz lokal begrenzt ist, keine Tendenz zur Generalisierung aufweist und nicht von weiteren Körperbeschwerden und/oder Hinweisen auf affektive Störungen begleitet wird, genügt für die Begutachtung eine organmedizinische Abklärung (6). Werden bei der Begutachtung spontan oder auf Nachfrage neben lokalisierten auch generalisierte Schmerzen (Schmerzausweitung) und weitere Körperbeschwerden beklagt, wird dies als Ausdruck der Chronifizierung und Hinweis auf komplexe körperliche und psychische Störungen angesehen (7, 8). Entsprechend den Empfehlungen zum Umgang mit «Somatisierungspatienten» im organmedizinischen Setting (9) ist
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Diagnostik
Tabelle 2:
Diagnosen allein – «Zustand nach»
Kontextfaktoren für die (weitere) Chronifizierung von Schmerzen (3)
oder topisch orientierte Syndromdia-
Arbeitsplatzfaktoren
Geringe Arbeitsplatzzufriedenheit Anhaltende Schwerarbeit Unergonomische Arbeitsplatzgestaltung Monotone Tätigkeiten am Arbeitsplatz Geringe berufliche Qualifikation
gnosen sollten vermieden werden – erklären den Schweregrad einer Schmerzsymptomatik nicht. Deshalb ist das Konzept der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebe-
Niedriges Einkommen
nen Internationalen Klassifikation der
Konflikte mit Vorgesetzten Kränkungserlebnisse durch Arbeitskollegen Verlust des Arbeitsplatzes
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) (10) auch für das Vorgehen in der Begutachtungssitua-
Soziodemografische Faktoren Somatische Faktoren Psychosoziale Faktoren
Alter Weibliches Geschlecht Verheirateter Familienstatus Niedriges Bildungsniveau Niedriger Sozialstatus
Genetische Disposition Prädisponierende Erkrankungen Degenerative Veränderungen Dauereinwirkung biomechanischer Stressoren
Maladaptive kognitiv-affektive Krankheitsverarbeitung (Katastrophisierung, Hilf-/Hoffnungslosigkeit) Biografische Belastungen Psychische Komorbiditäten (Somatisierungsstörungen,
tion in Betracht zu ziehen. An der ICF orientierte Instrumente und Assessmentverfahren eignen sich, die biopsychosoziale Dimension einer Störung zu erfassen und die Funktionsfähigkeit anhand angemessener, sinnvoller Kriterien beurteilen zu können. Als Beispiel sei hier das für die Einschätzung von Patienten mit chronischen psychiatrischen Erkrankungen entwickelte Mini-ICF-Rating für psychische Störungen (Mini-ICF-P) auf-
Iatrogene Faktoren
Angsterkrankungen, depressive Störungen) Kompensationsansprüche Angst und angstbedingtes Vermeidungsverhalten Psychische Stressoren im familiären Umfeld
Mangelnde ärztliche Deeskalation bei ängstlichen, «katastrophisierenden» Patienten Somatisierung und Angstförderung durch «katastrophisierende» ärztliche Beratung Fehlende oder inadäquate Medikation in der Akutphase Förderung passiver (regressiver) Therapiekonzepte
geführt (11). Wie andere derartige Instrumente eignet es sich für die standardisierte Erfassung und Bewertung von Störungen im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit in differenten Rollen, in die ein Proband im Alltag eingebunden ist. Selbsteinschätzungsskalen und Fragebogen – zum Beispiel Mainzer Stadienmodell der Schmerz-
Lange, unreflektierte Krankschreibung
chronifizierung (12) – zu bestehenden
Übertriebener Einsatz diagnostischer Massnahmen Überschätzen unspezifischer somatischer Befunde Unterschätzen psychiatrischer Komorbidität Fehlende Beachtung psychosozialer Belastungsfaktoren Präferenz und fehlerhafte Indikationsstellung invasiver und/oder suchtfördernder Therapien Inadäquate Therapie im weiteren Verlauf
Funktionsbeeinträchtigungen werden häufig angewendet, sind allerdings wie auch psychologische Testverfahren nicht für die Begutachtungssituation validiert und können daher nur einen Anhalt für den Gutachter geben.
Voraussetzung für die Qualität der
Beurteilung ist vielmehr eine umfas-
sende Exploration gemäss Tabelle 1,
die der Leitlinie für die Begutachtung
es von elementarer Bedeutung, dem Bedeutung der Schmerzstörungen sind von Schmerzen (3) entnommen ist.
Probanden ein akzeptierendes, ernst- unklare körperliche Beschwerden, wie Die Empfehlung in der Leitlinie zur
nehmendes Interesse entgegenzu- sie mit somatoformen Störungen ein- Begutachtung von Schmerzen, die
bringen. Eine vollständige Explora- hergehen, mit einem intensiven sub- häufigsten Schmerzsyndrome im ICD-
tion körperlicher und psychischer jektiven Leiden verbunden und re- 10-System zu klassifizieren, ist im
Symptome ist nicht nur eine Voraus- duzieren die Lebensqualität bei den Hinblick auf ein standardisiertes
setzung für die Kooperation des Pro- betroffenen Personen erheblich. Ent- Vorgehen durchaus nachvollziehbar.
banden, sondern vor allem auch ein sprechend empfiehlt es sich für den Allerdings sind auch im ICD-10-Klas-
Bestandteil der Diagnostik und Kon- Gutachter, bei aller Unparteilichkeit sifikationswerk topisch orientierte
sistenzprüfung. Abgesehen von einer eine empathische Grundhaltung ein- Syndromdiagnosen enthalten, die für
8 grossen gesundheitsökonomischen zunehmen.
die Begutachtungssituation zu wenig
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aussagekräftig sind (5). Die in den Leitlinien empfohlene Einteilung des Schmerzes als Symptom nach Vorliegen einer körperlichen oder psychischen Komorbidität erweitert die Sichtweise des Untersuchers und zwingt ihn, die Kofaktoren zu berücksichtigen. Kontextfaktoren für die Chronifizierung von Schmerzen wurden in mehreren Studien ermittelt (13–15). Diese Faktoren sollten in der Begutachtungssituation beachtet werden (Tabelle 2). Hinweisen möchte ich auf die neue Differenzierung von chronischen Schmerzen in der ICD10: F 45.41 Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (16).
Konsistenzprüfung
Der Konsistenzprüfung kommt in der Begutachtung von Schmerzen, die nicht mit apparativen Verfahren ob-
jektiviert werden können, eine ent-
scheidende Bedeutung zu. Hierzu ist
eine gründliche Erhebung der An-
amnese und klinischer Befunde zu-
sammen mit einer kritischen Beob-
achtung des Probanden während der
gesamten Begutachtungssituation un-
abdingbar. Grosse Bedeutung bei der
Konsistenzprüfung hat die Überprü-
fung der Compliance bei der Medika-
menteneinnahme. Nahezu alle in der
Schmerztherapie und Psychiatrie als
eingenommen
beschriebenen
relevanten Medikamente sind ohne
grössere Probleme nachweisbar. Hier-
bei sind die individuellen Verstoff-
wechselungseigenschaften wie auch
die Aufklärung des Probanden zu
berücksichtigen. Andere zu beobach-
tende Faktoren zur Konsistenzprü-
fung sind zum Beispiel Diskrepanz
zwischen Beschwerdenschilderung
und Beeinträchtigung/Befunden in
der Untersuchungssituation, wechselhafte und unpräzis/ausweichende Schilderung der Beschwerden und des Krankheitsverlaufs (17). Weitere Hinweise können der Zusammenstellung in der Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen (3) entnommen werden.
Kausalität Zur Beurteilung der Kausalität sind Kenntnisse der Vorgeschichte unentbehrlich. Hierzu können ein Leistungsauszug der Krankenkasse oder die Gesamtdokumentation des Hausarztes nützlich sein. Auch die Darstellung des Schmerzverlaufs nach dem angeschuldigten Ereignis, hilft die Kausalitätsfrage zu beantworten. Eine Zunahme und Ausweitung der Schmerzen im Verlauf ist mit einer traumatischen Verursachung nur in Spezialfällen zu erklären (CRPS, Arthrose, Neurombildung,
Literatur:
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23. www.suva.ch/home/suvacare/versicherun gsmedizin/medizinische_publikationen/inte gritaetsentschaedigungstabellen.htm
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Syringomyelie), welche jedoch in der Regel durch eine charakteristische Befundkonstellation gut zu diagnostizieren sind. Auch können Anpassungsstörungen oder psychische Komorbiditäten den Verlauf beeinflussen, weshalb im Einzelfall die Frage der Teilkausalität beurteilt werden muss. Im Kontext der Kausalitätsbeurteilung ist es gelegentlich ratsam, zur Diagnosestellung ergänzend weitere international anerkannte Diagnose-/Klassifikationssysteme (nicht nur ICD-10) zu verwenden, um durch Transparenz der der Diagnose zugrunde gelegten Parameter eine bessere Nachvollziehbarkeit zu erreichen. Zur Klassifikation von Kopfschmerzen eignet sich zum Beispiel die Internationale Klassifikation von Kopfschmerzen (ICHD-II) (18).
Therapiemassnahmen Gemäss dem biopsychosozialen Krankheitskonzept ist eine monomodale Behandlung chronischer Schmerzen nicht ausreichend und sogar eher geeignet, die Chronifizierung zu fördern. Diese Tatsache muss der Gutachter vor einer abschliessenden Beurteilung berücksichtigen. Das Fehlen adäquater Therapiemassnahmen kann Hinweise einerseits auf eine geringe Therapiemotivation des Probanden geben, andererseits aber auch auf iatrogen fehlgeleitete (meist einseitig somatisch orientierte) Therapieansätze (19–21).
Schlussfolgerungen
Bezüglich der Leistungsfähigkeit stellt sich die Frage nach der Steuerbarkeit der geklagten Beschwerden. Es gilt zu klären und zu beschreiben, ob und in welchem Ausmass der Proband die geklagten Beschwerden willentlich überwinden kann. Hierzu muss sich der Gutachter darüber klar werden, ob ein sekundärer Krankheitsgewinn an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Beschwerden beteiligt ist und mit welchem Bewusstheitsgrad die Funktionsbeeinträchtigungen zur Durchsetzung eigener Wünsche eingesetzt werden. Hinweise darauf ergeben sich aus einer wie bereits oben empfohlenen detailliert erhobenen Anamnese. Wichtig ist in solchen Fällen, Beschwerden, Funktionseinschränkungen und Schilderungen nicht nur passiv entgegenzunehmen, sondern aktiv nachzufragen, was geschehen ist, nach Bedingungen für Verbesserungen oder Verschlechterungen, was der Anlass für bestimmte kausale Zuordnungen ist, wie sich jemand diese Veränderungen erklärt und anderes mehr. Im Bereich des Unfall-VersicherungsGesetzes (UVG) (22) stellt die Integritätsentschädigung eine Besonderheit dar. Weder in der Skala der Verordnung (UVV 4. Abschnitt Art. 36 Anhang) noch in den Suva-Tabellen (23) sind Schmerzen gesondert auf-
geführt. Anhaltende, auf den Unfall kausal zu beziehende Schmerzen werden unter der jeweiligen körperlichen oder psychischen Unfallfolge subsumiert, analog dem empfohlenen Vorgehen bei der Anwendung der MDE-Tabellen (MDE = Minderung der Erwerbsfähigkeit) (3). Hierzu hat sich die Einteilung von Schmerzen aus gutachtlicher Sicht in Schmerz als Begleitsymptom einer Gewebeschädigung, Schmerz bei Gewebeschädigung mit psychischer Komorbidität und Schmerz als Leitsymptom einer psychischen Erkrankung (3) bewährt. ◆
Dr. med. Rita Schaumann-von Stosch Fachärztin FMH für Neurologie Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie (D) Leiterin Kompetenzzentrum Versicherungsmedizin, SUVA Fluhmattstrasse 1 6002 Luzern
Interessenkonflikte: keine
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