Transkript
Editorial
Die Diagnose «Multiple Sklerose» bedeutet für die Betroffenen, dass sie fortan der Bedrohung nicht nur durch progrediente physische, sondern auch kognitive Behinderung ausgesetzt sind.
Die Zahl der krankheitsmodifizierenden MS-Therapien steigt an, und die Wirksamkeit der neuen – wie auch der «alten» – Substanzen wird durch randomisierte, kontrollierte Studien gestützt. Es deutet sich immer mehr an, dass das Potenzial der neueren Agenzien höher
Sollten wir Patienten früh in ihrer Erkrankung aus vernünftigen pathophysiologischen Überlegungen heraus bereits einer potenteren (vor allem) antiinflammatorischen Therapie aussetzen, trotz der damit gegebenenfalls verbundenen Risiken? Wird das den Verlauf günstiger beeinflussen als eine stratifizierte Eskalation bei unzureichender Kontrolle mit Basistherapeutika? Mit den zunehmenden Optionen wird der Bedarf an solchen Modellen immer grösser.
MS-Therapie – quo vadis? Den Herausforderungen gerecht werden
sein könnte als jenes der erst seit den späten Neunzigerjahren etablierten Basistherapien. Allerdings scheinen die neuen Substanzen gewisse Risiken aufzuweisen, welche die älteren Substanzen nicht hatten. Eine wichtige zukünftige Aufgabe wird es also sein, die «Bedrohung» durch die Erkrankung in vernünftiger Relation zu den möglichen Risiken der MS-Therapien zu sehen. Die Bedrohung durch die Krankheit MS selbst jedenfalls ist erheblich.
Sogenannte «targeted therapies» (zielgerichtete Therapien) – wie monoklonale Antikörper mit substanzieller Wirksamkeit (Natalizumab, Alemtuzumab, Rituximab, Daclizumab usw.) – versprechen hinsichtlich der Wirksamkeit deutliche Fortschritte. Sicherheitsrisiken wurden zum Teil bereits deutlich, sodass der Einzug von solchen Substanzen in die Basistherapie mit einem Paradigmenwechsel verbunden werden müsste. Die Mehrheit der Patienten wird heute (früher als in der Vergangenheit) eine Basistherapie, in der Regel mit Interferon-beta oder Glatirameracetat, seltener Natalizumab, bekommen. Patienten mit unzureichender Krankheitskontrolle – und für die Definition einer solchen gibt es keinen Konsens – werden «eskaliert».
Insbesondere mit Blick auf die wenig patientenfreundliche Applikationsform der Präparate der ersten Generation (subkutan oder intramuskulär) wurde früh der Bedarf anderer Applikationsformen gesehen. Die Potenz oraler Agenzien ist vielversprechend, wenngleich erneut Sicherheitsbedenken den Einsatz eines Teils der Substanzen in der Basistherapie gemäss den aktuellen Therapiekonzepten infrage stellen werden. Die nächste Generation wird nicht alle Probleme lösen können und auch neue Probleme schaffen. Aber die Aussichten, dass die Bedrohung der Behinderung durch die MS in den nächsten Jahren vermehrt und besser unter Kontrolle gebracht werden kann, sind exzellent.
Dr. med. Norman Putzki Leitung MS Ambulanz
Kantonsspital St. Gallen Klinik für Neurologie Rorschacherstrasse 95 9007 St. Gallen
Psychiatrie & Neurologie 1•2009
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