Transkript
Fortbildung
Innovative orale Therapien der schubförmigen Multiplen Sklerose
Neue Substanzen im Spannungsfeld von Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit
Özgür Yaldizli, Barbara Tettenborn und Norman Putzki
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Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick geben über chende Resultate in den Phase-II-Stu-
die wichtigsten innovativen oralen Substanzen bei
dien gezeigt. Der Nachweis der klinischen Wirksamkeit – auf Schübe und
schubförmiger MS. Dargestellt werden Wirkmechanis-
Progression – erfolgt in den zurzeit laufenden Phase-III-Studien (Zulas-
mus, Wirkungsweisen, Nebenwirkungen und die
sungsstudien). Phase-II-Studien bei MS sind im Re-
gelfall randomisierte, doppelblinde,
aktuellen Resultate der Phase-II-Studien, danach folgt plazebokontrollierte Studien mit meh-
eine kurze Bewertung der einzelnen Substanzen.
reren hundert Patienten. Die Studiendauer beträgt in den meisten Fällen
6 Monate, oft mit anschliessender
Nachbeobachtungsphase. Der primäre
Einleitung
tritt nicht selten «Injektionsmüdig- Endpunkt ist dabei meist ein MRI-
M ultiple Sklerose (MS) betrifft weltweit etwa 2,5 Millionen Patienten. Sie ist die häu-
keit» auf. Die Wirksamkeit aller Präparate auf die Schubaktivität und Progression ist nachgewiesen, aber
Endpunkt (z.B. die Anzahl der kontrastmittelaufnehmenden Läsionen) als objektiver Marker für die Krank-
figste nichttraumatische Ursache für ein Teil der Patienten ist trotz Anwen- heitsaktivität. Die Fallzahlen sind
eine Behinderung junger Menschen dung von Interferon-beta oder Glatira- meist zu klein, um eine Aussage über
und verursacht hohe Kosten, die mit meracetat nicht dauerhaft aktivitäts- klinische Effizienz zu treffen. Die kli-
wachsender Behinderung dramatisch frei. Die Langzeitsicherheit dieser nische Effizienz wird erst in Phase III
ansteigen. MS-Therapie ist ein noch Präparate ist unumstritten.
über 2 Jahre geprüft, in der häufig
junges Thema, denn eine wirksame, Neue orale MS-Therapeutika sollten mehr als 1000 Patienten je Studie
spezifische Behandlung gibt es erst nicht nur die Adhärenz steigern, son- untersucht werden (Endpunkte sind
seit Mitte der Neunzigerjahre (Tabelle 1). dern auch wirksamer sein als die bis- Progression oder Schubrate). Welt-
Die derzeit verfügbaren krankheits- her verfügbaren Basistherapeutika weit laufen etwa 300 klinische MS-
modifizierenden Medikamente bei MS (Abbildung sowie Tabelle 2). Die in Studien, sodass in der Summe bis zu
in der Basistherapie (in der Regel den letzten Jahren entwickelten ora- 100 000 MS-Patienten derzeit in kli-
Interferon-beta-Präparate und Glati- len Substanzen haben neue Wir- nischen Studien behandelt werden
rameracetat; selten Natalizumab) wer- kungsmechanismen und vielverspre- (www.clinicaltrials.gov).
den parenteral angewendet (sub-
kutan, intramuskulär; Natalizumab intravenös). Die möglichen Nachteile einer langjährigen Injektionstherapie
Tabelle 1: Evolution der MS-Therapie (Zulassungsjahr in vielen europäischen Staaten)
sind offensichtlich: Neben lokalen Reaktionen und Problemen in der praktischen Anwendung beeinträchtigt eine Injektionstherapie unter Umständen die Lebensqualität, Compliance und Adhärenz (1). Die Abbruchraten für die derzeitigen Therapien liegen im Bereich von bis zu 20 Prozent pro Jahr, eine hohe Zahl davon wegen
1995
Interferon beta-1b (Betaferon®)
1996
Interferon beta-1a (Avonex®)
1998
Interferon beta-1a (Rebif® 22)
1999
Interferon beta-1a (Rebif® 44)
2001
Glatirameracetat (Copaxone®)
2002
Mitoxantron (Novantron®)
2006
Natalizumab (Tysabri®)
2010 ... (?) Teriflunomid, Fingolimod, Cladribin, Fumarsäure, Laquinimod, Firategrast
Nebenwirkungen (Frühphase), später
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Tabelle 2:
Übersicht über die neuen oralen MS-Therapeutika
Substanz
Angenommener
Bereits
Wirkmechanismus zugelassen bei
Verlaufsform n (Referenz) Reduktion von Nebenwirkungen Gd+ -Läsionen
Cladribin
Adenosinanalogon, Haarzellleukämie PPMS
immunsuppressiv
SPMS
159 (5) 90%
Arterielle Hypertonie, Ataxie, Nasopharyngitis, Rückenschmerzen, Arthralgie und Hautveränderungen, Herpes zoster, Lymphozytopenie
Fingolimod Sphingosin-1PRezeptor-Agonist
–
RRMS SPMS
281 (12) 61%
Erkältung, Sinusitis, Kopfschmerzen, Dyspnoe, GI-Beschwerden, Herpesinfektionen, Leberwerterhöhung, Makulaödeme, Bradykardie
Firategrast Alpha-IntegrinBlocker
–
RRMS
k.A.
k.A.
k.A.
Fumar-
Immunmodulator
säureester
Psoriasis
RRMS
257 (20) 69%
Flush, GI-Beschwerden, Kopfschmerzen, Nasopharyngitiden
Laquinimod Immunmodulator –
RRMS
360 (18) 40%
Husten, Dyspnoe, Herpes zoster
Teriflunomid PyrimidinsyntheseHemmer, Immunmodulator
Rheumatoide Arthritis
RRMS SPMS
179 (15) 62%
Nasopharyngitis, Alopezie, Leberwerterhöungen, Parästhesien, GI-Beschwerden, Arthralgie, Neutropenie
RRMS: schubförmige Verlaufsform; SPMS: sekundär progrediente Verlaufsform; PPMS: primär progrediente Verlaufsform; k.A.: keine Angabe; n: Anzahl der eingeschlossenen Patienten; Gd+: Gadolinium positiv; GI: gastrointestinale. Ein direkter Vergleich der Wirksamkeit untereinander ist aus methodologischen Gründen nicht möglich, Vergleichsstudien liegen keine vor.
Cladribin
Wirkmechanismus Cladribin (2-Chlor-Desoxy-Adenosin; Hersteller: Merck Serono) ist ein immunsuppressives Adenosinanalogon, das in der Behandlung der Haarzellleukämie und anderen malignen Lymphomen bereits zugelassen ist (als I.v.-Injektion). Die aktivierte Form wird in die DNA der Zielzellen eingebaut und verursacht einen Transkriptionsfehler, der schliesslich zur Apoptose führt (2). Cladribin kann (soll) eine andauernde selektive Lymphozytopenie verursachen.
Wirksamkeit Es liegen keine Phase-II-Studien zu oralem Cladribin bei MS vor. Beutler
et al. konnten in der ersten i.v. Cladribin-Phase-II-Studie bei 51 Patienten mit primär oder sekundär chronisch progredienter MS (mittlere Krankheitsdauer 10–12 Jahre) zeigen, dass siebentägige Infusionen von 0,1 mg per kg Körpergewicht (KG) pro Tag im Abstand von 4 Monaten nach 12 Monaten zu einer Reduktion der neurologischen Defizite führten. Zudem hatten nach 12 Monaten nur 2 von 24 Patienten mit Cladribin, aber 12 von 24 Patienten aus der Plazebogruppe Kontrastmittel-(KM-)aufnehmende Läsionen (3). In einer weiteren Cladribin-Phase-IIStudie wurden 52 MS-Patienten mit einem schubförmigen Verlauf eingeschlossen. Jeder Patient erhielt 5 Tage
in Folge täglich eine subkutane Injektion von Cladribin 0,07 mg/kg KG oder Plazebo. Dieser Zyklus wurde monatlich wiederholt für insgesamt 6 Monate. Cladribin supprimierte nach 6 Monaten die KM-aufnehmenden Läsionen vollständig, während die KM-Aufnahme in der Plazebogruppe persistierte (primärer Endpunkt). Darüber hinaus konnte Cladribin die Schubrate nach 6 Monaten im Gegensatz zu Plazebo reduzieren (4). In die bis anhin grösste CladribinPhase-II-Studie wurden 159 Patienten mit primär (30%) und sekundär progredienter (70%) MS eingeschlossen. Nach 12 Monaten führte i.v. Cladribin zu einer 90-prozentigen Reduktion von KM-aufnehmenden MS-Läsionen (5).
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Abbildung: Wirkungsmechanismen der neuen oralen MS-Therapeutika. FTY720 (Fingolimod) ist ein Sphingosin-Rezeptor-1-Agonist und
bewirkt eine Leukozytensequestrierung im lymphatischen Gewebe; Cladribin (Adenosinanalogon) und Teriflunomid (Hemmer der Pyrimidinsynthese) hemmen die Proliferation von Lymphozyten; Laquinimod
und Fumarsäureester wirken immunmodulatorisch; Firategrast hemmt die Migration von Leukozyten durch die Blut-Hirn-Schranke.
Nebenwirkungen Cladribin wurde generell gut toleriert. Muskelschwäche, arterielle Hypertonie, Ataxie, Infektionen der oberen Luftwege, Rhinitis, Pharyngitis, Rückenschmerzen, Arthralgie und Hautveränderungen waren die häufigsten Nebenwirkungen in den Phase-II-Studien. Es traten insgesamt drei HerpesZoster-Infektionen auf, zwei davon in der Plazebogruppe und eine in der Low-dose-Cladribin-Gruppe. Wie erwartet führte Cladribin dosisabhängig zu einer Lymphozytopenie. 2 Patienten der Verumgruppe hatten auch eine begleitende Thrombozytopenie ohne Blutungskomplikationen und 1 Patient eine Neutropenie ohne schwerwiegende Infektionen (5). Die Langzeittoxizität von Cladribin hinsichtlich Knochenmark und der Entwicklung von Neoplasien bei MS kann noch nicht beurteilt werden.
Einnahmemodus Es gibt keine Phase-II-«proof of concept»-Studie zur oralen Darreichungsform. Die Wirksamkeit einer oralen Formulierung wird derzeit in einer Phase-III-Studie getestet (CLARITY).
Cladribin wird in dieser Studie zyklisch angewendet, das heisst, dass möglicherweise 1 bis 2 Zyklen pro Jahr mit einer Einnahmedauer von etwa 1 Woche ausreichend sind. Erste Ergebnisse werden im Lauf des ersten Quartals 2009 erwartet.
Bewertung Die Bewertung ist schwierig, da keine «proof of concept»-Studie mit oralem Cladribin vorliegt und die Studien mit i.v. Cladribin heterogen waren. Während der Einnahmemodus patientenfreundlich ist, bleiben Fragen zur Langzeittoxizität noch offen. Ein Einsatz in der Basistherapie scheint fraglich.
Fingolimod
Wirkmechanismus Fingolimod (2-amino-2-[2-(4-octylphenyl]ethyl)-1,3-propanediol hydro-chlorid; FTY720; Hersteller: Novartis) ist ein Sphingosin-1-Phosphat-(S1P-)Rezeptor-Agonist, die erste Substanz einer neuen Klasse von Immunmodulatoren. Fingolimod ist ein Strukturanalagon von Myriocin, einem Metaboliten des Pilzes Isaria sinclairii, welcher immunsuppressive Eigen-
schaften besitzt (6). Fingolimod wird als Vorstufe oral eingenommen und im Organismus durch die SphingosinKinase zu Fingolimodphosphat aktiviert (7). Fingolimodphosphat bindet an den S1P-Rezeptor und wird zellulär internalisiert. Der S1P-Rezeptor steht dann für die Lymphozytenbindung nicht mehr zur Verfügung. Lymphozyten verwenden diesen Rezeptor zum Auswandern aus sekundär lymphatischen Organen. Fingolimod bewirkt damit eine Leukozytensequestrierung im lymphatischen Gewebe («Lymphozyten-Homing»). Die Folge ist ein Absinken der Lymphozytenkonzentrationen im Blut und konsekutiv damit wohl auch im ZNS. Fingolimod bewirkt keine generelle Immunsuppression. Die Lymphozyten werden in ihrer Funktion durch die Substanz nicht beeinträchtigt (8). Bei experimenteller autoimmuner Enzephalomyelitis (EAE) – einem Mausmodell der MS – konnte Fingolimod das Auftreten der MS verhindern und bestehende neurologische Defizite reduzieren (9–11).
Wirksamkeit Kappos et al. (12) untersuchten die Wirksamkeit von Fingolimod in einer doppelblinden, randomisierten, plazebokontrollierten Phase-II-Studie bei 281 Patienten mit aktiver schubförmig verlaufender und sekundär chronisch progredienter MS. Die Teilnehmer erhielten entweder 1,25 mg oder 5 mg Fingolimod einmal täglich oder Plazebo für 6 Monate. Am Ende der Studie war die Gesamtzahl der KM-aufnehmenden Läsionen in beiden Verumgruppen signifikant geringer im Vergleich zu Plazebo. Die Schubrate konnte durch Fingolimod um rund 50 Prozent reduziert werden. In der Nachbeobachtungsphase hielt der Behandlungseffekt der von Beginn an mit Verum behandelten Patienten über 2 Jahre an (13). Im Dezember 2008 wurden als Pressemitteilung von Novartis Daten aus der TRANSFORMS-Studie veröffentlicht. Die TRANSFORMS-Studie ist eine doppelblinde, randomisierte Phase-III-Vergleichsstudie von Fingolimod (1,25 mg
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und 0,5 mg) mit Interferon-beta 1a intramuskulär 1×/Woche (Avonex®) über 12 Monate. In diese Studie wurden von Mai 2006 bis September 2008 insgesamt 1292 Patienten eingeschlossen. Fingolimod konnte die jährliche Schubrate im Vergleich zu Interferonbeta 1a i.m. um 52 Prozent reduzieren, ohne signifikanten Unterschied zwischen den beiden Fingolimoddosen. Fingolimod wurde im Allgemeinen gut vertragen. 87 Prozent der eingeschlossenen Patienten beendeten die Studie. Die Ergebnisse der Zwei-Jahres-Phase-III-Studie werden Anfang 2010 erwartet.
Nebenwirkungen Sowohl in Phase II als auch in Phase III traten dosisabhängig Nebenwirkungen auf. Die häufigsten Nebenwirkungen in der Phase-II-Studie waren banale Erkältungen, Sinusitiden, Dyspnoe, milde Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall. Die Lymphozytenkonzentration fiel in beiden Verumgruppen zirka 20 bis 30 Prozent ab. Bei etwa 10 bis 12 Prozent der mit Fingolimod behandelten Patienten kam es zu einer signifikanten Leberwerterhöhung. Makulaödeme wie in den Studien bei Organtransplanten (14) wurden in der Phase-II-Studie bei MSPatienten nicht beobachtet, wohl aber in der Phase-III-Studie (weniger als 1% der Patienten der Fingolimodgruppe). In den Studien traten schwere unerwünschte Ereignisse in Form von transienten Bradykardien zu Beginn der Behandlung, leichte Blutdruckerhöhungen und Leberwerterhöhungen auf. Die kardiovaskulären Nebenwirkungen werden auf die Wirkung auf S1P-Rezeptoren im kardiovaskulären System zurückgeführt. In TRANSFORMS traten 7 lokalisierte Hauttumoren auf (4 Basalzellkarzinome und 3 Melanome), während in der Interferon-beta-1a-Gruppe 1 Plattenepithelkarzinom auftrat. In der Gruppe der Patienten mit der höheren Fingolimoddosis (1,25 mg) traten 2 tödliche Herpesinfektionen auf. Insgesamt war die niedrigere Fingolimoddosierung (0,5 mg) erneut besser verträglich.
Bewertung Die bisherigen Wirksamkeitsdaten sind eindrucksvoll. Das Sicherheitsprofil ist in der Praxis nicht unproblematisch und das Monitoring umfangreich. Unter Berücksichtigung der bisherigen Todesfälle scheint ein primärer Einsatz in der Basistherapie fraglich, während Fingolimod möglicherweise bei aktiven Verläufen oder als Zweitlinientherapie eher seinen Platz finden kann.
Teriflunomid
Wirkmechanismus Teriflunomid (Hersteller: Sanofi Aventis) gehört zur Gruppe der Malonitrilamiden und ist der aktive Metabolit von Leflunomid. Leflunomid ist als krankheitsmodifizierende Substanz in den USA und Europa bereits bei rheumatoider Arthritis zugelassen. Teriflunomid wirkt antiinflammatorisch und antiproliferativ. Es hemmt die Dihydroorotat-Dehydrogenase und damit die De-novo-Synthese von Pyrimidinen. Der relative Mangel an Pyrimidinen wirkt auf die Proliferation von Lymphozyten zytostatisch. Hämatopoetische Stammzellen bleiben von dieser antiproliferativen Wirkung weitestgehend unbeeinflusst. Neben dieser Wirkung werden Teriflunomid andere immunmodulatorische Effekte in vitro und in vivo zugesprochen. Teriflunomid hemmt im Tierversuch beispielsweise die Produktion von Tumor-Nekrose-Faktor Alpha und Interleukin-2.
Wirksamkeit Auf der Basis von Resultaten aus Tierversuchen wurde eine randomisierte, doppelblinde plazebokontrollierte Phase-II-Studie (15) initiiert, deren Ergebnisse in 2006 publiziert wurden. 157 Patienten mit schubförmiger und 22 Patienten mit sekundär chronisch progredienter MS erhielten entweder Plazebo oder 7 mg oder 14 mg Teriflunomid, jeweils einmal täglich per os über 36 Wochen. Von 179 eingeschlossenen Patienten beendeten 160 Patienten die Behandlungsphase. Teriflunomid reduzierte die Anzahl von
neuen und persistierenden KM-aufnehmenden Läsionen und T2-Läsionen signifikant um 60 Prozent.
Nebenwirkungen Die Tolerabilität ist allgemein gut. Wie bei den anderen neuen oralen Substanzen gab es auch bei Teriflunomid dosisabhängige Nebenwirkungen. Folgende unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten in der Verumgruppe signifikant häufiger auf: Nasopharyngitis, Alopezia, Übelkeit, Leberwerterhöhungen, Parästhesien, Durchfall, Gelenkschmerzen und Neutropenie. Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten bei zirka 12 Prozent der Patienten auf, einschliesslich Leberfunktionsstörungen und Neutropenie. Im Tierversuch ist Leflunomid teratogen, daher ist strenge Kontrazeption nötig und bei Schwangerschaftswunsch eine Auswaschung mit zum Beispiel Cholestyramin.
Aussichten Im September 2004 begann die erste Teriflunomid-Phase-III-Studie in 115 Zentren und 20 Ländern (n = 1080). Die Rekrutierung wurde Ende 2007 abgeschlossen, mit ersten Ergebnissen ist 2010 zu rechnen. Daneben laufen Studien bei klinisch isoliertem Syndrom und einer Kombinationstherapie aus Teriflunomid und Glatirameracetat beziehungsweise Interferon-beta.
Bewertung Das Sicherheitsprofil von Teriflunomid scheint relativ günstig, und die Verträglichkeit ist im Allgemeinen gut. Bei Wirksamkeitsnachweis in der Phase III könnte Teriflunomid die Basistherapie erweitern, gegebenenfalls sogar in der Kombinationstherapie. Problematisch ist die lange Halbwertszeit insbesondere bei Kinderwunsch.
Laquinimod
Wirkmechanismus Laquinimod (N-ethyl-N-phenyl-5-chloro-1,2-dihydro-4-hydroxy-1-methyl-2oxo-3-quinoline-carboxamide; Hersteller: TEVA) ist eine Weiterentwicklung
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des Wirkstoffes Linomid, das bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen einschliesslich MS wirksam war. Die Phase-II- und -III-Studien bei MS waren vielversprechend. Linomid konnte die Zahl aktiver MRI-Läsionen signifikant reduzieren. Die Phase-IIIStudie von Linomid musste aber aufgrund überzufällig häufig auftretender Serositiden und Myokardinfarkte in der Verumgruppe abgebrochen werden (16). Mit der Weiterentwicklung Laquinimod sind nicht nur Hoffnungen auf bessere Verträglichkeit, sondern auch auf bessere Wirksamkeit verknüpft. Im Tiermodell ist Laquinimod deutlich wirksamer als seine Vorläufersubstanz Linomid. Laquinimod wirkt immunmodulatorisch, indem es das Gleichgewicht der Zytokine in Richtung T-Helferzell-2Antwort lenkt.
Wirksamkeit Polman et al. (17) untersuchten Laquinimod in zwei verschiedenen Dosierungen (0,1 und 0,3 mg/Tag) in einer 24-wöchigen multizentrischen, doppelblinden, plazebokonrollierten, randomisierten Studie bei 180 Patienten mit schubförmiger und sekundär chronisch progredienter MS. Laquinimod in einer Dosierung von 0,3 mg/ Tag konnte die mittlere kumulative Anzahl von aktiven MRI-Läsionen um 44 Prozent reduzieren. Diese Untersuchungsergebnisse konnte in einer zweiten Phase-II-Studie von Comi und Mitarbeitern mit 306 MS-Patienten nicht bestätigt werden (18). Nicht die 0,3-mg/Tag-Dosis, sondern nur die 0,6-mg/Tag-Dosis konnte in dieser doppelblind plazebokontrollierten, multizentrischen Studie die angepasste kumulative Anzahl von KM-aufnehmenden Läsionen um zirka 40 Prozent signifikant senken. Interessanterweise konnte auch die kumulative Anzahl von neuen T1-hypointensen Läsionen, die als objektive Marker für axonalen Verlust gelten, um zirka 50 Prozent signifikant reduziert werden, was für einen neuroprotektiven Effekt der Substanz sprechen könnte.
Nebenwirkungen Laquinimod wurde in den Phase-IIStudien gut vertragen. Unerwünschte Nebenwirkungen wie Entzündungen oder Gewebsinflammationen wurden nicht häufiger beobachtet als bei Plazebo. Die häufigsten Nebenwirkungen von Laquinimod waren Husten, Dyspnoe, Herpes-zoster-Infektionen, Leberwerterhöhungen, Hyperfibrinogenämie sowie Einzelfälle von Harnwegsinfekten, Iritis, Tonsillitis und Brustkrebs. 1 Patient in der 0,6 mg/Tag-Laquinimod-Gruppe entwickelte in der Studie von Comi et al. mutmasslich auf dem Boden eines heterozygoten Faktor-VLeidens einen thrombotischen Lebervenenverschluss im Sinne eines Budd-Chiari-Syndroms. Nach Unterbrechung der Studienmedikation und Antikoagulation erholte sich die Leberfunktion bei diesem Patienten komplett. Myokardinfarkte oder Serositiden wie bei der Vorgängersubstanz traten nicht auf.
Aussicht Laquinimod wird derzeit in einer Phase-III-Studie getestet. Erste Ergebnisse sind 2010 zu erwarten.
Bewertung Das Sicherheitsprofil von Laquinimod ist relativ günstig und die Verträglichkeit gut. Sollte die Wirksamkeit sich in der Phase III zeigen, wäre diese Substanz eine interessante Option in der Basistherapie.
Fumarsäureester
Wirkmechanismus Fumarsäure ist ein oraler Immunmodulator, welcher bei Psoriasis, einer Hauterkrankung, die wie die MS T-Zellvermittelt ist, zugelassen ist. Eine besser verträgliche Form (Fumarsäureester, BG00012; Hersteller: Biogen Idec) befindet sich derzeit in der klinischen Prüfung bei MS. Der Wirkmechanismus von BG00012 ist nicht endgültig geklärt. Fumarsäure scheint in den zellulären Abwehrmechanismus gegen oxidativen Stress einzugreifen, anti-inflammatorische und «neuro-
protektive» Eigenschaften im Tierexperiment zu haben.
Wirksamkeit Erste Hinweise auf die Wirksamkeit bei MS lieferte eine kleine, offene Pilotstudie mit 10 MS-Patienten und schubförmigem Verlauf (19). In dieser Studie wurde noch das in Deutschland zugelassene Psoriasistherapeutikum Fumaderm® (besteht aus einem Gemisch aus Dimethylfumarat und Methylhydrogenfumarat) verwendet. Man konnte nach 18 Wochen Behandlung sowohl eine Schubratenreduktion als auch eine Reduktion des Volumens KM-aufnehmender Läsionen nachweisen. Basierend auf den Ergebnissen dieser Pilotstudie untersuchten Kappos et al. die Wirksamkeit und Sicherheit von BG00012, welches nur Dimethylfumarsäureester enthält, in einer doppelblinden, randomisierten, plazebokontrollierten Phase-II-Studie bei 257 Patienten mit schubförmig verlaufender MS (20). Diese Weiterentwicklung des Präparats sollte in erster Linie die Verträglichkeit der Substanz verbessern. Die Patienten erhielten entweder Plazebo oder 120, 360 oder 720 mg/Tag BG00012 für 24 Wochen. Am Ende der Studie wiesen die Patienten aus der Verumgruppe mit der höchsten Dosis von BG00012 (720 mg/ Tag) 69 Prozent weniger KM-aufnehmende Läsionen und 48 Prozent weniger neue oder sich vergrössernde T2Läsionen auf als die Patienten der Plazebogruppe.
Nebenwirkungen Ungefähr 13 Prozent aller Patienten der Hochdosis-Verumgruppe brachen die Phase-II-Studie ab. Die am häufigsten beklagten Nebenwirkungen waren anfallsartige Rötungen des Gesichtes (Flush) und gastrointestinale Beschwerden. Die Infektionsraten zwischen Plazebogruppe und den Verumgruppen unterschieden sich nicht signifikant.
Ausblick Zurzeit laufen zwei grosse Phase-IIIStudien (DEFINE und CONFIRM) mit
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jeweils mehr als 1000 Patienten. Die Rekrutierung wird Anfang 2009 beendet, Ergebnisse werden etwa 2011 vorliegen.
Bewertung Das Sicherheitsprofil von BG00012 ist günstig und die Verträglichkeit bis auf gelegentlich therapielimitierende gastrointestinale Nebenwirkungen gut. Sollte die Phase-III-Studie die Wirksamkeit der Substanz bestätigen, wäre BG00012 eine interessante Option in der Basistherapie und würde sich gegebenenfalls auch zur Kombinationstherapie eignen.
Firategrast
Wirkmechanismus Firategrast ist eine gegen Alpha4-Integrin gerichtete, oral verfügbare neue Substanz. Es hat damit den gleichen Angriffspunkt wie der i.v. monoklonale Antikörper Natalizumab (Tysabri®). Die Blockade von Alpha4Integrin hemmt die Einwanderung von Leukozyten in das ZNS und kann so die Inflammation abschwächen. Anders als Natalizumab ist Firategrast ein «small molecule» mit kurzer Halbwertzeit, was möglicherweise hinsichtlich Nebenwirkungen (opportunistische Infektionen) günstig ist.
Wirksamkeit Die TIME-Studie ist eine Phase-II-Studie zur Prüfung der Wirksamkeit von Firategrast bei MS. Die Studie dauert 6 Monate und schliesst eine Nachbeobachtungsphase von weiteren 6 Monaten ein. Erste Ergebnisse sind erst 2010 zu erwarten.
Schlussfolgerungen
Neue, orale Substanzen können das Spektrum der Therapie der schubförmigen MS ergänzen und Probleme der partiellen Wirksamkeit und des parenteralen Applikationsmodus der gegenwärtigen Basistherapie möglicherweise immerhin teilweise lösen. Solange keine Daten der Zulassungsstudien vorliegen, ist eine endgültige Bewertung aber pure Spekulation. Einzig Fingolimod (FTY) hat in der
Phase-III-Vergleichsstudie gegen In-
terferon-beta 1a i.m. bereits angedeu-
tet, welches Potenzial diese orale The-
rapie haben kann. Bereits jetzt wird
deutlich, dass potentere Substanzen
aber auch schwerwiegende Neben-
wirkungen haben können, sodass sich
die neue Generation der MS-Therapie
nun in einem Spannungsfeld aus Wirk-
samkeit, Verträglichkeit und Sicher-
heit sowie Patientenfreundlichkeit
beweisen muss.
◆
Korrespondenzadresse: Dr. med. Özgür Yaldizli Kantonsspital St. Gallen
Klinik für Neurologie Rorschacherstrasse 95
9007 St. Gallen
Die Publikation entstand ohne Sponsoring oder Einflussnahme durch die pharmazeutische Industrie.
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