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Titel
Sind Schwerkranke tatsächlich schwieriger zufriedenzustellen?
Untertitel
Ergebnisse einer Untersuchung an hospitalisierten Patienten der psychiatrischen Klinik MeissenbergERNST HERMANN, RUTH HÄUSLER, ELIAN HÜRLIMANN, WALTER LANG, ROLAND VAUTH
Lead
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Diskussion zum Thema «Patientenzufriedenheit» zu führen. Dabei soll nicht einzig auf die Zufriedenheit abgestellt werden, sondern es soll versucht werden, die Zufriedenheit im Kontext der Schwere der Erkrankung zu interpretieren.
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-
Rubrik
Fortbildung
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15043
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Fortbildung

Sind Schwerkranke tatsächlich schwieriger zufriedenzustellen?
Ergebnisse einer Untersuchung an hospitalisierten Patienten der psychiatrischen Klinik Meissenberg
Ernst Hermann, Ruth Häusler, Elian Hürlimann, Walter Lang, Roland Vauth

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Diskussion zum Thema «Patientenzufriedenheit» zu führen. Dabei soll nicht einzig auf die Zufriedenheit abge-

taldirektor, dass Schwerkranke unzufriedener sind als weniger schwer Kranke (TA vom 8. August 2007). Er führte weiter aus, dass schwer kranke Menschen grundsätzlich unzufriedener seien. Diese Interpretation von Daten stammt aus dem somatischen Bereich. Keine Hitparaden, ergo auch keine Ranglisten und Interpretationen gibt es zurzeit von psychiatrischen Kliniken.

stellt werden, sondern es soll versucht
werden, die Zufriedenheit im Kontext
der Schwere der Erkrankung zu inter-
pretieren.
Einleitung
S pätestens seit www.comparis.ch die Patientenzufriedenheit ins Internet gestellt hat, wird über diesen Teilaspekt von Behandlungen auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Teilaspekt deshalb, weil Zufriedenheit mit der Behandlung zwar wichtig ist, jedoch aus fachlicher Sicht eine gute (und allenfalls sogar erfolgreiche) Behandlung gegenüber zufriedenen Patienten Priorität eingeräumt werden sollte. Die Schwierigkeit besteht darin, dass für Patienten fachliche Aspekte häufig nicht direkt abzuschätzen sind, sodass die Zufriedenheit, welche zum wesentlichen Teil auf «weichen Faktoren» gründet, im Vordergrund steht. Allerdings beinhaltet eine gute Patientenzufriedenheit in der Regel auch das Gefühl der Patienten, in Entscheidungsprozessen, die im Behandlungsgeschehen erfolgen, angemessen Berücksichtigung gefunden zu haben. Die Veröffentlichung von «Hitparaden» durch Institutionen, die die Patienten befragen, ob sie zufrieden oder eben unzufrieden sind, hat zur Folge, dass sich vor allem diejenigen kritisch zu Wort melden, die in diesen «Zufriedenheitshitparaden» auf den hinteren Rängen figurieren. So geschehen im Kanton Zürich, wo ein Stadtspital die schlechteste Note im ganzen Kanton erhielt. In einem Interview äusserte sich der verantwortliche Spi-

Material und Methodik
Die Stichprobe umfasst Patientinnen und Patienten, welche in den Jahren 2006 bis 2007 in der psychiatrischen Klinik Meissenberg hospitalisiert worden sind. Die Daten in Abbildung 1 bilden den Längsschnitt der Gesamtzufriedenheit aller Patienten der psychiatrischen Klinik Meissenberg der Jahre 2003 bis 2006 ab. Insgesamt gingen 149 Patienten im Jahr 2006 in die statistische Analyse ein (Tabelle 1–6). Die verwendeten Messinstrumente sind durchwegs international anerkannte und gebräuchliche Verfahren zur Erhebung von Krankheitssymptomen. Dabei wurden sowohl Selbstbeurteilungs- als auch Fremdbeurteilungsvariablen erhoben. Selbstbeurteilungsinstrumente ergeben bezüglich Krankheitssymptomen einen eher konservativeren Therapieeffekt als die Fremdbeurteilung. Dies ist bei depressiven Erkrankungen zum Beispiel darauf zurückzuführen, dass Variablen wie Antrieb, Mimik und andere, welche auch Teil der Depression sein können, bei der Selbstbeurteilung nicht gleichermassen ins Gewicht fallen wie zum Beispiel das Befinden im engeren Sinne.
Untersuchungsergebnisse
Qualitative Aspekte: Muss der Sozialarbeiter entlassen werden? Abbildung 1 zeigt die Zufriedenheit der Patienten im Vier-Jahres-Verlauf. Erkennbar ist, dass für verschiedene Abteilungen (1–5) die Zufriedenheit variiert, jedoch auch, letztmals dargelegt 2006, dass sich eine Verbesserungstendenz nach oben erkennen lässt und sich die Zufriedenheit verhältnismässig homogen im obersten Quartil ansiedelt. Ausser dieser eher pauschalen Zufriedenheit werden mit einer Vielzahl von Variablen auch einzelne Aspekte erfragt, so zum Beispiel Zufrie-

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Psychiatrie 3•2008

Fortbildung

Abbildung 1

Tabelle 1:
Korrelation von Gesamtzufriedenheit bei Austritt mit den Variablen bei Eintritt

rp

State-Variablen: BDI STAI-State

–0,22 0,05 –0,30 0,001

Trait-Variablen:

STAI-Trait PSSI
zurückhaltend-schizoid ahnungsvoll-schizotypisch hilfsbereit-selbstlos

–0,20 0,05

–0,27 –0,21 –0,22

0,01 0,05 0,05

Fremdbeurteilung: NOSIE soziale Anpassungsfähigkeit Retardierung

+0,23 –0,23

0,01 0,01

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Abbildung 2
Abbildung 3
denheit mit Behandlungsführenden, mit der Pflege und auch mit den Sozialarbeitern. Abbildung 2 zeigt beispielhaft den Verlauf der Zufriedenheit mit dem Sozialarbeiter. Hier wird deutlich, dass auf Abteilung 4 die Zufriedenheit mit dem Sozialarbeiter ausserordentlich tief ausfällt. Von daher wäre zu fragen, ob allenfalls dieser Sozialarbeiter schlechte Arbeit verrichtet. Spätestens dann, wenn Abbildung 3 betrachtet wird, tauchen neue Fragen auf: Abbildung 3 zeigt die Zufriedenheit mit den Essenszeiten. Auch hier ist festzustellen, dass die gleiche Abteilung, welche mit dem Sozialarbeiter unzufrieden war, auch mit den Essenszeiten unzufrieden ist. Hier lohnt es sich, nochmals einen Blick auf die Abteilungsstruktur zu werfen. Bei dieser zur Debatte stehenden Abteilung 4 handelt es sich nicht, wie man vielleicht meinen könnte, um Privatpatienten. Es handelt sich hier um verhältnismässig

junge Patienten aus der Borderline-Abteilung: Diese zeigen sich besonders unzufrieden, sowohl mit der Arbeit des Sozialarbeiters wie auch mit den Essenszeiten. Diese Datenlage wirft die Frage auf, ob es sich nun eher um schlechte Arbeit des Sozialarbeiters handelt oder ob es sich um etwas handelt, das eher aus der Psychopathologie der Betroffenen heraus verstanden werden kann. Da die Essenszeit für alle Patienten die gleiche ist, alle im gleichen Speisesaal das gleiche Menü erhalten, ist es vorerst naheliegend, diesen Abteilungseffekt weniger auf das Merkmal zurückzuführen, das beurteilt wurde (Sozialarbeiter), sondern eher auf die spezifische Psychopathologie der Beurteilenden. Zusätzlich validiert wird diese Aussage, wenn in Betracht gezogen wird, dass auch auf Abteilung 1 der gleiche Sozialarbeiter tätig ist wie auf Abteilung 4. An dieser Stelle lässt sich fragen, ob denn tatsächlich die Zufriedenheit mit einzelnen Aspekten des Krankenhausaufenthalts ausschliesslich von der Psychopathologie determiniert wird. Diesem Punkt soll im nächsten Abschnitt mit quantitativen Methoden nachgegangen werden.
Quantitative Analyse: Die Realität ist komplexer Tabelle 1 zeigt aus der Vielzahl von Korrelationen, die errechnet wurden, die signifikanten Ergebnisse zwischen Eintrittspsychopathologie und Gesamtzufriedenheit bei Austritt. Es handelt sich hier somit um den Versuch, eine Art «Frühwarnsystem», das heisst eine frühe Prognose von Zufriedenheitsmassen aufgrund der Eintrittspsychopathologie zu entwerfen. Ein Blick auf Tabelle 1 zeigt, dass insgesamt die Korrelationen relativ schwach ausfallen, eine Varianzaufklärung von maximal 7 bis 8 Prozent auf der Ebene der Einzelvariablen möglich ist. Von daher können diese signifikanten Ergebnisse allenfalls als Trend verstanden werden, sie müssen in einer multiva-

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Fortbildung

Tabelle 2:
Korrelation von Gesamtzufriedenheit bei Austritt mit den Variablen bei Austritt

rp

State-Variablen:

BDI –0,29

STAI-State

–0,32

SCL-R-90

allgemeine Belastung

–0,35

Zwanghaftigkeit

–0,34

Unsicherheit im Sozialverhalten –0,25

Depressivität

–0,43

Ängstlichkeit

–0,31

Aggressivität

–0,31

phobische Angst

–0,35

Psychotizismus

–0,30

0,001 0,001
0,001 0,001 0,01 0,001 0,01 0,01 0,001 0,01

Trait-Variablen:

STAI-Trait PSSI
zurückhaltend-schizoid hilfsbereit-selbstlos spontan-borderline selbstkritisch-selbstunsicher loyal-abhängig still-depressiv kritisch-negativistisch

–0,36
–0,28 –0,30 –0,21 –0,22 –0,22 –0,33 –0,21

0,001
0,01 0,01 0,05 0,05 0,05 0,001 0,05

Fremdbeurteilung: NOSIE manifeste Psychose

–0,19 0,05

Tabelle 3:
Korrelation von Behandlungsergebnis (i.S. von Verbesserung resp. Differenzwerten) und Gesamtzufriedenheit

rp

State-Variablen:

SCL-R-90

allgemeine Belastung

+0,32

Somatisierung

+0,35

Unsicherheit im Sozialverhalten +0,21

Depressivität

+0,31

Ängstlichkeit

+0,26

phobische Angst

+0,34

Psychotizismus

+0,22

0,01 0,001 0,05 0,01 0,01 0,001 0,05

Trait-Variablen:

PSSI spontan-borderline selbstkritisch-selbstunsicher still-depressiv

+0,25 +0,26 +0,27

0,05 0,01 0,01

Fremdbeurteilung: NOSIE soziale Anpassungsfähigkeit Retardierung

+0,24 0,01 –0,20 0,05

riaten Statistik genauer analysiert werden. Ein erkennbarer Trend wäre in dem Moment, dass je ängstlicher und depressiver jemand zu Beginn ist, umso eher er am Schluss

Tabelle 4: Multivariate Analyse der Eintrittsvariablen

Beta p

Prädiktorvariablen: BDI STAI-State STAI-Trait PSSI zurückhaltend-schizoid ahnungsvoll-schizotypisch hilfsbereit-selbstlos

+0,10 –0,33 +0,13

n. s. 0,03 n. s.

–0,16 –0,08 –0,13

n. s. n. s. n. s.

NOSIE soziale Anpassungsfähigkeit Retardierung

+0,12 –0,07

n. s. n. s.

Multiples R:

0,429

R2: 0,184

Signifikanz: p ≤ 0,03

unzufrieden ist; je zurückhaltender jemand bei Eintritt ist, jedoch auch je hilfsbereiter und selbstloser, umso schwieriger wird es sein, am Schluss einen hohen Zufriedenheitswert zu erhalten. Und schliesslich die Fremdbeurteilung: Je grösser die soziale Anpassungsfähigkeit, umso grösser die Zufriedenheit, je mehr jemand retardiert und sich zurückzieht, umso geringer die Zufriedenheit. Während einige Korrelationen auf den ersten Blick sehr einleuchtend und plausibel erscheinen mögen, so fällt doch auf, dass die Trait-Variablen eine sorgfältige Beachtung verdienen. Alle drei signifikant resultierenden Variablen fallen nicht durch lärmigextrovertiertes Verhalten auf, vielmehr sind es Patienten, welche zurückgezogen sind, kaum klagen, sich für andere einsetzen, welche am Schluss tendenziell durch weniger Zufriedenheit imponieren. Die Situation bei Austritt (Tabelle 2) ergibt mehr signifikante Ergebnisse auf der Ebene der Einzelkorrelationen. Vor allem imponieren viele State-Variablen als statistisch signifikant. Der Variablen Depressivität scheint in diesen Einzelkorrelationen eine hohe Bedeutung zuzukommen. Bei den Trait-Variablen ist erneut zurückhaltendschizoid und auch hilfsbereit-selbstlos, jedoch auch stilldepressiv als Trait negativ korreliert mit Zufriedenheit. Dies sind Patientinnen, von denen man sonst davon ausgehen würde, sie wären zufrieden, weil sie eben wenig klagen. Unsere Analyse lässt das Gegenteil vermuten. Nicht klagen heisst nicht, dass die Patientinnen zufrieden sind. In Tabelle 3 wird der Frage nachgegangen, ob in den Differenzwerten, den Behandlungsergebnissen also, Erklärungswert liegt. Erneut zeigt sich, dass verschiedene relevante Korrelationen resultieren, insgesamt jedoch sind es kaum mehr als im Kontext der Eintritts- oder

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Fortbildung

Tabelle 5: Multivariate Analyse von Austrittswerten

Beta p

Prädiktorvariablen:

State-Variablen: BDI

–0,15

STAI-State

–0.12

SCL-R-90:allgemeine Belastung +0,20

Zwanghaftigkeit

+0,11

Unsicherheit im

+0,04

Sozialverhalten

Depressivität

–0,58

Ängstlichkeit Aggressivität phobische Angst Psychotizismus

–0,01 –0,03 –0,19 +0,07

n. s. n. s. n. s. n. s. n. s.
n. s. (0,06) n. s. n. s. n. s. n. s.

Trait-Variablen:

STAI-Trait

–0,01

PSSI : zurückhaltend-schizoid –0,13

spontan-borderline +0,13

selbstkritisch-

+0,17

selbstunsicher

loyal-abhängig

–0,08

still-depressiv

–0,06

hilfsbereit-selbstlos –0,17

kritisch-negativistisch +0,24

n. s. n. s. n. s. n. s.
n. s. n. s. n. s. n. s.

Fremdbeurteilung: NOSIE: manifeste Psychose –0,05 n. s.

Multiples R:

0,568

R2: 0,32

Signifikanz: p ≤ 0,57 (n. s.)

Austrittsvariablen. Hingegen zeigt sich, dass je grösser die Reduktion zum Beispiel von allgemeiner Belastung, phobischer Angst oder Depressivität ist, umso grösser auch die Zufriedenheit ist. Je besser jemandem eine Stabilisierung gelingt, umso grösser ist die Reduktion bezüglich Selbstunsicherheit sowie still-depressiven Rückzugs und umso grösser ist die Zufriedenheit. Und letztlich: Je mehr die soziale Anpassungsfähigkeit verbessert werden konnte, umso grösser ist die Zufriedenheit. Erneut zeigt sich, dass dem Therapieergebnis mindestens so starke Bedeutung zukommt wie der Psychopathologie, sei es beim Ein- oder Austritt.

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Multivariate Analyse: Die Schwere der Erkrankung ist kein Entschuldigungsgrund bei Unzufriedenheit In Tabelle 4 wird das Ergebnis einer multivariaten Analyse vorgenommen. Dabei werden alle signifikanten Variablen in einem Design miteinander verrechnet. Der Vorteil ist, dass hier auch eine Berücksichtigung der Ko-

varianz erfolgt, die zwischen den einzelnen Variablen vorliegt. Alle Variablen aus Tabelle 1 zusammen erklären insgesamt knapp 18,4 Prozent der Gesamtvarianz der Zufriedenheit. Diesem Wert liegt eine multiple Korrelation von 0,429 zugrunde. Am stärksten ist die Varianzaufklärung bei der Variablen «Ängstlichkeit situativ» bei Eintritt. Je höher dieser Wert ist, umso tiefer resultiert die Gesamtzufriedenheit. Es handelt sich hierbei auch um den einzigen signifikanten Einzelbeitrag einer Variablen. Alle anderen leisten eine zusätzliche Varianzaufklärung, jedoch ist es diese Variable, die für die multiple Varianzaufklärung von zentraler Bedeutung ist. Tabelle 5 zeigt die multivariate Analyse der Austrittswerte. Nur eine einzige Variable, nämlich die SCL-R-90Variable Depressivität, zeigt eine substanzielle Varianzaufklärung als Einzelvariable. Allerdings ist sie auf der Ebene des Einzelbeitrags noch nicht signifikant. Alle Variablen zusammen ergeben ein multiples R von 0,568. Dies entspricht einem R2 von 0,32, somit einer Varianzaufklärung von 32 Prozent. Dieses Ergebnis ist knapp nicht signifikant. Es zeigt sich jedoch, dass offensichtlich das Austrittsergebnis insgesamt stärker zur Zufriedenheit beiträgt als die Eintrittsvariablen. Hier wiederum, inhaltlich nicht ganz überraschend, die Variable Depressivität, das heisst je tiefer die Depressivität bei Austritt, umso höher die Zufriedenheit. Tabelle 6 zeigt die multivariate Analyse der Differenzwerte. Hier zeigt sich, dass keine einzelne Variable einen signifikanten Beitrag zur Varianzaufklärung leisten kann. Allenfalls ist es der SCL-R-90-Wert allgemeine Belastung sowie die soziale Anpassungsfähigkeit in der Fremdbeurteilung, welche positiv mit der Gesamtzufriedenheit zusammenhängen. Je höher diese Werte sind, umso höher ist die Gesamtzufriedenheit. Es resultieren ein multiples R von 0,452 und eine Varianzaufklärung von exakt 20 Prozent. Allerdings ist diese multiple Korrelation nicht statistisch signifikant.
Diskussion
Diese Arbeit versuchte der Frage nachzugehen, inwieweit im psychischen Bereich die Zufriedenheit mit der Behandlung mit der Psychopathologie der Patienten zusammenhängt. Dahinter ist die Frage verborgen, ob bei der psychischen Gesundheit Ähnliches festzustellen ist, wie für den körperlichen Bereich postuliert wird, dass nämlich die Gesamtzufriedenheit massgeblich durch die Schwere der Erkrankung determiniert wird. Vorerst wurde versucht zu differenzieren, wie denn die Schwere der Erkrankung überhaupt zu definieren ist: Handelt es sich um die Schwere der Erkrankung bei Eintritt, bei Austritt oder aber wird Schwere definiert als «nicht ergiebige Behandlung»? Was die Situation bei Eintritt anbelangt, so konnte festgestellt werden, dass insgesamt der Psychopathologie bei Eintritt ein gewisser

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Tabelle 6: Multivariate Analyse von Differenzwerten

Beta p

Prädiktorvariablen:

SCL-R-90

allgemeine Belastung

+0,17

Somatisierung

–0,09

Unsicherheit im

–0,09

Sozialverhalten

Depressivität

+0,03

Ängstlichkeit

+0,11

phobische Angst

+0,10

Psychotizismus

+0,00

PSSI

spontan-borderline

–0,01

selbstkritisch-selbstunsicher +0,12

still-depressiv

+0,12

NOSIE

soziale Anpassungsfähigkeit +0,19

Retardierung

+0,00

n. s. n. s. n. s.
n. s. n. s. n. s. n. s.
n. s. n. s. n. s.
n. s. n. s.

Multiples R:

0,452

R2: 0,20

Signifikanz: p ≤ 0,18 (n. s.)

tieren. Dass dies gerade bei Patienten mit schizoiden und

hilfsbereit-selbstlosen Zügen schwierig zu erreichen ist,

scheint evident. Schwierig ist es also, bei Patientinnen,

die als «pflegeleicht» imponieren und deren Bedürfnisse

gar nicht deutlich artikuliert werden, Zufriedenheit zu

bewirken. Deren «Pflegeleichtigkeit» ist unbedingt als

Teil ihrer Erkrankung, an der sie leiden, wahrzuneh-

men!

In Bezug auf die eingangs postulierte Fragestellung, ob

nämlich die Zufriedenheit mit der Schwere der Erkran-

kung assoziiert ist, lässt sich für den Bereich der psychi-

schen Erkrankungen feststellen, dass die Aussage in die-

ser pauschalen Form wohl verworfen werden muss.

Teilaspekte der Psychopathologie sind zweifelsohne für

die Zufriedenheit mitverantwortlich, jedoch liegt der

grössere Teil der Varianzaufklärung nicht in den vorste-

hend referierten, psychopathologisch relevanten Kenn-

zahlen begründet. Die Aussage, die Schwere der Er-

krankung für schlechte Zufriedenheit der Patienten ver-

antwortlich zu machen, dürfte so zu kurz greifen und die

Realität nicht angemessen abbilden.

Erklärungswert zukommt, indem zirka 18 Prozent der Varianz der Zufriedenheit durch die Eintrittspsychopathologie erklärt werden kann. Von hohem Prädiktorwert erwies sich vor allem die hohe Ängstlichkeit bei Eintritt. Je ängstlicher jemand in der Eintrittsuntersuchung war, desto tiefer resultierte tendenziell die Zufriedenheit mit der Behandlung. Substanziell tragen die Austrittswerte zur Gesamtzufriedenheit bei. Für alle Variablen, die im Kontext des Austritts erhoben worden sind, resultierte ein multiples R von 0,47, eine Varianzaufklärung von 32 Prozent. Und dort wiederum fällt auf, dass je kranker jemand ist, umso weniger Zufriedenheit erreicht werden kann. Dabei zeigt sich, dass vor allem die Depressivität bei Austritt massgeblich mit der Unzufriedenheit zusammenhängt. Allerdings erwies sich auch das Behandlungsergebnis i.S. der Differenz zwischen Eintritt und Austritt als bedeutsam. Hier konnte festgestellt werden, dass zwar keiner Einzelvariablen insgesamt eine dominante Prädiktorwirkung zukommt, insgesamt haben jedoch die in der Einzelanalyse signifikant resultierenden Variablen eine Varianzaufklärung von 20 Prozent der Zufriedenheit ermöglicht. Generell zeigt sich, dass in Bezug auf die Zufriedenheit vor allem Patienten, die durch wenig expansive Psychopathologie imponieren, tendenziell tiefere Zufriedenheitswerte erreichen. Dies geht auch konform mit den Scores der Behandlungsergebnisse: Die höchsten Teilkorrelationen resultieren für Variablen, welche die Verbesserung der sozialen Anpassungsfähigkeit repräsen-

PD Dr. phil. Ernst Hermann Privatdozent für Klinische Psychologie und Psychotherapie
an der Universität Basel Psychiatrische Klinik Meissenberg
6301 Zug
Interessenkonflikte: keine

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